Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel


Alle Reisepläne diesen Jahres waren auf eine Grand-Tour kreuz und quer durch Italien ausgerichtet, mit dem Höhepunkt einer toskanischen Hochzeit gegen Ende der Reise. Wir waren diesmal zu viert unterwegs. Immer mit dabei, unser kleiner Yorkshire-Terrier Oliver. Eine der Reiseteilnehmerinnen kam aus den USA angereist und hatte, arbeitsbedingt, nur knapp etwas über drei Wochen Urlaub, was die gesamte Planung von Anfang an enorm unter Zeitdruck geraten ließ. In dieser kurzen Zeitspanne legten wir immerhin fast 4.000 km zurück. Dabei waren wir in der Lombardei, Venetien, der Emilia Romagna, der Toskana, Umbrien, Latium und in Kampanien unterwegs.

Italien, das stellt man sich immer wie eine Art riesiges belebtes Museum vor. Sind doch viele Ort und Schätze seit der Antike, über das Mittelalter, die Renaissance, den Barock, den Klassizismus, die verschieden Kunst- und Spielarten des 19. Jahrhunderts bis in die Moderne nicht nur erhalten geblieben, nein die Menschen in Italien leben auch darin ihren ganz normalen Alltag.

Gerne haben uns Historiker etwa wie Theodor Mommsen und Jacob Burckhardt vor allem das antike Italien nicht nur als die Wiege unserer heutigen Zivilisation zu vermitteln versucht. Dabei ging es nicht nur um Architektur, Kunst, Recht und Sprache. Es ging auch um eine präindustrielle Gesellschaft mit Straßensystemen, gigantischen Wasserleitungen (Aquädukte), Körperhygiene und sogar Toilettenspülungen mit fließendem Wasser. Tatsächlich waren die antiken Römer aber keine besonderen Wissenschaftler oder Philosophen, das waren eher die Griechen und auch, viel früher noch, die antiken Ägypter. Der römische Pantheon war mehr oder weniger auch von den Griechen geklaut und deren Architektur sowieso. Anders als die Griechen waren die antiken Römer vielmehr ein Krämervolk - Händler also, die besonders und vor allem stets auf ihren Profit aus waren. Diese Eigenschaft ist den Menschen in Italien seit der Antike vor allen anderen bis heute haften geblieben. Das "Geschäftemachen" war die eigentliche Triebfeder, die der antiken Ausdehnung der Römischen Reichs zugrunde lag. Das und das andauernde und mit der Ausdehnung des Römischen Reiches einhergehende "Veteranenproblem". Gemeint ist die Versorgung der ausgedienten Soldaten der gewaltigen römischen Heere. Dies zwang zu immer mehr Landnahme, den Veteranen wurde Grund und Boden zugeteilt, den sie bäuerlich für ihre Versorgung bewirtschaften konnten. So fand der Kulturexport des antiken Roms in den fremden eroberten Ländern quasi als Nebeneffekt statt und unsere heutigen Gesellschaften sind immer noch nicht in der Lage sich davon selbstkritisch zu entfernen, nicht zuletzt auch deswegen, weil durch die spätere Christianisierung die Prinzipien der römischen Staatsverwaltung in das christliche Europa hinein zementiert wurden.

Das alles muss vorausgesetzt werden, um zu verstehen, dass die heutigen Bewohner Italiens nichts aber auch gar nichts mit den kulturellen und zivilisatorischen Errungenschaften der antiken, mittelalterlichen und Renaissanceitalienern zu tun haben und jede Erwartungshaltung an eine Art erhabene Gesellschaft völlig fehl am Platz ist. Sicher gibt es immer noch das ein oder andere Handwerk und Lebensmittel an dessen Qualität der Produkte man sich erfreuen kann. Aber das war es dann auch schon. Ansonsten zerbröckelt alles und wenn mal tatsächlich etwas an den zahllosen Bauten und Kunstwerken des Landes zu deren Erhalt getan werden muss, dann in der Regel nur mit den Mitteln, die aus irgendwelchen ausländischen Quellen fließen. Die beispielsweise nicht allzu lang zurückliegende Rettung des "Schiefen Turms von Pisa" ist da nur ein Beispiel. Die, im europäischen Vergleich, an sich enorm vermögenden Italiener horten ihre Schätze lieber privat für sich. Für den Staat gibt es so gut wie nichts. Der italienische Staat finanziert sich vorzugsweise über Staatsverschuldungen und, seit der Amtszeit des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, eben auch gerne über die unüberschaubaren Geldtöpfe der Europäischen Union und auch der Europäischen Zentralbank selbst. Mit dieser korrigierten aber realistischen Erwartungshaltung sollte man eine Reise nach Italien antreten. Es ist ein Blick in die Vergangenheit aber auch auf den Zerfall!

Anreise durch die Schweiz

Die Reiseroute von Frankfurt aus führte uns quer durch die Schweiz und so war das erste Ziel denn auch zunächst die Stadt Luzern am Vierwaldstättersee. Bekanntlich ist die Gegend um den  Vierwaldstättersee der mystische Ursprung der Schweiz. Dort sind der Rigi und dort ist die Rütliwiese, wo der Legende nach der Schwur zur Ablehnung jeglicher Fremdherrschaft der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden im 13. Jahrhundert stattgefunden haben soll. Dort spielt die Legende von Wilhelm Tell und dem verhassten habsburgischen Statthalter Gessler und dessen Hut. Dort soll die Geschichte vom Apfel auf dem Kopf von Tell's Sohn, den dieser mit einem Pfeil aus seiner Armbrust weg schießen musste, passiert sein. Luzern mit seiner berühmten Kapellbrücke erweist sich als eine typisch deutsch-schweizerische Stadt, ist einladend und gastfreundlich. Doch wie in allen schweizerischen Innenstädten ist der Verkehrsfluss beklagenswert langsam, mit grünen Ampelphasen von nicht mehr als fünf  Sekunden Dauer. Die Schweiz ist eben kein Autoparadies! An dieser Stelle sei auch gleich gesagt, dass die Schweizer bei aller Alpenromantik auf brutalste Weise in ihre Landschaft eingreifen, wenn es darum geht, ihren Industrien Platz zu verschaffen. So beschränkt sich das Schöne der Orte auf die althergebrachten Kerne. Die romantische Schweiz ist nur in abgelegenen Gegenden noch schön und nett erhalten.

Für die Durchfahrt nach Süden wählten wir den Gotthardtunnel. Von Norden kommend verengt sich über einige Kilometer ein Tal auf den Tunnel hin. Schließlich schlüpft die Autobahn A2 in die einspurige Einfahrt des Tunnels. Nach 17 km kommt man auf der Südseite des Massivs wieder aus dem Tunnel heraus. Es ist wahr, dass das Licht der Sonne im Süden anders strahlt, als im Norden. Welch gewaltiges Bergmassiv der Gotthard allerdings darstellt, das man fast spielerisch zu untertunneln scheint, dass nimmt man nur von der Südseite her kommend so wahr.

Zwangsläufig fährt man auf die Hauptstadt des Kantons Tessin Bellinzona zu. Schon seit frühester Zeit ist dieser Ort der strategische Schlüssel für den Zugang zu den Alpenpässen St. Gotthard und St. Bernardino. Es ist leicht dort den Weg militärisch zu blockieren. Nach der mittelalterlichen Gründung der Schweiz im 13. Jahrhundert, gelang den Schweizern alsbald die Festungen von Bellinzona den lombardischen Herzögen der Visconti zu entreissen und die Kontrolle der Alpenpässe gegen alle Widerstände bis heute zu behalten. Statt die Festungsanlagen von Bellinzona zu bewundern, machten wir allerdings lieber einen Abstecher nach Locarno zum Lago Maggiore.

Nur an seinem Nordufer gehört der Lago Maggiore zur Schweiz und entsprechend eng geht es vor allem in Locarno zu. Auch wenn der Ort eine schöne Lage am Ufer des Sees und eine ansprechende Promenade hat, so erinnert Locarno doch sofort etwa an Monaco, wenngleich es in Locarno auch nicht die vielen extrem hässlichen Hochhäuser wie in Monaco gibt. Das architektonische Erscheinungsbild am Seeufer ist eindeutig vom Bauhaus geprägt. Kein Wunder! In den 1910er bis 1930er Jahren zog Locarno eine gewisse künstlerische Boheme an. Diverse Selbstverwirklicher, Spinner, Esoteriker aber auch politisch und gesellschaftlich Vertriebene und andere sonderbare Leute siedelten sich dort an und davon gäbe es so manche Geschichten zu erzählen. Darüber hinaus findet seit 1946 alljährlich ein Filmfestival statt, mit durchaus weltweiter Beachtung und Bedeutung.

Como und Comer See -Traumkulisse der Filmindustrie?-

Das Ziel des Tages aber war das nur etwa 70 km von Locarno entfernte Como, unsere erste Station in Italien. Zuvor muss man aber erst am letzten schweizerischen Ort Chiasso vorbei fahren und das sieht von der Autobahn aus, wie ein Las Vegas oder auch die kanadische Seite der Niagarafälle. Eine einzige  Spielhölle und ein Zockerparadies. Wahrscheinlich um spielsüchtigen Italienern das Geld aus der Tasche zu locken. Gleich nach Chiasso kommt die Grenze zu Italien und man fällt danach auch sofort in Como ein.

Der Autor kennt den Comer See seit seiner Kindheit, als die Familie wiederholt die Sommerferien in den 1960er Jahren an der Adriaküste verbrachte. Der Vater wählte damals zur Alpüberquerung die Route Chur über den Julierpass, von wo man auf den Silvaplaner See einbog, dessen Wasser in der Nachmittagssonne Sonne rötlich leuchten, um dann über den Majolapass später die Grenze nach Italien zu passieren und schließlich in Colico am Comer See zu übernachten. Diese Route dauerte damals einen ganzen Tag und war notwenig, weil es zu jener Zeit weder in der Schweiz noch in Italien ein entsprechendes Autobahnnetz gab, geschweige denn irgendwelche gebirgsdurchstechende Tunnel. Jedenfalls übernachteten wir in Colico regelmäßig im Hotel Risi. Der alte Kasten existiert noch heute. Dort machten wir seinerzeit unsere erste Bekanntschaft mit der italienischen Vorstellung von einer Herberge (nur fließend kaltes Wasser, das aus dem Comer See gepumpt wurde, manchmal mit kleinen Fischli dabei) und von unwillkommener Gastlichkeit und es läßt sich sagen, dass sich seitdem in dem Land daran nichts geändert hat und das ist durchaus nicht im positiven Sinne gemeint.

Jetzt sollte es also die Stadt Como selbst sein und damit ein Blick auf ein Südende des Sees, der sich inzwischen vor allem durch diverse Filme und Kinopersönlichkeiten als Drehkulisse und Aufenthaltsort einen gewissen positiven Ruf erarbeitet hat. In der Tat ist die ummauerte Altstadt von Como ein sehens- und erlebniswerter Ort. Leider wurde zu unserem Aufenthalt gerade die komplette Uferpromenade aufgerissen und neu angelegt, was den direkten Blick auf den See verwehrte. Dennoch ist die Stadt wie auch der See ein empfehlenswertes Reiseziel in der schönen Jahreszeit. Gleichwohl diente uns Como nur als Zwischenstation auf dem Weg nach Venedig.

Venedig -Ein nicht einlösbares Versprechen-

Es hat sich als gut geplant herausgestellt, ein Hotel in Mestre, dem Venedig vorgelagerten Festlandsort, zu wählen und von dort aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf die Lagunenstadt überzuwechseln. Am besten kauft man dazu Tagestickets im Hotel und vermeidet so die räuberische Wegelagerei privater Taxiboote. Anders als bei den zwei vorhergehenden Besuchen des Autors in der Stadt hatten wir diesmal genügend Zeit, Venedig gründlich und auch abseits der Haupttouristenachsen zu begehen. Dennoch, wer und was sich dort so tummelt ist schlicht erschreckend. Die Stadt Venedig sollte ab nächstes Jahr nicht nur eine Tagesgebühr von 5 €uro sondern gleich von 50 €uro verlangen. Muss es denn sein, dass auf irgendwelchen Brücken alles von irgendwelchen selbsternannten Instagram-Influenzern blockiert wird, die sich ohne jede Kenntnis auf den historischen Bezug mit der Kulisse der Stadt nur möglichst selbst in Szene setzen wollen? Dafür lassen sich die Leute auch noch auf der Brücke schminken und blockieren mit ihrem Equipment den ohnehin engen Platz. Soviel Venedig an sich zu bieten hat, so sehr ist man dort nur mit der Ausquetschung von Touristen beschäftigt und beschädigt in dieser hemmungslosen Gier die eigene Substanz von der man lebt.

Florenz -Zentrum der Renaissance-

Unser nächstes Ziel ist Florenz. Hat man einmal Bologna hinter sich gelassen, führt die Fahrt quer durch die Apenninen durch so viele Tunnel, dass man schon geneigt ist zu glauben, die Italiener wären beim Tunnelbau noch fleißiger gewesen als die Schweizer. Positiv bemerkbar macht sich auf solchen Routen die italienische Autobahnmaut. Zwar haben wir insgesamt über €uro 130,00 an Mautgebühren bezahlt, dafür bekommt man aber auch eine über weite Strecken staufreie Fahrt geboten. Positiv darüber hinaus ist die Art der Baustelleneinrichtung. Man verengt nur die Stellen, an denen tatsächlich gearbeitet wird. So sind diese Engpässe zügig überwunden, während in Deutschland kilometerlange Baustelleneinrichtungen existieren, an denen entweder gar nicht und nur an wenigen Stellen wirklich gearbeitet wird. Auffällig schließlich war während der ganzen Tour, dass auf den italienischen Autobahnen fast nur italienische LKW unterwegs waren. Die dichte Besiedlung bundesdeutscher Autobahnen mit LKW aus allen möglichen Ländern, findet man hier erfreulicherweise so nicht. Generell fährt man in Italien viel umsichtiger. Man arrangiert sich. Bundesdeutsche Rechthabereien und PS-Hierarchien finden auf den Straßen Italiens so nicht statt.

Mit sechs Übernachtungen sollte Florenz und die toskanische Umgebung der Schwerpunkt unserer Reise werden. Wir wählten ein Hotel fußläufig am Rande der Altstadt direkt am Arno gelegen. Träge fließt der Arno in seinem Bett dahin und entschleunigt so schon durch seinen Anblick den Besucher der Stadt. Auffällig ist, ganz im Gegensatz zu dem ständig stinkenden und im Müll versinkenden Rom (siehe auch den Reisebericht des gleichen Autors "Rom ist eine Hure" vom 24.03.2018), dass Florenz eine picobello saubere Stadt ist. Selbst im schlimmsten touristischen Gewusel sind ständig Straßenreiniger unterwegs, werden Abfalleimer geleert und das gilt auch bis in die Aussenbezirke der Stadt. So hinterläßt Florenz nicht nur den Eindruck einer der wichtigsten kunsthistorischen Städte der Welt zu sein, sondern präsentiert sich auch sonst in Bestform. Das gilt allerdings nicht für das Essen, mit der einzigen Ausnahme von Eiscreme. Von der vielgerühmten toskanischen Küche vordergründig keine Spur. Man muss schon gründlich in den schattigen Gassen suchen, um einigermaßen gut bekocht zu werden. Auffällig ist aber auch ein neues Phänomen aus unserer Zeit. Die Altstadt ist weitestgehend autofrei, jedoch bewegen sich die Taxis noch in den schmalsten Gassen. Viele von diesen Taxis sind rein elektrisch angetriebene Wagen, die man mangels ratterndem Antriebsgeräusch kaum noch hört. Das ist gefährlich für die touristischen Fußgänger, die sowieso desorientiert ständig kreuz und quer durch die Gassen schleichen. Deshalb fahren die elektrischen Taxis permanent mit akustischen Signalgebern herum, was zu einem nervtötendem Dauergepiepse in der Florentiner Altstadt führt. Das ist nur ein Beispiel für die Absurdität rein batteriegetriebener Autos. Ein Zeichen für die Gediegenheit der Stadt dagegen, sind die großen, hohen und schweren Haustüren mit ihren aufwendigen Messingbeschlägen und Klingeln. Neben den kunsthistorischen Zielen, über die hier nicht noch ausführlich gesprochen werden muss, lohnt es sich, in Florenz auch Geschäfte mit handwerklichen Erzeugnissen zu besuchen. Das gilt vor allem für Produkte der Lederwaren und der Bekleidung, aber auch für Wohntextilien, Parfümerien und Kosmetik und natürlich Geschmeide jeder Art. Hier spielt Italien seine ganze Qualität aus. Angenehm sind auch Begegnungen mit sehr eleganten italienischen Menschen jeden Geschlechts und Alters auf den Straßen in Cafes und Restaurants. Für die typisch geschmacklose deutsche "Funktionsbekleidung" findet man unter den Florentinern jedenfalls keine Anhänger.

Pisa -Versunken in der Bedeutungslosigkeit-

Von vielen interessanten europäischen Orten haben Amerikaner in der Regel noch nie etwas gehört, aber der "Schiefe Turm von Pisa" ist ihnen vage ein Begriff. Nicht das Amerikaner in der Lage wären, die Stadt auf einer Weltkarte sicher zu verorten. Aber wenn man schon mal in Italien ist, dann will man auf jeden Fall diesen merkwürdigen Turm sehen. Also machen wir uns für einen Tagesausflug auf nach Pisa. Einst war Pisa eine mittelalterliche Seemacht, etwa wie Genua oder Venedig. Sieht man sich die Stadt heute an, ist von der Pracht dieses Stadtstaates nichts mehr zu spüren und zu sehen. Schon 1406 wurde Pisa der Stadt Florenz untertan. Heute besuchen Massen von Touristen die Kathedrale, das Baptisterium und natürlich den Schiefen Turm. Das sind die Äußerlichkeiten. Doch Pisa beherbergt auch eine der ältesten und renommiertesten Universitäten Italiens und hat viele akademische Berühmtheiten hervorgebracht: Leonardo Fibunacci schon im Mittelalter, Gallileo Galilei in der Renaissance aber auch Enrico Fermi aus unserer Zeit. Doch das frequentieren die Touristen nicht.

Siena -Zentrum des Mittelalters-

Bei allem Reichtum und bei allen Kunstschätzen die Florenz bis heute beherbergt, wenn es um die Authentizität der historischen Epoche des Mittelalters geht, führt kein Weg an dem rund 70 km südlich gelegenen Siena vorbei. Diese Stadt hat alle Prachtentfaltung zu der das immer als dunkel und dumpf beschimpfte Mittelalter in der Lage war, bis heute in seinem Originalzustand bewahrt. Vielmehr noch, Siena ist belebt wie eh und je und die Bevölkerung bewahrt gleichzeitig ihre Traditionen. Tatsächlich ist Siena ein von Mythen und Legenden reich umwobener Ort. Sich in dessen Straßen und Plätzen und Gebäuden zu bewegen, macht einen nicht nur zu einem Beobachter, sondern gleich selbst zu einem Teil dieser Geschichte. Siena hat viele berühmte und bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht, darunter etliche Künstler aller Epochen seit dem Mittelalter und sogar zwei Päpste. Schließlich beherbergt Siena die älteste, seit 1472, noch heute existierende Bank der Welt "Monte dei Paschi di Siena", immerhin die drittgrößte Bank Italiens. Siena, das ist das schlummernde Juwel unter den toskanischen, ja man kann sagen unter den italienischen Städten und gleichzeitig eine moderne aber trotzdem vollständig erhaltene mittelalterliche Stadt. Da wird erzählt von den sagenhaften Zwillingsbrüdern Senius und Aschius, die die einst etruskische Stadt begründet haben sollen und mit Remulus, einem der mythologischen Gründern Roms, verwandt waren. Dort sollen sie auf dem Berg Verna, auf dem Siena errichtet wurde, einem Wolf der Göttin Diana begegnet sein und dies als Zeichen genommen haben, sich an dieser Stelle niederzulassen. Bis in die Gegenwart authentisch gefeiert wird der Palio, ein mittelalterliches Pferderennen inmitten der Stadt jeweils am 2. Juli und 2. August, ein Wettbewerb der sienesischen Stadtteile untereinander. Wer durch die Gassen und Wege der Stadt geht und sich gründlich umschaut, wird überrascht von kleinen verborgenen Gärten, Balkonen, Restaurants und vielen anderen sehenswerten Winkeln. 

Pompeji -Der italienische Touristennepp-

Nach soviel Toskana machen wir uns auf zum südlichsten Punkt unserer Reise, Pompeji. In einer Gewaltfahrt bringen wir die Distanz von gut 500 km hinter uns. Dabei kann man einige erstaunliche Beobachtungen machen. Die Italiener haben die Trassen für ihre Hochgeschwindigkeitszüge, ähnlich wie in Deutschland, wo es nur geht, parallel zu ihren Autobahnen gebaut. Das Erstaunliche aber im Gegensatz zu Deutschland ist, dass man alle paar Minuten tatsächlich auf diesen Trassen solche Züge dahin rasen sieht, ein Ereignis, auf welches man in Deutschland gefühlt stundenlang warten muss. Überhaupt scheint man in Italien innerhalb der alten Gemäuer in vielen modernen Dingen Deutschland weit voraus zu sein. Das gilt insbesondere auch für das Funknetz und das Internet. Mit Bargeld bezahlen ist inzwischen staatlich verordnet unbeliebt, selbst nur ein Stück Obst lässt sich längst elektronisch bezahlen. Im krassen Gegensatz zu dieser Moderne stehen aber die hygienischen Verhältnisse in allen öffentlichen Bereichen, mit Ausnahme der gehobenen Hotellerie. Es ist schon ein Fortschritt, wenn einem nicht mehr die Plumpsklos aus den 1960er Jahren erwarten und man muss schon dankbar sein, wenn die Toilettenspülung wenigsten ein bisschen funktioniert. Toilettenpapier, Seife und Handtrockner gehören nicht selbstverständlich zur Grundausstattung oder sind zumindest nicht aufgefüllt. So geht es auch beispielsweise zu in Cafes erster Klasse, die sich nicht zu schade sind, für eine Tasse Tee 25,00 €uro zu verlangen. Zu kümmern scheint sich um dieses Thema auch niemand wirklich. Merkwürdige Zustände im Land der Erfinder des antiken Wasserklos.

Es gibt so einige Orte auf der Welt, wo Touristen systematisch belagert und ausgeräubert werden. Venedig gehört dazu, aber auch etwa Neuschwanstein, der Rheingau, der Eiffelturm, ganz Manhattan, die Niagarafälle, Jerusalem u.v.a mehr. Was aber in Pompeji stattfindet, übertrifft alle bereits gemachten negativen Erfahrungen in dieser Hinsicht. Pompeji zu besuchen kann nur gut durchtrainierten Menschen empfohlen werden. Dieser in einer Zeitkapsel eingeschlossene Ort, der uns das so typische antike römische Leben zeigen soll, erweist sich eher als Ganztagstrainingsplatz für Mehrkämpfer. Ernsthafter Rat: Schwerbehinderte sollten Pompeji in jedem Fall meiden, denn es gibt keine Barrierefreiheit. Es ist völlig unverständlich, wie die im Schnitt wesentlich kleineren Menschen der antiken römischen Welt in Städten leben konnten, wo die Höhe der Bordsteine beständig über 30 cm liegt und die sehr wohl gepflasterten Straßen dennoch erhebliche Unebenheiten aufweisen, die man erklettern muss. Respekt, wer einst diese Wege mit den römischen Biga, Triga oder Quadriga befahren hat (Zwei- Drei- oder Vierspanner). Natürlich ist es beeindruckend einen Einblick in eine solche Zeitkapsel nehmen zu  können. Man muss allerdings in Frage stellen, ob es den Preis der Anstrengung wert ist. Was für Venedig gilt, sollte auch in Pompeji praktiziert werden, die Einführung einer Touristenmaut.

Von Pompeji ging es wieder zurück in die Toskana, jetzt zu der schon oben angesprochenen Hochzeit. Als Patenonkel der Braut hatte der Autor hier eine besondere Verpflichtung. Doch ist diese Angelegenheit so privat, dass sie kein Gegenstand dieses Blogs sein kann. Nur soviel sei gesagt, die Hochzeit fand irgendwo zwischen Pienza und Montepulciano statt und der Ort und das Wetter boten die Traumkulisse schlechthin. 

Mailand -Das kalte Geschäftszentrum Italiens-

Nach den Hochzeitsfeierlichkeiten machten wir uns auf den Rückweg und der führte uns zu unserer letzten italienischen Station Mailand. Nachdem wir nun viele verschiedene Orte und Regionen in Italien kennen gelernt hatten, erschien uns die lombardische Hauptstadt dann eher doch wie ein erster Wink auf die Länder nördlich der Alpen. Als wirklich schön kann man diese große Geschäftsstadt nun wirklich nicht bezeichnen. Mailand ist weder charmant und schon gar nicht bezaubernd, beide Attribute kann man aber inzwischen ohne weiteres der Stadt Frankfurt zuerkennen. Natürlich gibt es das ein oder andere Highlight, dennoch ist Mailand im Vergleich mit den anderen uns bekannten italienischen Städten die am wenigsten attraktive.

Umso leichter fiel uns anderntags der Abschied und für den Rückweg nahmen wir noch einmal die Route durch den Gotthardtunnel und das Licht am nördlichen Ausgang des Tunnels war, und das nicht nur jahreszeitbedingt, wieder etwas trüber geworden. Ein letztes Zwischenziel lag noch vor uns, Zürich. Der Weg führte uns auch am Luganer See und Lugano vorbei, der uns so viel attraktiver erschien als der Lago Maggiore. Zürich, welches dem Autor schon seit Kindertagen bestens vertraut ist, bietet jedem Geschmack etwas, aber man muss heutzutage bereit sein, auch dafür zu bezahlen. Wir machten das Beste draus, schlenderten ein wenig durch die Stadt, bezogen unser Quartier mitten in der Altstadt und gingen zum ersten mal seit fast drei Wochen wieder richtig gut Essen.

Was bleibt nach soviel Italien? Wenn wir unsere etwas älteren Erfahrungen in Rom mit einbeziehen, Folgendes: Ganz Italien ist ein einziges Museum und bewohnt von einer Bevölkerung, die ihren historischen Reichtum im Grunde genommen nicht bereit ist mit ihren ausländischen Gästen zu teilen. Doch der Tourismus ist für Italien ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftsfaktor und so bietet man den Fremden zwar das ein oder andere Sehenswerte an, träumt aber in Wirklichkeit davon, lieber so ganz unter sich sein zu dürfen. Diese Einstellung spürt man an jeder Ecke und zu jeder Zeit. Das ist bedauerlich. Als kulturinteressierter Tourist nimmt man diese ablehnende Haltung notgedrungen in Kauf. Anders als in vielen Ländern Asiens, Amerikas und natürlich Europas fühlt man sich aber nie wirklich willkommen.


Der Titel "Südlich der Alpen" ist eine Referenz an die gleichnamige Musik von Ernst Fischer


Bilderreihe:

Blick über den Lago Maggiore auf Locarno
Blick über den Lago Maggiore auf Locarno
Quelle: Thomas Seidel 


Como: Piazza Alessandro Volta mit Hotel Albergo Firenze
Quelle: Thomas Seidel

Venedig: San Marco
Quelle: Thomas Seidel

Venedig: San Marco Kathedrale
Quelle: Thomas Seidel

Venedig: Rialto Brücke
Quelle: Thomas Seidel

Venedig: Canale Grande
Quelle: Thomas Seidel

Venedig :Markusplatz
Quelle: Thomas Seidel

Florenz: Centro Storico
Quelle: Thomas Seidel

Florenz: Piazza Signora mit Neptun
Quelle: Thomas Seidel

Florenz: eine typische florentinische Haustür
mit massiven Messingbeschlägen
Quelle: Thomas Seidel

Pisa: der Schiefe Turm
Quelle: Thomas Seidel

Siena: Piazza del Duomo
Quelle: Thomas Seidel

Siena: ein verstecktes Restaurant,
das man nur entdeckt,
wenn man bereit ist,
durch Türen und Tore zu gehen
Quelle: Thomas Seidel

Siena: das Rathaus
Quelle: Thomas Seidel

Pompeji
Quelle: Thomas Seidel

Mailand: der Dom
Quelle: Thomas Seidel

Mailand: die andere Kollekte am Dom
Quelle: Thomas Seidel

Quellnachweis: Topbild Florenz Überblick, Quelle: Rosalina Altamera

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