Der deutsche Straßenverkehr ist zu einer Kampfzone verkommen von Thomas Seidel
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Innerstädtischer Verkehrsunfall (Quelle: wikipedia, gemeinfrei, Urheber: Thue) |
Gerne mokieren sich die hiesigen Medien über die
gesellschaftlichen Zustände in den Vereinigten Staaten von Amerika. Besonders
das angeblich uneingeschränkte Recht auf Waffenbesitz in den USA wird immer
wieder deutlich kritisiert. Natürlich tragen die alltäglichen Dramen der
amerikanischen Gesellschaft zu einem düsteren Bild bei. Da gibt es Schießereien
in den einschlägigen Milieus wie dem Drogenhandel und der nach wie vor
agierenden Mafia. Es gibt Bandenkriminalität an manchen Orten in einem Ausmaß,
wie man es sich in Europa kaum mehr vorstellen kann. Es gibt Familiendramen und
gewalttätige geschäftliche Auseinandersetzungen. Es gibt rassistisch begründete
Schießereien, sowohl von ziviler wie auch polizeilicher Seite, Furguson ist da
nur ein Bespiel von vielen. Es gibt das, in Europa auch nur selten vorkommende,
Phänomen des Amoklaufs und noch seltener bewaffnete Auseinadersetzungen mit ganzen Sekten. Das Recht Schußwaffen
erwerben und gebrauchen zu können, wird in den USA von einem der
gesellschaftspolitisch wirkmächtigsten Vereine der National Riffle Association
(NRA) bis in die letzte Konsequenz verteidigt. Kein Politiker wagt es wirklich,
sich gegen die NRA zu stellen. Die Tatsache, dass es sich die Vereinigten
Staaten leisten, permanent etwa ein Prozent ihrer Gesamtbevölkerung ständig im
Gefängnis zu halten (ca. 3 Millionen Menschen), trägt auch nicht gerade zu
einem Bild von einer aufgeklärten und zivilisierten Nation bei.
So sind durch Schußwaffengebrauch, laut der Quelle
„statista.com“, allein im vergangenen Jahr in den USA 14.971 Menschen ums Leben
gekommen.
Doch bevor man den nackten Finger in Richtung Westen über
den Atlantik ausstreckt, sollte man zunächst einmal vor der eigenen Haustür
kehren. Inzwischen ist es in Deutschland soweit, dass man davon sprechen kann,
der deutsche Straßenverkehr ist zu einer Kampfzone verkommen. Ja man kann sogar
sagen, was dem Amerikaner seine Schußwaffe ist, ist dem Deutschen sein Gefährt.
Damit ist lange nicht allein nur das Auto gemeint.
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LKW Unfall auf Autobahn (Quelle: wikipedia, gemeinfrei, Urheber: sukuru) |
Was das Ausmaß von Rücksichts-losigkeit und Rüpelhaftigkeit
angeht, stehen viele Fahrradfahrer vielen Autofahren in nichts nach. Man muss
sogar deutlich sagen, immer häufiger kann man beobachten, dass die Regeln der
Allgemeinen Straßen-verkehrsordnung für Fahrradfahrer einfach nicht zu gelten
scheinen. Dabei könnte der schlimme Konflikt zwischen Autofahrern und
Fahrradfahrern schon allein dadurch deutlich abgemildert werden, wenn sich die
Fahrradfahrer erkennbar an die Regeln halten würden und nicht immer wieder
durch unvorher-sehbares Verhalten und Gebaren sich selbst am allermeisten in
Gefahr bringen würden.
Wer nur oberflächlich auf die Statistik schaut, könnte
behaupten, mit 3.459 Verkehrstoten in 2015 (lt. wikipedia) stünde Deutschland
doch im Vergleich mit den USA viel besser da, wenngleich natürlich Verkehrstote
und Todesopfer durch Schusswaffengebrauch nicht ohne weiteres miteinander
verglichen werden können. Aber wenn es einmal erlaubt ist, zu
Anschauungszwecken diese tragischen Zahlen auf einen Vergleich mit der
Bevölkerungszahl umzurechnen, dann würde bei einem Bevölkerungsstand per 2015
in Deutschland mit 82.175.684 und
den USA mit 322.755.353 die Anzahl der Verkehrstoten, statistisch hochgerechnet,
in Deutschland bei etwa 13.586 liegen und damit sehr nahe an der Anzahl der
Schußwaffenopfer in den USA. (Quelle der Bevölkerungzahlen laut wikipedia per
31.12.2015).
Neben den Fakten aller grausamen Statistiken, die subjektive
Wahrnehmung des allgemeinen Fahrverhaltens in Deutschland hat sich in den
letzten Jahren deutlich ins Negative gewendet. Die Rücksichtslosigkeit nimmt
deutlich zu. Es ist bekannt, dass im morgendlichen Berufsverkehr an Schulen und
Kindergärten durchaus auch mal mit 80 km/h vorbei gebraust wird. Da soll man
mal in den USA beobachten, wenn ein Schulbus hält und die Lotsen den Verkehr in
weiter Distanz zum Schulbus, übrigens auf beiden Seiten der Straße zum Anhalten
bringen, wie brav und diszipliniert die Autofahrer geduldig warten, bis die
Straße wieder frei gegeben wird. Ein gesellschaftliche Notwendigkeit,
schließlich geht es um die Kinder. In Deutschland wäre so etwas undenkbar.
Hupen, drängeln, ja sich lebensgefährlich an öffentlichen Verkehrsmitteln
vorbeiquetschend, das ist hier die tägliche Realität. Schließlich geht es ja um
die wertvolle (Lebens)Zeit, die ein erwebstätiger Erwachsener auf der Straße
vergeuden muss.
Inzwischen macht dieses Verhalten auch längst vor den
Fahrzeugen der Rettungskräfte nicht mehr Halt. Ob Polizei, Notarzt, Krankenwagen
oder gar die Feuerwehr. An roten Ampeln werden die Einsatzfahrzeuge bewusst
blockiert. Schließlich wartet ja der gestresste autofahrende Bürger schon
einige Sekunden auf diese - seine nächste Grünphase und komme was da wolle,
jetzt ist erst mal der Normalbürger dran. Rettungsgassen werden nur noch
gebildet wenn die Polizei über Lautsprecher ultimativ dazu auffordert. Manch
Autofahrer lässt sich trotzdem sogar noch auf eine rechthaberische Diskussion
mit den Ordnungshütern ein.
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Verkehrsunfall mit Rettungsfahrzeugen Quelle: Erich Kasten_pixelio.de |
Schon immer scheint es in Deutschland eine Hackordnung von
Automarken und Pferdestärken unter der Motorhaube gegeben zu haben. Damit wird
inzwischen hemmungslos mal eben schnell rechts überholt, oder auf Autobahnen
auch schon mal der Standstreifen dafür genutzt. Die allgemein zunehmende
Rücksichtslosigkeit hat auch schon auf den ruhenden Verkehr übergegriffen.
Unmöglich abgestellte Fahrzeuge, die die Sicht auf Straßeneinfahrten blockieren
oder vor Ausfahrten stehen, sind nur eine Seite des Ärgernisses. Besonders in
Parkhäusern und Tiefgaragen kann mehr und mehr beobachtet werden, wie
Autofahrer gleich zwei Parkplätze für sich in Anspruch nehmen oder so schlecht
eingeparkt haben, dass leere Plätze nicht genutzt werden können.
An dieser Stelle reicht der Platz nicht aus, auch noch all
die dramatischen Fehlverhalten zu schildern, die sich insbesondere die Fahrer
von Lastkraftwagen und Gewerbemobilen in immer drastischerer und dreisterer
Form leisten. Nur als ein kleines Beispiel sei die Frage gestattet, warum es
solchen Fahrzeugen erlaubt ist, selbst in Zonen mit absolutem Halteverbot
getrost in der zweiten Reihe zu parken, in aller Seelen Ruhe ihrem Geschäft
nachgehen und dabei anscheinend nirgendwo in Deutschland auch nur mündlich
verwarnt zu werden.
Auch in Deutschland wissen die Autofahrer für ihre
Interessen einen mitgliederstärksten und politisch wirkmächtigsten Verein
hinter sich. Es muss aber auch gesagt werden, dass dieser Verein mitnichten
öffentlich dazu aufruft, sich im Straßenverkehr unkooperativ zu verhalten. Im
Gegenteil, dieser Verein predigt und rät ständig zur Rücksichtnahme und
Besonnenheit, allein es zeitigt sich keine Wirkung.
Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist sowohl eine
Politik, die auch nach Jahrzehnten zunehmenden Personenverkehrs immer noch
nicht begriffen hat, dass es längst keine freie Fahrt mehr für freie Bürger
geben kann, weil die Verkehrsverhältnisse inzwischen viel zu beengt geworden
sind und die nicht bereit ist, schweres Fehlverhalten entsprechend wirksam zu
sanktionieren.
In Berlin hat jetzt ein Landgericht in einem besonders
krassen Fall von innerstädtischem Straßenrennen mit tödlichem Ausgang ein
deutliches Zeichen gesetzt und den Verursachern eine lebenslange
Freiheitsstrafe verpasst. Man kann die Justiz zu diesem mutigen Schritt nur
beglückwünschen! Allerdings muss man hoffen, dass die anstehende Revision vor
dem Bundesgerichtshof die rechtliche Prüfung auch übersteht und die obersten
Bundesrichter das Urteil letztlich bestätigen. Warum illegale Autorennen vom
Gesetzgeber bislang nur als Ordnungswidrigkeit betrachtet werden und allenfalls
mit einer Geldstrafe bedroht sind, ist politisch rätselhaft. Das muss ein
Straftatbestand werden! Neben dem lebenslangen Entzug der Fahrererlaubnis muss
noch eine weitere Sanktion hinzutreten. Die Beschlagnahme und Verschrottung der
Täterfahrzeuge, am besten vor deren Augen. Erst die unwiderbringliche
Vernichtung ihrer Spielzeuge wird den ein oder anderen Täter wirklich ins Herz
treffen.
Natürlich gibt es Millionen Verkehrsteilnehmer die
umsichtig, rücksichtsvoll und hilfsbereit sind. Ohne sie wäre das deutsche
Verkehrssystem schon längst kollabiert und wahrscheinlich nur noch eine einzige
Kampfzone, möglicherweise sogar unter Einsatz von Schußwaffengebrauch. Aber die
zunehmende Zahl der narzisstischen Wichtigtuer und der immer abgelenkteren
Elektronikliebhaber, bedrohen im Straßenverkehr unser aller Leben zu jeder Zeit
und an jedem Ort. Deswegen müssen diese aus dem Verkehr gezogen werden!
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