In einem heißen Herbst durch die Neuenglandstaaten -Ein Reisebericht- von Thomas Seidel

Die Hauptbibliothek in Harvard Universität, Cambridge Massachusetts
(Quelle: Thomas Seidel)


Für diesen Herbst hatten wir uns eine Reise durch die nördlichen New-England-Staaten der USA vorgenommen, unter anderem auch, um endlich einmal einen Indian-Summer zu erleben. Diesem Plan hat aber der nicht endend wollende Sommer des Jahres 2018 ein dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Während dieser Reisebericht entsteht, ist es immer noch hochsommerlich warm. Da die Blätter der Laubbäume ihre Farbe erst beim Unterschreiten einer bestimmten Temperatur beginnen zu verändern, war von Herbst im September weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen begrüßten uns die Wälder und Landschaften der Appalachen-Länder überall in sattem Grün.

In dieser Septemberzeit muss man keine Vorausbuchungen bei Hotels vornehmen. Gleich ob man entlang von Highways oder Interstate-Autobahnen unterwegs ist, immer wieder tauchen Hinweisschilder für „Lodging“ auf. Das sind oft mehrere Hotels entlang des Weges, wo man meist günstig eine Übernachtungsgelegenheit findet. Die amerikanischen Vorstellungen von einem Frühstück sind für Europäer allerdings gewöhnungsbedürftig. Dünner Kaffee, Tee aus dem Staubbeutel, schlaffes Toastbrot, Flakes und Jam in allen möglichen künstlichen Ausprägungen und garantiert geschmacklos, sowie meist kalte Eier gehören zum Standardprogramm dieser Hotels. Alternativen sind aber auch schwer zu finden.


Pittsburgh in Pennsylvania. Die ehemalige Stahlkocherstadt hat ihre
Krise einigermaßen überwunden
(Quelle: Thomas Seidel)
Überhaupt ist das Essen im Nordosten Amerikas noch sehr amerikanisch. Während Amerikaner ernsthaft glauben, dass man sich an zu viel Salz vergiften könnte, saufen sie hemmungslos stark chloriertes Leitungswasser, dass mehr stinkt als in einem Freibad. Wir sind von früheren Touren durch südlichere Bundesstaaten bereits eine wesentlich mehr europäisierte Ausrichtung der Küchen gewöhnt. In den nördlichen Gründerstaaten ist von alldem aber noch nicht viel angekommen. Natürlich hat man in schicken oder hippen Restaurants bessere Chancen den Gaumen zu verwöhnen. Auf unserer zweiwöchigen Tour hatten wir aber nur insgesamt zweimal das Glück ein geschmacklich befriedigendes Essen genießen zu können.

Die verbindende Klammer der Reise sollte die Suche nach dem frühen Amerika der ersten Besiedlungswellen und der jungen Vereinigten Staaten sein, sofern die abrisswütigen Amerikaner überhaupt noch irgendetwas davon übrig gelassen haben.

Museum of Art in Cleveland Ohio. Eintritt frei!
(Quelle: Thomas Seidel)
Der Startpunkt war Pittsburgh in Pennsylvania und von dort wendeten wir und zunächst westlich nach Ohio zu. Cleveland am Eriesee, eine Stadt mit größerem deutschstämmigen als britischem Bevölkerungsanteilen, aber einer absoluten Afroamerikanischen Mehrheit, kann als eine der sehr raren kulturellen Perlen in Amerika bezeichnet werden. Nicht nur, dass dort, neben Boston, New York, Philadelphia und Chicago eines der wenigen klassischen Symphonieorchester (Big Five) seinen Stammsitz hat. Es gibt auch eines der nicht minder raren Museen klassischer Kunst für alle Epochen. Das Haus ist eine sehr gelungene Melange zwischen einem klassizistischen Altbau und einem modernen Neubau, bestückt mit sehr sehenswerten Objekten.

Am Ende des Eriesees plumpst das Wasser des Niagaraflusses bekanntlich 57 Meter einen Wasserfall hinab, um auf die gleiche geologische Höhe wie der Ontariosee zu kommen. Dieses Naturschauspiel ist immer sehenswert. Wer hier allerdings Naturromantik wie bei den wesentlich größeren Wasserfällen in Iguazú an der argentinisch brasilianischen Grenze oder dem Sturz des Sambesiflusses in die Victoriafälle in Afrika sucht, wird herb enttäuscht. 

Die Niagarafälle sind immer ein schönes Naturschauspiel, nicht aber ihre
unmittelbare Umgebung
(Quelle: Thomas Seidel)
Das ganze Grenzgebiet zwischen Kanada und den USA, die Grenze verläuft mitten durch die Wasserfälle, ist baulich vollkommen versaut. Während die Kanadier auf ihrer Seite eine ganze Batterie von potthässlichen Hotel- und Kasinobauten dahin geklotzt haben, ist der Niagarafall auf der amerikanischen Seite eingebettet in ein, allerdings längst verrottendes, Industriegebiet der Stadt Buffalo im Bundesstaat New York. Und für alles was man da macht, wird man richtig abgezockt, angefangen bei 20 Dollar Parkgebühren.

Danach kehrte sich unsere Reiserichtung um. Wir fuhren durch ganz Pennsylvania von West nach Ost quer über die Appalachen. Man wird sehr an deutsche Mittelgebirgsgegenden erinnert, mit reichlich viel Wäldern. Der Bundesstaat Pennsylvania ist überraschend groß, so dauerte es einen ganzen Tag, nach Philadelphia zu gelangen. Mutig sei die Stadt genannt, die dem Kapitalismus widerstand. 

Hier spielte sich die Entstehung des USA ab, hier tagte der frühe Kongress
(Quelle: Thomas Seidel)
Die ganze Geschichte der Entstehung  der USA, Unabhängigkeitserklärung, Verfassungsversammlung, für 10 Jahre erster Sitz des Kongresses, spielte sich auf einem Areal von etwa zwei Häuserblocks ab. Erst vor wenigen Jahren entschied die Stadt endgültig, diese Flächen nicht irgendwelchen Immobilienentwicklern freizugeben und so die Denkmäler für die amerikanische Bundesstaatenbildung zu erhalten. So gewinnt man einen Einblick in die allerersten Anfänge der USA und die Bescheidenheit mit der dort alles begann.

Das stark industrialisierte New Jersey und die schon mehrmals besuchte Stadt New York haben wir diesmal einfach hinter uns gelassen. Das nächste Ziel war Connecticut. In New Haven findet sich eine der Elite-Universitäten von Amerika Yale. Man fühlt sich ein bisschen an Cambridge in England erinnert. Jedenfalls wirkt das Universitätsviertel altehrwürdig, großzügig aber auch sehr snobistisch. Auffällig ist die große Anzahl asiatischer Studenten auf den Straßen. Hier könnte Donald Trump lernen, wieso es langfristig mit dem weißen protestantischen Amerika bergab geht.

Die Eliteuniversität Yale in New Haven, Connecticut
(Quelle: Thomas Seidel)
Doch Connecticut birgt noch einen ganz anderen, sehr amerikanischen Schatz. In Hartford befindet sich das Haus von Samuel Clemens, der Welt besser bekannt als Mark Twain. Wer kann, vergleicht natürlich dieses Haus mit dem des schottischen Schriftstellers Sir Walter Scott und findet sofort den bemerkenswerten Hauptunterschied. Während Scotts Haus im Grunde eine Privatbibliothek ist, findet man im Hause Clemens kaum mehr Bücher als bei einem durchschnittlichen gebildeten Amerikaner. Doch waren für den Schotten die Quelle seiner Geschichten seine Bücher. Clemens alias Mark Twain hatte als Quellmaterial seiner Geschichten vor allem sein verkorkstes Leben.

Das Privathaus von Samuel Clemens, alias Mark Twain
(Quelle: Thomas Seidel)

Zwischen den Bundesstaaten Connecticut und Massachusetts ist der kleinste Bundesstaat der USA quasi eingeklemmt Rhode Island. Kaum größer als das Saarland, handelt es sich um einen erkennbar armen Bundesstaat. Eine der Attraktionen ist die Hauptstadt Providence selbst. Dort sind die meisten Häuser seit Beginn des frühen 19. Jahrhunderts erhalten geblieben. Das gibt uns einen anschaulichen Eindruck davon, wie amerikanische Städte heute aussehen würden, hätte die hemmungslose Profitgier des Landes nicht immer wieder alles Alte zerstört. Eine solche Umgebung gibt den Menschen ganz selbstverständlich ein anderes Lebensgefühl.

Innenstadt von Providence Rhode Island. Die Arkaden sind bereits
1820 errichtet worden
(Quelle: Thomas Seidel)


Womit fängt man in Massachusetts an? Natürlich mit Plymouth, wo 1620 die berühmten Pilgrim Fathers mit ihrem Schiff der Mayflower anlandeten. Das Örtchen ist teilweise ein Freilichtmuseum, teilweise ein einziger Touristennepp, aber es gehört zu den wenigen Plätzen amerikanischer Geschichte, zu denen selbst viele Amerikaner pilgern. Etwas verstörend wirkte dabei allerdings, dass auf einem direkt am Hafen gelegenen Grundstück das platteste aller deutschen Volksfeste zelebriert wurde, ein Oktoberfest. Nicht nur mit Bratwurst und Bier, sondern auch noch mit Humptata, Tuba und, man glaubt es nicht, original deutschem Gesang. Die Wiese war rappelvoll.

Der Stein soll die Landestelle der Mayflower markieren.
Das nett aussehende Bed & Breakfast kostet pro Nacht ab 270 Dollar
(Quelle: Thomas Seidel)
Es gibt aber noch viele andere Geheimnisse in Massachusetts, Orte wie beispielsweise Salem. Vielleicht macht man sich etwas zu plakative Vorstellungen von einem Ort, an dem wirklich grausame Geschehnisse stattfanden, aber bitte in Köln gab es viele schlimmere Hexenjagden und man schaue sich die Stadt heute an. Das Salem von heute kommt sehr britisch daher. Es wirkt wie ein wohlfeiler Provinzort für reichere Leute, mit eben ein bisschen historischem Touch. Die Hexengeschichten verkaufen sich gut. Das einzig authentisch übrig gebliebene ist ein Friedhof, mit sehr alten Bäumen und tatsächlich noch Grabsteinen aus dem 17. Jahrhundert. Jedoch solange man auch über diese Stätte wandelt, es mag sich einfach keine Witchcraft einstellen.


Salem in Massachsetts. Sehr britisch! Trotz aller Beschwörungen auf dem
Alten Friedhof aus dem 17. Jahrhundert will sich keine Zauberkraft einstellen
(Quelle: Thomas Seidel)

Die Stadt Boston hat viele Highlights, aber am hellsten leuchten die Sterne von Cambridge. Die Universität Harvard und das weltberühmte MIT (Massachusetts Institute of Technologie) befinden sich nämlich in dem Boston unmittelbar gegenüberliegenden Ort mit dem gleichen Namen wie die bereits erwähnte berühmte britische Universitätsstadt. Tatsächlich erinnert Harvard wiederum mehr an das britische Oxford. Wie dem auch sei, es handelt sich um einen sehr lebendigen Ort, an dem die Mehrheit der jungen Leute zu Fuß unterwegs ist, was man für das restliche Amerika nicht so ohne weiteres annehmen kann. Natürlich ist das Universitätsgelände für sich schon ein Reise wert. Aber auch ein wenig schlendern durch den Ort und so manches schöne Buchgeschäft zu entdecken lohnt sich. Doch wie in Yale gilt auch hier, die größte sichtbare Gruppe von Studenten kommt aus Asien.

Harvard-University. Eine der ältesten und heute reichsten
Privatschulen der USA
(Quelle: Thomas Seidel)
Von Boston ist es nicht mehr weit bis in den nördlichen Bundesstaat Maine. Auf dem Weg dorthin durchquert man einen kleinen Streifen, der zu New Hampshire gehört. Man sollte sich vor Augen führen, erst Maine liegt geographisch auf ähnlichen Breitengraden wie Deutschland. Der Bundesstaat ist groß, dünn besiedelt und sehr bewaldet. Hier wollten wir den wirklichen Indian-Summer erleben, aber wie bereits Eingangs gesagt, wurde daraus nichts. Wir kamen bis nach Portland und dort erfährt man etwas über die einstige Bedeutung von Main für die internationale Linienschifffahrt. Portland war der erste Hafen auf amerikanischem Festland, den Schiffe aus Europa kommend erreichten, die kürzeste Verbindung über den Atlantik. Heute legen große Kreuzfahrtschiffe an und halten den Hafen so lebendig.
Weiter ist Maine für eine Delikatesse bekannt, die man in der Saison allenthalben nahezu an jeder Ecke bekommt: den Hummer. Das in Amerika unter der Bezeichnung Lobster bekannte Schalentier, scheint sich in den kalten Gewässern vor Maine prächtig zu vermehren und kann wegen der kurzen Wege zwischen Fang und Küche sehr frisch serviert werden. Einen Ausflug nach Maine empfiehlt sich mit einem Speisegenuss zu verbinden.

Portland in Maine. Der nördliche Bundesstaat belohnt mit angenehmen
Klima und einer örtlichen Delikatesse
(Quelle: Thomas Seidel)
Die Tour durch neun nordöstliche US-Bundesstaaten hat aber auch deutlich massive strukturelle Schwächen von Amerika aufgezeigt. Hinter den allermeisten Fassaden bröckelt es gewaltig. Die Infrastrukturen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, viel mehr erneuerungsbedürftig als in Deutschland. Gerade hier, wo ab dem 17. Jahrhundert die Besiedlung aus Europa begann, wo sich später die Union herausbildete und konstituierte und das Amerika geschaffen wurde, welches wir so seit dem 20. Jahrhundert als Weltmacht kennen, geben sich die Umwälzungen des gewaltigen gesellschaftlichen Wandels am deutlichsten zu erkennen. Die weiße protestantische, im Kern liberale, Mehrheit schwindet endgültig. Das Land wird von Süden kommend lateinisiert und katholiziert. Damit wird ein neuer Wertekodex den bisherigen nach und nach ablösen. Noch versucht sich die alte Mehrheit gegen diese Entwicklung zu stemmen. Das ist es, was die derzeitige politische Konstellation widerspiegelt. Aber ebenso wie die vor dem Brexit stehenden Briten gilt für Amerika, die „guten alten Zeiten“ sie werden so nie wieder kommen.

Das in allen Details selbst ausgearbeitet Reiseprogramm hat über viele Wochen etliche Stunden Vorbereitungszeit gekostet. Wer Ähnliches vor hat, dem sei empfohlen, sich per Recherche im Internet gut vorzubereiten. Wichtig ist die Auswahl der Ziele und diese dann in eine vernünftige zeitliche Abfolge zu stellen. Wegezeiten sollten eher großzügig berechnet werden. Wie in Europa können Staus und ähnliche Hindernisse, vor allem um große Städte herum, schnell jeden Zeitplan zur Makulatur werden lassen. Unbedingt empfehlenswert ist es, sich im Vorfeld über genaue Öffnungszeiten und Eintrittspreise von Sehenswürdigkeiten zu informieren. So vorbereitet, kann man viel erleben und hat am Ende trotz aller Anstrengungen auch Freude und Spaß gehabt.

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