Das Elend des Deutschen Einzelhandels von Thomas Seidel
Das ständige Klagelied des deutschen Einzelhandels ist die fehlende Kaufbereitschaft der undankbaren Kundschaft. Schon immer hört man diese Leier und spätestens seitdem es Online-Shopping gibt, müssen tatsächlich immer mehr Einzelhändler in klassischen Geschäftslokalen die Fahne streichen. Geschäftsschließungen führen zur Verödung der deutschen Innenstädte. Nachrückende Kettenanbieter lassen einen beim Anblick ehemaliger Flaniermeilen erschaudern. Freilich sind die Probleme allesamt selbstgemacht, wie ein aktuelles Beispiel in Frankfurt am Main es verdeutlicht.
Wir schlenderten dieser Tage durch das Frankfurter Nord-West-Zentrum. Das dort angesiedelte Küchenfachgeschäft von Fissler kündigt einen Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe mit Rabatten von 30 Prozent (50 Prozent in Einzelfällen) auf alles an. Am Samstag ist der Laden rappelvoll und auch wir wollen uns die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Wir benötigen noch einen mittelgroßen Wok und ich halte Ausschau nach einem Zubehör für meinen Kitchen-Aid-Mixer. Wir finden alles was wir suchen und stellen uns an der Kasse an. Eine völlig überforderte Kassiererin erzählt ungefragt, so voll habe sie den Laden noch nicht erlebt und es kämen Kunden, die man vorher noch nicht gesehen habe.
Die Kurzweil ist Zeugnis für das ganze Elend des deutschen Einzelhandels. Fachgeschäfte aller möglichen Branchen beklagen sich, dass der Umsatz in den Ladengeschäften mit ihren teuren Mieten von Jahr zu Jahr schwächelt und die Kunden nur noch auf Rabattschnäppchen warten. Bekannt ist, dass die deutschen Verbraucher zu den schwierigsten und anspruchsvollsten Kunden in der Welt zählen, vor allem wenn es um echte Qualitätsprodukte geht. Die Leute sind informiert, haben einen kritischen Blick auch auf die Umstände von Herkunft und Herstellung der Waren und sind vor allem äußerst Preissensibel. Man weiß mit welchen Margen operiert wird und ist nicht bereit, 200 oder 300 Prozent P oder sogar mehr Preisaufschläge für ein Produkt auszugeben, wenn es denn nicht unbedingt nötig ist. Also wartet man auf die Schnäppchengelegenheit von Rabatten und schlägt dann zu.
Doch schon immer verhält sich der Einzelhandel in Deutschland so: statt mit einer gleichermaßen verbraucher- und marktorientierten vernünftigen Preispolitik zu operieren, werden besonders bei saisonaler Neubestückung Phantasiepreise aufgerufen. Das Ergebnis ist: monatelang weitestgehend leerstehende oder nur wenig frequentierte Geschäftslokale, hohe nicht umsatzgedeckte Fixkosten in Miete und Personal die einen entsprechenden Kapitalbedarf erfordern. Das ist irrational. Der ständige besonders scharfe Preiswettkampf im Lebensmitteleinzelhandel, und nicht nur dort, beweist, dass es auch anders geht. Darüber hinaus kennt der deutsche Einzelhandel, besonders im Bekleidungssektor, am Saisonende nicht den Weiterverkauf an Zwei- oder Drittanbieter, um die eigenen Lager für frische Ware leer zu räumen. Stattdessen wird auf Ladenhüter irgendwann ein Rabatt gegeben, dann noch ein bisschen mehr und mehr nur nicht an Verwerter weiter verkaufen. Die Folge ist, bei Zweitverwerter etwa wie TK-Max findet man fast nur importierte Ware, aber so gut wie nichts, was einmal in einem deutschen Laden gestanden hat.
So ruiniert man sich sein Geschäft selbst. Ein Blick über die Grenzen in andere Länder könnte hilfreich sein, wird aber nicht gemacht. Dabei sind Kunden nicht unbedingt nur auf Schnäppchen aus. Gerne zahlen die Konsumenten auch einen höheren Preis, wenn sie sich dafür freundlich und gut beraten fühlen. Aber heutige "Fachverkäufer" haben weder fachliche Kompetenz, noch einen freundlichen Umgang. Kunden werden häufig als Unruhestifter angesehen, die die internen Abläufe stören.
Wo keine Einsicht ist, wird sich auch nichts ändern. Die Innenstädte und Einkaufszentren werden weiter veröden. Die Kunden orientieren sich längst woanders hin. Wer eine Pfanne mit 169,00 Euro bepreist, sie aber erst dann los wird, wenn der Laden geschlossen wird und sie dann auf 118,30 Euro reduziert, hätte besser von Anfang zu dem Preis vielleicht zwei Dutzend davon verkauft. Aber die Chance ist jetzt vorbei.
Bildnachweis: Thomas Seidel, Frankfurt am Main
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