Unter Beschuss von allen Seiten –Über die Beschlüsse der EZB vom 5. Juni 2014- von Thomas Seidel
Man möchte kein Zentralbankpräsident sein, schon gar nicht ein Mario
Draghi in diesen Tagen. Das Getümmel auf der gestrigen Pressekonferenz der
Europäischen Zentralbank (EZB) spiegelte deutlich eine übersteigerte
Erwartungshaltung an die Beschlüsse der EZB wider. Ganz so, als ob für das
wirtschaftliche Wohl und Wehe in Europa allein die Zentralbank verantwortlich
gemacht werden könnte. Doch muss in diese Gemengelage aus falschen Ansprüchen
an die, und verkehrten Vorstellungen über die Rolle der Zentralbank Ordnung
gebracht werden.
Zunächst die nackten Fakten. Der
Hauptrefinanzierungszins für Banken wird ab 11. Juni auf 0,15 und parallel der
Spitzenrefinanzierungssatz auf 0,40 Prozent gesenkt. Beide Sätze gehen damit
noch näher an die Null-Prozent-Marke heran. Zum gleichen Zeitpunkt wird für
Geldeinlagen von Banken, welche über die bei der Zentralbank zu haltende
Mindestreserve hinausgehen, mit Minus
0,10 Prozent erstmals von der EZB ein sogenannter Negativzins auf Guthaben eingeführt.
Pressekonferenz 5.Juni 2014 Quelle: EZB
Kreditklemme kann nicht von EZB beseitigt werden
Als eines der Kernprobleme in der
Eurozone gilt die Kreditklemme. Trotz mehr als ausreichender Liquidität,
bekommen angeblich Unternehmen der realen Wirtschaft von den Banken nicht
genügend Finanzierungsmittel für Investitionen. Dem will die EZB nun
entgegenwirken, indem sie Mittel für gezielte längerfristige Finanzgeschäfte
zur Verfügung stellt (engl. Targeted Longer-Term Refinancing Operations, TLTRO).
Die Rede ist von einem Gesamtvolumen in Höhe von 400 Mrd. Euro. Freilich kann
die EZB dieses Geld Investoren nicht direkt zur Verfügung stellen. Sie muss den
Umweg über die Geschäftsbanken machen. Der Anreiz für die Banken dazu soll
sein, dass sie für diese Mittel nur 0,2 Prozent Zinsen zahlen müssen. Die
Aktion läuft bis September 2018, rund vier Jahre. Erlaubt wird den Banken bis
maximal 7 Prozent ihres gesamten Kreditvolumens so zu refinanzieren. Das klingt
zunächst sehr reizvoll, verspricht es doch für die Banken offensichtlich eine
fette Marge im Zinsgeschäft.
Bisher aber haben solche Programme eher weniger
Erfolg gezeigt. Das liegt unter anderem an zwei Faktoren, die in der
öffentlichen Diskussion aber wenig Beachtung finden. Erstens eine gute Zinsmarge
allein reicht für die Banken zur Kreditvergabe heute nicht mehr aus. Gerade das
Kreditgeschäft mit Unternehmen und Privatleuten leidet unter dem höchsten Risikofaktor.
Hohe Risiken müssen die Banken inzwischen aber mit reichlich Eigenkapital
unterlegen, was die Verdienstmargen ziemlich drückt. Das sind nicht die Regeln
einer Zentralbank, sondern des Gesetzgebers und der Bankenaufsicht. Zweitens
reden die Investmentbanker in den Kreditinstituten ihren Vorständen immer noch
ein, dass in anderen Sektoren als dem kosten- und verwaltungsintensiven
Kreditgeschäft viel leichter und schneller Geld zu verdienen sei. Das ist eine
Auswirkung des Universalbankgeschäfts, in dem solche Banken alternative
Verdienstmöglichkeiten haben, anders als in einem Trennbankensystem. Das zu ändern
obliegt nicht der Zentralbank.
Niedrigzinspolitik als Wachstumsmotor
Vor allem die angelsächsische
Welt geht davon aus, nur Wirtschaftswachstum sei ein Allheilmittel und müsse um
jeden Preis sichergestellt werden. In den USA steckt dahinter auch immer noch
das Schreckensbild von der verheerenden Deflation während der 1930er Jahre. So
glaubt man daran, viel billiges Geld werde schon zu Investitionen und damit zu
Wachstum führen. Eine Volkswirtschaft wächst aber gegenüber anderen nur dann,
wenn sie besser innovativ und produktiv ist. Beides ist mit Geld allein und
schon gar nicht kurzfristig erreichbar.
Wo niedrige Zinsen konkret helfen, ist
die hohen Staatsverschuldungen zu reduzieren. Hiervon profitieren nicht nur die
Krisenländer, sondern vor allem auch Deutschland. Aber nur wenn durch ersparte
Zinskosten auf Staatsanleihen auch tatsächlich das Volumen der Anleihen zurück
gefahren werden kann. Erst dadurch kann ein Staat sich für strukturpolitische
Maßnahmen wieder mehr Luft verschaffen und indirekt seiner Wirtschaft im
Wettbewerb helfen. Die fiskalischen Strukturreformen bleiben eine wichtige Voraussetzung
für mehr volkswirtschaftliches Wachstum. Genau hier aber sieht die EZB zurecht
mangelnde Fortschritte. Einzelne Regierungen in der Europäischen Union
verlangen gar eine vorzeitige Aufgabe der Haushaltkonsolidierung. Ihre
Staatsbudgets in den Griff zu bekommen ist auch nicht die Aufgabe einer Zentralbank.
Pressekonferenz 5. Juni 2014 Quelle: EZB
Deflationsbefürchtungen sind irreal
Im Vorfeld der jüngsten
EZB-Entscheidungen war oft die Rede davon, die Zentralbank müsse für mehr
Liquidität sorgen, um einer drohenden Deflation vorzubeugen. Die Anzeichen
einer Deflation bestehen aus massiven Einbrüchen bei Güterpreisen und Löhnen
und rückläufigem Wachstum. Das ist in Europa überhaupt nicht der Fall. Zwar hat
sich die Teuerung der Güterpreise zuletzt im Mai 2014 auf ein halbes Prozent
verlangsamt. Mario Draghi führt aber zurecht aus, dass diese sehr niedrige
Inflation zur Zeit eher auf günstigen Energie- und Lebensmittelpreisen beruht. Vor allem
aber die Energiepreise werden nicht in Euro fakturiert und können sich
jederzeit wieder schnell ändern. Was die Löhne betrifft, so sind deren
Rückgänge in den Hauptkrisenländern wie Griechenland und Portugal nicht
deflationär. Vielmehr erreichten dort die Löhne in der Vorkrisenzeit ein
Niveau, das nicht der Produktivität dieser Länder entsprach. Man kann von einer
regelrechten Lohnblase sprechen. Somit stellen die Rückgänge der Löhne dort nur
eine längst fällige Korrektur einer unangemessenen Lebensweise dar. Im Übrigen
sind beispielweise gerade in Portugal beschlossene Lohneinschnitte gerichtlich
wieder rückgängig gemacht worden. Und in Deutschland zeitigen die jüngsten
Tarifabschlüsse einen Anstieg bei den Löhnen wie selten zuvor. Wenn auch nur
schwach mit einem Anstieg von 0,2 Prozent, dennoch gibt es ein
Wirtschaftswachstum in Europa. Spanien und Portugal verlassen langsam die
Rezession und insgesamt fällt die Rate der Arbeitslosigkeit. Es ist unredlich
von der EZB die Bekämpfung einer Deflation zu verlangen, die gar nicht stattfindet.
Pressekonferenz 5.Juli 2014 Quelle: EZB
Jammern der Geldanleger
Viel Kritik an ihren Beschlüssen
muss die EZB aus Deutschland verkraften. Von dort zetern die
Interessenvertreter der Sparer und Kapitalversicherer, die Niedrigzinspolitik
würde zu einer allmählichen Enteignung führen, solange die Zinsen für
Kapitalansammlungen deutlich unter der Inflationsrate lägen. Dieser Zusammenhang
ist so durchaus richtig. Aber die EZB ist nun mal nicht die Zentralbank für
Deutschland, sondern für den gesamten Euroraum. Mario Draghi weist auch zurecht
darauf hin, dass die Konditionen der EZB für die Banken und nicht für deren
Kunden gälten. Besonders Sparer in Deutschland müssen endlich zur Kenntnis
nehmen, dass die Geldanlage Sparbuch in Zeiten allgemein niedriger Zinsen auf
Dauer eben nicht für eine inflationsausgleichende Kapitalmehrung geeignet ist.
Man kann nicht einerseits verlangen, völlig risikolos sein Geld anlegen zu
wollen, und andererseits dennoch mehr als die Inflationsrate an Zinsen zu bekommen.
Es gibt genügend alternative und attraktive Geldanlageformen. Diese verlangen
allerdings vom Verbraucher einen intensiven und aufmerksamen Umgang mit den
eigenen Geldanlagen. Wer sich darum aber nicht kümmern will, braucht sich nicht
zu wundern wenn ihm sein Geld entweder durch Inflationsfraß oder durch windige
Spekulationsrisiken vermindert wird.
In einer anderen Klemme befinden
sich tatsächlich die Lebensversicherer. Sie können in einer anhaltenden
Niedrigzinsphase ihre Renditezusagen nicht halten. Das aber liegt nicht an der
Zentralbank. Lebensversicherer sind gesetzlich gebunden, reichlich liquide zu
sein. Da stellen sich zwei Fragen: Zum einen: Ob die Art der
Solvenzvorschriften für die gegenwärtigen Geldmarktsituationen wirklich
angemessen sind? Zum anderen: Ist eine über 20, 30 oder 40 Jahre dauernde
Lebensversicherung überhaupt eine richtige Kapitalanlageform, vor allem zur Alterssicherung
in der modernen Zeit? Beides kann nicht kurzfristig geändert werden. Sache
einer Zentralbank sind diese Fragestellungen aber auch nicht.
EZB Gebäude Frankfurt am Main Quelle: EZB
Fazit
Was soll eine Zentralbank
eigentlich noch so alles richten? Ihre Zuständigkeit, oder Mandat wie es Mario
Draghi gerne ausdrückt, ist die Geldwertstabilität. Die Möglichkeiten und
Instrumente dazu betreffen den Geldmarkt. Eine Zentralbank kann weder die
Staatsfinanzen sanieren, noch wirklich Wachstum schaffen, noch direkt Kredite
an den Nichtbankensektor vergeben oder gar Geldanleger glücklich machen. Das
partielle Versagen anderer Wirtschaftsteilnehmer darf nicht den Zentralbanken
als Bürde auferlegt werden. Immer wieder hört man von der Allmacht der
Zentralbanken und manche möchten diese auch schon wieder begrenzen. Tatsächlich
aber sind die Möglichkeiten von Zentralbanken eher beschränkt. In einigen
wenigen Ländern sind sie sogar von der Politik unabhängig und erlauben sich
daher auch schon mal eine deutliche Kritik in jede Richtung. Vielmehr als
warnen dürfen sie aber nicht. Wie falsch die übertriebenen Erwartungshaltungen
an die EZB sind, machte eine letzte Frage auf der gestrigen Pressekonferenz an
Mario Draghi deutlich. Dort sollte er sich zum politischen Rechtsruck bei der
letzten Europawahl äußern. Als ob es auch noch im Benehmen einer Zentralbank
stünde, Wahlanalysen zu betreiben. Doch Gepolter aus Großbritannien und Gefasel
aus Frankreich über einen möglichen EU-Austritt und die heimliche unterschwellige
deutsche Feindschaft dem Euro gegenüber, beantwortete Draghi mit einem klaren
Bekenntnis zu mehr Europa.
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