Warum ich diesmal die FDP wähle -Ein persönliche Entscheidung von Thomas Seidel-

Reichstagsgebäude Berlin Sitz des Deutschen Bundestages
(Quelle: wikipedia Urheber: Jürgen Matern)


Die kommende Wahl zum 20. Bundestag in Deutschland wird von der Presse gerne als Richtungsentscheidend für die langfristige Zukunft stilisiert. Die relevanten politischen Parteien fordern allerlei Wenden, Umkehrungen, Neuausrichtungen, Fokussierungen und alle möglichen Arten von kleinen und großen Revolutionen. Man soll sich nichts vormachen. Wahlprogramme sind Schall und Rauch. Jeder kennt sie, keiner ließt sie und wer ernsthaft seine persönlichen Präferenzen in Wahlprogrammen wiederfinden will, bedient den Wahl-O-Mat, was sich nuschelig ausgesprochen sowieso wie Wal-Mart anhört und wohl auch genauso sinnstiftend ist.

Wahlen in Demokratien waren immer und werden immer vor allem Persönlichkeitswahlen sein. Auf die Spitzenkandidatin respektive den Spitzenkandidaten  kommt es an. Sonst zählt nichts, mehr kann man sich auch nicht merken. Nichts spiegelt die Ausgelaugheit des politischen Personals in Berlin diesmal so wider, als die erstmals drei Kanzlerschaftsbewerber. Keiner von ihnen ist eine überzeugende Persönlichkeit. Gemeinsam ist ihnen: alle drei entstammen bestenfalls dem mittelmäßigen Politbürokratismus ihrer Parteien und lassen jede Art von hervorstechender Persönlichkeit oder Charakter vermissen.

Armin Laschet von der CDU, der auch nur im Zuge eine Politunfalls (dem totalen Versagen der SPD Ministerpräsidentin Hannelore Kraft) zum Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen geworden ist, versucht krampfhaft, sich als fröhlichen rheinisch-katholischen Kumpel darzustellen. Seine Wahl zum Parteivorsitzenden der Bundes-CDU und schließlich zum Kanzlerkandidaten beider konservativen Unionsparteien war jeweils mit einem derartigen Krampf verbunden, dass jede persönliche Glaubwürdigkeit dabei auf Strecke geblieben ist. Man kann sich diesen Mann als Kanzler eines inzwischen wieder so wichtigen wie wirkmächtigem Deutschland im europäischen Konzert einfach nicht vorstellen, von der Welt erst gar nicht zu reden.

Annalena Baerbock ist in jeder Hinsicht ein Experiment, ein politisches Versuchskaninchen ihrer eigenen Partei den Grünen. Bar jeder persönlichen Ausstrahlung und geschweige denn jeglichem Verantwortungsbewusstseins für staatslenkende Aufgaben, verhält sie sich genauso, wie es die meisten Protagonisten ihrer Generation und politischer Herkunft tun: probieren wir mal - schauen wir mal - und wenn's daneben geht, haben wir hoffentlich trotzdem möglichst viel Spaß gehabt. Alles andere kann ja dabei auch gern mal den Bach runter gehen.

Olaf Scholz bringt in der Tat die meiste Regierungserfahrung mit, hat aber so überhaupt nichts staatsmännisches an sich. Was ihm persönliche Sympathien einbringt, ist gleichzeitig ein Manko für eine Kanzlerschaft: zu nett, zu freundlich, zu umgänglich; auch wenn wir wissen, dass er hinter den Kulissen ganz anders sein kann. Es ist ihm aber nicht gelungen, sich bei seiner Partei als Vorsitzender durchgesetzt zu haben. Statt dessen müßte er sich als Regierungschef ständig mit den beiden Köpfen des amtierenden SPD-Cerberus Norbert Walter-Borjans und vor allem Saskia Eskens streiten. Denn das hat die SPD in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer wieder gezeigt. Ob Brandt, Schmidt oder Schröder, sobald ein SPD-Kanzler an der Macht ist, ist dessen ärgster Feind die eigene Partei und zwar solange, bis der Kanzler nicht mehr regieren kann.

Die beiden Parteien an den äußeren Enden des politischen Spektrums in Deutschland sind das, was man im Englischen bei einer Verteilungskurve als das "tail-risk" bezeichnet. Wörtlich übersetzt: "das Schwanzrisiko", sinngemäß auch als Restrisiko bekannt. Wer sich auf sie einlässt, begeht politischen Selbstmord.

So richtet sich der Blick auf die FDP die Freien Demokraten. Eine einstmals ehrwürdige Partei, der aber leider ihre Würde schon lange abhanden gekommen ist. Früher einmal die staatstragende Partei in Deutschland schlechthin, sind ihr schlicht dazu die Persönlichkeiten abhanden gekommen wie Maihofer, Hamm-Brücher, Graf Lambsdorf oder Genscher. Zu Zeiten eines Guido Westerwelle war die FDP nichts weiter als eine lächerliche Spaßpartei, mit einer heimlichen Vorliebe für das Hotelgewerbe.

Heute wird diese liberale Partei, der ich persönlich vor vielen Jahrzehnten einmal selbst nahestand und deren Markenzeichen damals eine vielfältige Meinungsbildung war, mit Christian Lindner von einem überehrgeizigen, offensichtlich narzisstischen aber gut ausgebildeten Reserveoffizier der Bundesluftwaffe geführt, der niemanden ausser sich selbst verbindlich für diese Partei reden lässt. Lindner hat gezeigt, dass er politisch so unberechenbar und launisch wie eine Diva ist. Das betrifft nicht nur die Mitglieder seiner Partei, sondern auch durchaus die Vertreter anderer Parteien, sofern sie nicht gleich nach seiner Pfeife tanzen.

Lindner ist bestimmt kein Sympath und er wäre bestimmt kein besonders verlässlicher Koalitionspartner. Dennoch dürfte es und sollte es bei der kommenden Bundestagswahl genau auf diese FDP ankommen, ob Deutschland, egal unter welcher Kanzlerschaft, überhaupt noch eine Chance hat, einigermaßen vernünftig regiert werden zu können. Zumindest solange, bis der Wähler wieder dazu aufgerufen wird, dem sich abzeichnenden Bedeutungsverlust der deutschen Gesellschaft und des Landes ein Ende zu setzen.


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