Fenster auf oder Fenster zu? Deutschland, wieder einmal im Herbst -Eine mögliche Posse von Thomas Seidel-


In den Fernsehmedien wird bekanntlich in allerlei politischen Talkshows über vieles geredet. Das meiste davon ist reine Zeitverschwendung. Um die langweilige Lücke zu füllen, muss man sich heute schon selbst einen gleichermaßen interessanten und unterhaltsamen Dialog zusammen basteln. Wie wäre es, wenn man zwei Protagonisten ihrer jeweiligen Regierungspartei in einem bestimmten Thema aufeinander losläßt? So findet hier, unter beliebiger Moderation, ein fiktives Gespräch zwischen den beiden aktuell amtierenden Bundesministern Prof. Dr. Karl Lauterbach für Gesundheit (SPD) und Dr. Robert Habeck für Wirtschaft und Energie (Grüne) statt.



Moderator*in: "Nach einem langen und sehr heißem Sommer ist Deutschland schließlich im Herbst angekommen. Trotz sengender Hitze mit Temperaturen mit bis zu 40 Grad und dem allgemeinen Stillstand während der Urlaubszeit ist inzwischen sehr viel passiert. Einerseits steht Deutschland vor dem konkreten Risiko einer Energieversorgungskrise, anderseits hat sich der zweijährige Hype über die Volksgesundheit deutlich..."

Karl Lauterbach:"Also..."

Moderator*in: (in schärferer Tonart) "... bevor ich unterbrochen wurde wollte ich sagen, der zweijährige Hype über die Volksgesundheit hat sich deutlich normalisiert. Das Bundesgesundheitsministerium sieht für den Herbst aber wieder eine allgemeine Pandemie heranziehen."

Karl Lauterbach: "Also..."

Moderator*in: (blickt den Gesundheitsminister kurz böse an und hebt wieder die Stimme) "Es stellt sich die Frage, wie soll Deutschland im Herbst mit diesen Herausforderungen umgehen? Dazu haben wir zwei Fachminister aus der Bundesregierung eingeladen. Ich darf hier begrüßen: Professor Doktor Karl Lauterbach von der SPD, langjähriger Gesundheitsfunktionär...

Karl Lauterbach: " Also da muss ich mal gleich..."

Moderator*in: (schaut starr in die Kamera) "... Gesundheitsfunktionär seiner Partei und in der derzeitigen Regierung seines Parteigenossen Kanzler Olaf Scholz irgendwie und bis auf weiteres zum Gesundheitsminister bestellt. Unser zweiter Gast ist Dr. Robert Habeck von den Grünen und derzeitig Vizekanzler und Wirtschaftsminister im (Moderator*in zieht die Augenbrauen hoch und verfällt in einen zweifelnden Ton) gleichen Kabinett wie sein Kollege Lauterbach. Meine Herren, aus ihrer jeweiligen Sicht steht Deutschland in diesem Herbst, wieder mal, vor existentiellen Krisen. Deutschland im Herbst sozusagen. Die Das kennt man ja schon! Wir erhoffen uns von dieser Talkrunde Aufschluss darüber, wie die Bürger sich am besten in dieser möglicherweise doppelten Krisensituation verhalten sollen. Herr Dr. Habeck, ich darf mit Ihnen anfangen. Sie sind ja eigentlich ein Literaturwissenschaftler. Was befähigt Sie besonders zu dem so ganz anderen Aufgabengebiet als Wirtschaftsminister und zum selbst ernannten Ritter des Klimaschutzes?"

Robert Habeck: (versucht eine bequeme Sitzposition zu finden und räuspert sich mehrmals) "Zunächst einmal eine bestimmte akademische oder berufliche Qualifikation für ein politisches Amt haben zu müssen ist natürlich Quatsch. Wir Politiker sind nur durch die sehr indirekten Stimmen der Wähler zu unseren Ämtern gekommen und mit unseren Tun allein ihnen gegenüber verantwortlich. Was man dann in einer Regierung konkret macht, hängt nicht an der Berufserfahrung, sondern am parteipolitischen und koalitionstechnischen Durchsetzungsvermögen.

Karl Lauterbach: "Also da muss ich gleich mal widersprechen. Wie wollen Sie denn das Amt eines Gesundheitsministers ausüben, wenn Sie von der Medizin nichts verstehen Herr Kollege?" Sie müssen doch in der Lage sein, medizinische Fachbeiträge, Studien und Statistiken richtig zu lesen und zu interpretieren!"

Robert Habeck: (zieht von seinem Beistelltisch eins von vielen Blättern hoch und hält es in die Kamera) "Wenn es um Statistiken geht, dann steche ich in dieser Regierung noch jeden aus. An diesen Kurven (das hochgehaltene Blatt hat viele bunte Linien, die im Zick-Zack hoch und runter gehen, doch was die Angaben an den Skalen betrifft, kann der Fernsehzuschauer sie leider nicht lesen)  können Sie eindeutig den Zusammenhang von CO2-Ausstoß und der Klimaerwärmung ablesen." Wenn man das erst einmal erkennt, dann kann man auch jede andere Wirtschaftsstatistik nach seinen politischen Vorstellungen interpretieren.

Moderator*in: "Das ist interessant. Verstehe ich Sie richtig Herr Dr. Habeck, jede Statistik kann nach den unterschiedlichen politischen Interessen ausgelegt werden?"

Robert Habeck: "Natürlich und da erzähl ich jetzt keinen Scheiß! Mit einem x-beliebigen akademischen Titel und einer x-beliebigen Statistik in der Hand können Sie jeden Wähler kompetent überzeugen. Sie vom Fernsehen ziehen als sogenannte Experten doch auch gerne Leute heran, die mindestens einen Doktorgrad haben, oder besser noch sich als Professor von irgendwas ausweisen können. Das ist Ihnen als Fernsehanstalt doch genug als fachliche Legitimation. Was diese sogenannten Experten dann sagen, wird schon irgendwie stimmen, denken Sie sich!"

Moderator*in: (leicht verwirrt dreinguckend) "Vielleicht sollten wir uns dem eigentlichen Thema des Abends widmen. Prof. Lauterbach stehen wir im Herbst vor einer erneuten Corona-Epidemie?

Karl Lauterbach: (beugt sich blitzschnell vor) "Also das Wort >Corona-Epidemie< ist ein ganz und gar volkstümlicher Begriff, der leicht zu Verwechslungen etwas mit einem Bier führen kann. Besser man spricht auch hier also von >Sars-Cov-2< und also damit alle genau wissen über was wir da reden, muss man also schon die richtige Untervariante wie Delta oder Omikron etwa B1 oder B2 dazu sagen, weil sich diese bei den Leuten ganz unterschiedlich auswirken können..."

Moderator*in: (unterbricht Karl Lauterbach mit einer schnellen Handbewegung und fragt eindringlich) "Werden wir es im Herbst mit einer erneuten Corona-Welle zu tun bekommen oder nicht?"

Karl Lauterbach: "Also natürlich werden die Infektionzahlen wieder sprunghaft ansteigen wie sich ja schon auf dem Münchner Oktoberfest eindringlich zeigt und die Intensivstationen in den Krankenhäusern werden wieder mehr ausgelastet sein. Aber Untersuchungen haben gezeigt, dass man ausreichend vorbeugende Maßnahmen treffen kann, wie zum Beispiel also das konsequente Tragen von FFP2-Masken..."

Moderator*in: "Darf ich da mal gleich einhacken Prof. Lauterbach. Sie sagen, das konsequente Tragen von FFP2-Masken. Wie erklären Sie dann aber zum Beispiel, dass nach dem neuen Infektionsschutzgesetz das Tragen von FFP2-Masken in Bussen und Bahnen verbindlich vorgeschrieben ist, aber nicht etwa in den engen Flugzeugen?

Karl Lauterbach: "Also es ist ja bekannt, dass es in Flugzeugen also eine Klimaanlage gibt, die sehr viel schneller die Luft umwälzt, als sich das Virus dort ausbreiten kann. Also im Grunde genommen hilft es schon sehr viel wenn wir also auch weiterhin im Herbst regelmäßig die Fenster auf machen und gut lüften..."

Robert Habeck: (grätscht dazwischen) "Herr Kollege, das kommt ja jetzt einmal überhaupt nicht in Frage. Wir haben eine existentielle Energiekrise in der wir jede Kalorie an Wärme sparen müssen, wo es nur geht. Da können Sie doch nicht ernsthaft verlangen, dass die Leute ständig lüften*1 und wir millionenfach zum Fenster raus heizen! Statistisch können wir belegen, es ist besser, wenn die Fenster zu bleiben, wenn wir im kommenden Winter nicht alle erfrieren wollen!"

Karl Lauterbach: "Herr Kollege, also das kann ich aufgrund meiner Kenntnisse aus den einschlägigen Studien überhaupt nicht befürworten. Wenn wir nicht also ständig gut durchlüften, werden die Infektionszahlen rasch ins Unermeßliche ansteigen und dann also sterben unnötig viele Leute an der Pandemie, was also eigentlich vermeidbar wäre, wenn...

Robert Habeck: "Herr Kollege Lauterbach, seit Monaten machen wir nichts anderes als verzweifelt zu völlig überhöhten Preisen sonst wo in der Welt Gas und andere Energieträger zum Heizen einzukaufen und da wollen Sie ernsthaft behaupten, die Leute sollen regelmäßig die Fenster zum Lüften aufmachen? Haben Sie überhaupt schon mal daran gedacht, wie belastet das Gesundheitswesen würde, wenn die Leute wochenlang ständig frieren? Nein, bis auf weiteres müssen die Fenster in diesem Winter zu bleiben."

Karl Lauterbach: "Also das können Sie doch überhaupt nicht vergleichen. Studien in Amerika haben also gezeigt, dass ein gesunder infektionsfreier Mensch niedrigen Temperaturen viel besser widerstehen kann, als ein kranker Mensch und also deswegen müssen wir der nächsten Pandemie vorbeugen, indem Räume immer gut durchgelüftet werden. Die Fenster müssen also offen bleiben!"

Moderator*in: "Meine Herren, ich fürchte die Zuschauer sind im Augenblick noch mehr verwirrt, als vorher. Wie soll man sich denn nun als verantwortlicher Bürger am besten verhalten. Werden die Fenster nun besser geöffnet oder sollen sie geschlossen bleiben?"

Robert Habeck: "Für die Begrenzung des Energiekosten pro Haushalt hat die Bundesregierung ja gerade einen Energiepreisdeckel beschlossen. Die Einzelheiten werden gerade ausgearbeitet. Mein Ministerium wird eine Verordnung auszuformulieren, wonach genau vorgeschrieben wird, wieviel Kalorien Wärme jeder Bürger pro Tag verbrauchen darf. Die Regierung wird dann einen Preis pro Kalorie festlegen, den der Bürger zu zahlen hat. Die Differenz zwischen dem regulierten Preis und dem Marktpreis zahlt dann der Staat, natürlich abzüglich der 19 Prozent Mehrwertsteuer. Die wird für jeden Bürger selbstverständlich fällig. Wer allerdings mehr Kalorien verbraucht als sie ihm zustehen, muss den Aufpreis dann selber zahlen. Dafür wird in allen Räumen verpflichtend ein entsprechendes Messgerät zu installieren sein, dass dann per Funk die jeweiligen Verbrauchsdaten an eine Zentrale meldet. Damit keine Messdaten verloren gehen, denken wir daran, dafür ein neues Satellitensystem einzurichten. Die Verrechnung soll dann automatisch über die Gebühreneinzugszentrale der Rundfunkanstalten erfolgen. Das alles muss natürlich erst einmal aufgebaut werden, aber wir sind zuversichtlich, dass das bis 2050 geschehen sein wird."

Moderator*in: "Aber Herr Habeck, bis 2050 sollte die Energiekrise doch schon längst vorüber sein..."

Robert Habeck: "Wir wollen natürlich, jetzt oder nie, ein zukunftssicheres System installieren, mit dem wir auch dann noch den Bürger überwachen äh... erreichen können, wenn es schon längst keine Energiekrise mehr geben sollte."

Moderator*in: "So ein satellitengestütztes Abrechnungssystem wurde ja schon einmal diskutiert, damals als der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ein bundesweites Straßenmautsystem aufbauen sollte, dass im Auftrag seines Parteiherren von der CSU Horst Seehofer aber nur alle Ausländer erfassen sollte. Daraus ist es aber nichts geworden. Was macht sie so sicher, dass es diesmal funktionieren könnte?"

Robert Habeck: "Herr Scheuer hatte seinem Namen alle Ehre gemacht. Im übrigen was dessen Aktion ja schon von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil es nur um die ausländischen Autobahnbenutzer ging. Was wir vorhaben ist von vornherein viel größer und zukunftsorientierter gedacht. Heute ist es die Energiekrise, morgen was weiß ich. Aber wenn wir einmal ein totales bundesweites Überwachungssystem bei unseren Bürgern installiert haben, können wir künftig damit natürlich noch viel mehr bewirken. Entsprechend programmiert, könnten wir zum Beispiel sicherstellen, dass Freitags nur noch vegan gegessen wird usw. Sie müssen das alles einfach viel weiter denken!"

Moderator*in: "Und wieso soll die Energiekostenverrechnung über die Gebühreneinzugszentrale der Rundfunkanstalten erfolgen?"

Robert Habeck: "Na weil die Gebühreneinzugszentrale der Rundfunkanstalten wirklich die einzige Institution in Deutschland ist, die Kontoinformationen von jedem, ich betone, wirklich jedem privaten Haushalt und Gewerbebetrieb hat den man sich nur vorstellen kann und weil sie von fast allen bereits eine Lastschrifteinzugsermächtigung besitzt. Da können wir dann leicht etwas an Belastungen drauf packen".

Karl Lauterbach: "Also wenn das so ist Herr Kollege Habeck, dann wird mein Ministerium eine Verordnung ausarbeiten, der für alle Bürger die an einer Epidemie erkranken, also für die Dauer ihrer Erkrankung also einen Kalorienrabatt vorsehen wird, damit sie also weiterhin gesundheitsfördernd die Fenster aufmachen können..."

Robert Habeck: (reißt sich aus dem Stuhl hoch) "Her Kollege die Fenster bleiben trotzdem zu!"

Karl Lauterbach: (reißt sich ebenfalls aus dem Stuhl hoch) "Herr Kollege die Fenster müssen offen bleiben!"

Moderator*in: "Aber meine Herren ich bitte sie, setzen Sie sich doch. Das hört sich alles nicht nach Frieden in der Regierungskoalition an. Was sagt denn der richtlinienkompetente Bundeskanzler Olaf Scholz dazu?"

Karl Lauterbach und Robert Habeck: (sich wieder setzend, gleichzeitig und übereinstimmend) "Nö!"

Moderator*in: "Liebe Zuschauer, ich hoffe ihnen hat diese aufschlussreiche Diskussion jetzt etwas Klarheit darüber verschafft, ob für sie in diesem Herbst und Winter die Fenster auf oder zu bleiben. Wir danken ihnen für ihr Interesse und würden es begrüßen, wenn sie uns demnächst wieder einschalten."


*1 Für das deutsche Wort "lüften" gibt es im Englischen keine direkte Entsprechung. Was die Deutschen damit meinen, muss umschrieben werden, etwa als "to air the room" oder "to change the air in the room". Offensichtlich vermeidet man im angelsächsischen Sprachraum gerne den direkten Luftaustausch durch das Öffnen von Fenstern direkt zu benennen. Im deutschen Kulturkreis erfüllt das Lüften nicht nur die Sehnsucht nach frischer Luft, das Lüften gibt den deutschen Waldmenschen  unterschwellig auch das Gefühl irgendwie der Natur etwas näher zu sein. Besonders in Amerika ist das eine völlig abwegige Vorstellung. Dort bewegt man sich sein Leben lang bevorzugt in geschlossenen, künstlich klimatisierten Räumen. Man erschreckt sogar vor der Vorstellung, was so alles durch geöffnete Fenster in die Räume hineinfliegen oder krabbeln könnte. Lüften in den USA kann sogar lebensgefährlich sein. Vor einiger Zeit wurde eine Hauseigentümerin tatsächlich von der, durch Nachbarn alarmierten, Polizei durch das Fenster in ihrem Heim erschossen. Sie hatte zu Lüftungszwecken die Haustür offen gelassen. Die Nachbarn gingen von einem Einbruch aus. Weil es sich um eine Frau afrikanischer Herkunft handelte, nahmen die weißen Polizisten einfach an, dass es sich um eine Straftäterin handeln müsste.

Bildnachweis: 

oben: Robert Habeck bei der Vorstellung eines Wirtschaftsberichts (Quelle: Google, Tagesspiegel)

unten: Karl Lauterbach auf einer Bundespressekonferenz (Google, RBB24)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Herrschaft der Minderheiten - Ein Essay von Thomas Seidel-

Erneute Verschleierung durch die SPD: Das Ende der Fallpauschale im deutschen Gesundheitswesen -von Thomas Seidel-

Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel