Die Schatten der Überliquidität verdunkeln schon den Horizont -Zu den jüngsten Entscheidungen der Europäischen Zentralbank- von Thomas Seidel

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in ihrer letzten regulären Sitzung des Governing Council in diesem Jahr 2015 Entscheidungen getroffen, die die kommenden Probleme aus dem massiven Ankaufsprogrammen zur Liquiditätsversorgung am fernen Horizont abzeichnen lassen.

Presseleute bei der Vorbereitung auf die EZB-Pressekonferenz am 3. 12. 2015
(Quelle: Thomas Seidel)


Moderne Zentralbanken etwa wie das Federal Reserve System in den USA, die Bank of England oder eben die EZB haben eine Reihe von enorm wichtigen Aufgaben im modernen Wirtschafts- und Finanzsystem zu erledigen. Neben der Funktion als klassischer Versorger mit Bargeld, ist das vor allem eine Bank für die Banken zu sein. Sie versorgen den Finanzsektor mit ausreichender Liquidität, sodass die Banken zahlungsfähig bleiben. Zentralbanken besorgen aber vor allem auch den reibungslosen Zahlungsverkehr, was angesichts von Millionen Transaktionen jeden Tag eine technische und organisatorische Mammutaufgabe ist. Wie gut das funktioniert kann man daran erkennen, dass es nahezu völlig geräusch- und problemlos abläuft.

Während man als Normalbürger von diesen wichtigen Hintergrundaufgaben so gut wie nichts mitbekommt, steht die Kernaufgabe der Preisstabilität mehr im politischen Vordergrund. Darüber wird dann auch allenthalben in den Medien ausführlich berichtet. Um das höchste Ziel der Preisstabilität zu erreichen, stehen Zentralbanken eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung. So spielen dabei die Geldmarktpolitik, also die täglichen Geldgeschäfte der Banken untereinander, eine wichtige Rolle, genauso wie die Zinspolitik, also die Frage was Geld und Kredit eigentlich kostet.

Dazu legt bei der Zinspolitik eine Zentralbank fest, wieviel Zinsen die Banken bekommen, wenn sie Geld bei ihrer Zentralbank deponieren (bei der EZB die sogenannte „deposit facility“). Nach den jüngsten Beschlüssen vom 3. Dezember 2015 liegt dieser Zinssatz bei minus 0,3 Prozent (-0,30 %). Das bedeutet, die Banken bekommen für ihre Einlagen bei der EZB keine Zinsen, sondern müssen im Gegenteil an diese auch Zinsen für ihre Guthaben bezahlen. Diese scheinbar widersinnige Politik hat den Zweck, die Banken dazu zu bringen ihr Geld besser in der freien Wirtschaft in Form billiger Kredite anzulegen. Schließlich möchte die EZB erreichen, dass durch günstige Finanzmittel die Wirtschaft noch intensiver zum Wachstum angeregt wird.

Bildreporter suchen die richtige Perspektive
(Quelle: Thomas Seidel)
Diesem Ziel dienen auch die anderen Zinssätze der EZB, für die Ausleihung von Geld an die Banken. Für die normale Kreditbeschaffung, etwa durch den Ankauf von Handelswechseln und Wertpapieren von den Banken, wird aktuell ein Zins von 0,05 Prozent bzw. 0,30 Prozent von den Banken verlangt. Das sind historisch extrem niedrige Zinssätze. Doch erscheinen der EZB all diese schon recht billigen Finanzmittel bei weitem nicht ausreichend, die Versorgung der Kreditwirtschaft mit flüssigen Geld sicher zu stellen.

Seit einigen Monaten betreibt die EZB daher ein ausserordentliches Ankaufsprogramm von Wertpapieren (engl. asset purchase program APP). Damit pumpt die Zentralbank des Euro Monat für Monat zusätzlich 60 Milliarden Euro in den Finanzsektor, in der Hoffnung dass die Geschäftsbanken diese Geldmittel auch tatsächlich an die Wirtschaft für Investionen ausleiht. Dieses Ankaufsprogramm war anfangs zeitlich auf den Spätsommer 2016 begrenzt. Neu ist nun seit Donnerstag, dass das Ankaufsprogramm zunächst bis Ende März 2017, also ein gutes halbes Jahr länger, andauern soll. Nun werden zwischenzeitlich die ein oder anderen der angekauften Wertpapiere gemäß ihren Bedingungen fällig und müssen von ihren Herausgebern (Emittenten) zurück gezahlt werden. Mit der Zeit würden also die Mittel aus dem Ankaufsprogramm auf ganz natürlichem Weg immer weniger werden. Neu ist daher seit letzten Donnerstag, dass die EZB entschieden hat, die so frei werdenden Mittel erneut in den Ankauf neuer Wertpapiere zu investieren und zwar nach eigener Aussage „...so lange wie notwendig“. Darüber hinaus hat sich die EZB entschlossen, künftig auf solche Wertpapiere anzukaufen, die etwa von Landes-, oder Regional-, oder anderen lokalen Regierungen heraus gegeben werden.

Das große Ziel dieser massiven Geldversorgung des Finanzsektors bleibt die Hoffnung, die Wirtschaft im Euroraum so anzukurbeln, dass mittelfristig wieder eine Inflations knapp unter zwei Prozent entsteht. Die Entwicklung dahin verläuft aber langsam. In den zurück liegenden Quartalen wuchs die Wirtschaft im Euroraum um etwa 0,3 Prozent, vor allem getragen vom Konsum und einigen Investitionen und dem Export. Das alles aber ist zuwenig für eine steigende Inflation. Die läge theoretisch zur Zeit bei einem Prozent, doch wirkten vor allem die immer noch sehr niedrigen Ölpreise der Inflation massiv entgegen. Die Ökonomen in der EZB hoffen auf ein strammeres Wirtschaftswachstum in den Jahren 2016 und 2017 von 1,7 % und 1,9 %. Ob dadurch allerdings die Inflation gleichermaßen höher ausfällt bleibt ungewiss.

EZB-Präsident Mario Draghi am 3.12.2015
(Quelle: Thomas Seidel)
EZB Präsident Marion Draghi hob hervor, dass die Maßnahmen zur erhöhten Liquiditätsversorgung noch „...lange lange Zeit...“ andauern werden. Ebenso lange werden natürlich die angekauften Wertpapiere in der Bilanz der EZB verbleiben. Doch läge, so Draghi, ohne all diese Maßnahmen die Inflation im Euroraum heute bei minus 0,5 Prozent (-0,5 %), weshalb die EZB ihre Maßnahmen auch als erfolgreich ansieht und die Entscheidungen des Rates auf einer breiten Mehrheit basieren würden. Alle Maßnahmen der EZB sind auf das Erreichen des Ziels einer Inflation von knapp unter zwei Prozent ausgerichtet. Wann immer das sein wird, bis dahin wird auch das ausserordentliche Ankaufprogramm andauern.

Doch das strahlende Licht der massiven Geldversorgung wirft am weit entfernten Horizont erste Schatten. Was passiert hier eigentlich genau? Regierungen von Bundesstaaten und deren Länder bzw. Regionen stellen Schuldscheine aus (Bonds) die zunächst von normalen Geschäftsbanken angekauft werden. Die geben also an erster Stelle dem Staat Geld. Dann übernimmt die EZB diese Schuldscheine im Rahmen ihres Ankaufprogramms von den Banken und gibt diesen damit wieder die entsprechenden Geldmittel zurück. Die Volumen sind mit der Zeit gewaltig und übertreffen in ihrer Summer ganze Staatshaushalte selbst großer Länder in der Europäischen Union. Das Geld fließt also in den Finanzsektor und vielleicht zirkuliert ein Teil davon auch in der realen Wirtschaft. Doch zwangsläufigerweise kommt der Tag, an dem diese Schuldscheine fällig werden und von ihren ursprünglichen Ausstellern bezahlt werden müssen. Aber haben die Staaten und Länder dann auch überhaupt die Mittel, ihre Schulden zurückzuzahlen? Vor dem Hintergrund nach wie vor ausgabenintensiver Fiskalpolitik wohl eher nicht. Im Grunde ist das Ankaufsprogramm der EZB eine zeitliche Verschiebung vor allem staatlicher Budgetdefizite. Wenn dann also plötzlich die von der EZB angekauften Schuldscheine wieder fällig werden, würde ihre massive Rückzahlung wahrscheinlich zu unvorhersehbaren Folgen in den Budgets der einzelnen Staaten führen, denn die Schuldentilgung ist letztlich eine Sache der Steuerzahler.


Diese Gefahr hat die EZB wie es scheint durchaus wahr genommen. Das ist der Grund, warum nun entschieden wurde, das Schuldenankaufsprogramm zuerst zeitlich zu verlängern und schließlich durch den Wiederankauf (reinvest in principal payments) für so lange wie nötig (for as long as necessary) das Ende des Programm erst einmal unabsehbar zu machen. Die Schatten der drohenden Liquditätsverknappung, die logischerweise in Umkehrung des Ankaufsprogramms  früher oder später über die Wirtschaft und die Konjunktur heraufziehen müssen, sollen für möglichst lange in den Hintergrund gedrängt werden. Damit macht sich die EZB aber immer weiter abhängig von einer langfristig soliden Budgetpolitik ihrer Mitgliedsländer. Da bleibt nur zu hoffen, dass dieses Wunschdenken auch tatsächlich einmal in Erfüllung geht. Die EZB jedenfalls, die eben nicht nur für ein Land, sondern für eine große Gemeinschaft von Staaten mit ganz unterschiedlichen nationalen Fiskalzielen zurecht kommen muss, hat den Regierungen dieser Länder nur Zeit erkauft, sonst nichts.

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