Rom ist eine Hure -Ein Reisebericht- von Thomas Seidel


Über den Dächern von Rom
(Quelle: Thomas Seidel)

Um es gleich vorweg zu nehmen, Paris ist eleganter, London ist abwechslungsreicher, New York ist hektischer, Berlin ist großzügiger und Wien ist zivilisierter. Rom ist eine Zumutung. Schon in der Antike war Rom als Hauptstadt eines Weltreiches bekannt. Vor etwa zweitausend Jahren ist sie, aus einer republikanischen Verfassung heraus, zum Sitz eines Kaisers geworden. Von Unterbrechungen abgesehen, über tausendfünfhundert Jahre Residenz eines theokratischen Universalherrschers. Doch weder damals noch heute hat Rom irgend etwas von einer Residenz an sich. Rom das war immer und ist bis heute vor allem eine Krämerstadt. Unglaublich eng, unglaublich dreckig und unglaublich stickig. Vor allem morgens, wenn die Ausschweifungen der Nacht zu Ende gehen, fängt die Hure an zu stinken. All der Ausfluss dieser Stadt scheint seit ewigen Zeiten in den Tiber abgeleitet zu werden. Selten sieht man im Europa unserer Tage eine solche Kloake, so wie sich dieser strömungsstarke Fluss darbietet. Blickt man von einer erhöhten Stelle auf Rom, versteht man plötzlich den berühmten antiken Kaiser Nero, welcher angeblich die Stadt in Brand steckte. Man versteht, wieso sich Nero eine wirklich imperiale Stadt wünschte. Doch die Hure hat ihn überdauert und sich im Laufe der Jahrhunderte wieder zu dem gemacht was sie wohl immer war und heute noch ist.

Das Pantheon
(Quelle: Thomas Seidel)


Rom hat immer gelitten. Später durch das Christentum. Es ist schlicht traurig zu sehen, wie brutal diese orientalische Buchreligion, die in ihrer Entstehung so überhaupt nichts mit den herausragenden Errungenschaften des antiken Europa zu tun hatte, sich Rom für seine Zwecke geradezu vergewaltigt hat. Wie kommt zum Beispiel das Christentum dazu, einen antiken Prachtbau wie das Pantheon einfach in eine Kirche umzuwandeln? Was hat Päpste geritten, ihre Namen an der Fassade des Kolosseums zu verewigen? Erst das Zeitalter der Renaissance bringt ein Bewusstsein für das kulturelle Erbe der vorchristlichen Zeit wieder. In diesem Sinne sind die heutige Petersbasilika und viele andere Gebäude entstanden. An dem fahrlässigen Umgang mit der Stadt an sich hat das aber nichts geändert. Es ist ja nicht so, als ob das Christentum sich an anderen Orten respektvoller verhalten hätte. In Rom aber fällt es auf, weil die Stätten der heidnischen Antike, des Christentums und der Moderne so nahe beieinander liegen.

Direkt neben dem Forum Romanum und der Trajanssäule hingeklotzt:
Ein Denkmal des Königshauses Savoyen
(Quelle: Thomas Seidel)

Neben der katholischen Kirche musste die Stadt noch unter den Anmassungen zur Selbstdarstellung des sehr kurzlebigen Hauses Savoyen als italienische Könige leiden. Dieses Tu-Nichtgut-Adelsgeschlecht, das insgesamt keine neunzig Jahre über ein historisch zutiefst republikanisches Land regierte, hat sich auf ebenso brutale Weise seine Denkmäler gesetzt. So wurde unter anderem das schon erwähnte Pantheon ein zweites Mal geschändet, jetzt als Grablege jener italienischen Könige. Es verwundert nicht, dass die Königslinie Savoyen sich selbst überflüssig machte, indem sie dem faschistischen Großkotz Benito Mussolini schalten und walten ließ. Das Volk von Rom und Italien hat dem savoyischen Treiben denn auch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein Ende gemacht. Die baulichen Schandtaten freilich, sind geblieben.

Forum Romanum (Teilansicht)
(Quelle: Thomas Seidel)

Wenn man durch Rom geht und sich sowohl an den antiken Überresten, als auch an Bauten aus der Renaissance oder Barockzeit und sogar noch dem 19. Jahrhundert satt sieht, fällt auf, dass die meisten Gebäude aus immer den gleichen kleinen flachen Ziegelsteinen errichtet worden sind. Es ist nicht schwer diese Beobachtung zu machen, bröckelt doch allerorten der Putz von den Wänden. Unwillkürlich fragt man sich, woher kam über die Jahrtausende das Material für die Milliarden Ziegelsteine? Jedenfalls wissen wir, was mit dem Brennstoff geschah. Italien hat seine Wälder abgeholzt und so die Natur des Landes ruiniert. Ganz so wie Spanien, Frankreich und England. Rom ist auf dem Prinzip eines Raubbaus an der Natur errichtet worden.

Der Tiber als Großkloake
(Quelle: Thomas Seidel)

Diese Räuberei hält bis heute an. Jetzt werden vorzugsweise die Touristen ausgeplündert. Offensichtlich investiert die Stadt Rom selbst in nichts. In der Fläche rund 1,4 mal so groß wie Berlin, aber besiedelt mit nur 82 Prozent von Berlins Bevölkerung, bietet Rom gerade mal zweieinhalb U-Bahn-Linien, die A, A1 und B. An einer dritten C-Linie wird gerade gebaut. Allerdings hat es die Stadt Rom geschafft, die Benutzung der U-Bahn effektiver und unkomplizierter zu ermöglichen, als dies je in einer deutschen Stadt möglich wäre. Es ist keine gute Idee, von jedem Tourist pro Tag 6 €uro Taxe zu verlangen. Zumindest von denjenigen, die auf legale und offizielle Weise in Rom zu Gast sind. Geboten wird für dieses horrende Geld allerdings nichts. Auch ansonsten sind Eintrittpreise extrem hoch, es ist aber nicht erkennbar, dass an irgendeiner Stelle dieses Geld dem Erhalt der Sehenswürdigkeit auch zugute kommt. Das ist übrigens in England auch nicht anders. Was mit den Einnahmen passiert, bleibt im Dunkeln des Inneren der Gebäude, ob öffentlich oder privat. Tageslicht fällt in der Tat in die allerwenigsten Häuser. Der normale Zustand eines Fensters ist der, mit geschlossenen Fensterläden. Das mag im Sommer zur Hitzeabwehr vernünftig sein. Es hat aber wohl auch auf die Seele der Menschen durchgeschlagen.

Das Hotel Excelsior an der Via Veneto
(Quelle: Thomas Seidel)

Der unverschämteste aller Räuber ist allerdings der Vatikan selbst. Was beim Besuch des Petersdoms nicht eingenommen werden kann, verdient man sich dumm und dusselig in den Vatikanischen Museen. Heute hat so ziemlich jedes Museum einen Shop, aber im Vatikan leistet man es sich, in den Galerien selbst kleine Zweigstellen davon eingerichtet zu haben. Die Wege durch die Museen, inklusive der Sixtinischen Kapelle, erinnern eher an ein IKEA-Möbelhaus, wo die Kunden so geleitet werden, dass sie in jedem Fall an jedem Nippes vorbei müssen. Eine solche Verkaufstaktik sollte dem Vatikan als unwürdig erscheinen, zumal man im Petersdom an jeder Ecke von irgendwelchen Tugendwächtern ständig angepfiffen wird, was das für ein (schein)heiliger Ort sei und wie man sich dort zu benehmen hätte.

Vatikanstadt im Dauerregen
(Quelle: Thomas Seidel)

Rom, wie eigentlich ganz Italien, steht allgemein hin für eine gewisse Eleganz und Gelassenheit. Das kann man auch so sagen. Kaum eine der öffentlichen Uhren zeigt die richtige Zeit an, wenn überhaupt eine. Das wäre in Deutschland schon gleich ein Reichsverbrechen! Der Straßenverkehr ist ein Geben und Nehmen. Man ist umsichtig und rücksichtsvoll miteinander. Verkehrsteilnehmer nutzen ihre Chance, gleich ob Fußgänger, Zweiradfahrer, motorisiert oder nicht, Autofahrer oder was auch immer. Schlafmützen im Verkehr werden wach gehupt. Eine generelle Rücksichtnahme gibt es allerdings nur für die Bambini. Die Kinder scheinen durch eine Art kollektiven Schutzengel bewahrt zu werden.

Einkaufsgalerie an der Via Corso
(Quelle: Thomas Seidel)

Das Zentrum der Eleganz findet man rund um die Spanische Treppe. Jedenfalls wenn man davon absieht, dass man auch hier überall durch den Dreck waten muss. Von dort geht es die Via die Condotti zur Via Corso hinab. Dort und in Parallelstraßen trifft man auf alle Geschäfte die das Herz begehrt, und die das Geld verehrt. Höhepunkt aber ist das Café Greco. Kein Ort in dem man besseren süßen und anderen Gaumenschmaus genießen kann. Achtung Österreich, sogar der Apfelstrudel schmeckt hier besser! Die Atmosphäre des über 200 Jahre alten Hauses ist distinguiert und so ist auch das Personal. Man wird noch von Kellnern im Frack bedient, die eine Haltung haben, als würden sie auf dem Wiener Opernball debütieren. Überhaupt hebt sich die umsichtige Fokussierung der meisten Servicekräfte im Restaurant- und Gaststättengewerbe angenehm von den unverschämten Gebräuchen in Deutschland ab. Immer schaut man, ob der Gast etwas benötigt oder wünscht. Es gibt noch eine Art von vorauseilendem Dienst, nach der Devise: Der Gast sollte gar nicht erst fragen müssen. Ein anderes erstaunliches Phänomen sind die vielen Geschäfte, die nichts anderes anbieten, als sehr gut verarbeitete Lederhandschuhe in jeder Größe, Länge, Farbe und Art, zu recht erschwinglichen Preisen. Das zeigt eine Nachfrage nach einem Stil an, der andernorts schon längst nicht mehr existiert.

Kellner im Frack im Café Greco
(Quelle: Thomas Seidel)

Was also ist es, dass es uns immer wieder zu der Hure Rom hinzieht? Einige wenige Gläubige mögen sagen, dass sie in das Zentrum des Katholizismus pilgern. Andere werden behaupten, man müsse die ewige Stadt doch auch einmal gesehen haben. Daneben gibt es natürlich auch den ein oder anderen Geschäftlemacher. Doch das ist es alles nicht. Die Hure Rom benebelt alle unsere Sinne. Sie gibt den Menschen eine Erfahrung zurück, die sie vielleicht schon verloren haben. Die Menschen stellen fest, dass sie gleichzeitig sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken können. Nur hier in Rom konnte ein Film handeln wie Habitación en Roma . Rom ist ewig. Ewig laut, ewig dreckig, ewig gierig, ewig fordernd. Doch die Stadt gibt seinen Besuchern auch etwas, dass anderen Städten so nicht gelingt. Ein seltsames Gefühl ein lebendiger Mensch zu sein.

Das Kolosseum, niemand weiß was mit den Eintrittsgebühren passiert.
(Quelle: Thomas Seidel)
Die Trajanssäule, der Kaiser würde sich im Grab rumdrehen
(Quelle: Thomas Seidel)

Forum Romanum, die antiken Gebäude wurden auch als Steinbruch verwendet
(Quelle: Thomas Seidel)

Trevibrunnen, Großzügigkeit inmitten der städtischen Enge
(Quelle: Thomas Seidel)




Das touristische Volk um den Trevibrunnen
(Quelle: Thomas Seidel)


Ein Rundgang im Pantheon
(Quelle: Thomas Seidel)

Die Thermen des Kaisers Diocletian
(Quelle: Thomas Seidel)
Ein Enttäuschung: Villa Borghese
(Quelle: Thomas Seidel)
Blick von der Spanischen Treppe hinab auf die Via dei Condotti
(Quelle: Thomas Seidel)
Im Petersdom
(Quelle: Thomas Seidel)
Deckenausschnitt einer Galerie des Vatikanischen Museums. Die Gebäude
selbst sind bereits Kunstwerke
(Quelle: Thomas Seidel)
Kaiser Augustus im Vatikanischen Museum
(Quelle: Thomas Seidel)
Der Tod des Trojanischen Priesters Laookon uns seiner beiden Söhne
Die bei weitem wichtigste Skulptur im Vatikanischen Museum
(Quelle: Thomas Seidel)
Auch die Kunstschätze im Vatikan sind von überall her geräubert
(Quelle: Thomas Seidel)
Touristische Warteschlange vor dem Vatikanmuseum
(Quelle: Thomas Seidel)
Besinnlichster Ort kultivierter Muse: Café Greco
(Quelle: Thomas Seidel)


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