Der Müll –Eine bittersüße vorweihnachtliche Betrachtung- von Thomas Seidel
Der Weg nach Hause führt durch eine enge Wohnstraße. Rechts
und links stehen recht schmucke Einfamilienreihenhäuser aus den 1930er Jahren,
inzwischen sehr farbenfroh und individuell gestaltet. Bewohnt werden die Häuser
von Familien und Ehepaaren unterschiedlichen Alters. Manche sind in Rente, in
anderen Häusern wachsen Kinder heran unter manchen Dächern wohnen gar drei
Generationen. Links und rechts am Straßenrand wird geparkt, jeder Quadratmeter
ist kostbar. Dennoch, die Bepflanzung auf dem Gehweg wird von den Anwohnern
sorgfältig gepflegt. Um die schmalen Bäume hat so mancher Nachbar kleine
Blumenbeete angelegt, die in den warmen Monaten herrlich blühen und dann im
Straßenpflaster wie kleine Oasen wirken. Man hat sofort das Gefühl, es ist eine
Gegend in der die Leute gerne heimisch sind und es überall nett und adrett
hergehen soll.
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Weihnachtsmarkt in Frankfurt am Main (Quelle: Marilyn Weidner) |
In diesen Adventstagen, kurz vor Weihnachten, ergibt es
sich, auf dem Weg zur eigenen Wohnung genau in dem Moment in diese Straße
einzubiegen, als gerade der Müllwagen dort seine Runde macht. Es ist um die
Nachmittagszeit und langsam beginnt es schon zu dämmern. Wegen der Enge bleibt
nichts anderes übrig, als langsam hinter dem Müllwagen her zu schleichen und
geduldig abzuwarten, bis dieser den Flaschenhals wieder frei macht. Das gibt
Gelegenheit für eine Kurzweil und was zu erleben ist, ist zugleich rührend und
erstaunlich und es macht nachdenklich.
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Ein Müllwagen der Frankfurter Entsorgungsgesellschaft im vollen Einsatz (Quelle: wikipedia GNU-Lizenz Grantusual) |
In vielen Häusern wurde auf die Müllmänner offensichtlich schon gewartet.
Kinder drücken ihre Nasen an die Fenster und winken fröhlich den Entsorgern zu.
Aus manchem Haus kommt die ein oder andere Mutter und wünscht den Müllleuten
frohe Festtage. In einer anderen Tür steht gar der Hausherr selbst, drückt
einem der Müllmänner offensichtlich ein kleines Trinkgeld in die Hand bedankt
sich und wünscht frohe Festtage. Überall wird geschwätzt, gegrüßt, gelächelt und gewunken. Artig bedankt
man sich für die guten Dienste und ist offensichtlich froh über die Arbeiter,
die einem die lästige Zivilisationsmüllentsorgung so zuverlässig und effektiv
abnehmen. Spielte man noch dazu ein Weihnachtslied, es wäre eine rührselige
Szene, wie man sie in keiner Hollywood-Produktion besser hätte inszenieren
können. Eine Nachbarschaft im seligen Einklang mit den Diensten der Müllmänner.
Das ist aber nicht die einzige bemerkenswerte Szene über den Müll am Ort.
Durchs ganze Jahr über ist die Stadt geprägt von vielen verschiedenen
Veranstaltungen, aber auch Demonstrationen, Umzügen bis hin zum Abklatsch eines
Karnevals, der aber eigentlich hier keine alte Tradition hat. Wie dem auch sei,
wann immer eine solcher Zug durch die Straßen der Innenstadt zieht, am Schluss,
mit etwas gehörigem Abstand, kommt schon die Müllkolonne daher und macht die
Straßen wieder sauber. Nur eine Stunde nach dem letzten Schauwagen sieht es
wieder so aus, als wäre nichts gewesen. Fast schon ein wenig zu steril.
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Tatort Frankfurt am Main Jürgen-Ponto-Platz (Quelle: Epizentrum GNU-Lizenz) |
Auch die Freie Kunst kann in der Stadt dem Müllräumern schon mal zum Opfer
fallen. Auf oberbürgermeisterliche Anordnung hin zieht ein Spezialtrupp von
Müllmännern durch die Stadt, immer auf der Suche nach unansehnlichen Haufen,
die, Verursacher hin oder her, gleich mal weggeräumt werden. So erging es dann
auch einmal einer künstlerischen Installation auf einem der Plätze in der
Stadt, die zugegebenermaßen nicht ohne Erläuterung als Kunst hätte erkannt
werden können. In den natürlich streng auf Ordnung geschulten Augen der
Spezialentsorger, hielt die Kunst jedenfalls nicht den schöpferischen
Anforderungen stand und so wurde die Installation gleich mal besser abgeräumt.
Der darauf folgende Tratsch in den lokalen Medien über diese Abräumaktion und
eine offizielle oberbürgermeisterliche Entschuldigung war in diesem Fall
allerdings schon die größte öffentliche Aufmerksamkeit, die jenem Kunstwerk
überhaupt zuteil wurde. So wurde in diesem Fall durch die unbeabsichtigte
Entsorgung die vermeintliche Kunst überhaupt erst zur tatsächlichen Kunst
erhoben.
Neben all der Sorgsamkeit mit dem Müll in einer Großstadt, gibt es
natürlich die bekannte Besorgnis der Bürger bezüglich des Umgangs mit dem
Sondermüll. Das kann vielleicht nur einer leere Batterie sein, es kann aber
auch ein voller Castorbehälter mit Atommüll sein. Im einfachen Fall gilt,
getrennte Lagerung, getrennte Entsorgung und all das ohne je die Umwelt zu
belasten. Beim Atommüll, aus dessen Energie man jahrelang bequem und preiswert
seinen Strom bezogen hat, liegt der Fall aber deutlich anders. Sofern dieser
mal exportiert worden war und wieder in das Verursacherland zurück gebracht
werden soll, bricht gegen diese Art von Müll der bürgerliche Aufstand los. Da
behindert man den Transport mit allen Mitteln. Der Ein oder Andere lässt sich
auch schon mal an die Transportgleise ketten und muss dann von der Polizei
entsorgt, äh... weggehoben, werden wie ein Stück Müll. Vielleicht geht es ja
auch darum, sich selber einmal wie Müll zu fühlen, wer weiß? Fürwahr, der
Umgang der Bürger mit ihrem Müll ist hierzulande schon etwas Besonderes und
offenbart eine Fülle von völkischen Charaktereigenschaften .
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Transport von Atommüll in Castorbehältern (Quelle: wikipedia Atomnix gemeinfrei) |
Inzwischen hat die Erkenntnis Müll als Rohstoffquelle zu erschließen, zum
Aufbau einer ganzen Industrie geführt. Recycling statt schnöder
Müllverbrennung, die vielleicht zwar noch die Luft verpestet, aber immerhin
auch zur Wärme- und Energiegewinnung heran gezogen werden kann. Vielleicht hat
dieses System sogar zur Schaffung neuer jedoch weniger qualifizierter
Arbeitsplätze beigetragen. Leider fällt aber die Bilanz mit den verlorenen
Arbeitsplätzen in anderen ausgestorbenen Industriezweigen dennoch nicht positiv
dabei aus. Der Müll allein, obgleich er überall und immer vorkommt, reicht eben
leider nicht zur Erreichung der Vollbeschäftigung aus.
Was für den Feststoff recht ist, ist für das Flüssige gerade billig.
Dreckwasser einfach mal so in die Kanalisation einleiten, geht gar nicht.
Bratenfett über das heimische Spülbecken entsorgen, mag noch so üblich sein. In
der professionellen Gastronomie zum Beispiel aber wird das stinkende Öl
speziell aufgefangen und abgesaugt.
Das ist aufwendig und kostenintensiv. Manche Schnitzel mit Pommes
könnten ja noch viel billiger sein, aber der Dreck muss schließlich sauber weg.
Soviel Restriktionen unterliegt die Großindustrie aber auch nicht immer. Viele
Unternehmen dürfen nach wie vor in die Gewässer Dinge einleiten, die auch schon
mal zum Massensterben von Fischbeständen führen können. Wie toll waren mal die
Bäder, die direkt an den Flüssen mancher Städte betrieben werden konnten? In
immer noch zu vielen Fällen ist das Baden nach wie vor gesundheitsgefährdend unmöglich.
Aber he, Hand aufs Herz, es ist ja wegen der vielen guten Arbeitsplätze in der
Industrie, oder?
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Frankfurt am Main Schwimmanstalt Mosler etwa 1930er Jahre (Quelle: Landesbildanstalt Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main) |
Vielleicht brauchte es ja einst tausend Jahre, damit sich unter den Talaren
ein Muff ansammelte. Solange dauert das aber ansonsten nicht. Schnell wird es
in geschlossenen Räumen muffig. Da hilft nur mal richtig durchlüften, etwas das
den meisten hierzulande ein tägliches Herzensanliegen ist. Das kommt so in
vielen anderen Ländern gar nicht vor. Welch Privileg wir hierzulande doch
haben! Manche Sprachen haben fürs Durchlüften gar kein adäquates Wort. Es gibt
moderne Zivilisationen, in denen die Menschen sich von einer vollklimatisierten
Enklave in die nächste begeben, ohne je auch nur für wenige Minuten tatsächlich
einmal frische Luft eingeatmet zu haben. Den sich allmählich ansammelnden
Grundmuff bekämpft man dort mit allerlei künstlichen Aromaspendern. Wer das
einmal für länger erlebt hat, bekommt dann eine schwache Ahnung davon, wie der
Gestank in den Räumlichkeiten der Aristokratie während des französischen
Absolutismus gewesen sein muss. Nein, dass kann es nicht in Deutschland sein.
Während man andernorts dem hiesigen Drang die Fenster aufzureißen und sogar
noch offen zu lassen nur mit bloßem Unverständnis gegenüber steht, würde man
hierzulande am liebsten jedes Haus mitten in einen Wald bauen, jedenfalls was
den Wunsch nach frischer Luft angeht.
Urwald Sababurg (Quelle: wikipedia CCl Ökologix) |
Überhaupt der Wald. Was gäbe es schützenswerteres als die grünen Lungen
dieses Landes. Um jeden Baum wird gerungen. Viele Lieder über den Wald werden
gesungen. Immer öfter wird der Wald, dieses Symbol der totalen natürlichen
Harmonie, auch noch zur letzten Ruhestätte. Fast könnte man meinen, wäre das
Alte Testament einstmals hier geschrieben worden, es könnte vielleicht dann heißen
„... aus dem Wald bist Du gekommen und in den Wald wirst Du zurück kehren“. Statt
dessen heißt es dort nur in etwa „... aus Staub bist Du und zu Staub wirst Du
wieder werden“. Was für eine karge Gegend ist dieses Bibelland eigentlich? Um
sich einmal an Ephraim Kishon anzulehnen: Kein Wald, Michel?
Waldfriedhof bei München (Quelle: wikipedia GNU-Lizenz Unbekannt) |
So fundamental der Wald für diese Gesellschaft ist, das Thema hier bleibt
der Müll. Man könnte sich vorbehaltlos über den Umgang mit dem Müll freuen,
wäre da nicht doch noch ein Wermutstropfen. Viele sind sehr besorgt, dass der
physische Müll korrekt entsorgt wird. Es gibt in der Gesellschaft bei einigen
Leuten aber leider auch den Hang nicht nur Sachen als Müll zu betrachten. Diese
Leute legen dann dafür die gleichen Maßstäbe an, wie sie es bei ihrem Hausmüll
tun. Sie möchten was da ist, entsorgt sehen. Aber am liebsten hätten sie es
noch, wenn sich der Müll gar gleich vermeiden ließe. So gehen sie dann auf die
Straße und verbreiten dort ihren verbalen Müll, den freilich sonst keiner
automatisch wegräumt. Da gesellt sich dann solch spezieller Müll, zu dem
ohnehin in verbaler Form schon reichlich vorhandenem sonstigen Müll. Es gibt
damit paradoxerweise in dieser sonst so müllentsorgten Gesellschaft einen
Bereich, in dem Unmengen von Müll täglich produziert wird, den aber bislang
jedenfalls niemand wirklich wegräumt oder dem man sich nur selten
entgegenstemmt. Es gibt also noch viel anderen Müll zu entsorgen. Nehmen wir
uns für das neue Jahr etwas vor. Fangen wir damit an!
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