Nur nicht die Glocke läuten -Beobachtungen bei der Farewell-Party für Mario Draghi- von Thomas Seidel
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Gemeinsame Ovationen zur Europahymne: v.l.n.r. Christine Lagarde, Emmanuel Macron, Angela Merkel, Mario Draghi nebst Gattin, Sergio Matterella, Ursula von der Leyen, Volker Bouffier Quelle: EZB |
Zum Abschied von Mario Draghi als
Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) geben sich hohe Gäste
aus Politik und Wirtschaft in Frankfurt am Main die Ehre. Man zollt
dem Mann, der angeblich den €uro vor dem Untergang rettete, viel
Dankbarkeit. Die Veranstaltung gibt dem Beobachter einen tiefen
Einblick in die inneren Mechanismen der europäischen Bürokratie
aber sie gibt keine Auskunft darüber, wie es in Geldsachen nun in
Europa weiter geht.
So etwas hat die Europäische
Zentralbank in Frankfurt am Main noch nicht erlebt. Drei Staats- und
Regierungschefs europäischer Länder, eine gewählte
EU-Kommissionspräsidentin und eine designierte Nachfolgerin des
EZB-Präsidenten treffen sich in Frankfurt am Main in den Räumen der
Europäischen Zentralbank, um deren bisherigen Präsidenten zum Ende
seiner ganz normalen Amtsperiode zu verabschieden.
Volker Bouffier, Angela Merkel, Mario Draghi Quelle: Thomas Seidel |
Das wirft
protokollarische Fragen auf. Mario Draghi selbst begrüßt die
höchsten Würdenträger am Eingang des Gebäudes und defiliert mit
ihnen einen blauen Teppich entlang, ganz so als wäre der
EZB-Hausherr mit diesen Herrschaften protokollarisch auf Augenhöhe.
Sicher ist der EZB-Präsident Spitzenvertreter einer sehr
unabhängigen EU-Institution, ja man kann sogar sagen der einzigen
EU-Institution die wirklich funktioniert! Aber ist ein, durch keine
demokratische Wahl direkt legitimierter, Zentralbankpräsident mit
Staats- und Regierungschefs wirklich so auf Augenhöhe? Die Ehre
dieses Defilees für den scheidenden EZB-Präsidenten und die in den
Reden der Protagonisten herausklingende besondere Dankbarkeit
zeichnen ein anderes Bild.
Zurecht wird Draghi gepriesen, ein
zutiefst überzeugter Europäer zu sein, der die über zweitausend
Jahre alte Klammer eines gemeinsamen europäischen
Kulturverständnisses bis in der heutigen Zeit praktiziert hat.
Zurecht bewundert man die fundamentale Ökonomiekenntnis und noch
wichtiger die Fähigkeit Draghis dies den weniger ökonomisch
gebildeten Entscheidern im Rahmen der globalen Zusammenhänge auch zu
vermitteln. Zurecht wird Draghi als der Retter des €uro verehrt,
sofern man an die solitäre integrierende Kraft der
Gemeinschaftswährung ohne Banken- Kapitalmarkt- und Fiskalunion
glauben will. Doch gerade die Leistung für die sich Mario Draghi und
der Zentralbankrat heute gerne selbst am meisten lobt, die Schaffung
von über elf Millionen Arbeitsplätzen in Europa, ist von so vielen
anderen Faktoren ausserhalb der EZB beeinflusst, das der konkrete
Anteil der Geldmarktpolitik daran eher schwer auszumachen ist.
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Christine Lagarde hat viel zu schaffen Quelle: EZB |
Mario Draghi hinterlässt seiner
Nachfolgerin Christine Lagarde ein sehr schweres Erbe. Die EZB hat
inzwischen so viele Staatsanleihen indirekt angekauft, und fährt
damit immer noch weiter fort, dass manche Staaten mit dem Aufnehmen
neuer Schulden gar nicht mehr nachkommen. Das wird die EZB-Bilanz
noch auf Jahrzehnte hinaus aufgeblasen lassen. Denn wirklich zurück
zahlen können die meisten €uro-Mitgliedsländer ihre Schulden noch
in Generationen nicht und viele wollen das aus politischen
Gründen auch gar nicht. Das Ankaufsprogramm der EZB und die
Überflutung der Banken mit Geld hat den Interbankengeldmarkt
nachhaltig zerstört. Wie das wieder repariert werden soll, weiß keiner! Nullzins oder gar negative Zinsen, dass hat man seit 1995 von
Japan gelernt, führen zu nichts, ausser zu der künstlichen Beatmung
längst schon toter Wirtschaftszweige, die man um der politischen
Opportunität willen einfach nicht sterben lassen will.
Inflationsziele sind Imaginationen. Als Wolfgang Schäuble von Mario
Draghi einmal wissen wollte, woher eigentlich die gebetsmühlenartig
wiederholte Formel von „knapp unter zwei Prozent“ (was sich im
Englischen nur murksig als „below but close to two percent“
ausdrücken lässt) kommt, soll dessen Antwort gewesen sein: „der
Otmar wars“ (gemeint ist der ehemalige Chefvolkswirt der EZB Otmar
Issing). Tatsächlich verschwunden ist die Inflation nicht. Sie
findet in erschreckendem Ausmaß auf den Aktien- und
Immobilienmärkten statt. Dort bilden sich hemmungslos neue
Spekulationsblasen, die wie in der letzten Finanzkrise jederzeit
platzen können. Da deren Werte aber nicht Eingang in die aktuelle
verbraucherorientierte Definition der Inflationsmessung findet,
nehmen viele Menschen eine Inflation nicht wirklich wahr, obwohl,
subjektiv gesehen, sich vieles kräftig verteuert. Tatsächlich hat
die EZB in den letzten acht Jahren Probleme weniger gelöst, als sie
nur woanders hin verschoben. Dem allen darf sich fortan für die
nächsten acht Jahre Christine Lagarde widmen, sofern ihr die
tagespolitischen Ereignisse dazu Zeit lassen.
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Übergabe der Zentralbankrat-Sitzungsglocke. Mario Draghi will sie in acht Jahren nicht einmal geläutet haben. Wie im Gedicht von Edenhall, Frau Lagarde: Nur nicht die Glocke läuten! Quelle: EZB |
Etwas anderes hat diese Veranstaltung
auch noch offenbar gemacht. Man bekommt zu spüren, wie die
europäischen Institutionen und Bürokratien wirklich funktionieren.
Dort hat sich bereits eine kleine feine Elite durchaus sehr gut
ausgebildeter und bestens bezahlter Menschen entwickelt, die
problemlos untereinander vielsprachig miteinander kommunizieren.
Dieser Menschenschlag bleibt vorzugsweise unter sich und entfernt
sich immer schneller von der Alltagswirklichkeit der Bürger, die
durch ihr tägliches Schaffen diese Elite letztlich finanzieren. Doch
die Abstände zueinander werden immer größer. Das ist mit ein
wichtiger Grund für den sich entwickelnden Populismus überall in
Europa. Dort reden die Volkstribunen in der Sprache der einfachen
Leute und finden schnell und gerne Gehör. Es wird eine der
wichtigsten Aufgaben für die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde
sein, diese kommunikative Schieflage wieder ein wenig gerade zu
rücken. Nur wenn die Menschen verstehen, warum eine Zentralbank
handelt wie sie es nun einmal tut, werden sie sich vielleicht auch
einmal unter dem Symbol der Gemeinschaftswährung gut aufgehoben
fühlen.
Zumindest die Staatschefs sind gut abgesichert! Polizeiaufkommen vor dem Gebäude der EZB Quelle: Thomas Seidel |
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