Die Gesellschaften brechen sich ihre eigenen Versprechen -Bericht von der „17. ECB and Its Watchers“ Konferenz- von Thomas Seidel
Gesellschaftshaus am Palmengarten in Frankfurt am Main Aussenansicht (Quelle: Thomas Seidel) |
Auch in diesem Jahr fand, diesmal im Gesellschaftshaus des
Frankfurter Palmengartens, eine EZB-Beobachterkonferenz statt. Kaum ein Gebäude
in Frankfurt hat einen so strengen Kontrast zwischen Aussen- und
Innenerscheinung seit vor einiger Zeit im Inneren die alte Pracht des
Vorkriegsbaus wieder hergestellt werden konnte. In drei hochkarätig besetzen
Gesprächsgruppen wurden die Möglichkeiten einer Zentralbankpolitik,
insbesondere natürlich der Europäischen Zentralbank, erörtert. So stand die
diesjährige Konferenz also ganz im Zeichen der außergewöhnlichen
Rahmenbedingungen, unter denen bei Zentralbanken zur Zeit Entscheidungen in
Geldmarktangelegenheiten getroffen werden müssen. Die Veranstaltung wurde in
drei große Themenbereiche gegliedert.
Gesellschaftshaus am Palmengarten teilweise Innenansicht (Quelle: Thomas Seidel) |
Mit welchen
Instrumenten das Inflationsziel erreicht werden soll
Als einer der anwesenden EZB-Direktoren führte der belgische
Chefvolkswirt Peter Praet aus, das allein schon die beschlossene Verlängerung
der Liquiditäts-programme eine Innovation sei. Erstaunlich findet Praet, dass
trotz aller Erleichterungen bei der Refinanzierung der Banken in Deutschland
beispielsweise die Kreditkosten für Privatkunden anziehen würden. Das ist
natürlich im Sinne der EZB kontra-produktiv. Große Sorgen bereitet Praet die
voraussichtlich lange Dauer des wirtschaftlichen Gesundungsprozesses. Da kann
es schon mal zweifelhaft sein, ob die EZB ihr Programm vor dem Hintergrund des
allgegenwärtigen Drucks so lange durchhalten wird. Für Praet sind viele der
durch die EZB eingeleiteten Maßnahmen nur das Ergebnis von Inkompetenz auf
Seiten der europäischen Politiker.
v.l.n.r. Peter Praet Volker Wieland Hyun Shin Charles Bean (Quelle: Thomas Seidel) |
Charles Bean von der London School of Economics machte
deutlich, dass es für die nahe Zukunft keine wesentlichen Änderungen bei den
finanziellen Rahmenbedingungen in Europa geben wird. Die Phase niedriger
Zinsraten würde also länger anhalten. Anders als die EZB hätte die Bank of
England ihre Zinssenkungen bei einem Zinsniveau von plus 0,5 Prozent gestoppt.
Die Sorge der Bank of England gilt der Profitabilität der lokalen Banken,
insbesondere der Hypothekenbanken. Bean sprach auch über noch exotischere
vorstellbare Instrumente der Zentralbanken, riet dann aber doch, dass bei
weiter schwacher Konjunktur zuerst fiskalische und strukturelle Schritte
unternommen werden sollten.
Hyun Shin von der in Basel angesiedelten Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich (BIZ) rät der Ökonomie, die Funktion der Banken als
Intermediär zwischen Geldgebern und Geldnehmern ernsthaft in Betracht zu
ziehen, was die Nationalökonomie traditionell so nicht tut. Komplexe Studien
der BIZ hätten einen direkten Zusammenhang zwischen einer guten
Eigenkapitalausstattung von Banken und deren reichlichen Kreditausleihungen
nachgewiesen.
In der sich anschließenden Diskussionsrunde werden zwei
Hinweise deutlich. Sofern sich Zentralbanken darauf einlassen mehr und mehr
problematische Anleihen aufzukaufen, würden sie sich entsprechend tiefer in die
Abhängigkeit von nationaler Fiskalpolitik begeben. Bezüglich des populär
diskutierten Helikoptergeldes würden die Leute gerne vergessen, dass das breit
aus dem Hubschrauber gestreute Geld, am Ende der Laufzeit vom gleichen
Hubschrauber wie ein Staubsauger wieder genauso schnell aufgesogen würde, wie
es vorher verteilt worden sei.
Zu Tisch im Gesellschaftshaus (Quelle: Thomas Seidel) |
Wechsel der
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
Der zweite anwesende EZB-Direktor Benoît Cœuré erklärte, die
EZB würde nicht durch eine Hintertür quasi eine Fiskalunion in Europa
einführen. Nationale Fiskalpolitik sollte vielmehr jede Chance in ihren Budgets
nutzen, die heimische Wirtschaft zu unterstützen. Im Übrigen sollten die
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union lieber erst mal das umsetzen, was
bereits im Stabilitätspakt vereinbart worden sei, anstatt immer über neue
Maßnahmen nachzudenken. Hier geht es eindeutig um die beiden großen
Verschuldungsgrenzen von 60 Prozent des Bruttosozialprodukts bei der
Gesamtverschuldung und von 3 Prozent bei der Neuverschuldung.
Der immer spitzfindig und provokant formulierende Martin
Hellwig vom Max Planck Institute of Research in Collective Goods dämpft
falschen Aktionismus in der EU. Er stellt klar, bei der Bankenunion gehe es um
etwas, das es bereits gäbe; während es bei der Kapitalunion um etwas ginge, das
noch gar nicht existiere. Darüber hinaus warnt Hellwig, die Zentralbanken
würden ihre Funktion als „lender of last resort“ verletzen, wenn sie zweifelhafte
Wertpapiere aufkaufen würden. In den Augen von Hellwig seien alle durch die EZB
in den letzten 18 Monaten getroffenen Maßnahmen nur auf Druck des Finanzsystem
zustande gekommen, obwohl offiziell die Rede davon sei, die eigenen ehern
Inflationsziele zu erreichen. Die Unabhängigkeit von Zentralbanken sei
wichtiger als eine Politik zur Erreichung fiskalpolitischer Effekte.
v.l.n.r. Benoit Couré Martin Hellwig Otmar Issing Hans-Helmut Kotz Chatherine Mann (Quelle: Thomas Seidel) |
Für Hans-Helmut Kotz vom Center of Financial Studies und der
Harvard University ist die Geldpolitik bereits jetzt durch die Fiskalpolitik
dominiert.
Einen in jeder Hinsicht bemerkenswerten Vortrag lieferte die
Amerikanerin Catherine Mann vom OECD ab. Ihr zufolge hängen schwache
Wirtschaften und schwacher Handel direkt mit schwächelnden Investitionen
zusammen. So würde die derzeitige Hinwendung Chinas zur eigenen
Binnenwirtschaft entsprechend den globalen Handel abflauen lassen. Die Wende in
der amerikanischen Zinspolitik beschreibt Mann so: Wenn es nur wenige sind, sei
Nullzinspolitik zu betreiben vielleicht schick, wenn es aber alle machen
würden, wäre es vielleicht wieder langweilig.
Änderungen an der
Geldpolitik wegen neuer Herausforderungen?
Die zentrale Frage dieser Runde war, soll man mit dem Wind
laufen - oder sich gegen den Wind stemmen? Anil Kashyap von der University of Chicago gibt
Einsichten in die amerikanische Denkweise. Sind Zentralbanken nur Technokraten,
oder nicht auch gleichzeitig „lender of last resort“ und Regulierer im Sinne
einer Bankenaufsicht und damit gleichzeitig Gestalter? Geldpolitik an sich sei
jedenfalls nicht geeignet Krisen zu handhaben. Beide großen amerikanische
Politparteien die Demokraten und die Republikaner hassen gleichermaßen das
eigene Zentralbanksystem. Das klingt nach der alten Klagerede von Präsident
Woodrow Wilson von 1913, der seinerzeit das vom Kongress gegen den Willen der
Administration erzwungene Zentralbankgesetz als den Untergang eines freien
Landes verurteilte.
v.l.n.r. Ignazio Visco Helmut Siekmann Giovanni Dell-Ariccia Anil Kashyap (Quelle: Thomas Seidel) |
Allgemein heißt es, es gäbe keine Instrumente mit denen sich
die Risiken einer wirtschaftlichen Instabilität messen lassen würden.
Gleichwohl sei die Geldpolitik durchaus immer noch effektiv. Sonst gäbe es in
Europa heute überhaupt kein Wachstum mehr. Die dauerhafte Verpflichtung zur
Preisstabilität diene auch der Glaubwürdigkeit der EZB. Niedrige Nominalzinsen
mögen die ein oder anderen Finanzinstitute derzeit belasten, sie seien jedoch
für das Wachstum und die Stabilität unabdingbar. Eine echte Deflation sei
wesentlich schwieriger zu bekämpfen als eine Inflation. Die Inflation in Europa
sei derzeit nicht nur wegen der schwächelnden Rohstoffpreise so niedrig, sie
spiegele auch die schwache Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit in Europa
wider.
Das ganze Dilemma in der die aktuelle Geldpolitik steckt,
machte niemand besser deutlich als Catherine Mann. Die Geldpolitik und die
Politik im Allgemeinen haben Versprechen gemacht. Den jungen Menschen das
Versprechen, einer Arbeit und einer beruflichen Entwicklung. Den alten Menschen
das Versprechen, eines angemessenen Ruhestandes. Den Investoren das
Versprechen, eine angemessene Rendite erwirtschaften zu können. Das Versprechen
an die Jugend sei bereits gebrochen, das Versprechen an die Alten wird gerade
gebrochen, so wie in vielen Ländern das Versprechen an die Investoren.
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