Was Großbritannien für immer verzockt hat -von Thomas Seidel-

Englische Version


Königin Elizabeth II (m). Ihre Vorgänger haben die königliche Macht dem
Primat des Parlaments untergeordnet. Heute kann sie nur noch repräsentieren
und ermahnen. Stoppen kann die Königin das Parlament nicht mehr. Die
königliche Familie auf dem Balkon des Buckingham Palastes am 16. Juni 2012
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber carfax2)
Die große Hoffnung der Befürworter eines Austritts von Großbritannien aus der Europäischen Union ist eigentlich reaktionär: Man träumt von den guten alten Zeiten eines längst untergegangenen Empires. Etwas realistischer sehnt man sich vielleicht zumindest nach dem Commonwealth of Nations. In jedem Fall will man aber so schnell wie möglich wieder souverän sein. Sich nichts von der EU sagen lassen. Vor allem weg, von der verhassten europäischen Jurisdiktion, die so sehr kontinentaleuropäisch geprägt ist und nichts mit den angelsächsischen Rechtstraditionen zu hat.

Viele britische Bürger sind bereit, dafür auch durchaus erhebliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Das machte ein Brite deutlich, der einfach auf der Straße zu den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU befragt wurde: „There was no box for a deal, it was just „Stay“ or „Leave“. (Da war kein Kästchen (auf dem Stimmzettel Anmerk. d. Red.) für Verhandlungen, es ging nur um „Bleiben“ oder „Gehen“!) So weit so gut. Inzwischen ist den meisten Briten klar geworden, die lauten Versprechungen der politischen Brexittreiber werden nicht eintreffen. Sie wollen dennoch nur eins, raus aus der EU!

Wilhelm III von Oranien (1650 - 1702)
Er akzeptierte zusammen mit seiner Frau Königin Mary
die "Bill of Rights" und unterwarf damit die königliche
Herrschaft für immer dem Willen des Parlaments
(Quelle: wikipedia, gemeinfrei, Gemälde von Gottfried Kneller)
Dieser Drang nach Freiheit, dieser Unwille sich fremder Gängelung beugen zu sollen, hat eine sehr lange Tradition auf den britischen Inseln. Der Beginn dieser Tradition lässt sich historisch sehr genau festmachen. Es begann mit der Verabschiedung der „Bill of Rights“ am 16. Dezember 1689. Das Ober- und Unterhaus verabschiedete das Dokument. Das amtierende gleichberechtigte Königspaar Wilhelm III von Oranien und seine Frau Mary aus dem Hause Stuart erkannten die Bill of Rights an. Dadurch ordneten sie die Königsmacht für alle Zeit dem Primat des Parlamentswillen unter. Seitdem und so hat Großbritannien es geschafft, sich allen inneren und äusseren Anfeindungen erfolgreich zu widersetzen. Der Absolutismus hatte ebenso wenig eine Chance auf den Inseln, wie die radikalen Republikaner der Französischen Revolution. Napoleon wurde niedergeschlagen. Dem imperiale Aufstieg zu beherrschenden Weltmacht für knapp einhundert Jahre konnte niemand mehr etwas entgegen setzen. Die mannigfaltigen Anfeindungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwanden die Briten unter vielen Verlusten mit Blut, Schweiß und Tränen. Nach dem Verlust des Empires mauserte sich, zumindest London, zu dem Finanzzentrum der Welt, wo schlicht Jeder Alles handeln konnte.

Großbritannien entwickelte eine liberale Einstellungen einer grundsätzlich nach Aussen hin offenen Gesellschaft. Zumindest wenn es um das Geschäfte machen geht. Das hat in über dreihundert Jahren bei nationalen aber vor allen internationalen Investoren ein Grundvertrauen in das Funktionieren und die Verlässlichkeit der britischen Gesellschaft, des britischen Rechts und der britischen Institutionen entstehen lassen. Man konnte sich seiner Sache sicher sein. Die Menschen auf diesen Inseln wurden seit dem Jahr 1066 nie mehr von fremden Mächten erobert. Sie haben mit ihrer Kultur und ihrem Selbstverständnis überall auf der Welt Maßstäbe und Standards gesetzt. Großbritannien war, vielleicht mehr noch als die kleine Schweiz, der sichere Hort Geschäfte tätigen zu können. Auch solche Geschäfte, die bereits in anderen Ländern, etwa wie den USA, schon sanktioniert worden sind. Dieses Gefühl des Vertrauens hat immer extrem viel Geld nach Großbritannien gelockt. Das hat dort nicht zuletzt zum Ausverkauf weiter Teile der britischen Industrie geführt. So auch von britischen Grundstücken, diese zumindest im Süden der Inseln. Aber immerhin, für einen Teil der Gesellschaft hat dies Arbeit, Verdienst und teilweise auch Wohlstand gebracht. Für andere weite Teile der britischen Gesellschaft aber eben nicht.Das es gerade dieser vernachlässigte Teil der Gesellschaft ist, die am entschiedensten den Austritt Großbritanniens aus der EU einfordert, ist ein Witz an der ganzen Sache. Denn sie werden diejenigen sein, die am meisten durch ihre eigene Wahl beim Austritt aus der EU verlieren werden.

London 360 Grad Blick
Über dreihundert Jahre lang konnte hier Jeder mit Jedem Alles handeln
(Quelle: wikipedia, GNU-Lizenz, Urheber: Diliff)

Unwiederbringlich verloren aber hat Großbritannien durch den Brexit vor allem eins, das über dreihundert Jahre lang mühsam aufgebaute Vertrauen internationaler Investoren. Vertrauen ist extrem flüchtig. Ob der Brexit wie geplant am 29. März 2019 eintritt, oder vielleicht um Monate oder gar zwei Jahre verschoben wird, das Vertrauen jedenfalls ist jetzt schon weg. Und es wird auch so schnell nicht wieder kommen. Das ist es, was die Mehrheit der Briten in nur einem unbedachten Augenblick einfach verspielt haben. Aber genau dieses Zocken ist ihre wahre innerste Natur. Doch ein gestandener Brite weiß, wann er verloren hat und wird diese Bürde auf sich nehmen. Cheers!

Cheers!
(Quelle: imgur.com/gallery/O7KKgHC)



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