Die Glücksbotschaft des Nahles-Rücktritts kann zu einem Menetekel für Deutschland werden von Thomas Seidel
Andrea Nahles 2011. Ist das eine Predigt? (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Heinrich-Böll-Stiftung) |
Man kann sich kaum je an einen
Frühjahrssonntag erinnern, der mit einer dermaßen erfreulichen
Botschaft daher kam. Andrea Nahles erklärt ihren Rücktritt vom
Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und
gleichzeitig vom Fraktionsvorsitz der SPD im Deutschen Bundestag. Allein die Folgen sind nicht absehbar.
Respekt für diesen Entschluss gilt ihr
allein deshalb, weil sie in den vergangenen Tagen, nach dem für die
SPD desaströsen Ausgang der Europawahl und der Landtagswahl in
Bremen, vielleicht von selbst darauf gekommen zu sein scheint, dass
sie mit ihrer Politik, ihrem politischen Gebaren und ihrer
Persönlichkeit nicht nur der SPD, sondern der gesamten
Bundesrepublik Deutschland mehr schadet als guttut.
Das Bild der Politikerin Nahles war
schon immer diffus. Nie wusste man wirklich sicher, wofür Nahles
eigentlich stand. Vieles hat sie während ihrer politischen Karriere
gesagt, sehr oft hat sie sofort wieder bedauern müssen, was sie
gerade gesagt hatte. Zweifellos trägt sie eher ihr Herz auf der
Zunge als ihren Verstand. Ob man nun ihre Einstellungen richtig oder
falsch fand, es wäre wichtig, wenn sie zu dem was sie fühlt auch
wirklich stehen würde. So ist sie immer ein politisch unsicherer
Faktor geblieben. Schon das Gezerre nach der letzten Bundestagswahl.
Erst plärrt sie als überzeugte Oppositionsführerin in Richtung
jeder möglichen Bundesregierung: „ab morgen kriegen sie in die
Fresse“. Nur um dann selbst nach quälenden Koalitionsverhandlungen
Teil einer Bundesregierung zu werden, sich dabei aber natürlich
nicht auch selbst in die Fresse haut.
Doch Nahles ist nicht nur als
Persönlichkeit politisch unberechenbar. Sie symbolisiert
gleichzeitig auch genau den Zustand der SPD als Ganzes. Diese älteste
deutsche Partei, die auch nur aus der Arbeiterbewegung der
Industrialisierung des 19. Jahrhunderts entstanden ist, wird nicht
umsonst vom Wähler hart abgestraft. Längst ist ihr die
Kernklientel, eine typisch malochende Arbeiterschaft, verloren
gegangen. Einfach weil es eine solche Arbeiterschaft nicht mehr gibt.
Längst ist ihre traditionelle Verbundenheit mit den sich nur noch
selbst verwaltenden Gewerkschaften, für die moderne politische
Entwicklung der SPD ein Hemmnis geworden. Längst haben die, vor sich
hin alternden Parteimitglieder, nur noch ihren eigenen Ruhewohlstand
als Rentner auf Kosten der jungen Generationen im Sinn. Längst ist
eine mögliche junge Klientel, die ganz andere Sorgen hat, als den
Klassenerhalt einer ausgestorbenen Gesellschaftsschicht, zu anderen
Parteien gewandert, übrigens gleichermaßen nach links wie nach
rechts. Nie verziehen wird der SPD das Hartz-IV-Thema, wo sie ihre
eigenen Schutzbedürftigen auf dem Altar des Gottes der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu Millionen opferte.
Was hätte die SPD alles erreichen
können. Hätte sie ihr Ohr wirklich an den Entwicklungen der Zeit
gehabt, sie hätte sich zum Wortführer einer neuen Politik der
Nachhaltigkeit und einer ausgewogenen Einkommensverteilung machen
können. Sie hätte sich an die Spitze einer Bewegung für eine
sinnvolle Nutzung von neuen Infrastrukturen in Verkehr und
Kommunikation machen können. Sie hätte federführend bei der
Gestaltung einer modernen Work-Life-Balance sein können, statt
darauf zu beharren, dass es nur MO bis FR von 08:00 bis 17:00 Uhr
gibt. Sie hätte den Grünen die Sorgenführerschaft für die Umwelt
abnehmen können und so manche Wende herbeiführen, wie es ganz
locker und elegant einer christdemokratischen Dauerbundeskanzlerin
gelungen ist.
Statt dessen pflegt sich die SPD nach
wie vor in sinnlosen innerparteilichen Richtungskämpfen. Für diese
Partei ist es wichtiger sich darüber zu zerfleischen, ob der
deutsche Export von Waffen in kriegsführende Länder moralisch
vertretbar ist oder nicht. Nach Herbert Wehner und Helmut Schmidt hat
die SPD nie wieder eine klare kämpferische Führungsfigur
hervorgebracht, die beim Wahlvolk vielleicht auch noch jenseits der
Stammwähler hätte Erfolg haben können. Das Zeitalter der
parteiinternen Diadochenkämpfe, als die Köpfe amtierender
Parteivorsitzender alle paar Monate rollten ist noch nicht
überwunden. Das die SPD bei einer neuen Generation nahezu überhaupt
keinen Anklang mehr findet, zeigt sich zurecht an den
Abstimmungsergebnissen bei Wahlen.
Andrea Nahles 2017. Vom Auf zum Ab (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Sandro Halank) |
Der Abgang von Frau Nahles wird die
Partei in noch mehr Chaos stürzen, weil niemand wirklich darauf
vorbereitet ist und weil es keine frische personelle Alternative
gibt. Freilich kann durchaus nicht ausgeschlossen werden, das Andrea
Nahles in ihren Sturz auch die ganze Bundesregierung mit in den
Abgrund zieht. Das Dramatische daran ist, auch bei all ihren
politischen Gegnern ist niemand auf ein solches Szenario
vorbereitet. Anders gewendet, Deutschland hat zur Zeit keine
politischen Alternativen. Eine Woche nach dem plötzlichen
Kanzlersturz in Österreich, kann in Deutschland durchaus ähnliches
passieren.
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