V. Das Federal Reserve System -Eigentlich nicht gewollt, doch heute unersetzbar- von Thomas Seidel

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts muss man sich das junge US-amerikanische Bankensystem wirklich so vorstellen, wie man es in allerlei Westernfilmen gezeigt bekommt. Überfälle, Raub, Mord, Betrügereien bei denen Bankkunden übers Ohr gehauen werden; Bankenzusammenbrüche bei denen Sparer Geld und Rente verlieren; ein Bankensystem das schwankende Depositenbanken nicht stützen konnte was zu Panikabhebung führte, all das war regelrecht an der Tagesordnung. 

Alte Wells Fargo US Mail Postkutsche (Quelle: wikipedia PRA)

Es war den Banken in den USA bis dahin auch nicht möglich sich institutionalisiert zu refinanzieren, etwa durch Hergabe von angekauften Handelswechseln oder Wertpapieren. Wie so oft bei der amerikanischen Gesellschaft war der Glaube an die selbst regulierenden Kräfte der Wirtschaft stark und die Vorstellung sich irgendeiner regulierenden Behörde unterwerfen zu sollen den Menschen zutiefst zuwider.

John Pierpont Morgan (Quelle wikipedia)

Zwei Anläufe hatte es bereits gegeben, ein Zentralbanksystem zu errichten. Sie sind an politischen Glaubenskriegen gescheitert, wie die Weltöffentlichkeit sie jüngst beim Kampf um die Gesundheitsreform in den USA erlebt hatte. Im Oktober 1907 wie immer gerne mal im Herbst, kam es während einer ohnehin schon rezessiven Wirtschaftsphase in den USA zum Zusammenbruch der damals drittgrößten Treuhandgesellschaft in New York der Knickerbocker Trust Company. Zu jener Zeit bunkerten die provinziellen Regionalbanken ihre Liquiditätsreserven bei anderen New Yorker Banken. In ihrer Panik begannen die Menschen landesweit von ihren Banken Geld abzuziehen, die es sich ihrerseits wieder von New Yorker Banken holten. Schnell fehlte es schlicht an Liquidität. Erst durch ein Ankaufprogramm von Staatsanleihen durch den Bankier J.P. Morgan und weiterer von ihm motivierten Bankiers, konnte die Krise eingedämmt werden. Nach dieser schlimmen Wirtschaftskrise unternahm der Kongress, gegen den Widerstand der Regierung, einen dritten Anlauf zu einer Gesetzesinitiative für ein institutionalisiertes Zentralbanksystem und eine Finanzaufsicht. Dieses Gesetz sollte erst sechs Jahre und viele schlimme Politschlachten später, am 23.Dez.1913, zur Gründung des Federal Reserve Systems (Fed) führen.

Präsident Thomas Woodrow Wilson 1919 (Quelle: Library of the Kongress)

Wie bitter jenes Kongressgesetz für den amtierenden Präsidenten Woodrow Wilson war, zeigt ein Zitat aus seiner Rede zum Federal Reserve Act: „Ich bin ein überaus unglücklicher Mensch. Ich habe mein Land unabsichtlich ruiniert. Eine großartige Industrienation wird kontrolliert von seinem Kreditsystem. Unser Kreditsystem ist zentralisiert. Das Wachstum der Nation und alle unsere Aktivitäten sind daher in der Hand weniger Männer. Es ist dazu gekommen, dass wir eine der am schlechtesten regierten, eine der am umfassesten kontrollierten und fremdbestimmten Regierungen in der zivilisierten Welt geworden sind, nicht mehr länger eine Regierung mit freien Auswahlmöglichkeiten, nicht mehr länger eine Regierung mit eigenem Urteilsvermögen und der Stimme einer Mehrheit, sondern eine Regierung nach dem Befinden und genötigt von einer kleinen Gruppe beherrschender Männer.“ Wilson meinte damit den Board of Governors des Fed. Präsident Wilsons Rede hörte sich an, als seien die Vereinigten Staaten von Amerika, von einem das Land peinigenden fremden Kriegsherrn übernommen worden. Allein die Vorstellung, die freien Entscheidungsmöglichkeiten einer Regierung in Sachen Geld einzuschränken und das kapitalistische Bankensystem auch nur irgendeiner Art von Kontrolle zu unterwerfen, war und ist für viele Amerikaner Verrat an den grundlegenden Werten und der verfassungsmäßig gottgewollten Ordnung ihres Landes. Der Glaube an die selbstregulierenden Kräfte ungehemmter Märkte bleibt bis heute, und trotz aller nachfolgenden Wirtschaftskrisen, eine stark ausgeprägte Vorstellung in der amerikanischen Gesellschaft.

Die Herrscher des Schreckens laut Woodrow Wilson: Ersters Board of Governors des Fed

Was der Kongress geschaffen hatte, war nicht nur eine Zentralbank, sondern auch eine Aufsichtsbehörde über das US-amerikanische Bankensystem. Die politischen Auseinandersetzungen waren deshalb so hart, weil sich die amerikanische Finanzindustrie keinerlei Kontrolle unterwerfen wollte. Von Anfang an war die Fed in ihren Entscheidungen zwar unabhängig von den Weisungen des Präsidenten und seiner Regierung, aber dem Kongress gegenüber verantwortlich in ihrem Tun und Lassen. Gleichwohl soll die Fed sich grundsätzlich an die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Rahmenziele einer Regierung halten. Daher spricht man davon die Fed sei „unabhängig innerhalb der Regierung“. Getragen wird das Fed-System von seinen Mitgliedsbanken, die zwangsweise oder freiwillig dem Fed-System angehören. Die Führung der Fed bestimmt allerdings der Präsident der Vereinigten Staaten mit Zustimmung des Senats. Zwar werden die Einlagen der Mitglieder des Fed zu sechs Prozent verzinst, ein eventueller Gewinn der Fed wird jedoch an das US-Finanzministerium abgeführt. Das waren im Jahr 2003 zum Beispiel immerhin 22 Milliarden Dollar. Bei diesem Konstrukt spricht man daher von einer gemischten privaten und staatlichen Trägerform.


Federal Reserve Bezirke (Quelle: wikipedia)

Das Federal Reserve System ist primär eine regionale Organisation, mit lediglich einer Koordinierungsstelle in Washingtion D.C. Es gibt zwölf operierende regionale Fed-Banken. Deren Zentralen befinden sich in Bosten(1), New York City(2), Philadelphia(3), Cleveland(4), Richmond(5), Atlanta(6), Chicago(7), St. Louis(8), Minneapolis(9), Kansas City(10), Dallas(11) und San Francisco(12) mit insgesamt 25 Zweigstellen. Die lokalen Fed-Banken handeln ausschließlich innerhalb ihrer Zuständigkeitsgebiete und auch nur im Inland. Allein der Federal Reserve Bank of New York City sind geschäftliche Operationen mit dem Ausland erlaubt. Sie nimmt nicht nur daher innerhalb des Fed-Systems eine Sonderstellung ein.

Federal Reserve Hauptsitz in Washington D.C. (Quelle: AFP Saul Loeb)

Der Hauptsitz des Fed-Systems in Washington D.C. beherbergt das Board of Governors, welches aus sieben Mitgliedern und seinem Präsidenten besteht. Gewöhnliche Boardmembers werden für eine vierzehnjährige Amtszeit bestimmt werden, ohne die Möglichkeit einer Wiederwahl. Wird ein Boardmember jedoch  vorzeitig ersetzt, kann dessen Nachfolger für die Restlaufzeit noch mal mit einer vollen Amtsperiode gewählt werden. Sowohl der Chairman als auch der Vice Chairman werden, in Abweichung dessen, für eine vierjährige Amtsperiode bestimmt, können aber immer wieder gewählt werden. Wegen dieser mitunter außerordentlich langen Amtsperioden, wirkt es in Einzelfällen immer wieder mal so, als würden Boardmembers ewig im Amt sein. Besonders hat sich dieses Bild an der Person von Alan Greenspan eingeprägt. Er präsidierte das Fed-System sogar von 1987 bis 2006. Seine Amtszeit überdauerte vier US-Präsidenten. Greenspans stets fast regungsloses aber reichlich faltiges Gesicht und die scheinbar trüb dreinblickenden Augen machten ihn zum perfekten Pokerface bei öffentlichen Sitzungen und Stellungnahmen. Heerscharen von Journalisten versuchten vergeblich aus diesem Gesicht die innere Haltung des Fed-Präsidenten zu seinen sachlichen Aussagen abzuleiten, ergebnislos.

Alan Greenspan (Quelle: wikipedia)

Mächtigstes Entscheidungsgremium ist allerdings das Federal Open Market Comittee (FOMC), das sich aus dem Präsidenten des Fed, den sieben Mitgliedern des Board of Governors und vier Präsidenten von elf lokalen Feds, die sich jährlich rotierend abwechseln, zusammensetzt. Dazu kommt der Präsident des Fed of New York, der aber einen ständigen Sitz im FOMC hat. Das ist die andere wesentliche Sonderheit des Fed of New York innerhalb des Systems.

Eine Sitzung des Federal Open Market Komitee (Quelle: US Bundesregierung)

Die Hauptaufgaben des Fed sind, das Funktionieren des amerikanischen Zahlungssystems sicher zu stellen und die Ausgabe und den Umlauf von Bargeld in Noten und Münzen zu regulieren. Weiterhin betreibt das Fed die Überwachung und Regulierung des Bankenwesens, nicht aber der Börsen und des Wertpapiergeschäfts. Für Letzteres ist die Security Exchange Commission (SEC) verantwortlich. Auch tummeln sich in Fragen der Aufsicht von Finanzdienstleistern noch weitere Behörden in Amerika, die teilweise konkurrierend arbeiten. So unterliegen die nationenweit agierenden Banken auch dem „Office of the Comptroller of Currency (OCC)“. Nur die, ausschließlich in einzelnen Bundesstaaten operierenden Banken, sogenannte State Banks und andere Nichtmitgliedsbanken des Fed, werden von der „Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC)“ kontrolliert. Bausparkassen (Thrift banks) und Savings and Loan Associations schließlich sind Gegenstand der Kontrolle durch das „Office of Thrift Supervision“. Eine allumfassende Aufsicht, die einen Gesamtüberblick über alle Finanzinstitute hätte, gibt es in Amerika nicht. Nicht einmal das Fed kennt alle Risikofaktoren der nationalen Finanzwirtschaft.

Darüber hinaus versorgt das Fed seine Mitgliedsbanken über Lombardkredite mit Liquidität und hat dafür zu sorgen, dass die Banken eine ausreichende Kapitalausstattung zur Verlustbegrenzung besitzen. Sie ist die Bank der US-Bundesregierung und Beauftragter der Steuerbehörden (US-fiscal agent) und hat den nationalen Konjunkturbericht zu erstellen. Seit 1981 ist es dem Fed erlaubt Staatsschuldtitel zu erwerben und damit die Regierung zu finanzieren. Das Fed betreibt natürlich insbesondere Geldpolitik, wofür ihm Instrumente wie Offenmarktgeschäfte und die Festlegung von Diskont- und Mindestreservesätzen zur Verfügung stehen. Grundsätzlich entsprechen die geldpolitischen Ziele dem klassischen Magischen Dreieck: Vollbeschäftigung - Preisstabilität - moderate Langfristzinsen.

Federal Reserve of New York (Quelle: Beyond My Ken)

Weder gehören dem Fed die US-Goldreserven, noch lagert es wesentliche Teile davon in seiner Verantwortung. Durch eine Regierungsanordnung von Präsident Franklin D. Rossevelt wurde in Amerika ab 1933 der private Besitz von Gold vorübergehend verboten. Gegen eine Entschädigung in US-Dollarnoten wurden alle Goldbestände eingezogen und kamen in den Besitz der US-Steuerbehörde, also der Bundesregierung. Wegen des enormen Zustroms von physischem Gold war die Regierung gezwungen einen sicheren Aufbewahrungsort zu errichten. So entstand das United States Bullion Depository, weithin bekannter als Fort Knox. Dort lagern heute ungefähr 147,2 Million Unzen Feingold oder ca. 4.578 metrische Tonnen. In einem unterirdischen Tresor des Fed of New York dagegen lagern rund 225,1 Million Unzen Feingold oder etwa 7.716 metrische Tonnen. Freilich ist der größte Teil des bei der Fed of New York gelagerten Goldes im ausländischen Besitz. So etwa wie ein Teil des Goldschatzes der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund dafür liegt in einer Eigenheit des angelsächsischen Rechts. Darin kann man ein Pfandrecht nur an einer physisch existenten Sache erwerben und man muss für die Wirksamkeit des Rechts das Pfand in seinem Besitz haben. Viele Staaten die sich in Amerika Geld leihen, hatten in der Vergangenheit als Sicherheit daher einen Teil ihrer Goldreserven bei der Fed of New York lagern müssen. Diese Geschäftspraktiken haben heute an Bedeutung verloren. Sie zeigen allerdings exemplarisch wie die regionalen Fed-Banken tatsächlich operieren.

US Bullion Depository in Fort Knox (Quelle: Flickr Smurfy)

Im Laufe seiner kaum einhundertjährigen Geschichte ist das Fed für seine Politik immer wieder scharf kritisiert worden. So sei das Fed deshalb an dem verheerenden Börsencrash von 1929 schuld gewesen, weil es zulange eine Politik niedriger Zinsen betrieben habe. Das ist eine deutliche Parallele zur aktuellen Finanzkrise. Ganz anders als Deutschland, dass in den 1920er und 1930er Jahren ein Trauma der Geldentwertung durch Hyerinflation erlebte, hat sich in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner die Große Depression der 1930er Jahre eingegraben. Auf die Ersparnis- und Vermögensverluste aus dem Börsencrash folgten Massenarbeitslosigkeit, massive Einkommensverluste bis zu 60 %, Hungersnöte und die Verelendung weiter Bevölkerungsschichten. Weil der Ausweg aus dieser Krise staatliche Wirtschaftsankurbelung war, glauben die Amerikaner, besonders mit billigem Geld und massiven Konjunkturprogrammen einer Wiederholung solcher Krisen entgegen steuern zu können.

Janet Yellen (Quelle: Federal Reserve)


Besonders in der langen Amtzeit von Alan Greenspan wurde die Zins- und Kreditpolitik des Fed immer leichter. Billiges Geld verursachte aber letztlich die jüngste Finanzkrise stark mit. Jeder konnte alles Mögliche kaufen. Selbst Geringverdiener leisteten sich ein eigenes Haus und die Banken drehten immer größere und immer schnellere Finanzräder zur scheinbaren Optimierung ihrer Gewinne. Als dann alles zusammen brach und die Wirtschaft erneut in eine Rezession abzurutschen drohte, war die Wahl der Mittel noch billigeres Geld. Heute operiert die Fed, wie andere wichtige Zentralbanken auch, an der Nullzinsgrenze. Das muss aktuell die neue Fedpräsidentin Janet Yellen vertreten. Jedenfalls erleichtert die Konstruktion des Fed diese Politik. Auch auf Kosten unabsehbarer Staatsverschuldung, da das Fed Staatstitel aufkaufen und so schier unbegrenzte Geldmittel der Regierung zur Verfügung stellen kann. So steht sich die Schulden- und Geldpolitik Europas und Amerikas heute mehr denn je unversöhnlich gegenüber. Die Fed aber wird nur die nationalen Interessen vertreten. Sie kann nicht anders, es ist ihre ureigenste Bestimmung.


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