Konzentration auf das Wesentliche oder, wie man sich elegant der Staatsschulden entledigt von Thomas Seidel
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21. Handelsblatt Jahreskonferenz im Kap Europa Frankfurt am Main EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Wie immer nach der Sommerpause
veranstaltete das Handelsblatt auch in diesem Jahr eine der
wichtigsten Finanztreffen in Frankfurt am Main. Das die Tagung
erstmals im neuen Konferenzzentrum der Messe dem Kap Europa
stattfand, war vor allem der noch weiter gestiegenen Anzahl von
Teilnehmern und Pressvertretern geschuldet. Das unterstreicht die
wachsende Bedeutung der Veranstaltung, allerdings zunehmend nur auf
nationaler Ebene. Bemerkenswert war, dass ausser bei zwei Beiträgen
über alle Diskutanten hinweg Deutsch die Lingua France war. Das ist
jedoch kein Zeichen für eine zunehmende Wichtigkeit Deutschlands im
internationalen Finanzgeschehen, sondern nur ein Beleg für die
Abwesenheit wichtiger angelsächsischer Branchenvertreter. Dennoch
wurde über die gegenwärtige Situation und künftige Entwicklungen
in der Finanzbranche in hochkarätiger Teilnehmerbesetzung gesprochen
und diskutiert.
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John Cryan von der Deutschen Bank spricht EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Die ersten beiden Redner waren die
CEO's der Deutschen Bank John Cryan und der Commerzbank Martin
Zielke. Allein aus der Tatsache, dass die beiden miteinander reden,
wollte man das Gerücht ableiten, es stünden Überlegungen zu einer
Fusion der beiden großen Privatbanken an. Doch solche Anspielungen
wurden schnell abgetan. Cryan arbeitete fünf Punkte heraus, die
letztlich helfen sollen, die von ihm beklagte Ertragsschwäche und
die im Vergleich zu ungünstige Cost/Income-Ratio der Deutschen Bank
zu ändern. So sollen die Prozesse in der Bank weiter automatisiert
und die Anzahl der Filialen verringert werden. Cryan prognostiziert
einen notwenigen Personalabbau von etwa 30 Prozent innerhalb der
nächsten fünf Jahre. Dieses durchaus heftige Statement, von dem in
der Deutschen Bank mehrere tausend Mitarbeiter betroffen sein werden,
fand allerdings keinerlei großen Widerhall. Jegliches Signal
hinsichtlich des künftigen Schicksals der Tochtergesellschaft
Postbank vermied der CEO. Natürlich beklagt Cryan die Auswirkungen
der EZB-Geldpolitik, welche für ein Viertel des Ertragsschwunds
verantwortlich sei. Die Anforderungen der Regulierung dürfen nur
noch qualitativ aber nicht quantitativ anwachsen. Schon längst seien
die Banken zu einem verlängerten Arm der Ermittlungsbehörden
geworden. Stets müssten sie wissen, wo die Geldmittel ihrer Kunden
herkämen und hingingen. Schließlich fordert Cryan bei den Banken in
Europa Konsolidierung über die Grenzen innerhalb Europas hinweg. Die
Realisierung der Kapitalmarktunion sei dringend erforderlich.
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Martin Zielke von der Commerzbank EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Andere Schwerpunkte setzt Martin Zielke
von der Commerzbank. Die Zeiten in denen die Banken Produkte
entwickelten für die sie Kunden suchten seien vorbei. Heute suchten
sich die Kunden Produkte die ihren Bedürfnissen entgegen kommen.
Zielke sieht die von FinTechs angeblich ausgehenden Gefahren als
überschätzt und auch in dem Einstieg von Internetunternehmen in das
Bankgeschäft keine Bedrohung. Für den Kontakt mit dem Kunden
bevorzugt Zielke eher eine Wiederbelebung des Filialgeschäfts. Die
wahren technischen Herausforderungen bestünden im Backoffice-Bereich
der Banken. Dort gehe es tatsächlich um Echtzeit. Zielkes Vision für
die Zukunft scheint ein Amalgam aus analogem Filialservice, welcher
digital unterstützt wird, zu sein. Dafür schafft er auch gleich ein
neues Kunstwort „digilog“.
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Georg Fahrenschon von Deutschen Sparkassenverband nur am Zweifeln oder am Fordern? EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Ganz wie ein CSU-Politiker trat wieder
Georg Fahrenschon vom Deutschen Sparkassenverband auf. Als wäre es
eine Wahlkampf-veranstaltung, trägt Fahrenschon einen
Mehrpunktekatalog von Forderung vor. Kategorisch verlangt er von der
Europäischen Union eine Umkehr zum Prinzip der Eigenverantwortung,
besonders in der Bankenunion. Das einstige Versprechen der Gründer
der EU von Freiheit und Wohlstand für alle Bürger (Fahrenschon
vergaß das Wichtigste, den Frieden) werde nicht mehr eingelöst,
statt dessen habe man eine Superbehörde mit dem Luxemburger
Jean-Claude Junker bekommen. Das sei der Kern der
Brexit-Entscheidung, die auch über Großbritannien hinaus gehe. Da
fragt man sich schon, ob der Brexit nun wegen der Superbehörde oder
Herrn Junker stattfand? Vor lauter regulatorischem Gestrüpp würden
Finanzgeschäfte in unregulierte Bereiche gelenkt. Die EU würde
immer mehr als ein System der Lastenverschiebung missbraucht. Es
bedürfe der Eigenverantwortung, etwas das sich die Briten nicht
nehmen lassen wollten.
Die Geldpolitik der Europäischen
Zentralbanke (EZB) nennt Fahrenschon schädigend. Die EZB
interveniere direkt in die Wertpapiermärkte. Bonds seien inzwischen
knapp. Bislang funktionierende Markt- und Preismechanismen seien
ausser Kraft gesetzt. Was funktioniere ist das Model der Sparkassen,
die 40 Prozent der Spareinlagen halten und 41 Prozent des
Kreditgeschäfts tätigen. Das passe genau zum deutschen
Mittelstands- und Förderalsystem. Auf diesem
Sparkassen-Geschäftsmodell basiere der deutsche Wohlstand. Na dann
prost! Anders als noch vor einem Jahr betrachtet Fahrenschon die
zunehmende Digitalisierung heute als eine Chance für die Sparkassen.
Nicht nachvollziehen kann er eine Umfrage unter dem anwesenden
Publikum, wonach die Sparkassen technologisch am weitesten
hinterherhinken. Da sei die Datensicherheit die die Sparkassen bieten
doch viel wichtiger, als moderne Bedienoberflächen.
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Urs Rohner CEO des Credit Suisse EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Einen Blick aus der Schweizer
Perspektive gab Urs Rohner CEO vom Credit Suisse. Vor dem Hintergrund
des Niedrigzinsumfeldes sei es inzwischen teurer ein Vermögen
anzusparen, als Schulden zu machen. Dennoch werden die Konsumenten
eher mehr sparen, nicht zuletzt wegen der wachsenden Unsicherheiten
bezüglich ihrer Altersversorgung. Was man nicht sähe sei, dass
tiefe Zinsen zu hoher Risikoneigung führe. Rohner glaubt nicht mehr
daran, dass die Steuerungs-mechanismen der Zentralbanken überhaupt
noch greifen. Deren Mandate sollten wieder auf Inflationsschutz und
ihre Funktion als „lender of last resort“ zurück geführt
werden. FinTechs würden von aussen Druck auf die Anpassungsfähigkeit
der Banken ausüben. Dort habe man sich über neue Innovationen und
Kundenbedürfnisse keine Gedanken gemacht. Nüchtern stellt Rohner
fest, dass man schlicht die falschen Leute eingestellt habe. Für
Deutschland bestätigt Rohner den Bedarf an Konsolidierung im
Bankensektor, schließt aber jede Beteiligung des Credit Suisse daran
aus.
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Blick von Kap Europa auf den Messeturm EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Theodor Weimer, Chef der Hypobank in
München, wertet den elektronischen Datenschatz zum neuen
Produktionsfaktor neben Arbeit und Kapital auf. Wer das ignoriere
werde vom Markt verschwinden. Für ihn sei Digitalisierung eher eine
Chance als eine unangenehme Herausforderung. Eine Zusammenarbeit mit
FinTechs scheint für Weimer nicht vordringlich, statt dessen
empfiehlt er schamlos Ideen von FinTechs zu „stehlen“. Weimer
rechnet vor, Digitalisierung könne etwa 30 Prozent und
Kosteneinsparungen 15 Prozent, zusammen 45 Prozent zur
Ertragssteigerung bei den Banken beitragen.
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Friedrich Merz (Mitte) im Gespräch mit Daniel Schäfer und Sven Afthüppe von Handelsblatt EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Einige Denkanstöße gab mit Friedrich
Merz von BlackRock Deutschland ein einstmals wichtiger deutscher
politischer Vordenker. Für Deutschland sei es dringlich die
Altersvorsorge zu ändern. Deutschland diskriminiere systematisch die
Aktie als Kapitalanlage, vor allem steuerlich. Wenn, wie zur Zeit,
die Summer der Abschreibungen höher sei als die Summe der
Investitionen, sei das für jede Volkswirtschaft ein bedrohliches
Szenario. Die Zusammenarbeit mit Amerika dürfe nicht weiter
auseinander triften, andernfalls wäre Europa der Verlierer.
Es war an dem französischen
Präsidenten der Banque de France Francois Villeroy de Galhau sich
den Angriffen gegen die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu
wehren. In seiner Argumentation lehnt sich Villeroy fast vollständig
an die Aussagen von EZB-Präsident Mario Draghi an. Auch er tritt für
grenzüberschreitende europäische Bankfusionen ein. Zum Zustand in
der Europäischen Union fehlt es Villeroy in Europa an Innovationen
und Investitionen.
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Francois Villeroy de Galhau EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Dazu vergleicht Villeroy den Eigenkapitalanteil
von Unternehmen, gemessen am Anteil des Bruttoinlandsprodukts,
zwischen Europa und den USA. Demnach liege der Wert in Europa bei 51
Prozent und in den USA bei 121 Prozent. Daraus folgert er, es fehle
in Europa bei den Unternehmen an Eigenmitteln aus Aktienkapital.
Nach all diesen erwartbaren Aussagen
kommen eine Reihe von Konferenzteilnehmern mit erfrischend kritisch
neuen Gedanken und Thesen. So sagte Mathias Binswanger, Schweizer
Volkswirt, dass es eigentlich keine Geldpolitik mehr gäbe. Die
Flutwelle von Liquidität mit der die Banken überschüttet werden,
hätten diesen Regulierungshebel der Zentralbanken weitestgehend
wirkungslos gemacht. Die Inflation sei nicht verschwunden, sondern
lediglich von den Geldmärkten auf die Immobilienmärkte verlagert
worden.
Mit John Flint, CEO für Retail and
Wealth Management bei der britischen HSBC Bank, führt ein Redner die
Diskussion zur Konzentration auf das Wesentliche zurück. Für ihn
haben sich die Aufgaben der Banken in den letzten zweihundert Jahren
nicht geändert. Es ging und geht darum, Kundengelder entgegen zu
nehmen und diese Investitionen zuzuführen, die für die Kunden
nützlich seien. Dazu brauche es keine Digitalisierung. Es sei nicht
Aufgabe der Banken Technologien zu entwicklen. Durch Digitalisierung
habe sich lediglich der Zugang der Kunden zu Bankdienstleistungen
geändert. So könne der Kunde jetzt Bankservice in Anspruch nehmen,
wo er will und wann er wolle und in einer Art die dem Kunden in der
Handhabung entgegen komme.
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Axel Weber UBS beherrscht die Freie Rede wie kaum ein Anderer EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Axel Weber schließlich, von der
anderen Schweizer Großbank UBS, verläßt die kurzfristige
tagespolitische Debatte und macht ganz langfristige Mechanismen aus.
Seit den 1980er Jahren seien die globalen Realzinssätz um 450 Punkte
gefallen. Die Ursache liege in der demographischen Entwicklung. So
habe die längere Lebenszeit dazu geführt, dass in den 1960er Jahren
in Deutschland auf einen Rentner 6 Arbeitnehmer gekommen seien,
während es heute nur noch 2 sind. Damit werden die Einzahlungen in
die Rentensysteme immer höher und die Auszahlungen immer kleiner.
Dadurch erhöhe sich die Sparquote bei gleichzeitig zurück gehenden
Investitionen. Das wirke sich viel mehr auf die Finanzmärkte aus,
als allgemein angenommen wird. Geldpolitik könne diese Entwicklung
nicht ändern.
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Wolfgang Kirsch DZ Bank, gelassen wie ein Priester EUROFORUM/Marc-Steffen Unger |
Enorm gelassen war der Auftritt von
Wolfgang Kirsch CEO der DZ Bank. Das nach der Fusion mit der
Westdeutschen Genossenschafts-zentralbank (WGZ) jetzt einzige
genossenschaftliche Spitzeninstitut sei mit einer Bilanzsumme von 500
Mrd. Euro nun drittgrößte Bank in Deutschland. Für das laufende
Jahr erwarte man bei der DZ Bank Erträge in Höhe von 2 Mrd. Euro.
Das wäre zur Zeit wohl ein beachtlicher Gewinn. Kirsch hat einen
Ratschlag für den EZB-Präsidenten Mario Draghi übrig und empfiehlt
ihm: „Es sitze schon im Loch und wer dort hockt, solle nicht
weitergraben“.
Auch die deutsche Finanzaufsicht kam
durch ihren Präsidenten Felix Hufeld zu Wort. Der wies darauf hin,
dass die Erträge der deutschen Banken immer noch zu 70 Prozent vom
Zins abhängig seien. Richtig problematisch würde es aber erst
werden, wenn die Zinsen mal wieder anstiegen und die Banken dann alle
langfristigen Kredite mit sich verteuerndem kurzfristigem Geld
refinanzieren müssen. Doch sind es nicht vor allem die Regulatoren,
die die Banken von alternativen Ertragsquellen abschneiden? Hufeld
lobt die Gespräche mit den Vertretern der Bankenverbände. Doch
zeigt sich daran, dass die Aufsicht immer noch nicht direkt mit den
Banken redet und keine tiefen Einblicke in die Geschehnisse vor Ort
nimmt? Als alternative Ertragsquelle empfiehlt Hufeld den Banken
Kostensenkungen. Doch treiben nicht die überbordenden
regulatorischen Anforderungen die Kosten der Bank exorbitant in die
Höhe? Sind die meisten neuen Personalstellen in den Banken nicht dem
Compliance und dem Risikomanagement vorbehalten?
Die Schere die Deutschland im
Finanzsektor hat, zeigte Uwe Fröhlich vom Bundesverband der Volks-
und Raiffeisenbanken auf. Er beklagt, dass Deutschland keine
durchgreifende Stimme im EZB-Direktorium habe. Das ist richtig! Doch
ist es auch symptomatisch. Deutschland klagt an jeder Stelle über
die EU, aber kein Deutscher sucht in Europa eine wirklich machtvolle
und gestaltende Position einzunehmen, dann damit aber auch die
Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu tragen.
Den Veranstaltungsnarr gab Leonhard
Fischer, ehemaliger Vorstand bei Dresdner Bank und der Winterthur
Versicherungen, ab. Er erklärte, was mit den enormen Staatsschulden
passiert, die Zentralbanken derzeit ankaufen. Hier gälte es von
Japan zu lernen. Zunächst würde eine Zentralbank alle
Staatspapiere aufkaufen, bis es keine mehr gäbe. So würde man die
Schulden monetarisieren. Dann würde man die Papiere vernichten und
die Länder wären ihre Schulden los. Alsdann könne man wieder von
vorne anfangen, die Zinsen erhöhen und darauf achten, die Inflation
im Griff zu haben. Das ließe sich auch mit dem Euro so durchziehen
und damit die südlichen Ländern sanieren. Es sei denn, die
Deutschen würden sich mit ihrer Vorstellung von Ordnungspolitik
durchsetzen. Doch das könnten sie nicht, denn die Deutschen hätten
in Europa keine Mehrheit. Lächerlich? Wie realistisch dies sein
mag, wird sich in der Zukunft erweisen.
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