Das Wiesbadener Kaufhausdrama -von Thomas Seidel-

 



Auf seiner Haupteinkaufsstraße ist Wiesbaden gut versorgt mit Kaufhäusern. Hertie, Horten und Karstadt waren jahrzehntelang Anziehungspunkte. Der Kaufhof war ursprünglich nicht vertreten, erst mit der Übernahme von Horten machte sich auch der Konzern aus Köln in der Stadt breit. Heute gibt es nach der Fusion von Kaufhof und Karstadt zur Galeria zwei Standorte des Konzerns in der Stadt, kaum fünfzig Meter voneinander entfernt. In der neuesten Unternehmenskrise wird wohl zumindest einer der beiden Standorte aufgegeben werden. Was das für die Stadt bedeutet, soll hier besprochen werden.

Der Autor selbst wuchs in Wiesbaden auf. Als Kind erlebte er noch das "Alte Karstadt", wie es in der obigen Abbildung zu sehen ist, vom Standort Mauritiusplatz/Kirchgasse aus gesehen. Ein reichlich verzierter Prachtbau mit großen Fenstern und eine mächtige Weltkugel. Innen nicht weniger imposant, doch damals nur die Hälfte der heutigen Fläche, denn der rückwärtige Bau war die zentrale Feuerwache der Stadt. Karstadt, das war in Wiesbaden der Konsumtempel vor Ort schlechthin.

In den 1960/70er Jahren zog die Feuerwache aus, das ganze Haus wurde abgerissen und durch einen fahlen Neubau ersetzt, aussen pfui aber innen hui, zumindest was die Vielfalt des Warenangebots betraft. Etwa zu gleichen Zeit entstand quasi schräg gegenüber eine Filiale des Düsseldorfer Kaufhausunternehmens Horten mit seiner markanten, aber trotzdem hässlichen Fassade. Horten war deutlich kleiner, wollte aber mit seinem Warensortiment immer etwas feiner sein. Die Produktkonzepte bei Horten wechselten sich ab, letztlich überzeugte keines dauerhaft die Kundschaft. 

Im Karstadt Wiesbaden fand der Autor noch während seiner Schulzeit ab 1972 seinen ersten Job als Aushilfskraft, wann immer es die Schulaufgaben und die damals sehr beschränkten Ladenöffnungszeiten es erlaubten.  Daneben gab es in der Verwandtschaft des Autors eine Abteilungsleiterin des Kaufhofs. Der Autor weiß also aus eigener Erfahrung, wie es in der Branche zugeht. Er musste lernen, dass es für die Mitarbeiter und vor allem die Führungskräfte in den deutschen Kaufhauskonzernen keinen größeren Feind gibt, als den Kunden. Zum einen ist der Kunde, vor allem wenn er nachfragt, ein ständiger Störenfried, der die Kaufhausangestellten von ihren eigentlich bedeutsamen anderen Tätigkeiten abhält, etwa wie Herumstehen und Wichtig tun, sinnlos zu telefonieren oder sich mit anderen Kollegen oder gar Vorgesetzten gerne auch vor den Augen wartender Kunden zu unterhalten. Zum anderen wird jeder Kunde, und das ist seit jeher offizielle Politik in den Kaufhäusern und wird den Mitarbeitern ständig eingebleut, als potentieller Dieb betrachtet, den es stets aufmerksam aber diskret zu beobachten und möglichst bei seinen kriminellen Aktivitäten zu erwischen gilt. Mit anderen Worten, für Kaufhausleute gibt es nichts lästigeres als Kunden!

Mit dieser, bis heute nicht geänderten, Einstellung hebt und grenzt man sich vom Kunden ab und genauso läuft die Dienstleistung am Kunden. Frech werden Kunden behandelt, wenn sie nicht allerhöflichst um ein bisschen Aufmerksamkeit betteln. Zwar gibt es immer wieder einmal ein paar Verkäufer, deren Natur es nunmal ist, tatsächlich höflich und freundlich mit Kunden umzugehen, solche ausgearteten Exemplare werden aber schnell aussortiert, sind im System einfach nicht erwünscht. Im Laufe der Jahrzehnte ist dann auch das verloren gegangen, was man früher unter einem  "Fachverkäufer" verstand. Das waren Kaufhausangestellte, die nicht nur stur die Kunden abkassierten, sondern die tatsächlich auch mal sachgerecht beraten konnten und manchmal sogar brauchbare Tips gaben. Doch solche Leute sind den verheerenden Wellen von Einsparmaßnahmen längst zum Opfer gefallen. Statt gestandener Einzelhandelskaufleute findet man heute meist nur noch angelerntes Personal, welches oftmals selbst mit der Funktion des Abkassierens völlig überfordert ist und auf Nachfragen sowieso von allem "keine Ahnung" hat.

Warum die Attraktivität des Konzepts Kaufhaus besonders in Deutschland so leidet ist, die Führungskräfte der Kaufhausfirmen wollen bis heute den Wandel in den Einkaufsgewohnheiten der Menschen und der Erwartungshaltung der Kunden an Dienstleistungen nicht wahrnehmen. Noch immer erwarten sie von ihren Kunden, dass sie sich der Philosophie ihrer Häuser zu beugen haben und gnädig abkaufen, was deren Zentraleinkäufer als "in und chique" betrachten. Kein Wunder, dass das große Geschäft inzwischen ganz andere Läden machen.

Für die Stadt Wiesbaden, die in der 1970er Jahren einmal nach Jahren gelungenster Altbausanierungen vom damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel den Titel der schönsten Stadt Deutschlands verliehen bekam, wäre die Schließung auch nur eines der beiden, inzwischen sogenannten, Galerie-Kaufhäuser eine Katastrophe. Seit Jahrzehnten herrscht, nach langer Zeit eines handlungsunwilligen All-Parteien-Magistrats, immer noch politischer Handlungsstillstand. Die einstige Dynamik eines Stadtentwicklungs-Dezernenten wie Jörg Jordan ist völlig zum Erliegen gekommen.

Die Haupteinkaufsstraße Kirchgasse, an der traditionell alle wichtigen Geschäfte liegen, ist längst am elendigen verkommen. Sehr gute Fachgeschäfte mit Namen wie Gerich, Lixfeld, Lörke, Leiniger, Fink, Lorey, Bellwinkel, Linnenkohl, um nur einige zu nennen, gehören längst der Vergangenheit an. Eine einstmals tolle lebendige kleine Einkaufspassage direkt gegenüber Karstadt bis zur Schwalbacher Straße hin ist seit langem geschlossen. Jedes städtische Konzept zur Wiederbelebung scheitert. Obwohl die alte bauliche Pracht der Kirchgasse, wie ganze Stadtteile von Wiesbaden, größtenteils den Zweiten Weltkrieg überdauert hat und die Sanierungen der 1970er Jahre vieles auf den Stand der Zeit gebracht hat, verkommt die Wiesbadener Innenstadt mehr und mehr. Der Leerstand auch nur eines der großen Kaufhäuser würde der Attraktivität dieser an sich so schönen Stadt den Todesstoß versetzten.

Zumal die örtliche Politik mit ihrem entsetzlichen Entscheidungsstillstand auch sonst nicht in der Lage ist, die reichlich vorhandenen Schätze der Stadt attraktiv zu machen und darzubieten. Dazu gehört das eigentlich prachtvolle Kurviertelensemble, die unglaubliche Unfähigkeit für ein angemessenes Stadtmuseum zu sorgen, das nicht in den Griff zu bekommende Elend mit dem öffentlichen Nahverkehr, die politische Zurückweisung und der Verlust von Veranstaltungen wie etwa der Ball der Sports u.v.m. Auch kommt keiner etwa auf die Idee, den Naturschatz der Stadt schlechthin die Wasser der Mattiaken (Aqua Mattiacum) also die vielen Bäche und heißen Quellen, die letztlich alle im Kurviertel zusammenlaufen, vielleicht sichtbar offen zu legen. Stattdessen müssen diese größtenteils in stinkenden Kanälen vor sich hin plätschern, weil der Straßenverkehr noch vor dem Flanieren entlang der einstmals prächtigen Wilhelmstaße nach wie vor jeden Vorrang hat.

Der Vollbremsung die die Signa Holding, Mutterkonzern von Galeria Kaufhof/Karstadt in Wiesbaden auf jeden Fall hinlegen wird, muss politisch entgegen gewirkt werden. Vollsortimentshäuser haben, entgegen der allgemeinen Unkenrufe aus der theoretischen akademischen Welt, durchaus eine Daseinsberechtigung. Sie könnten nach wie vor mit dem Motto "Alles unter einem Dach" brillieren und sie müssten nicht einmal dafür billige Ramschläden sein. Im Gegenteil, sie könnten Kunden damit überzeugen und glänzen, wenn sie mit wirklich gutem und freundlichen Service und tatsächlich fachkundigem Personal qualitativ hochwertige aber auch beratungsintensive Waren anböten und das Ambiente zu einem wirklichen Einkaufserlebnis machen würden. Es muss allerdings angezweifelt werden, ob die in der Stadt handelnden Verantwortlichen sowohl in Politik als auch im Gewerbe in der Lage sind, diese Kurve wirklich zu nehmen. Gelänge dies, könnte Wiesbaden zu einem Vorbild gegen den Untergang der Innenstädte werden. Ansonsten ist Deutschland einstmals schönste Stadt schon jetzt verloren.

Bildnachweis: Kaufhaus Karstadt in Wiesbaden um 1920.
Quelle: gemeinfrei

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