Auf der verzweifelten Suche nach einem verloren gegangenem Schrecken von Thomas Seidel

Schon seit Jahrhunderten tobt von Zeit zu Zeit eine wirtschaftliche Seuche, die man gemeinhin als Inflation (Geldentwertung) bezeichnet. Bekannt ist das Phänomen schon aus den Zeiten des römischen Reichs, es traf im 18. Jahrhundert zweimal Frankreich und im 19. Jahrhundert während des Bürgerkriegs auch die USA. Besonders im kollektiven Gedächtnis der Deutschen hängen geblieben ist allerdings, als Folge der Kriegsentschädigungszahlungen (Reparationen) an die Siegermächte des für Deutschland verloren gegangenen Ersten Weltkriegs, die Hyperinflation insbesondere zu Anfang der 1920er Jahre. Mit monatlichen Geldentwertungsraten von in der Spitze bis zu 32.400 Prozent, das entspricht einer Vervierfachung der Preise in einer Woche, kam es zu aberwitzigen Banknoten im Nennwert von Millionen, Milliarden, ja sogar in einem Fall von 100 Billionen Mark.

100 Billionen Mark Geldschein (Quelle: wikipedia)

Nicht nur die kriegsbedingt hohen Auslandsschulden bedrückten die Kaufkraft der alten Reichsmark. Wegen der hohen Inflation gingen auch die steuerlichen Staatseinnahmen zurück. Auftretende Budgetdefizite versuchte die Deutsche Reichsregierung u.a. mit immer mehr unverzinslichen Schatzanweisungen und immer höheren Zentralbankkrediten zu decken. Die dadurch sich rasch vergrößernde Geldmenge beschleunigte die Inflation aber zusätzlich.

Reichsbank Berlin Jägerstraße um 1900 (Quelle: wikipedia)

Die Lehren, die man aus diesen Erfahrungen aber erst nach dem Ende des 2. Weltkriegs zog, manifestierten sich im Wesentlichen im gesetzlichen Auftrag an die Deutsche Bundesbank. Deren höchste Aufgabe wurde die Sicherstellung der Kaufkraftstabilität der neuen Deutschen Mark. Weil die alte Reichsbank zwar de jure aber nicht de facto von den Weisungen der Reichsregierung unabhängig war, sicherte das Bundesbankgesetz von 1957 dem Zentralbankrat als oberstes Entscheidungsgremium der Bundesbank, tatsächliche völlige Unabhängigkeit in Sachen Geldpolitik von den Weisungen einer Regierung zu.

Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht um 1925 
(Quelle: wikipedia)

Es ist im Laufe der Nachkriegszeit Übung der Zentralbanken geworden, zur Definition der Geldwertstabilität ein Inflationsziel vorzugeben. Das war auch immer wieder mal nötig. Sah doch Deutschland insbesondere Anfang der 1970er Jahre Inflationsraten in der Spitze bis zu 7,1 Prozent 1973, bis zu 6,3 Prozent 1981 und 5,1 Prozent 1992. Zitterten die Deutschen bereits vor solchen Werten, sah das in anderen europäischen Ländern allerdings ganz anders aus. So hatte man beispielsweise in Großbritannien zwischen 1970 und 1981 sehr hohe und oft zweistellige Inflationsraten, mit einem Höchstwert von 25,2 Prozent in 1975. Ähnlich in Frankreich, das um 1973 herum eine Inflationsrate von bis zu 15 Prozent erduldete. Im gleichen Zeitraum wurde auch Italien geplagt, mit Inflationsraten um die 25 Prozent. Nie wieder solch eine hohe Inflation, ist das erklärte Ziel auch der Europäischen Zentralbank. Sie definiert Geldwertstabilität mit einem Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent ( "close to, but below 2 Prozent", wie Mario Draghi es immer gerne auszudrücken beliebt).

EZB Präsident Marion Draghi
(Quelle: EZB)

Nun ist im Nachklang der Finanz- und Eurokrise aber eine Konstellation entstanden, wie man sie in den Volkswirtschaften der westlichen Welt so vorher noch nicht erlebt hat. Das Schreckgespenst von einst, die Inflation, ist nahezu abhanden gekommen. Wer jedoch denkt es sei an der Zeit etwa einen historischen Sieg über ein wirtschaftliches Erzübel zu feiern, muss sich eines besseren belehren lassen. Im Gegenteil, nichts wird aktuell mehr herbei gesehnt als eine solide Inflation, ja die Fachleute sind geradezu auf einer verzweifelten Suche danach. Wie kommt es zu einer solch dramatischen Änderung im Umgang mit jenem einstmals so gefürchteten Schrecken?

50 Millionen Mark Notgeld
(Quelle: wikipedia unter GNU-Lizenz)

In der reinen Lehre gibt es verschiedene Erklärungsmodelle, wodurch eine Inflation verursacht wird. Man kann sich einerseits vorstellen, dass etwa eine Nachfrage nach Gütern dermaßen schnell steigt, dass die Produktion nicht mehr nachkommt und folglich die Preise schnell angehoben werden. Man spricht dann von einer Nachfragesoginflation. Anderseits könnte man aber annehmen, dass die Produktionskosten wie Löhne, Rohstoffe, Energie oder Kapitalzinsen schnell ansteigen. Fachlich spricht man dann von einer Angebotsdruckinflation. In jedem Fall bleiben inflationäre Tendenzen aber nur dann langfristig bestehen, wenn es dabei zu einer erheblichen Ausweitung der Geldmenge kommt. Es gibt deswegen auch ein drittes Erklärungsmodell, welches unter bestimmten Umständen vor allem eine erweiterte Geldmenge als Inflationsursache sieht. Die Rede ist dabei von den "Monetären Inflationstheorien". Man kann sich die Inflation aber auch als Differenz zwischen der Dynamik der Wirtschaftsgüter-Entwicklung und der Dynamik der Geldmengen-Entwicklung vorstellen. Da Wirtschaftsgüter durch Millionen von Wirtschaftsteilnehmern geschaffen werden, lässt sich deren Menge allerdings nur sehr schwer steuern. Die Kontrolle über die Dynamik der Geldmenge liegt in einer Volkswirtschaft heutzutage nur in einer Hand, der der Zentralbank. Zentralbanken verfügen über sehr geeignete Instrumente, um Geldmengen kurzfristig und effektiv zu regulieren. Daher sind die Zentralbanken für die Steuerung der Inflation verantwortlich.

Europäische Zentralbank
(Quelle: EZB)

Im Laufe der so genannten Eurokrise sind bisher unerreicht hohe Mengen Geldes künstlich in die Eurolandschaft  gepumpt worden. Dieses staatlich garantierte Zentralbankgeld sollte vor allem einer drohenden Liquiditätskrise bei den europäischen Banken vorbeugen.  Es ging dabei vor allem um eine Vertrauenskrise. Der mittlerweile berühmte Satz von Mario Draghi, man werde alles Machbare tun, um die Stabilität des Euro zu retten, beendete denn auch schlagartig alle Spekulationsversuche die gegen den Euro gerichtet waren.

Entwicklung des deutschen Bruttoinlandsprodukts der letzten 10 Jahre
(Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden)

Das von der Politik so gerne verwendete Zauberwort zur Beendigung des wirtschaftlichen Elends heißt "Wirtschaftswachstum". Nur damit, so glaubt man, lassen sich die vielen parallelen Probleme der Wirtschaft und der Länder nach und nach beseitigen. Neben der ohnehin schon exorbitant hohen Staatsverschuldung fast aller Länder in der westlichen Welt, drücken in einigen Staaten enorm hohe Arbeitslosenzahlen so sehr auf die sozialen Systeme der betroffenen Länder, dass ein Großteil der Bevölkerung in die Armut abgleitet, was nicht ohne politische Erschütterungen vonstatten geht. Da erscheint es fast wie ein kleiner Trost, dass aktuell einige Preise sogar deutlich sinken. Dazu gehört der Ölpreis aber auch eine Reihe von Lebensmittelpreisen sind gefallen. Schon schwadronieren die ein oder anderen Sachverständigen von einem anderen Gespenst am Horizont, einer möglichen Deflation und wirtschaftlichen Degression, etwa wie in Japan, das sich in einer Degressionsfalle befindet, wo die realen Löhne und Preise schon seit rund zwanzig Jahren nicht mehr gestiegen sind.

Statistik Erdgas- und Heizölpreise
(Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden)

Nun hat die Europäische Zentralbank jüngst ein neues Geldpumpprogramm verkündet und will bis zum Herbst 2016 noch einmal zusätzlich über eine Billion Euro in den europäischen Wirtschaftsraum pumpen. Vordergründig soll damit die Wirtschaft endlich auf Touren kommen, sodass dann alsbald erneut wieder eine Inflation im Rahmen des gesetzten Ziels von knapp unter zwei Prozent entstünde. Die Sehnsucht mit der dieses Szenario herbei geredet wird, hat in der Tat schon etwas Verzweifeltes an sich. Bislang, so scheint es, kommt zumindest die europäische Wirtschaft aber nicht in Schwung. Reicht also das viele Geld am Ende gar nicht allein?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker
(Quelle: wikipedia)

Wirtschaftswachstum, so die Wissenschaft, hänge vor allem von Investitionen der Unternehmer und des Staates, sowie dem Konsum der privaten Haushalte ab. An diese Weisheit hält sich zur Zeit die Europäische Kommission unter Jean-Claude Junker, indem sie versucht ein Investitonsprogramm von rund 315 Milliarden Euro zu initiieren. Doch es lohnt sich die einzelnen Trägerelemente des gewünschten Wirtschaftswachstums näher zu untersuchen.

  • Investitionen des Staates:
    Abgesehen von wenigen, aber im Einzelnen europäisch  gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Ausnahmen, wie etwa dem Land Luxemburg, sind fast alle Länder der EU in ihren Möglichkeiten staatlicher Investitionen nahezu handlungsunfähig. Der Grund dafür liegt vor allem in der hohen Schuldenlast, deren Zinskosten in manchen Ländern weitaus höher ist als etwa der Rüstungsetat. Da bleibt dann kein Geld mehr für die Pflege, geschweige denn den Ausbau etwa von Verkehrswegen, der Modernisierung der Energieversorgung und vieler anderer Dinge mehr, die als staatliche Infrastrukturmodernisierung dringend für die Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit von Nöten wären. Schlimmer als das, die langfristigen staatlichen Investitionen werden nicht nur vollkommen vernachlässigt, sondern sogar noch beschnitten, allen voran die Qualität der Ausbildung, die ist das Kernstück der europäischen Wettbewerbsfähigkeit schlechthin.
    Dass ein überschuldeter Staat handlungsunfähig ist, wusste schon der Nationalökonom David Ricardo Anfang des 19. Jahrhunderts zu berichten. Er erlebte die Überschuldung Englands durch die Aufwände bei der Bekämpfung des immer kriegslüsternen Franzosen Napoleon. Freilich lassen sich die heutigen Staatsschulden nicht mehr durch letztlich erfolgreiche Kriegszüge begleichen, wo der militärische Sieger dem Besiegten exorbitant hohe Zahlungen für Kriegswiedergutmachungen (Reparationen) aufzwingen kann.

    David Ricardo englischer Nationalökonom 1772-1823
    (Quelle: wikipedia)

    Mit Geldmitteln allein werden die Regierungen der europäischen Länder also nicht wesentlich in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen können. Die Staaten müssen ihre Schulden abbauen. Entstanden sind jene astronomischen Defizite vor allem aus den politischen Wohlstandsversprechen der Zeit zwischen 1970 und der Jahrtausendwende. Da wurden gerne zu Wahlgewinnungszwecken den Bürgern Leistungen versprochen, die zum Teil weit über der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Länder lagen. Mitschuld daran hat auch die EU, die jedem neuen Mitgliedstaat mit allerlei Standardwohltaten lockte, ob das ein oder andere Projekt dann dort in die Landschaft passte oder nicht. So wurde jedes neue EU-Mitglied etwa standardmäßig mit neuen Infrastrukturen ausgestattet, die es zum Teil weder brauchen noch angemessen unterhalten kann, aber auf den Kosten sitzen bleibt. Das gilt umso mehr für deren Zutritt zu den Märkten. Niemand hat je gezählt, wie viele kleine und mittelständische Unternehmen in den neuen EU-Ländern der systematischen Erstickung durch die EU-Bürokratie zum Opfer gefallen sind.


  • Investitionen der Unternehmen:
    Anders als gemeinhin immer gerne gedacht, sind Unternehmen keine abstrakt handelnden Personen, wenngleich viele in der rechtlichen Form einer juristischen Person auftreten. Vielmehr stecken hinter jedem und in jedem Unternehmen tatsächlich lebendige Menschen, die genauso wie jede andere Privatperson Vertrauen in die Entwicklung der Zukunft benötigen, bevor sie wirkungsvolle Investitionen unternehmen, klar ausgedrückt: Geld ausgeben wollen, aber es nicht verplempern. Ein solches Vertrauen setzt für Unternehmer eine gewisse Berechenbarkeit in die zumindest mittelfristige Gültigkeit verschiedener Rahmenbedingungen voraus. Dazu gehört sicherlich die Zuversicht in eine andauernde  Vermarktbarkeit der eigenen Produkte. Das wiederum rechnet sich nur bei einigermaßen stabilen Produktions- und Kapitalkosten.

    Zunehmend wichtig allerdings sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen ein Unternehmen tätig sein kann. Allen voran gehört dazu das Steuerrecht, aber auch Vertragsrecht, Markenrecht, Haftungsrecht, Verbraucherschutzrecht, ja sogar Sozialrecht, sowie vieles andere mehr und das Verhalten der gesamten staatlichen Verwaltung. Seit Jahrzehnten mittlerweile ist aber festzustellen, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für unternehmerisches Schaffen manchmal gar im Halbjahrestakt ändern. Auf jeden Fall spätestens dann, wenn es zu parteipolitischen Machtwechseln kommt. Dann wird Wirtschaftspolitik gerne auch mal durch die rein ideologische Brille betrieben. Französische Unternehmer können darüber, nach dem letzten Machtwechsel von einem konservativen zu einem sozialistischen Regime, sicherlich beredt Zeugnis ablegen. Die Rahmenbedingungen also, für Unternehmen in Europa kräftig zu investieren, schwinden.


  • Konsum der Privathaushalte:
    Eine Schattenseite der verschwundenen Inflation ist der Wegfall einer ordentlichen Verzinsung von Geldanlagen. Gerade in Volkswirtschaften mit einem relativ hohen Sparanteil der Bevölkerung, macht das reine Geldsparen zur Zeit eigentlichen keinen Sinn. Propagiert wird daher eine Erwartungshaltung, dass die Verbraucher, in diesen scheinbar so paradiesischen Finanzierungszeiten, ihren persönlichen Konsum für alles Mögliche ankurbeln und dabei gerne auch mal über die Stränge schlagen, immer nach dem Motto "Champagner für alle".

    Doch für dieses Ansinnen gibt es einen herben Rückschlag gleich aus mehreren Gründen:

    1. In keinem Moment der nun schon lange andauernden Niedrigzinsphase haben die Kreditinstitute den Verbrauchern gegenüber die Zinsen für Kredite in einem ähnlichen Umfang gesenkt, wie für sie die Refinanzierung deutlich billiger wurde. Noch immer müssen bis zu zweistellige Kredit- und Überziehungszinsen bezahlt werden. Es ist also nur die Verdienstspanne der Banken zwischen Kreditzinseinnahmen von Privatkunden und Refinanzierungskosten gestiegen. Die Banken kompensieren damit offensichtlich gerne den Wegfall anderer Einkommensquelle, insbesondere den früher so üppigen Handelsgewinnen.
    Allein im Bereich der Baufinanzierung sind in einigen Ländern Europas günstige Finanzierungssätze zu bekommen. Die gab es aber bereits lange vor der Niedrigzinsphase. Die Kreditkonditionen können also kein Anreiz für einen steigenden Konsum der Verbraucher sein.

    2. Viel mehr Menschen als es die offiziellen Arbeitslosenstatistiken anzeigen, befinden sich dauerhaft in prekären Einkommensverhältnissen. Für Deutschland gilt aktuell eine offizielle Arbeitslosenquote von 7 %, in der EU sind es 10,2 %. Daneben weisen die statistischen Behörden aber eine viel interessantere Zahl aus, die Armutsgefährdungsquote. Darunter versteht man Menschen, deren Einkommen kleiner als 60 % des mittleren Einkommens sind, das heißt in Zahlen weniger als 11.749 Euro im Jahr oder 979 Euro im Monat. Diese Armutsgefährdungsquote liegt in Deutschland zur Zeit bei 16,1 % und zwar nach der Unterstützung der betroffenen Personen durch staatliche Transferleistungen. Ohne solche Transferleistungen läge die Quote bei 24,4 %, das ist knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung. In der EU liegt die Armutsgefährdungsquote nach Transferleistungen ähnlich hoch bei 16,7 %. Dabei soll nicht vergessen werden, dass es sich bei dem Begriff Transferleistung um Mittel aus der Steuer und der  Sozialversicherung handelt. Gelder also, die so den steuer- und sozialversicherungspflichtigen Personen für ihre Investitionen nicht mehr zur Verfügung stehen.
    Niedrige Mindestlohneinkommen, die teilweise nicht einmal zum Bestreiten der monatlichen Lebenshaltungskosten ohne staatliche Unterstützung reichen; befristete Arbeitsverhältnisse in der Arbeitnehmer dauerhaft mit einem kurzfristigen Verlust ihres Arbeitseinkommens rechnen müssen; Arbeitnehmer die vorzeitig in einen Vorruhestand gelockt werden, dessen wahre Einkommenskonditionen sich erst nach einiger Zeit als zu niedrig für einen auskömmlichen Ruhestand erweisen; oder gar Rentner die bei immer weiter sinkenden Ruhebezügen auch auf staatliche Zusatzhilfe nur für das Nötigste des täglichen Lebens angewiesen sind. Dazu gesellen sich immer mehr junge und selbst scheinbar gut ausgebildete Menschen, die zunächst überhaupt keine Beschäftigung finden.
    Neben den, in einzelnen EU-Ländern, bis zu 25 Prozent hohen offiziellen Arbeitslosenquoten, gesellt sich ein immer größeres Millionenheer von Menschen, deren Einkommen zumindest auf Jahre hinaus, wenn nicht sogar für immer, jedenfalls für einen erweiterten Konsum, und damit für eine Ankurbelung des europäischen Wirtschaftswachstums, nicht mehr in Frage kommen.

Arbeitslosenquoten in der EU zum Jahresende 2014
(Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden)

Das Phänomen ist, entgegen der reinen Lehre kommt die europäische Wirtschaft trotz eines Tsunami von Bargeld nicht richtig in Schwung. Weder der Staat, noch die Unternehmer und schon gar nicht die Konsumenten können den in sie erwarteten Investitionsbeitrag leisten. Für keinen der Wirtschaftsteilnehmer sind die jeweiligen Rahmenbedingungen auch nur annähernd ausreichend richtig gesetzt.

Es ist also in Frage zu stellen, ob die bald im Umlauf befindlichen, aber nicht mehr vorstellbaren, Geldmengen, überhaupt noch einen Sinn machen, wenn die Ursachen für die Konjunkturmüdigkeit in Wahrheit ganz woanders liegen. Dazu kommt, die Nullzinsphase sorgt schon jetzt kurz- und mittelfristig für das immer schnellere Abschmelzen von Geldvermögen und kommt damit einer indirekten Enteignung gleich. Da wundert man sich, dass vor allem im klagefreudigen Deutschland noch keiner auf die Idee einer Verfassungsklage gegen die Europäische Zentralbank gekommen ist, weil ihre Nullzinspolitik möglicherweise gegen Art. 14 des Grundgesetzes hinsichtlich des Enteignungsverbots verstößt. Auf der langen Zeitschiene sorgt die Nullzinspolitik für weiterhin dauerhaft sinkende Altersbezüge und damit eines irreparablen Kaufkraftverlustes in der Zukunft. Bei einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung, ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftsfaktor.

Selbst wenn ein Wirtschaftswachstum wieder kräftig einsetzt, mit einem sprunghaften Inflationsanstieg ist dennoch nicht zu rechnen. Anders als in den 1920er Jahren haben die Zentralbanken heute ausgereifte Steuerungsinstrumente, um einer schnell steigenden Inflation wirkungsvoll entgegen zu wirken.

Das Kernproblem der Staaten ist und bleibt der Schuldenabbau. Das bedeutet vor allem, die Politik darf den Wählern nichts mehr versprechen, was sie aus ihren gesicherten Einnahmen nicht auch finanzieren kann. Für Unternehmen bedarf es einer langfristigen Rechtssicherheit. Die Menschen aber müssen in der Lage sein, durch ihre Arbeit ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Der moderne Schrecken ist nicht mehr länger eine ungezügelte Inflation, sondern die zunehmende Ungewissheit heute nicht mehr zu wissen, wie es morgen weiter gehen soll.

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