XXXI. Olympische Spiel 2016 -Die Spiele der Verlierer-


Rio de Janeiro Marina da Glória
Quelle: wikipedia CCL Urheber: Rodrigo Soldon

Die 31. Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro werden wohl als die Spiele der Verlierer in die Geschichte eingehen. Als die Austragung der 31. Olympischen Spiele im Jahr 2009 an die brasilianische Stadt Rio de Janeiro vergeben wurde, schien die Begeisterung grenzenlos. Erstmals sollte das traditionsreiche Sportereignis in einem lateinamerikanischen Land ausgetragen werden. Viele sahen das damals als eine Ehrung und Anerkennung für den gesamten Halbkontinent. Trotz weltweiter Finanzkrise gehörte gerade Brasilien zu den scheinbar wirtschaftlich aufstrebenden BRICS-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Wachstumsraten um die zehn Prozent wurden prognostiziert. Für Brasilien wurden goldene Zeiten vorausgesehen. Reiche Ölvorkommen vor der eigenen Küste im Atlantik, große Ressourcen an Menschen und Rohstoffen für eine diversifizierte Wirtschaft und die Hoffnung für Millionen Bürger einen Weg aus der ewigen Armut heraus zu finden. Fast sieben Jahre später haben sich diese Voraussetzungen nahezu alle zerschlagen. Erwürgt von einem korrupten Politsystem, steckt Brasilien in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die enormen Kosten für das nationale Prestigeprojekt Olympia haben besonders die ärmeren Bevölkerungsschichten dermaßen gegen diese Veranstaltung aufgebracht, dass zeitweise sogar die ganze Austragung der Olympischen Spiele auf der Kippe stand. Auch sonst hat sich Brasilien überraschenderweise nicht gerade als ein gastfreundschaftliches Land herausgestellt. Abgesehen von einer ständig hohen Straßenkriminalität erwies sich das brasilianische Publikum in den olympischen Austragungsorten als tückisch, unfair, fremdenfeindlich und äußerst unsportlich. Wurden die eigenen eher raren Athleten dermaßen frenetisch als Superhelden gefeiert, dass einem um die Statik mancher Sportstätte schon Angst und Bange werden konnte, hat man ausländische erfolgreiche Athleten teilweise so ausgebuht, verhöhnt, beleidigt und massenpsychologisch unter Druck gesetzt, dass auch bei Siegerehrungen keine Tränen der Freunde sondern eher der Angst und Enttäuschung geflossen sind. Dabei belegt Brasilien selbst mit seiner Medallienausbeute lediglich Rang dreizehn unter den Nationen.

Ryan Lochte 2013 in Vancouver B.C.
Quelle: wikipedia CCL Urheber: Ubcwwong
Doch was arrogantes Auftreten, schlechtes Benehmen und anmaßendes Herrschergetue angeht, stehen die US-Amerikaner der Brasilianern in nichts nach. Kulminiert hat sich diese Einstellung und dieses Verhalten in der Art und Weise, wie der amerikanische Goldmediallenschwimmer Ryan Lochte und seine amerikanischen Mannschaftskumpane sich bei einem Tankstellenvorfall verhielten. Zunächst hemmungslos Lügen verbreitend und die Gastgebergesellschaft pauschal als kriminell zu verurteilen, erdreistete sich dieser Musterschüler amerikanischer Athleten, natürlich nur vom sicheren Zuhause aus, auch noch für die selbst verursachten schlimmen Ereignisse unter anderem Sprachbarrieren verantwortlich zu machen. Das entspricht ganz dem amerikanischen Muster, wie selbst-verständlich zu erwarten, dass man allerorten die englischen Sprache spricht. Man sollte vielleicht wenigsten ein wenig die örtliche Landesprache lernen, wenn man dort etwas gewinnen will. Ein Gedanke auf dem im Land der doch sehr begrenzten Möglichkeiten sowieso niemand kommt.

Ganz zurecht als Verlierer sollte man auch das Internationale Olympische Komitee und darüber hinaus die meisten internationalen und nationalen Sportverbände betrachten. Gerade die Deutschen Sportverbände und insbesondere deren Funktionäre scheinen ein Paradebeispiel dafür zu sein, wie man sportliche Leistungen durch falsche Tradierung und überbordende Bürokratisierung systematisch be- und verhindert. Es ist längst an der Zeit all die alten und selbstgefälligen Möchtegern-Ex-Champions-Funktioäre ein für allemal in den Ruhestand zu verabschieden und dem Sport hierzulande jene Entwicklungschancen einzuräumen, wie man das in England in den zurückliegenden fünfzehn Jahren offensichtlich sehr erfolgreich vorgemacht hat.

Juan Antonio Samaranch 2007 in Osaka
Quelle: wikipedia CCL Urheber: Eckhard Pecher (Arcimboldo)
Nachdem ohnehin der Totengräber der altolympischen Idee des Amateur-wettkampfes Juan Antonio Samaranch seit den 1980er Jahren die Kommerzialisierung der Olympischen Spiele angestoßen hat, ist diese einstmals so ehrwürdige Einrichtung der Olympischen Spiele vollkommen in den Sumpf wirtschaftlicher Partikularinteressen versunken. Der Kampf um Werbeeinnahmen und die immer pokerhaftere Vergabe von Fernsehrechten hat inzwischen die ganze Organisation dermaßen ins Zwielicht gerückt, dass man fast schon darauf hofft, es würden sich endlich einmal diverse Staatsan-waltschaften mit diesen Machenschaften beschäftigen. Einen inneren Reinigungs-prozess darf man, ähnlich wie bei der FiFa, nicht mehr vom IOC erwarten. Bestärkt wurde dieser Eindruck durch das Verhalten bei der Frage der Zulassung russischer Sportler vor dem Hintergrund der dortigen Dopingpolitik. Auch die internationalen und nationalen Sportverbände bedürfen dringend weltweit der Reformation. Gerade bei Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen sollte es eigentlich nur um das Wohl der Athleten gehen. Doch wird es immer offensichtlicher, dass das Luxusgehabe der Funktionäre mit all seinen damit verbundenen Kosten heimlich im Vordergrund der ganzen olympischen Praxis steht.

Verlierer sind vor allem aber die Athleten selber, jedenfalls diejenigen, die für sich zurecht in Anspruch nehmen können, ihre Leistungen nicht mit unlauteren Mitteln erbracht zu haben. Es ist schmerzlich, Sportler einer ganzen Nation pauschal zu verurteilen und von Wettbewerben fast gänzlich ausschließen zu müssen. Es ist aber unbedingt notwendig, deutlich zu machen, dass Doping unter keinen Umständen geduldet werden darf. Wenn, wie offensichtlich im Fall von Russland, gleich ein ganzes staatliches System hinter dem systematischen Leistungsbetrug steckt, verkommen internationale Sportwettkämpfe nur noch zu Wettbewerben der nationalen chemisch-pharmazeutischen Industrien und haben mit persönlichen Kraftanstrengungen nichts mehr zu tun. Die politischen Verbalauseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Sperre russischer Athleten zeigen deutlich, dass man besonders beim Sport von den ohnehin nur ätzenden nationalen Zuordnungsbezügen wegkommen muss und allein die Leistung des einzelnen Athleten in den Mittelpunkt stellen sollte. Was im Bereich klassischer Musik als nationenübergreifendes und nationenverbindendes Element gut funktioniert, könnte genauso gut im Sport klappen. Dagegen stehen aber die ohnehin nur kritisierbaren nationalen Funktionäre und die im Hintergrund völlig überflüssigen nationalen Politiker. Der aus einer Not heraus geborene Versuch, eine nationenlose, nur den Athleten gegenüber verpflichtete, Olympiamannschaft aufzubauen und an den Start zu schicken, könnte der Nukleus einer revolutionären neuen Idee werden, Olympia künftig wahrhaftig dem Sport gewidmet zu veranstalten.

Die größte Menge an Verlierern sind allerdings das weltweite Publikum und die Milliarden von Fernsehzuschauern, die letztlich durch ihre direkte und indirekte Teilnahme das ganze Ereignis finanzieren. Was ihnen geboten wird, ist eine, nach den strengen Regeln nationalen Werbeindustrie-fernsehens oder völlig abgehobener öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten, reglementierte Show, in der die Athleten allzu oft anscheinend nur als sprechendes Mastvieh begafft und von Berichterstattern angetrieben werden. Schon in ihrer Formulierung unverschämte Fragen wie etwa: „...was war da los?“, wenn ein Sportler einmal nicht die zuvor verantwortungslos dahergeredete Leistungen erbracht hat, sind ein deutliches Zeichen arroganter Respektlosigkeit gegenüber jeglicher sportlicher Spitzenleistung. Sollen diese selbstgefälligen Sportreporter doch erst einmal selbst jene Leistungen erbracht haben, die sie so leichtfertig einschüchternd, den Wettkampfteilnehmern verbal abverlangen. Solcherart Missachtung wird auch noch dann weiterbetrieben, wenn einmal ein Sportler, der nicht zu den prognostizierten Favoriten zählte, überraschend erfolgreich war. Dann wird die Berichterstattung gerne mit Formulierungen eingeleitet wie: „... das kann doch nicht wahr sein...“ oder auch „...wie ist denn das jetzt passiert?“ Solche Fragen sind nicht mehr Ausdruck überraschter Freude. Sowohl in ihrer Formulierung und besonders in ihrem Ton klingen inzwischen nur noch Misstrauen und Missbilligung für das was geleistet wurde, immer nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ganz so als hätte der Reporter gerade eine heftige persönliche Wette bitter verloren. Seit Jahrzehnten aber widert die internationale Sportberichterstattung einen nur noch mit ihrer ständigen Forderung nach dem Höher, Schneller, Weiter an und dem Abtun jeder Leistung wenn sie nun mal nicht mehr mit einem neuen Rekord einhergeht. Es ist genau diese propagierte Geisteshaltung, die letztlich die Sportler vergiftet und zu illegalen Versuchen der Leistungssteigerung führt, weil inzwischen die Grenzen menschlich-körperlichen Leistungsvermögen eigentlich schon längst ausgefüllt sind.

Trotz aller berechtigten Freude der ehrbaren Sieger bei den Olympischen Spielen über ihre Leistungen und ihren Rum, so gab es in Rio nur gerade mal zwei Ereignisse die der ganzen Veranstaltung wenigsten noch einen restlichen Hauch von Menschlichkeit verliehen haben. Es waren die Bilder der beiden Läuferinnen Nikki Hamblin und Abbey D' Agostino, die im Wettkampf unglücklich übereinander stolperten und sich gegenseitig aufrappelten und halfen, um dann gemeinsam bis ins Ziel zu humpeln. Dieser Verzicht auf jegliche Platzierung zugunsten einer normalen menschlichen Geste des Mitgefühls sollte vorbildlich für alle künftigen Generationen olympischer Teilnehmer werden. Der andere große Moment war die Leistung der jungen Kimia Alisadeh Senurin. Sie nahm ihre Medaille sofort nicht nur für sich in Anspruch, sondern widmete sie beispielhaft all jenen, die in ihrer Heimat es soviel schwerer haben ihren Traum von der Verwirklichung ihrer Möglichkeiten in die Realität umzusetzen.

Hissen der Olympiaflagge 2016 in Rio
Quelle: wikipedia CCL Urheber: U.S.Army


Wichtiger als alle anderen Siege, wichtiger als alle Medaillenspiegel und viel wichtiger als alles nationale Propagandageschrei und die vielerlei unangebrachten Forderungen nach immer neuen Rekorden, sind diese beiden Gesten junger Frauen, die in herausragender Weise bewiesen haben, dass letztlich nur das Miteinander und Füreinander diese Welt lebenswerter machen.




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