VI. Nippon Ginko – The Bank of Japan -Vollstrecker des Finanzministeriums in Geldsachen- von Thomas Seidel
Historische Ausgangslage
Wer sich in Japan nach modernen Strukturen und
Institutionen, zumindest nach den Vorstellungen der westlichen Welt, umsieht,
muss sich immer über die Bedeutung des Jahres 1854 für das Land klar sein. Es
war das Jahr indem eine vierschiffige amerikanische Kriegsflotte unter Führung
des Admirals Matthew Perry widerstandslos in den Hafen von Edo, dem heutigen
Tokyo, einlaufen konnte.
Edo, das heutige Tokyo um 1840 (Quelle: wikipedia)
Der amtierende US-Präsident Millard Fillmore forderte die
Regierung der herrschenden Tokugawa Familie auf, in den Handel mit den USA
einzutreten. So endete eine über zweihundertfünfzigjährige Herrschaft des
lokalen Kriegsadels und Japan wurde unter den Meiji-Kaisern in die Moderne
katapultiert. Keine moderne Institution Japans kann mithin früher als 1854
entstanden sein.
Millard Fillmore 13. Präsident der Vereinigten Staaten
(Quelle: wikipedia)
Das gilt auch für Nippon Ginko, wie die Bank of Japan
(BoJ) in der Landessprache „nihongo“ heißt. Da Japan viele westliche Strukturen
adaptierte, entstand, nach einigen schwierigen Vorläufen, mit dem Bank of Japan
Act am 10. Oktober 1882 gleich eine Zentralbank mit direktem
Notenausgabeprivileg. Gewachsene historische Strukturen wie man sie aus Europa
kennt waren hierbei nicht zu beachten.
Bank of Japan Hauptverwaltung in Tokyo
(Quelle: wikipedia)
Die Bank of Japan ist eine juristische Person. Die
Kapitalausstattung liegt zu 55 Prozent bei der japanischen Regierung und zu 45
Prozent im Privatsektor. Nominal beträgt das Kapital der Bank of Japan 100
Millionen Yen. Das sind nach aktuellem Umrechnungswert zwar „nur“ etwa 735.000
Euro. Im Laufe der Jahre haben Reserven aber das Kapital auf über 2,741
Billionen Yen, also etwa 19,860 Milliarden Euro anwachsen lassen, so jedenfalls
zum Ende Fiskaljahrs 2013. Zunächst durfte die BoJ nur inlandsbezogene Aufgaben
wahrnehmen. Für den Aussenwirtschaftsverkehr war bis zum 1. Mai 1942 „Tokyo
Ginko“ die Bank of Tokyo zuständig.
Zusammenspiel mit der Regierung
Obwohl Amerika und Europa in vielerlei Hinsicht Vorbilder
für das moderne Japan geliefert haben, wäre es gleichwohl völlig falsch, sich
das gesellschaftliche und politische Leben in Japan ähnlich etwa dem
europäischen Alltag vorzustellen. Das hat auch immense Auswirkungen auf die Bank
of Japan. Die Aktionen der Bank of Japan werden stets eng mit den Vertretern
der jeweils amtierenden Regierung abgestimmt. Das lässt sich am entsprechenden
Zentralbankgesetz ablesen. Da heißt es beispielsweise im Artikel 3.1, die
Autonomie der BoJ in Sachen Währungs- und Geldpolitik würde respektiert. Aber
gleich im darauf folgenden Artikel 4 schränkt das Gesetz diese Autonomie wieder
stark ein. Denn die BoJ müsse bei ihren Entscheidungen die allgemeine
Wirtschaftspolitik der Regierung berücksichtigen und sich stets eng mit der
Regierung ins Benehmen setzen. Abgesehen davon kann die BoJ nicht einmal
interne organisatorische Entscheidungen oder Beschlüsse über ihr Eigenkapital
ohne Zustimmung der Regierung fällen.
Gesteuert wird die BoJ vom mächtigen Finanzministerium,
das in Japan eine herausragende Bedeutung für die Lenkung der gesamten
nationalen Wirtschaft hat. Man muss wissen, das in Japan eine, für den Westen
seltsame, Gemengelage von Regierung, staatlichen Institutionen wie der BoJ und
großen Konzernen existiert, die zumindest in Sachen Wirtschaft und Finanzen
unter der Führung des Finanzministeriums eine strikte nationale
Interessenpolitik formuliert und durchsetzt.
Strukturen der BoJ
Das spiegelt sich auch in den Strukturen der BoJ wider.
Sie ist sehr zentralistisch organisiert und hat im Lande neben der Zentrale
noch 32 so genannte Filialen. Aber alle Entscheidungsträger sitzen
ausschließlich in der Tokoyter Zentrale, so dass man die Filialen getrost als
lokale technische Abwicklungsstellen bezeichnen kann. Geführt wird die BoJ von
einem so genannten Lenkungsrat (Policy Board nach Artikel 14 und 15 der BoJ Act).
Dieser besteht aus neun Personen, die für eine Periode von fünf Jahren vom
Kabinett mit Zustimmung beider Parlamentskammern ernannt werden. Der Kreis
dieser Personen bestimmt aus seiner Mitte den Gouverneur und zwei
Stellvertreter. Der Gouverneur ist also eher ein Sprecher, ein primus inter
pares, als ein Richtliniengeber eigenständiger Geld- und Währungspolitik. Das
Board entscheidet unter anderem vor allem über die Höhe der Zentralbank-Diskontrate,
Lombard-Kreditkonditionen, Mindestreserven und Maßnahmen zur
Finanzmarktkontrolle. Ausdrücklich ist es der BoJ in den Artikeln 37 und 38 des
BoJ-Act erlaubt, im Falle einer Liquiditätskrise von Finanzinstitutionen diesen
auch ungesicherte Darlehen zur Überwindung ihrer Situation zu geben. Der
BoJ-Act lässt in Artikel 19 ausdrücklich die Teilnahme eines Vertreters der
japanischen Regierung an den Sitzungen des Board zu. Diesem Regierungsvertreter
ist es ausdrücklich erlaubt Meinungen und Ansichten zu äußern und darf sogar
Vorschläge in Sachen Geldpolitik einbringen (Artikel 19.2 BoJ-Act) worüber das
Board dann auch abzustimmen verpflichtet ist. Seit März 2013 ist Haruhiko
Kuroda Gouverneur der Bank of Japan.
Haruhiko Kuroda derzeitiger Gouverneur der Bank of Japan
(Quelle: wikipedia Akira Kouchiyama)
Aufgaben der Bank of Japan
Das Gesetz definiert klar die Aufgaben der BoJ und dazu
zählt nicht die Aufsicht über das nationale Finanzwesen, welches die Financial
Services Agency hat, eine Behörde eines eigens dafür existierenden
Ministeriums. Natürlich ist einer der Hauptaufgaben der BoJ die Notenausgabe.
Aber bereits bei dieser Aufgabe muss sich die Zentralbank im Rahmen einer durch
das Finanzministerium festgelegten Obergrenze bewegen. Des Weiteren ist die BoJ
die Bank der Banken Japans, ganz im Sinne des Lenders of Last Resort, also des
letzten möglichen nationalen Geldgebers. Das geht einher mit der Aufgabe
Schuldverschreibungen und insbesondere Wechsel privater und öffentlicher
Emittenten anzukaufen bzw. damit zu handeln und so Liquidität für die
Wirtschaft zu schaffen. Gerade die Finanzierung mit Wechseln hat in Japan im
Vergleich zu anderen OECD-Ländern eine noch sehr herausragende Bedeutung.
Darüber hinaus gibt die japanische Zentralbank der Regierung wie
selbstverständlich Kredite und, man ahnt es schon, die Grenzen der
Kreditvergabe werden nicht vom Lenkungsrat der BoJ bestimmt. Als Instrumente
für ihr Handeln stehen der BoJ die Bestimmung eines Diskontsatzes zur
Verfügung, der vor allem Bedeutung für die Liquiditätsbeschaffung der Banken im
Land hat. Weiter betreibt die BoJ Offenmarktpolitik, wo die hier bereits
erwähnte Stärke im Wechselgeschäfte wichtig ist. Auch bestimmt die BoJ die
Sätze der Mindestreserve. Dessen Bedeutung hat in Japan, wie auch in anderen
Ländern die diesen geldpolitischen Steuerungsmechanismus kennen, in den letzten
Jahren aber graduell eher abgenommen.
Eine wesentliche Aufgabe der BoJ ist auch die
Sicherstellung von Geldflüssen zu und von der Regierung. Das funktioniert in
beide Richtungen. Nicht nur bei der Steuererhebung. Beispielsweise sorgt die
BoJ auch für eine reibungslose Auszahlung etwa von monatlichen
Pensionszahlungen.
Schließlich spricht die BoJ Empfehlungen zum Wachstum des
Kreditvolumens aus so genannte „madoguchi shido“. Das lässt sich aber nicht
direkt mit den Geldmengenkorridoren etwa des amerikanischen Federal Reserve
System oder der Europäischen Zentralbank vergleichen. Man muss die madoguchi
shido vielmehr als ein Signal verstehen, wo sich der nationale wirtschaftliche
Zug hinbewegen soll. Neben diesen Aufgaben gehört auch das Melde- und
Berichtswesen sowie die Erstellung der japanischen Zahlungsbilanzstatistik
dazu. Fast schon am Rande führt die BoJ wenn nötig auch
Devisenmarktinterventionen durch und hat für die Sicherung der Geldwertstabilität
zu sorgen.
Mount Washington Hotel in Bretton Woods
(Quelle: wikipedia)
In den Zeiten des Weltwährungssystem von Bretton-Woods mit
seinen stabilen Wechselkursen war die Arbeit der BoJ mehr von Verwaltung als
von Gestaltung geprägt, wie in allen anderen Ländern dieses Systems auch.
Nachdem Bretton-Woods 1973 von Präsident Richard Nixon aufgekündigt war, nahm
die japanische Regierung starken Einfluss auf die Entscheidungen der
Zentralbank. Die allgemeine Wirtschaftspolitik führte zu hohen Inflationsraten,
in der Spitze bis zu 23 Prozent.
Später, in den 1990er Jahren, wurde Japan Opfer einer selbst
gebastelten Immobilienkrise, von der sich das Land im Prinzip bis heute nicht
erholt hat und seitdem in andauernder Depression dahin dümpelt. Es wurden
unzählige Versuche unternommen mit Kreditmitteln die nationale Wirtschaft
dauerhaft in Schwung zu bringen, ohne jeden durchschlagenden Erfolg. Heute
gehört Japan zu einem der am höchsten verschuldeten Länder der Welt, allerdings
mit einem gewichtigen Unterschied. Es gibt kaum nennenswerte Auslandsschulden.
Vielmehr hat sich die Regierung bei ihren eigenen Landsleuten verschuldet und
das für eine sehr lange Zeit. So bleibt die anhaltende japanische
Wirtschaftsmisere in erster Linie eine nationale Angelegenheit, während
Produktion und Export weiterhin recht gut funktionieren und nach wie vor
reichliche Devisenreserven in die Kassen des Landes spülen. Doch der Bank of
Japan fehlt die tatsächliche Stärke Geld- und Kreditpolitik wirklich unabhängig
von der Regierung zu betreiben und dem tagespolitischen Geschehen damit
langfristige Maßstäbe zu setzen.
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