Der Entscheidungsstillstand setzt sich fort -Ein Bericht vom Frankfurt Finance Summit 2019- von Thomas Seidel


Die Villa Kennedy in Frankfurt ist zwar ein schönes Hotel,
eignet sich aber nicht für große Veranstaltungen
(Quelle: Thomas Seidel)

Die Frankfurter Finanzszene hat auf ihrem Jahrestreffen versucht, für die Branche neue Impulse zu finden und sich auf die Zeit nach dem Brexit vorzubereiten. In Wirklichkeit zeigt das Summit aber, dass sich in der Realität nichts bewegt. Die Banken haben keine neuen Geschäftsmodelle und das politische Umfeld ist vom allgemeinen Stillstand geprägt.

Der diesjährige Tagungsort Villa Kennedy stellt sich als nicht ideal für eine Veranstaltung von um die 150 Teilnehmer heraus. Alle Räumlichkeiten sind für eine solche Teilnehmerzahl zu klein. Das Catering des Hauses ist eine Katastrophe. Nach und nach gehen alle möglichen selbstverständlichen Dinge aus. Das heiße Wasser für Tee, Löffel zum Umrühren, dafür Suppenlöffel zum Dessert, die Bedienung der Tab-bestückten Kaffeemaschinen stellt das Servicepersonal vor unlösbare Probleme. Lobenswert bleibt allein die Raumakustik. Man versteht jedes Wort!

Lutz Raettig bei seiner Grußadresse
(Quelle: Thomas Seidel)
Die Begrüßung der Zuhörer erfolgt durch den honorigen aber alten und schon recht klapprigen Doyen der lokalen Finanzbranche Lutz Raettig. Wir wünschen ihm einen wohlverdienten Ruhestand.

Hessen vorn!
Erfrischend tritt dagegen der Staatssekretär im Hessischen Finanzministerium Philipp Nimmermann auf. Er geht gleich auf das Thema „Künstliche Intelligenz“ ein, dass er lieber als „augmented intelligence“ bezeichnet wissen will. Der Englische Begriff „augmented“ sollte hier wohl im Sinne des Deutschen „angereichert“ verstanden werden.
Doch bleibt dann die Frage, was da angereichert werden soll? Schließlich ist Künstliche Intelligenz per se dumm. Man wird später noch einmal darauf zurück kommen.

Philipp Nimmermann von der Hessischen Landesregierung
zeigt Dynamik und Gestaltungswille, Hessen vorn!
(Quelle: Thomas Seidel)
Nimmermann listet die Aktivitäten der Hessischen Landesregierung auf, wie man den Standort Frankfurt für neue technologische Herausforderung fit macht. Da sei das Tech-Quartier, in dem man günstig Start-ups ansiedelt. Da plant man einen Tech-Campus, um Forschung auf hohem anzuziehen. Deren Erkenntnisse sollen direkt in Geschäftsprozesse übergeben werden. Man versuche gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank, der Bankaufsicht und dem Statistischen Bundesamt in einer Cloud Daten zusammen zu bringen, um Big Data Anwendungen zu entwickeln. Darüber hinaus betreibe man einen „Green Finance Cluster“, an dem Standards für nachhaltige Finanzen entwickelt werden sollen. Nimmermann sieht Hessen für den Brexit, in welcher Form er auch immer kommen sollte, gut vorbereitet. Man halte alle Kommunikationskanäle offen und ist bereit, weiterhin gut mit Jedem zusammen zu arbeiten.
Bei soviel technologischer Fokussierung des Landes Hessen auf den Platz Frankfurt, wird es nicht lange dauern, bis man ein Gejammer aus Darmstadt zu hören bekommt. Dort hält man sich bekanntlich für einen führenden technologischen Wissenschaftsstandort. Aber die Blicke aus Darmstadt richten sich ja eher ins All, als auf so schnöde Sachen wie Finanzthemen.

Aus Berlin nichts neues
Dann tritt Jörg Kukies aus dem Bundesfinanzministerium auf die Bühne. Der war ja in Sachen geplante Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank angeblich die treibende Kraft in Berlin. Gespannt erwartete man also nach den geplatzten Fusionsgesprächen, wie man die Dinge nun so in Berlin sieht.
Darauf ließ Kukies allerdings erst mal lange warten. Die Liste des Selbstlobs der Bundesregierung ist lang. Sie reicht von einem verdoppelten Notfallvolumen bis 170 Mrd €uro für eine mögliche neue Finanzkrise, über den Abbau fauler Bankkredite und Staatsanleihen, die Schaffung eines Eurobudgets, Erleichterungen an der MiFID und Plänen für moderne Grundlagen für eine Blockchain. Die Zähne in Europa beiße man sich nach wie vor an der deutschen Weigerung für eine gemeinsame europäische Einlagensicherung aus. Es gäbe auch kein gemeinsames europäisches Verständnis darüber, was man unter nachhaltigem Wirtschaften zu verstehen habe. Was die gescheiterte Bankenfusion von Deutscher Bank und Commerzbank angeht, habe man, so Kukies, nie auf eine bestimmte Fusion hin gearbeitet. Im Gegenteil, man unterstütze nationale, europäische, internationale und globale Konsolidierungen.

Jörg Kukies aus dem Bundesfinanzministerium
kann von keinerlei Durchbruch berichten
(Quelle: Thomas Seidel)
Das Alles und noch mehr sind aber lange schon bekannte Fakten. Es kann nicht darüber hinweg täuschen, dass sich in Europa, inzwischen schon seit Jahren, wirklich nichts Konkretes mehr tut. Die Kernländer Europas Deutschland und Frankreich befinden sich im unregierbaren Dauerzustand. Da sind z.B. zuerst die Zähe deutsche Regierungsbildung zum Kabinett Merkel IV mit anschließenden parteipolitischen Dauerblockaden bei den Koalitionären. Seit kurzem die andauernden Bürgerproteste in Frankreich. Dann das nicht enden wollende Drama über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Dann die parteipolitischen Auflösungserscheinungen in Österreich und bei der deutschen SPD. Dann eine Farce von Europawahl, mit britischer Teilnahme, die zu einem nicht funktionierendem EU-Parlament führt. Man kann diese Liste politischen Dauerversagens und Entscheidungsstillstandes endlos weiter führen. Dumm gemachte Gesetze müssen vom Europäischen Gerichtshof einkassiert werden, wie es just an diesem Tag mit den Plänen der deutschen Bundesregierung zur Autobahnmaut geschehen ist.

Es kommt noch schlimmer
Als wäre diese Aufzählung politischen Entscheidungsversagens nicht schon negativ genug, verdüstert die deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin Isabel Schnabel, von der Uni Bonn, mit ihren Prognosen das Gesamtbild noch weiter. Die lahmende deutsche Wirtschaft, ursächlich durch die Schwäche der deutschen Autoindustrie; der Handelskonflikt zwischen den USA und China; die sich in Europa einfach nicht abbauenden Staatsschulden (Deutschland einmal ausgenommen) und eine sich abzeichnende Handlungsschwäche der EZB, im Hinblick auf eine weitere Unterstützung der Wirtschaft mit liquiden Mitteln. Denn die EZB hätte inzwischen alles angekauft, was man vernünftigerweise ankaufen könne. Wo nichts zu kaufen ist, gibt es auch kein Geld.

Isabel Schnabel Uni Bonn hat auch nichts positives zu berichten
(Quelle: Thomas Seidel)
Hinderlich sei, dass in der EU die nationalen Regierungen nach wie vor nur ihre nationalen Bankchampions unterstützen. So käme es nicht zur Bildung global konkurrenzfähiger Finanzinstitute. In Deutschland sollte das 3-Säulen-Modell der Banken (Privatbanken – Sparkassensektor – Genossenschaftsbanken) überwunden werden. Um einen wirklichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen, müsste ein europaweites Insolvenzrecht entwickelt werden.
Was sich für Laien leicht ausspricht und einfach anhört, bedeutet aber in Wirklichkeit die Aufgabe jahrhundertealter Rechtstraditionen. Da kann man ja gleich versuchen die Katholische Kirche mal so eben nebenbei zu reformieren. Man sollte sich in der Politik auf das konzentrieren was möglich ist.

Künstliche Intelligenz führt in die Irre
Nach all diesen Nichtneuigkeiten sorgte der Gründer und Geschäftsführer der Firma arago Chris Boos für eine eher amüsante Unterhaltung. Bei arago wird seit jeher an Themen wie der Künstlichen Intelligenz (KI) gearbeitet und Chris Boos gilt in Deutschland als deren Guru schlechthin.

Doch Boos wehrt sich am heftigsten gegen den Begriff der KI, weil er Maschinen zurecht grundsätzlich als dumm begreift. Maschinen hätten keinen freien Willen, insofern man überhaupt definieren könne, was der „Freie Wille“ eigentlich sei. KI bedeute eigentlich das Ende der Industrialisierung. Das bedeutet, es braucht keinen skalierbaren Output mehr, um Produkte kostengünstig herzustellen. Auch würde KI nicht 80 Prozent aller vorhandenen Jobs kosten, wie immer behauptet wird. Vielmehr könnten 80 Prozent aller stupenden Tätigkeiten an Maschinen übertragen werden. Das lasse den Menschen Zeit andere vielleicht kreativere Tätigkeiten zu übernehmen. Das Zeitalter der Muße! An die Finanzwirtschaft gerichtet glaubt Boos, die Banker hätten sich selbst überflüssig gemacht. Eigentlich sollten sie da sein, Menschen bei ihrenLebenszyklen als Finanzfachmann zu begleiten, aber eben das machten sie nicht mehr. Wohl wahr!

Kooperation statt Konfrontation
Von der Deutschen Bundesbank stellte sich Joachim Würmeling den Fragen eines Moderators. Infolge des Brexit wird es in Kontinentaleuropa wohl mehrere spezialisierte Financial Hub's geben (etwa wie: Paris, Dublin, Luxemburg, Frankfurt). Statt gnadenlos zu konkurrieren, beschreibt Würmeling die Idee in Kontinentaleuropa diese Financial Hub's stark untereinander zu vernetzen und somit gemeinsam ein wesentliches Gewicht als Gesamtmarkt im globalen Sinne zu schaffen. Diese Hubs sollten zeitgemäß digitalisiert sein. Es bestünde nicht nur die Notwenigkeit einer rechtlichen Harmonisierung, sondern auch die Chance einer gemeinsamen Technologie. Es sollten Plattformen angeboten werden, auf denen alle Teilnehmer anwesend sein können, ohne dass notwendigerweise eine physische Präsenz vorhanden sein müsste. Auf diesen Plattformen sollten alle Geschäfte unter den gleichen Bedingungen für alle Teilnehmer möglich gemacht werden.

Joachim Würmeling von der Deutschen Bundesbank
wartet tatsächlich mit innovativen Ideen auf
(Quelle: Thomas Seidel)
Inzwischen seien die Entscheidungen gefallen, welche Finanzinstitutionen wegen des Brexit wo an den verschiedenen Plätzen in Europa ihr Geschäft fortführen. Was noch nicht klar sei, wie groß der Kuchen überhaupt wird, den man sich dann teilen will. Sollten die verschiedenen Plätze eher miteinander kooperieren, könnte dadurch der Kuchen für alle Teilnehmer insgesamt größer werden. Dazu brauche es aber eine Infrastruktur und Standards.

Die Teilnehmer saßen dicht gedrängt
(Quelle: Thomas Seidel)
Das wichtige alljährliche Treffen der Finanzbranche ist inhaltlich enttäuschend gewesen, vieles wurde nur wiedergekäut und aufgewärmt. Nichts kann über den nationalen und europäischen politischen Stillstand bei Entscheidungen hinweg täuschen, der nun schon über zwei Jahre andauert und wohl noch lange nicht zu Ende kommt. Inzwischen radikalisieren sich die politischen Szenen in vielen europäischen Ländern immer mehr. Die Signale sind überdeutlich. Es muss sich Grundlegendes ändern. Aber von den heutigen, aus Regierungs- und Parteibürokratie entstammenden, Politikern ist keiner bereit seine Schäfchen für wirkliche zukunftsträchtige Visionen zu opfern. Genau das aber fordern die Wähler. Kein Wunder, wenn sie ihre Sehnsucht nach Entscheidungen bei immer abwegigeren Parteien suchen.

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