Seit 20 Jahren der Anker Europas -Die Europäische Zentralbank feiert ihr zwanzigjähriges Bestehen- von Thomas Seidel
![]() |
Die Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main (Quelle: EZB) |
Zum 1. Juni 1998 war es soweit. Die
in den Verträgen von Maastricht vereinbarten Regeln zur Errichtung
einer europäischen Zentralbank und zur Einführung einer gemeinsamen
Währung, dem EURO, verwirklichten sich. Seit nunmehr zwanzig Jahren
ist die gemeinsame Zentralbank vieler Länder der Europäischen Union
gleichzeitig Retter in der Not und Ziel ständiger, zuweilen scharfer
Kritik. Wir begaben und auf die Suche danach, was diese weltweit
einmalige supranationale Einrichtung im Kern ausmacht.
Robert Heyes ein weit gereister Brite. Arbeitet im Zahlungsverkehr, einer Kernfunktion. (Quelle: Thomas Seidel) |
Die 1990er Jahre haben der Welt die bis
dahin umfangreichste Neuordnung der Nachkriegswelt beschert. Mit der
Wiedervereinigung Deutschlands verschwand die alte
Konfrontationslinie des Kalten Kriegs. Vor allem die
Kommunikationstechnologie machte unvorstellbare schnelle
Fortschritte. Dank dem Internet ist Jeder mit Jedem virtuell
verbunden. Die weltweite Logistik schafft jegliche nachgefragten
Güter heute schnell an alle gewünschten Plätze. Eine
liberalisierte Finanzindustrie stellte schier unendliche
Finanzierungsmittel für Investitionen und Konsum bereit.
Da wäre ein wirtschaftlich
kleinteiliges nationalistisches Europa im Rausch des globalen Handels
nicht mehr wettbewerbsfähig gewesen. Grund genug für Europa, sich
immer tiefer und enger zu vereinigen. Begonnen wurde mit einer Geld-
und Bankenunion. Folgen sollte eine Steuer- und Sozialunion.
Zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht eine Art Vereinigte Staaten
von Europa. Geworden ist daraus bis jetzt allerdings nur der EURO und
die Europäische Zentralbank (EZB).
Akuvie Edzave stammt familär aus Togo Vielsprachig organisiert sic Reisen für Kollegen (Quelle: Thomas Seidel) |
Mehr als nur eine Zentralbank
Dieses weitgehend unvollendete
europäische Vereinigungsprojekt hat der EZB eine Verantwortung
aufgezwungen, die so für den Zweck einer Zentralbank nicht
vorgesehen war. Aber von allen europäischen Institutionen ist die
EZB die einzige, von der man im Publikum den Eindruck hat, dass sie
wirklich funktioniert. Man kann mit den Entscheidungen der
EZB-Gremien einverstanden sein oder auch nicht. Aber wenn eine
Entscheidung gefallen ist, wird sie auch sofort und effektiv
umgesetzt. Damit bewegt die EZB nicht nur einfach Milliarden von
EURO. Sie fördert die Wirtschaft oder bremst sie auch, sie schafft
einen globalen Wettbewerbsrahmen für die europäische Wirtschaft und
rettet gelegentlich auch noch die eigene Währung oder die maroden
Staatshaushalte ganzer Mitgliedsländer. Das alles aber immer nur im
Rahmen ihres ureigenen Auftrags (Originalton Mario Draghi: „within
our mandate“).
Patricia Kerns-Endres von Irland ist die 49. Mitarbeiterin der EZB überhaupt. Sie ist heute im Büro des EZB-Präsidenten tätig (Quelle: Thomas Seidel) |
Regelrecht überrumpelt wurde die EZB von der Politik dann vor einigen Jahren mit der zusätzlichen Aufgabe, neben der Geldpolitik auch noch die oberste Bankenaufsicht in Europa zu sein. Gewünscht hat sich das in der EZB seinerzeit niemand. Viele ausserhalb der EZB hatten und haben ihre Zweifel, ob die EZB damit nicht dauerhaft in einem aufzehrenden Interessenkonflikt steht. Doch die Politik hatte keine Wahl. Man musste sehr schnell ein kompetente und wirkungsvolle europäische Bankenaufsicht aus dem Boden stampfen. Das überhaupt zu schaffen, konnte man nur der EZB zutrauen. Man darf die Wahl dieser Entscheidung daher durchaus als den bislang größten Vertrauensbeweis in die Fähigkeiten der Zentralbank einschätzen. Doch letztlich gelang das Vorhaben einer europäischen Zentralbank und Jahre später einer europäischen Bankenaufsicht nur, weil die Gesamtheit aller Mitarbeiter der EZB die Kompetenzen, die Fähigkeiten und den Willen hatten, beide mächtigen Projekte erfolgreich zu verwirklichen.
Beverley Standon verließ vor 20 Jahren ihre britische Heimat, um bei der EZB zu arbeiten. Sie heute heute Compliance officer (Quelle: Thomas Seidel) |
Wir sind EZB
Dabei ist die EZB nicht nur im
juristischen Sinne eine supranationale Institution. Sie lebt auch
tatsächlich diese Supranationalität. Sie lebt sie durch ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aus Anlass dieses zwanzigjährigen
Jubileums hatten wir die Gelegenheit, mit einer ganzen Reihe von
EZB-Mitarbeitern aus allen möglichen Aufgabenbereichen in ein
persönliches Gespräch zu kommen und uns nach ihrem Anteil an der
EZB zu erkundigen. Dabei sind Menschen, die sich etwa um den
reibungslosen Zahlungsverkehr kümmern, oder um die Einhaltung von
Regeln, was man heute fachlich „Compliance“ nennt. Eine weitere
wichtige Aufgabe ist die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Auch
die Reisetätigkeiten vieler Mitarbeiter müssen organisiert werden,
oder man kümmert sich um die eigenen Investments der EZB, besonders
in fremden Währungen.
Conception Alonso stammt aus Portugal wuchs aber in Frankreich auf. Sie kümmert sich um die Investitionen in Fremdwährungen (Quelle: Thomas Seidel) |
Allein Europa gilt
Es muss bereits zur Zeit des ersten
EZB-Präsidenten Wim Duisenberg gewesen sein, dass die Mitarbeiter
jenes Bewusstsein entwickelten, Teil dieser supranationalen
Einrichtung zu sein und, dass dabei zumindest für ihre Arbeit, ihre
ursprüngliche Herkunft zeitweise in den Hintergrund tritt. Was die
jeweils aktuelle Zentralbankpolitik ist, entscheiden die
Gesamtinteressen aller Mitgliedsländer der EURO-Gemeinschaft, aber
indirekt auch alle Länder der EU. Dieses Gesamtinteresse muss die
EZB im Auge haben, niemals nur die Interessen einzelner Staaten oder
kleinerer Staatengruppen. Das ist eine Gratwanderung, die zu
verstehen manchen großen aber auch kleinen Mitgliedsländern nicht
immer leicht fällt.
Eva Finkernagel-Eid ist eine der dienstältesten EZB-Mitarbeiterin. Die gelernte deutsche Bankkauffrau und Fremdsprachensekretärin hält die Verbindung zu den Medien aufrecht |
Trotz schwerster elementarer Krisen ist es der EZB bisher noch immer gelungen ihren Anteil am Projekt Europa erfolgreich aufrecht zu erhalten. Inzwischen gehen manche soweit zu sagen, sollten der EURO und die EZB zusammenbrechen, dann falle auch Europa auseinander. Das mag ein bisschen drastisch klingen. Für die Zukunft allerdings sollte man der Europäischen Zentralbank wünschen, dass sie sich nur noch auf ihre ureigensten Aufgaben konzentrieren darf. Über kurz oder lang wäre eine Zentralbank damit überfordert, der alleinige Anker für eine auseinander driftende Staatengemeinschaft zu sein.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen