Ist die Unabhängigkeit der Zentralbanken in Gefahr? -Bericht von der 20. EZB-Beobachterkonferenz- von Thomas Seidel



Der übervoll besetzt Saal im Frankfurter Hilton Hotel
(Quelle. Thomas Seidel)
Die Jubiläumsveranstaltung der XX. ECB and It's Watchers Conference (in Deutsch kurz und knapp: EZB-Beobachterkonferenz) wurde von über 350 Teilnehmern besucht, davon allein gut 70 Pressevertretern der in Finanzsachen international bedeutenden Medien. Der Liberty Ballroom im Frankfurter Hilton Hotel platzte aus allen Nähten. Wie man hörte, war das allein dem Vergessen der Organisatoren zu verdanken, sich rechtzeitig um geeignete Räumlichkeiten bemüht zu haben. Echte deutsche Gründlichkeit!

Volker Wieland vom IMFS (Institut for Monetary and Financial Stability)
(Quelle: Thomas Seidel)
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in diesem Jahr zwei prominente Abgänge zu verzeichnen: Der Belgier Peter Praet in seiner Funktion als Chef-Ökonom und der italienische Präsident der EZB Mario Draghi geben turnusgemäß ihre Ämter ab. Beide ließen es sich daher auch nicht nehmen, persönlich einen letzten Beitrag in ihren Funktionen zu der Konferenz zu leisten.

Freilich fiel die Rede von Mario Draghi inhaltlich eher dünn aus. Er wiederholte im Wesentlichen, was er bereits an anderer Stelle immer wieder erläutert. In Europa aber auch weltweit habe in der letzten Zeit die Wirtschaft gelitten. Sinkende Industrieproduktion und nachlassende Exporte, bei immerhin noch ungebrochenem Konsum. Antreiber der Wirtschaft seien also zwar da, aber die Rahmenbedingungen stimmten eben nicht. 

Mario Draghi in seiner letzten Rede als EZB-Präsident auf der Konferenz
(Quelle: Thomas Seidel)
Überraschend sei die Robustheit des Arbeitsmarktes. Unerklärlich allerdings bleibe, warum die zum Teil kräftigen Lohnsteigerung sich nicht in einer entsprechenden Inflationsrate widerspiegeln. Hier müsse noch geforscht werden. Mit der angedeuteten Konjunkturschwäche rechtfertigt Draghi freilich die bekannte EZB-Geldmarktpolitik. Zinsen rund um die „Null“, zur Zeit keine weiteren Neuankäufe von Staatsanleihen, aber Erhalt des erreichten Volumens. Alles damit die Wirtschaft am Laufen bleibe.

Die Auswirkungen der EZB-Geldpolitik auf die Ertragsseite der Banken sieht Draghi nicht dramatisch. Untersuchungen der EZB hätten ergeben, dass die profitabelsten Banken drei Merkmale gemeinsam hätten: 1. Sie fahren ihren Betrieb mit einer angemessenen Cost/Income-Ratio; 2. Sie haben ihren IT-Bereich modernisiert und effektiviert; 3. Sie haben in ihren Geschäftsmodellen Wege gefunden, Profite auch auf anderen Feldern zu machen.

Eine erste Debattenrunde beschäftigte sich mit dem Thema: Die nächsten Schritte zu einer Geldpolitik-Normalisierung.

Erste Debattenrunde: v.l.n.r. Charles I. Plosser, Peter Praet, Ricardo Reis,
Moderation: Michael Binder
(Quelle: Thomas Seidel)
Es beginnt Peter Praet gleich mit einem markanten Merksatz für Alle: Die Forward-Guidance (gut ins Deutsche übersetzt: ein Wink der Zentralbank) der EZB bleibe simpel: Die Zinsen blieben solange niedrig, bis das erklärte Inflationsziel der ECB erreicht sei. Die genaue Entstehungsgeschichte dieses „Gebots“ muss hier nicht näher erläutert werden. Interessanter ist, woraus die EZB ihre Einschätzung der Markterwartungen schöpft. Das lese man einerseits aus der Entwicklung der Marktkonditionen ab und künftig auch aus institutionalisierten Umfragen bei den Marktteilnehmern.

Ricardo Reis von der London School of Economics beschäftigt sich u.a. mit dem Begriff „Normalität“ im Zusammenhang mit der EZB. Das könne hier nicht als „Zurück zum Üblichen“ interpretiert werden, wenn man so will in einer reaktionären Lesart. Vielmehr sollte man „Normalität“ eher verstanden wissen, als etwas das „angemessenen und durchführbar“ ist. Eine durchaus nach vorne gerichtete, geschmeidige Interpretation.

In der Kaffeepause wird sich intensiv ausgetauscht
(Quelle: Thomas Seidel)
Alarmierender ist da schon eine Aussage von Charles I. Plosser vom Hoover Institut an der Standford Universität. Er betont, dass Zentralbanken Institutionen seien und ihre Entscheider aus dieser Institutionalisiertheit ihre Geldpolitik entschieden. Er betrachtet die Unabhängigkeit von Zentralbanken als deren wichtigstes Gut. Das mache ihre Glaubwürdigkeit aus und nur so könnten sie nachvollziehbare Hinweise (guidance) geben. Zur Zeit sieht Plosser allerdings zumindest die Unabhängigkeit des Federal Reserve System (FED) in den USA durch die gegenwärtig dominierende politische Mentalität inn den USA gefährdet.

Die zweite Debattenrunde konzentrierte sich auf die internationalen Auswirkungen von Geldmarktpolitik und deren Bedeutung für die Finanzstabilität.

EZB-Vizepräsident Luis de Guindos startet die Debatte. Bislang zeige sich, dass die unterschiedlichen Zinslandschaften die derzeit in der €uro-EU und dem Dollargebiet herrschen, nicht wirklich Auswirkungen auf die Konditionen in Europa haben. Vor dem Hintergrund einer möglichen anhaltend schwächeren Konjunktur, würden die Risiken im Bankensektor bezüglich Abschreibungen auf Kredit von schlechter Qualität wachsen. Einer solchen Entwicklung versuche man mit entsprechend entwickelten Stress-Tests vorzubeugen. Zumindest solle das helfen, Schwachstellen im Finanzsektor zu erkennen.

2. Debattenrunde: v.l.n.r. Jacob A. Frenkel, Laurence Boone,
versteckt: Luisa Lambertini (Moderation) stehend: Luis de Guindos
(Quelle: Thomas Seidel)
Natürlich weitet sich das Bild, welches Laurence Boone von der OECD beschreibt.
Man sehe bei der OECD eine zunehmende Inflationsgefahr und damit einher gehende Gefahren für die Finanzstabilität. Doch die weltweit massive Liquidität habe nicht zu einer so sprunghaften Inflation geführt, wie es ursprünglich befürchtet worden war. Es gäbe also weder Anlass für neue Stimulation mit zusätzlichen Geldmittel, noch zu einer radikalen Änderungen der gegenwärtigen Geldmarktpolitik. Handlungsbedarf läge eher in einer koordinierten Fiskalpolitik und das Angehen von Problemen, die sich etwa aus demographischen Entwicklungen ergeben. Die OECD sehe tatsächlich noch Spielraum für fiskalische Stimulationen. Diese müssten aber besonders in der EU mehr simultan und koordiniert sein. Darüber hinaus werden die ausstehenden Strukturreformen angemahnt. Grundsätzlich müsse klar sein, dass Geldmarktpolitik allein nichts wirklich verbessern könne.

Jacob A. Frenkel vom JPMorgan Chase International holt historisch ein wenig aus. Die durch Bretton-Woods etablierten Systeme hätten ihren Fokus auf den Handel gelegt. Seit der Finanzkrise habe sich dieser Tradition geändert. Heute lebten wir in einer Welt, die von den Regeln der Zentralbanken bei nahezu Null Inflation bestimmt wird. Man könne heute weniger denn je Handel- und Finanzmärkte voneinander trennen. Aber die Politik gehe andere Wege. Die USA separieren sich zunehmend, die €uro-EU behalte einen liberaleren Weg bei. Wenn es im Geldmarkt keine Zinsen zu erzielen gibt, dann würden Investoren natürlich in die Assetmärkte gehen. In diesen finde man dann heute all jene negativen Faktoren, etwa wie Preisblasen), die man ansonsten von einem inflationären Geldmarkt gewohnt sei. Auch solle man nicht vergessen, mahnt Frenkel, jede Zentralbank-Geldmarktpolitik könne nur durch den Finanzmärkte ihre Wirkung entfalten. Seien diese jedoch schwach, stelle sich auch nur eine schwache Wirkung von Geldmarktpolitik ein.

In der Mittagspause schwirrt das Hilton Hotel vor lauter Konferenzteilnehmern
(Quelle: Thomas Seidel)
Richtig knackig wird es dann in der abschließenden dritten Debattenrunde: Herausforderungen an die Unab- hängigkeit der Zentralbanken.

Dazu erklärt einleitend der Luxemburger Yves Mersch als EZB-Direktor, die Unabhängigkeit einer Zentralbank dürfe man nicht so sehr aus dem Blickwinkel einer Institution betrachten, sondern vielmehr aus ihrer Funktionalität. Unabhängigkeit müsse praktikabel sein! Die EZB habe keine andere Wahl, als ihr Mandat zu erfüllen. Dazu müsse sie die entsprechenden Werkzeuge haben. Mersch ist sich sicher, die EZB hätte die zurückliegende Krise nicht bewältigen können, wenn sie nur von Beamten geführt worden wäre, die sich lediglich der gegebenen Regeln und Instrumente bedient hätten. Denen fehle also die Kreativität gewählter Mandatsträger. Eine wichtige Prämisse für die EZB sei die Proportionalität bei Massnahmen. Unter dem Strich sollte der Nutzen einer Maßnahme die Kosten überwiegen. Man strebe bei der EZB an, soweit wie möglich unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden, wenn es zur Anwendung von Massnahmen komme. Natürlich spüre man auch immer den kritischen Blick des Europäischen Gerichtshof's bei allen Beschlüssen und der Durchführung von Massnahmen. Auch versuche man bei der EZB, nicht mit anderen Gebieten zu kollidieren, etwa der Fiskalpolitik.Wichtig sei nicht zuletzt auch die persönliche Unabhängigkeit der Mitglieder des EZB-Rates. Langfristig könne man aber nur unabhängig bleiben, wenn man zusehe, sich aus politischen Prozessen heraus zu halten.

3. Debattenrunde v.l.n.r. John R. Cochrane, Paul Tucker,
Moderation: Petra Geraats, stehend: Yves Mersch
(Quelle: Thomas Seidel)
Gefühle des Mitleids hat Paul Tucker von der Harvard Universität für die Europäische Zentralbank übrig. Die EZB befinde sich aufgrund ihrer speziellen Konstruktion, in einem besonderen Dilemma. Die Bürde, die dem EZB-Rat aufgelegt sei, im Prinzip für das wirtschaftliche Gelingen aller Mitgliedsstaaten der EU verantwortlich zu sein, sei nicht ertragbar.

Auf den thematischen Punkt bringt es John H. Cochrane, ein weiterer Vertreter aus dem Hoover Institut an der Standford Universität. Die EZB sei geradezu eine ideal konstruierte Zentralbank. Sie habe lediglich eine spezielle Aufgabe, die Regulierung der Inflation. Alle andere wirtschaftlichen Probleme gingen sie eigentlich nichts an. Dennoch, Zentralbanken müssten sich immer wieder neu erfinden, wenn sie unabhängig bleiben wollen. Eine Gefahr sei, dass Zentralbanken sich immer mehr wie Helikopter-Eltern aufführen. Sie kümmerten sich mehr und mehr um alle möglichen wirtschaftlichen Probleme einer Volkswirtschaft oder von Volkswirtschaften. Dringend notwenig sei, Staatsschulden aus den Bilanzen nationaler Banken zu bekommen. So könne man Bankinsolvenzen durchführen, ohne den Steuerzahler dafür in Anspruch zu nehmen. Zentralbanken sollten deutlicher machen, um was sie sich nicht zu kümmern haben und sich aus allem raushalten, was nicht ihrer ursprünglichen Aufgabe entspricht. Durch die Verquickung in zu viele Angelegenheiten, beraubten sich die Zentralbanken selbst mehr und mehr ihrer Unabhängigkeit.

Aufzüge im Hilton Hotel. Ob es auf- oder abwärts geht mit
den Zentralbanken, wissen wir nicht
(Quelle: Thomas Seidel)

Kommentar: Tatsächlich stehen die Zentralbanken an einem Scheideweg. Der Grund warum politisch versucht wird, Zentralbanken immer mehr Verantwortung auch für fremde Aufgaben aufzubürden, kann auch in ihrer enormen Effektivität zu suchen sein. Wenn ein Zentralbankrat eine Entscheidung trifft, wird diese sofort und konsequent umgesetzt. Es gibt kein Entrinnen. Unabhängige Zentralbanken befinden sich regelmäßig nicht in einem lähmenden politischen Dilemma, wie es zur Zeit auf die schlimmste denkbare Art vom britischen Unterhaus vorgeführt wird. Sie agieren auch nicht auf fragwürdige Weise, etwa durch populistische Tweets. Dennoch dürfen die Zuständigkeiten und die Verantwortung von Zentralbanken nicht ausgedehnt werden. Aus gutem Grund gibt es für unterschiedliche öffentliche Aufgaben bestimmte Institutionen, die für ihren jeweiligen Zweck völlig unterschiedlich ausgestaltet sind. Der Erfolg einer Gesellschaft und einer Volkswirtschaft hängt von dem ausgewogenen Einvernehmen dieser vielen Institutionen ab und nicht von dem gegenseitigen Aufeinanderhetzen derselben!

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