Tirol erscheint renovierungsbedürftig -Ein Reisebericht aus Innsbruck/Igls- von Thomas Seidel
Das Goldene Dach. Ein Wahrzeichen der Stadt Innsbruck (Quelle: Thomas Seidel) |
Wenn es dem Hause Habsburg erlaubt
wäre, in einem Land wieder eine Herrschaft ausüben zu dürfen, sie
würden sich wohl Tirol aussuchen und die Tiroler wären es
wahrscheinlich zufrieden. Damit würde Innsbruck wieder zu dem
werden, was es Jahrhunderte lang war, eine kaiserlich-österreichische
Residenzstadt. Das jedenfalls meint man zu spüren, wenn man durch
die Geschichte dieses Ortes geführt wird. Seit der Antike
strategisch wichtig gelegen, eine befestigte Brück am immer
strömungsstarken Inn, kontrolliert man von dort den Zugang zum
wichtigen alpinen Brennerpass und damit den Verkehr von und nach
Italien. Doch davon später.
Der leere Kenotaph des Kaisers Maximilian I. (Quelle: Thomas Seidel) |
Das Kaiserliche jedenfalls zog mit
Maximilian I. im 15. Jahrhundert nach Innsbruck ein. Ihm verdankt die
Stadt eine bedeutende Schlossanlage und eines der eindrucksvollsten
Grabgelege in den nördlichen Alpen. Der, allerdings leere, Kenotaph
des Kaisers ist umringt von 40 überlebensgroßen Bronzefiguren. Sie
stellen Persönlichkeiten und habsburgische Familienmitglieder dar,
die dem Kaiser wichtig waren. Selbst eine Legende wie der sagenhafte
englische König Arthur sind darunter. Unwillkürlich muss man auch
an das Schachspiel aus dem ersten Buch über den Zauberer Harry
Potter (Harry Potter und der Stein des Weisen) denken. Später wurde
Innsbruck noch einmal für die habsburgische Kaiserin Maria-Theresia
ein wichtiger Ort. Ihr hat die Innsbrucker Hofburg ihre barocke
Gestalt zu verdanken.
Teil der Bronzefiguren. Harry Potter läßt grüßen. (Quelle: Thomas Seidel) |
Heutzutage sehr viel bekannter dürfte
Innsbruck aber als Wintersportstätte sein. Immerhin wurden dort 1964
und 1976 bereits zweimal Olympische Winterspiele ausgetragen.
Alljährlich ist Innsbruck auch einer der Austragungsorte der
Vierschanzentournee. So überragt die Bergiselschanze des, im Süden
der Stadt gelegenen, Sportzentrums alle anderen Gebäude in der
Stadt. Im Fernsehen schaut es dann immer so aus, als würden die
Skispringer von der Schanze direkt in das Zentrum der Stadt fliegen.
Zwischen diesen beiden Höhepunkten der
Stadt liegt aber sehr viel im Argen. Auffällig in österreichischen
Großstädten wie Salzburg, Bregenz, Linz, Wien und eben hier in
Innsbruck ist ein starker architektonischer Kontrast zwischen vielen
erhaltenen Bauten alter glanzvoller Epochen und einer bisweilen
brutal experimentellen Moderne. Das findet man aber auch in vielen
kleinen Orten Österreichs, selbst dort wo sich diese Moderne nicht
in die idyllische Landschaft ein schmiegt, sondern ihr geradezu
aggressiv gegenüber steht.
Der Patscherkofl ist der mächtige Hausberg von Innsbruck (Quelle: Thomas Seidel) |
Das aber ist es nicht allein.
Offensichtlich fehlt es an privaten und öffentlichen Investoren, die
bereit sind, die vorhandene Bausubstanz zu pflegen und zu erhalten.
So bröckelt und blättert es von den Fassaden und in den Gebäuden
allenthalben überall. Wenn es aber zu Neubauten kommt, sind sie
dermaßen unpassend und hässlich im Stadtbild, dass man sich fragt,
wer solches politisch zugelassen hat. Beispiele für diesen
architektonischen Vandalismus sind etwa das Ramadahotel oder das
Tyrol-Einkaufszentrum an der herausgehobenen Maria-Theresien-Straße.
Das es auch anders geht, zeigt der Rathausbau. Im Hof des Gebäudes
wurde geschickt eine freundliche Passage mit vielen Geschäften für
Fußgänger eingefügt. Das macht den reinen Verwaltungsbau gleich
lebendig und bürgernah, ohne sein eigentliches Erscheinungsbild
deswegen radikal abzuändern.
Die mittelalterliche Altstadt mit ihren Arkaden- gängen lädt noch zum Verweilen ein (Quelle: Thomas Seidel) |
Touristisch wirklich interessant ist
leider nur die mittelalterliche Altstadt und das Gebiet um die
kaiserliche Residenz, die Hofburg. Es haben sich noch zum Teil die
alten Arkadengänge erhalten. Dort findet man vielleicht das ein oder
andere individuelle inhabergeführte Geschäft. Aber auch vor
Innsbruck macht die Durchseuchung solcher schönen Ecken mit
Kettengeschäften oder gar Fast-Food-Restaurants nicht halt.
Mangelhafte städtische Bausatzungen lassen der Gier nach immer
höheren Geschäftsmieten freien Lauf. Ein Elend, welches alle
europäischen Innenstädte mehr und mehr veröden lässt.
Während Innsbruck etwa 570 Meter über
dem Meeresspiegel liegt, muss man zu seinem Stadtteil Igls rund 300
Meter höher hinauf in die Berge fahren. Die Fahrer und Fahrerinnen
der städtischen Buslinie „J“ machen das so schnell und souverän,
als würden sie in den engen Gassen von Monaco ein Formel 1 - Rennen
fahren. Als ungeübter Tourist befürchtet man allerdings mehr als
einmal, der Bus könnte in der nächsten Kurve umkippen. Werktäglich
fahren die Busse im Zehnminutentakt in die Innenstadt von Innsbruck
und halten an allen wichtigen Stationen. Eine bequeme aber nicht
immer angenehme Art zwischen Innsbruck und Igls hin und her zu
pendeln. Obwohl Igls rund zweieinhalbtausend Einwohner haben soll,
bekommt man von denen so gut wie nichts zu sehen.
Ortszentrum von Igls (Quelle: Thomas Seidel) |
Beherrscht wird Igls vom Hotelgewerbe.
Eine Herberge ist neben der anderen. Diese Verdichtung hat mit dem
Hausberg von Innsbruck zu tun, dem 2246 Meter hohen Patscherkofl. Wer
immer auf diesen Berg zwecks Wintersport, Wanderung, oder Wildnis
will, kommt an Igls nicht vorbei. Mag sich das Anfangs vor allem auf
die Wintersportsaison konzentriert haben, bietet Igls heute
ganzjährig allerlei Erholung. Die Einwohner von Igls preisen zurecht
die immer frische und bessere Luft oben in Igls, als unten in
Innsbruck an. Da der Patscherkofl bei den Olympischen Spielen
Austragungsort für die Skiabfahrten und die Bob- und
Rodelwettbewerbe war, gibt es eine entsprechend gut ausgebaute
wintersportliche Infrastruktur. Doch kann man weitaus mehr
unternehmen.
Die Nordkette vor Innsbruck bietet auch am Golfplatz ein eindrucksvolles Panorama (Quelle: Thomas Seidel) |
Die Bergterrasse, auf der Igls liegt
und die dort eine Art Hochebene bildet, lädt sehr schön zum Wandern
ein. Der Lanser See bietet sich im Sommer als Badesee an, mit gut
ausgebauter Infrastruktur. Nicht weit davon entfernt, eine kleine
Golfanlage, mit einem herrlichen Panorama auf die sogenannte
Nordkette und selbstredend den Patscherkofl. Zu einer
Freizeitbeschäftigung lädt Igls allerdings nicht ein, dem Shopping.
Neben Hotels in klassischer Alphüttenbausweise, fallen in dem
kleinen Ort aber auch sehr moderne Bauten auf, bis hin zu krassesten
Beton-Stahl-Konstruktionen, die so überhaupt nicht in die Landschaft
passen. Es handelt sich vor allem um Privathäuser. Gut tut das dem
Auge nicht, wenn man einigermaßen ein Gefühl für harmonisierende
Landschaften hat.
Tirol ist ein zerrissenes Land. Um den
Italienern nach dem Ersten Weltkrieg die Kontrolle über den
südlichen Teil des Brennerpass zu ermöglichen, hatten die
alliierten Siegermächte Großbritannien, Frankreich und Russland
schon 1915 die Teilung Tirols und die Annektierung von dessen Südteil
durch Italien zugesagt. Doch schlimmer noch für die Südtiroler, die
Diktatoren Mussolini und Hitler einigten sich auf den Verbleib
Südtirols in Italien. Daraufhin wanderten 86 Prozent der deutsch-
und ladinischsprachigen Bevölkerung aus Südtirol ab. Inzwischen
sind dies- und jenseits des Brenner zwei sehr verschiedene Tiroler
Welten entstanden. Beide Tirol sind stark vom Tourismusgeschäft
abhängig. Die Menschen auf beiden Seiten des Brenner geben ihr
Bestes dem gerecht zu werden. Doch scheint es, nicht nur die Sonne
auf der Südseite der Alpen begünstigt die Lebensqualität dort
etwas mehr als den Norden. Für Innsbruck und seine Umgebung wünscht
man sich jedenfalls mehr österreichische Aufmerksamkeit und
gelungene Investitionen. Die Natur und die Kultur bieten eine Menge
für die Besucher. Es müsste allerdings mit diesen Schätzen
wesentlich sorgsamer umgegangen werden!
Wehe dem, der sich an Tirol vergreifen will! Inschrift aus der Hofkapelle mit dem Maximilliansgrab in der auch das Grabgelege des Tiroler Nationalhelden Andreas Hofer liegt. (Quelle: Thomas Seidel) |
Verschiedene Eindrücke aus Innsbruck und Umgebung:
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