Die Brücke von Beinheim -Über den deutsch-französischen Zustand- von Thomas Seidel

Die Brücke von Beinheim (links französisch, rechts deutsch)
(Quelle: wikipedia, GNU-Lizenz, Urheber: Cidor)


Die Einheit von Frankreich und Deutschland in der Europäischen Union wird vielfach beschworen, ohne die in Europa nichts voran kommen könnte. Gerade haben der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam ein neue EU-Kommissionschefin auf den europäischen Schild gehoben. Doch in Wahrheit sind die beiden Nachbarländer Welten voneinander getrennt. Nichts symbolisiert das deutlicher als die Brücke von Beinheim.

Viele Freundschaftsverträge und Nachbarschaftsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich sind seit dem Ende des 2. Weltkriegs schon abgeschlossen worden. Viele Regierungspaare haben in teils mächtiger, teils lächerlicher Symbolik nach Jahrhunderten der Erzfeindschaft eine ewige neue Freundschaft beschworen. So etwa Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, so Valéry Giscard d' Estaing und Helmut Schmidt, so François Mitterand und Helmut Kohl und natürlich Emmanuel Macron und Angela Merkel. Doch die Wahrheit ist, die Völker von Frankreich und Deutschland sind sich gegenseitig so ziemlich vollkommen egal.

Pont de Beinheim am 6. Aug. 2016
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: CuiZinieR)
Kein politisches Abkommen, kein Vertrag, keine Symbolik und auch nicht die Europäische Union haben an dem gegenseitigen Desinteresse, den gegenseitigen Vorurteilen und Abneigungen in den letzten rund siebzig Jahren irgend etwas Entscheidendes ändern können. Im Gegenteil, die möglichen Chancen und Voraussetzungen für ein besseres Verständnis werden in der Realität immer weniger.

Der gegenseitige Sprachunterricht zum Beispiel, Deutsche lernen Französisch und Franzosen lernen Deutsch, ist bis auf ganz wenige Ausnahmen in beiden Ländern auf nahezu Null herunter gefahren worden. In beiden Ländern begründet mit zu wenig Interesse und zu hohen Kosten! Die Muttersprachen ihrer Länder haben im globalen Kulturkampf schlicht ihre frühere Bedeutung verloren. Einer auf schnellen Profit getakteten angelsächsischen Welt, sind die komplexen Ausdrucks- und Schreibweisen dieser kontinentaleuropäischen Sprachen schlicht zu mühsam zum Erlernen.

Wo der Grenzverlauf ist, sieht man auf der
Brücke ganz genau
(Quelle: wikipedia, CCL,
Urheber: Roehrensee)
Selbst intensiv von Kommunalpolitikern und Vereinen gepflegte Städtepartnerschaften und ein mäßiger Schüleraustausch haben über Generationen hinweg zu keinerlei breiteren Miteinander dieser zwei Völker beigetragen. Zwar machen viele Deutsche gerne Urlaub in den verschiedensten französischen Regionen. Den Franzosen aber bleibt Deutschland als Urlaubsland nach wie vor suspekt. Allenfalls der ein oder andere Kultur-Hotspot wird mal besucht. Französische Sommerurlauber an der schönen deutschen Ostseeküste wird es aber weiterhin nicht zu sehen geben.

In Fragen von Wirtschaft und Finanzen stehen sich deutsche und französische Vorstellungen nach wie vor diametral gegenüber. Kommt es zu Firmenübernahmen durch französische Käufer, zeigt die jahrzehntelange Erfahrung, dass deutsche Unternehmen in der Regel vollkommen französisch dominiert und in ihrer Substanz regelrecht ausgesaugt werden. Das gilt für jede Branche und für jede Größenordnung. Hier werden die Ambitionen eines Sonnenkönigs nur mit anderen Mitteln gnadenlos fortgesetzt. Das tiefsitzende Misstrauen auf deutscher Seite gegenüber französischer „Vergemeinschaftungs“-Ambitionen ist bei Lichte betrachtet durchaus gerechtfertigt. Frankreich leistet sich schon viel zu lange einen überbordenden Sozialstaat. Es gibt keine Bereitschaft der Franzosen, davon auch nur einen Sous abgeben zu wollen. Die Produktivität liegt weit hinter der anderer europäischer Länder zurück. Die Innovationskraft ist allenfalls Mittelmaß. Die Staatsverschuldung ist schon längst aus dem Ruder gelaufen.

Die ständig wiederholte französische Klage wegen deutscher Exportüberschüsse ist völlig unangemessen. Deutschland ist nur deswegen ein Exportweltmeister, weil es Dinge produziert, die trotz vergleichsweise hoher Herstellungspreise überall auf der Welt begehrt sind. Das gilt auch und vor allem für Franzosen. Sie mögen offiziell vielleicht stolz auf ihre Industrien sein, kaufen sich dann aber doch viel lieber etwa ein Automobil aus deutscher Produktion, jedenfalls sobald sie es sich leisten können.

Auffahrt von deutscher Seite
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Michiel1972)
Mit Haute Couture, feinen Handtaschen, edlem Wein und Käseprodukten lassen sich die Importe deutscher Waren jedenfalls nicht kompensieren. Französische Industriepolitik funktioniert nur nach nationalen Interessen und ohne jede wirtschaftliche Vernunft. Das zeigt etwa das Beispiel des Automobilherstellers Renault: In den letzten sechzig Jahren stand das Unternehmen mehrmals schon kurz vor dem Konkurs. Es wurde dann immer mit staatlicher Hilfe gerettet. Später wieder reprivatisiert. Diese wiederholte Verschwendung von Staatsgeldern hat dennoch nie zu einer globalen Wettbewerbsfähigkeit jenes Unternehmens geführt. So versteht man leicht, wie brüchig in Wahrheit die gesamte französische Infrastruktur und Wirtschaft ist. Da helfen auch keine weitflächigen Hochgeschwindigkeits- Internet- oder Schnellzugverbindungen.

Am tiefsten sitzen die Unterschiede der beiden Länder in der Gesellschaftsstruktur und der Staatsverwaltung. Das schon immer föderalistisch strukturierte Deutschland ist naturgemäß in der Lage, wenn nötig, alle lokalen Stärken zu aktivieren. Es gab in Deutschland eine historisch frühe Einsicht von Unternehmern, Politikern und Beamten in die Notwendigkeit funktionierender sozialer Systeme. In Folge der harten gesellschaftlichen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts: 1. und 2. Weltkrieg, die nationalsozialistische Herrschaft, die Folgen der 1968er Kulturrevolution; hat sich in Deutschland eine vergleichsweise ziemlich klassenlose Gesellschaft geformt.

Auffahrt von französischer Seite
(Quelle: Thomas Seidel)
In Frankreich dagegen herrscht nach wie vor eine Art republikanisch angehauchter absolutistischer Zentralstaat. Die Regionen und Kommunen haben de facto keine wirksamen Kompetenzen. Jeder Kram, selbst aus dem hinterletzten Übersee-Department, muss irgendwann und irgendwie letztlich aus dem Élysée-Palast entschieden werden. Hohe Beamte und Führungskräfte leben vollkommen abgehoben in elitären Zirkeln. Es herrschen stramme vertikale Hierarchien. Man beschäftigt sich nur ungern mit der eigenen, bei Weitem nicht so glorreichen Vergangenheit. Ein immer zur Schau gestellter überhöhter Nationalismus übertüncht den morbiden Zerfall des Landes.

Nirgendwo kommen diese Unterschiede deutlicher zu Ausdruck, als an einem deutsch-französischen Grenzpunkt am Rhein. In einem Abschnitt des Oberrhein verläuft die Staatsgrenze zwischen Frankreich und Deutschland mitten im Wasser des Flusses. Auf der Höhe des badischen Rastatt und des elsässischen Ortes Beinheim gibt es eine alte, ursprünglich für die Eisenbahn gebaute, Brücke von 1893/95. Franzosen bezeichnen sie als „Pont de Beinheim“, auf deutscher Seite ist sie eher als „Rheinbrücke Wintersdorf“ bekannt. Diese Brücke zeigt genau den Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern. Auf deutscher Seite tip top gepflegt, verrottet die Brücke auf französischer Seite mehr und mehr. Unfähig und/oder unwillig auch nur für dieses eine, aber durchaus geschichtsträchtige, Bauwerk eine gemeinsame Lösung zu finden, rostet die Brücke weiter vor sich hin. Es ist zu befürchten, dass sie eines Tages, zumindest teilweise, einfach mal in den Rhein fällt. Das ist offensichtlich den Verantwortlichen in beiden Ländern so ziemlich wurscht.

Ansicht vom Rhein
(Quelle: wikipedia, CCl, Urheber: Martin Dürrschnabel)

Das ist der Ort, an dem sich die Regierungschefs von Frankreich und Deutschland einmal treffen sollten. Hier könnten sie über den wahren Zustand der Verbindung ihrer Länder trefflich und anschaulich nachdenken und diskutieren. Hier können sie erfahren, warum es zwischen ihnen und auch mit der Europäischen Union eigentlich schon seit Jahrzehnten nicht klapp. Hier können sie lernen, warum Europa nicht in der Lage ist, seine berechtigten Gesamtinteressen wirksam auf globaler Ebene zu vertreten und zu beschützen.

Nach dem bevorstehenden Austritt der inzwischen lästig gewordenen Briten aus der EU, wird die englische Sprache als Verkehrssprache weitestgehend obsolet. Nur in Irland und Malta wird sie noch als Muttersprache benötigt, verfiele damit in die relative Bedeutungslosigkeit. Doch ein dauerhaftes Sprachverständnis zwischen Französisch und Deutsch aufzubauen wäre eine generationenlange Jahrhundertaufgabe. An allen deutschsprachigen Schulen müsste Französisch zwingend erste Fremdsprache werden; natürlich an allen französischsprachigen Schulen entsprechend Deutsch die erste Fremdsprache. Für sprachflexible Länder wie Luxemburg und teilweise in Belgien ein schon lange geübte Praxis. Was spräche dagegen, alle Schulbücher in den zwei Sprachen aufzulegen und sukzessive dümmliche nationale Sichtweisen im Sinne eines gemeinsamen Erkenntnisgewinns zu eliminieren. Zum tieferen Verständnis könnte man für alle Schüler ein verbindliches Pflichtjahr im jeweils anderen Land einführen. Der gegenseitige Austausch der Kulturen und Denkweisen wäre für beide Seite mehr als bereichernd.

In einem so geschulten Europa ließen sich ganz neue Synergien auf allen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Bereichen heben. Europa könnte sich vom gelegentlichen Einklang zur dauerhaften Einstimmigkeit entwickeln. Das alles sind keine unrealistischen Utopien. Gerade wächst eine neue Generation heran, die sich einen feuchten Dreck um die historisch gewachsenen Ansichten und Belange ihrer Eltern- und Großelterngenerationen kümmert. Junge Mensch, die nicht verstehen, warum künstliche Grenzziehungen nicht nur auf Landkarten, sondern vor allem in den Köpfen der Menschen, einen vernünftigen Umgang mit den beschränkten globalen Ressourcen behindern.

Angesichts der Brücke von Beinheim könnte man so die Basis für eine wirkliche Zukunft gestalten. Doch die Entscheider von heute scheinen lieber das zu tun, was sie halt immer so tun. Warten bis eine Brücke vor lauter Rost und Brüchigkeit von selbst zusammen fällt und damit eine Verbindung und Verständigung eher nur schwieriger wird.

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