Ein alter Masterplan gegen die Bankenkrise von Thomas Seidel

Im Jahre des Herrn 2014 wird an die einhundertjährige Wiederkehr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs gedacht. Heute sprechen einige von der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich war der Große Krieg nur der Auftakt zu einer ständigen Abfolge schlimmster, von Menschen verursachten, Katastrophen. Doch neben den militärischen Auseinandersetzungen, wie etwa dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, Koreakrieg, Vietnamkrieg, Kubakrise, den ständigen Konflikten im Nahen- und Mittleren Osten, Gemetzeln auf dem afrikanischen Kontinent Millitärputschen, Revolutionen und Bürgerkriegen, fanden in den letzten 100 Jahren auch noch unzählbare viele Wirtschaftskrisen statt#1.
Im Gedächtnis der Menschen heute sehr gegenwärtig, ist natürlich die jüngste Finanzkrise, die eigentlich seit 2007 andauert. Daneben aber, und das in einer erstaunlich lebendigen wenngleich inzwischen auch legendenhaften Erinnerung: die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre in Deutschland; der Börsencrash in New York, bekannt als Schwarzer Freitag vom 25. Oktober 1929, welcher eine Weltwirtschaftskrise auslöste; und die sogenannte Große Depression in den Vereinigten Staaten von Amerika, die ihren Höhepunkt in den 1930er Jahren hatte. Erstaunlich dabei ist, dass viele, wenngleich auch nicht alle, Wunden zwischen Völkern aus den militärischen Kriegen nach und nach heilen, die Erinnerungen an die Wirtschaftskrisen aber im Gedächtnis der meisten Menschen viel gegenwärtiger zu sein scheinen.


Menschenmenge vor der New Yorker Börse nach dem Börsencrash vom 25.10.1929
(Quelle: wikipedia US-Bundesregierung)
Tatsächlich wird auf gesellschaftlicher, politischer und vor allem akademischer Ebene intensiv daran gearbeitet und darüber nachgedacht, wie sich wohl Wirtschafts- und Finanzkrisen künftig am besten vermeiden lassen. Der Kriegsvermeidung wird dabei, trotz Friedensforschung, keineswegs so viel ernsthafter Aufwand gewidmet. Gleichwohl haben bis heute alles Nachdenken und alles Forschen weder irgendeinen Krieg noch irgendeine Wirtschaftskrise nachweislich verhindert.
Vor dem Hintergrund dieser deprimierenden Ausgangslage ist es umso erstaunlicher, dass man, im Nachgang zur jüngsten Weltfinanzkrise,  aus den Archiven der Wissenschaft einen theoretischen Lösungsansatz ausgegraben hat und jetzt wieder lebendig in akademischen Kreisen diskutiert, der einstmals in den Zeiten der Großen Depression entwickelt aber nie in die Tat umgesetzt wurde, den Chicago-Plan.


Vor einiger Zeit wurde unter dem Titel: "The Chicago Plan Revisited" an der Frankfurter Goethe Universität ein Vortrag von Michael Kumhof gehalten. Kumhof, der heute beim Internationalen Währungsfonds (IMF) arbeitet, war zuvor lehrend an der Standford University und davor im privaten Bankensektor bei der Barclays Bank beschäftigt. Den Vortrag hatte er zusammen mit seinem IMF Kollegen Jaromir Benes ausgearbeitet. Benes, der an der Masaryk Universität in Brün studierte und einen Master of Sience in Macroeconomics besitzt, war zuvor bei der Zentralbank von New Zealand tätig. Obwohl die Arbeit der beiden Autoren offiziell ein IMF Working Paper ist, legte Kumhof einleitend Wert auf die Feststellung, dass sein Vortrag persönlicher Natur sei und keinerlei Standpunkte des IMF widerspiegele.


Michael Kumhof während seines Vortrags an der Goethe Universität Frankfurt
(Quelle: Center for Financial Studies, Frankfurt)

Eine Grunderkenntnis der Verfasser des Chicago-Plans ist, dass Banken bei der Schaffung von Krediten auf keinerlei Depositen von Kunden angewiesen sind. Das klingt zunächst merkwürdig. Die klassische Annahme über die Kernfunktion der Banken ist ja, dass sie von vielen Geldanlegern, etwa Sparern, kleine Einlagen sammeln und diese Gelder in Form größerer Kredite, etwa an Gewerbetreibende, als Investitionsmittel verleihen. Im Bankgeschäft nennt man diese Umwandlung von vielen kleinen Beträgen in größere Kreditsummen die Losgrößentransformation.


Es hatte sich aber heraus gestellt, dass sich die Banken in Wahrheit  gar nicht die Mühe dieses Transformationsprozesses machen. Vielmehr schaffen sie Liquidität in Form neuen Geldes, indem sie sich einfach entscheiden Kredite auszugeben. In diesem Sinn sind Banken die Schöpfer von Kaufkraft, weil sie Geld für Produktkäufe ausserhalb des Bankensektors zur Verfügung stellen. Dadurch können Banken einfach eine Kreditblase erschaffen, sofern sie der Meinung sind, die fundamentalen Daten einer Volkswirtschaft lassen in bestimmten Bereichen einen Boom zu. Die enorme Kreditausweitung für den privaten Hauskauf in Amerika in der Zeit zwischen 1995 und 2005 ist ein anschauliches Beispiel für diese Vorgehensweise. Das Geld für jene Kredite nehmen die Banken also nicht von den Spareinlagen ihrer Kunden, sondern holen es sich von ihren Zentralbanken. Die seien dazu verdammt, Kreditinstituten all die Liquidität zur Verfügung zu stellen, die von den Banken nachgefragt wird. Das, so kamen in den 1930er Jahren führende Wirtschaftswissenschaftler zu dem Schluss, sei eines der Grundübel für den Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und die Große Depression in Amerika gewesen.


Der Chicago-Plan wollte mit diesem Gebaren der Banken radikal Schluss machen. Die Kernidee dahinter ist, es dürfe nur so viel Geld im Umlauf sein, wie in der realen Wirtschaft tatsächlich nachhaltige wirtschaftliche Güter existieren. Das Vertrauen in Geld könne nur Bestand haben, wenn man sich über dessen Wert sicher sein kann. Um das zu bewerkstelligen, müssten nach den Vorstellungen des Chicago-Plans tiefgreifende Maßnahmen im Bankensystem durchgeführt werden. So sollten Banken eine Mindestreserve von 100 Prozent auf alle Einlagen bei ihrer Zentralbank hinterlegen. Deswegen spricht man auch von einem Vollreservesystem. Banken sollten nur noch staatlich gestützte Kredite vergeben, womit ihnen die Kontrolle über die Geldschöpfung entzogen würde. Der Chicago-Plan brächte die Vorteile Liquiditätsfallen zu vermeiden, Inflationstendenzen sicher einzudämmen und die Banken könnten viel besser kontrolliert werden. Dennoch ließe sich über die Geldversorgung durch die Zentralbank ausreichende Liquidität für ein Wirtschaftswachstum sicherstellen.


Harper Library an der Chicago University
(Quelle: wikipedia)

Die Initiatoren des Chicago-Plans waren keineswegs Phantasten. Zu ihnen gehörten Frank Knight, der auch als Mitbegründer der Chicagoer Schule der Ökonomie gilt und ein Lehrer von Milton Friedman, dem späteren Begründer des Monetarismus, war. Daneben gehörten auch Henry Simons, ein Protagonist der Laissez-fair-Politik, dazu, und der Ökonom Irving Fischer. Doch die Vorschläge aus dem Chicago-Plan scheiterten in ihrer Radikalität an den Gegenbenheiten der politischen Realität. Bereits am 27. Februar 1932 war mit dem Glass-Steagall-Act, als Reaktion auf den Börsencrash des Schwarzen Freitag, in den USA das Trennbanksystem eingeführt worden. Damit sollte die Kreditversorgung der Realwirtschaft von den Risiken des wertpapierhandelnden Investmentbankings abgekoppelt werden. Die Hauptphase der Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise fiel in die Amtszeit des demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Dessen Administration waren die Vorschläge des Chicago-Plans mit Sicherheit bekannt. Unklar ist allerdings, inwiefern dieser die Politik der Roosevelt-Administration beeinflusste. Tatsächlich wandte die Politik sich den Vorschlägen von John M. Keynes zu, der eine verstärkte staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft vorschlug. Ab den 1980er Jahren, vor allem während der Präsidentschaft von  Ronald Reagan, gewann aber das Modell vom Monetarismus des Milton Friedman den entscheidenden politischen Einfluss. Damit einher ging das Zurückdrängen staatlicher Kontrolle über die Finanzindustrie und überhaupt über die Wirtschaft, schrankenlose Geschäftsmöglichkeiten für die Banken und die hemmungslose Profitgier des Investmentbanking. Friedmans Ideen avancierten zum großen Gegemodell des, als zu sozialistisch empfundenen, Keynesianismus.


Milton Friedman gilt als Begründer des Monetarismus
(Quelle: Luxemburger Wort)

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, mit welcher Motivation einige Ökonomen  heute glauben den Chicago-Plan ernsthaft wieder diskutieren zu müssen. Die Welt der Finanzlandschaft hat sich seit Margarete Thatchers Big Bang von 1986 entscheidend geändert. Die weitestgehende Liberalisierung der Finanzmärkte hat insgesamt zu mehr Volatilität von Kapital und Märkten geführt, von der aber nur wenige Marktteilnehmer profitieren können. Die Einführung systematischer Kontrollen der Finanzsektors, spätestens seit dem Zusammenbruch der Barings Bank 1995, hat vor allem dazu geführt, dass ein Schattenbanksektor entstanden ist. Dieser weitet sich durch die verschärften staatlichen Kontrollen seit der letzten Finanzkrise immer weiter aus. Kapital das nicht entdeckt werden will, findet immer neue Mittel und Wege im Dunkeln zu bleiben.


Blick auf George Twon Harburg Carmen Islands. 
Die Inseln gelten als eine der Steueroasen und bieten sich an als Sitz vieler Schattenbanken
(Quelle: Roger Wollstadt)


Schon wird davon ausgegangen, dass der Schattenbanksektor größer ist als das Bruttosozialprodukt ganzer großer Volkswirtschaften. Überprüfen lässt sich das mangels jeglicher Transparenz aber eben nicht. Deshalb träfe die Durchführung eines Chicago-Plans bei den öffentlich bekannten Banken auch nur einen geringen Teil des tatsächlich vagabundierenden Kapitals auf der Welt. Den Zentralbanken, denen heute gerne von einigen Kommentatoren die eigentliche Macht in Volkswirtschaften zugesprochen wird, fehlt tatsächlich der entscheidende Einfluss auf die Handlungsweise der Banken und der Realwirtschaft. In einer Umgebung totaler medialer Präsenz  und anonymer Erwartunghaltungen von Märkten, erscheinen die Entscheider in den Zentralbanken immer mehr als Getriebene denn als Treiber.


So bleibt denn der Chicago-Plan, der im Kern die vollkommene öffentliche Kontrolle über das Finanzgeschehen vorsieht, heute, genauso wie vor achtzig Jahren, wohl eher eine Utopie als eine realistische Handlungsalternative. Eine Antwort auf die Frage nach der Motivation der aktuellen Befürworter des Chicago-Plans bleibt, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, allerdings aus.

#1 Einen guten Überblick über Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte gewinnt man in dem Buch des Artikelautors unter dem Titel "Chance & Risiko”, erschienen im Verlag Bookrix-Edition.

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