Alles wird in Frage gestellt! -Bericht von einem deutsch-amerikanischen Gedankenaustausch- von Thomas Seidel

Konkrete deutsch-amerikanische Beziehungen werden selten auf dem großen Parkett gepflegt. Wichtig sind direkte persönliche Kontakte zwischen Vertretern aus allen gesellschaftlichen Kreisen. Eine Einrichtung dafür ist das American Institute for Contemporary German Studies (AICGS), welches als Forschungsinstitut mit der renommierten Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland verbunden ist.

Frankfurter Wertpapierbörse im Jahr 2004
(Quelle wikipedia gemeinfrei, Urheber Matthias Bringen)

Die aktuelle Tagung in den Räumen der Frankfurter Wertpapierbörse befasste sich mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen vor dem Hintergrund der aktuellen Präsidentschaftskampagne in den USA. Als einer der Hauptredner brachte der frühere SPD-Finanzminister Peer Steinbrück seine Besorgnisse in gewohnt direkter Art auf den Punkt. 

Peer Steinbrück
(Quelle: Thomas Seidel)
Er sehe das demokratische Vorbild Amerika im aktuellen Präsident-schaftswahlkampf sehr bewölkt, zumindest was den damit verbundenen demokratischen Prozess anginge. Steinbrück macht deutlich, dass die Grundlagen des westlichen Wertesystems allein in der amerikanisch-europäischen Verbindung existiere und Achtung fände. Alle anderen Regionen in der Welt wollten daran nicht teilhaben. Dies würde zur Zeit aber auch noch durch den zunehmenden Nationalismus in einigen europäischen Ländern belastet. Man muss hier großzügig darüber hinweg sehen, dass Herr Steinbrück so große Flächenländer wie Kanada und Australien oder auch durchaus demokratisch etablierte Staaten wie etwa Südkorea, die Philippinen oder auch Israel nicht ausdrücklich mit einbezogen hat. Aber grob gerechnet stehen hier etwa eine Milliarde Menschen gegen die übrigen über sechs Milliarden auf der Welt.

Gilman Hall
 Johns Hopkins University, Maryland
 (Quelle: wikipedia Flickr, CCL
 Urheber: Lester Spence aus Baltimore USA)
Für Steinbrück darf der Präsidentschafts-bewerber Donald Trump nicht Präsident werden. Dagegen stünden aus seiner Sicht schlicht Sicherheitsbedenken, da dessen eigentliche politischen Haltung unklar bleibe. Steinbrück befürwortet den Fortgang der Verhandlungen über Freihandelsabkommen wie etwa das hierzulande so gescholtene TTIP (Transatlantik Trade and Investment Partnership). Aus seiner Sicht stärkt es die transatlantischen Beziehungen eher, als dass es sie entzweit. So unterstützt Steinbrück auch nachdrücklich Maßnahmen gegen die globale Erwärmung. Sie würden auch helfen die Flüchtlingskrise einzudämmen. Der naheliegend Grundgedanke ist, durch verbesserte Lebensbedingungen Flüchtlingen ihre eigenen Heimatländer langfristig wieder attraktiver zu machen. Aber will man sich wirklich eine Kampagne etwa wie „Bäume gegen Flüchtlinge“ vorstellen? Für Steinbrück jedenfalls sind amerikanisch-europäischen Beziehungen eine Schicksalsgemeinschaft. Aus der oben geschilderten Minderheitensicht klingt das fast schon wie ein Aufruf zu Bildungen einer Wagenburg.

Das sich anschließende Panel konzentrierte sich auf die politischen Rahmenbedingungen vor dem amerikanischen Administrationswechsel. Der die international viel beachtete, jährliche Münchner Sicherheitskonferenz seit 2008 leitende ehemalige Deutsche Botschafter in Washington Wolfgang Ischinger porträtierte gleich die Ambitionen des gegenwärtigen russischen Präsidenten Vladimir Putin. Dieser suche nach einem Dialog auf Augenhöhe mit einem amerikanischen Präsidenten. Bundeskanzler, Premierminister, Staatspräsidenten und Brüssler Kommissionsleiter seien demnach für Putin nur nachrangige Gesprächspartner.

Panel 1 v.l.n.r. Wolfgang Ischinger, Andreas Nick. Julianne smith, John Kornblum, Karen Donfried
(Quelle: Thomas Seidel)
Immer zum Nachdenken regt der großelterlicherseits deutschstämmige John Kornblum an. Neben vielen Ämtern und Aufgaben war er unter anderen Amerikanischer Botschafter in Deutschland um die Jahrtausendwende. Für Kornblum ist der Dialog zwischen der Vereinigten Staaten und Europa einer zwischen Völkern, Kulturen und Gesellschaften. Die Politik hinke dieser Entwicklung immer hinterher. Kornblum verglich die tiefe Wunde, die der Anschlag auf die Twin-Towers in New York am 11. September 2001 in die amerikanischen Gesellschaft geschlagen hatte, mit der Verwundung unter der die europäischen Gesellschaften derzeit durch die Flüchtlingskrise litten. Beide Gesellschaften mussten hinnehmen, dass Entwicklungen auf ihrem eigenen Territorium stattfänden, die sie nicht mehr unter Kontrolle haben. Dennoch erscheint dies doch ein sehr schwieriger Vergleich. War doch der Anschlag in New York ein tückisches kühl geplantes Verbrechen, während der Flüchtlingstreck letztlich seine Ursache in tiefster menschliche Not und Verzweiflung hat.

John Kornblum und Karen Donfried
(Quelle: Thomas Seidel)
Die Präsidentin des German Marshall Fund Karen Donfried führt aus, die Vereinigten Staaten suchten ja die Kooperation mit Europa weil man es für stabil halte. Allerdings würde die Stabilität zuletzt in Frage gestellt, durch Ereignisse etwa wie den möglichen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (Brexit), die Handlungsschwäche eines französischen Präsidenten Hollande oder das Erstarken nationaler Kräfte wie zuletzt die Alternative für Deutschland (AfD).

Der deutsche Bundestagsabgeordnete Andreas Nick erinnert daran, dass der Status-quo in den deutsch-amerikanischen Beziehungen von beiden Seiten zu sehr und zu lange als selbstverständlich hingenommen worden ist (taken for granted). Amerika würde militärisch führen, was zu der Aussage von Wolfgang Ischinger passt, wonach die USA immer noch 70 Prozent des NATO-Haushalts bestreiten würden. Doch haben sich die Rahmenbedingungen dramatisch geändert. Dabei sei es vor allem ein Problem für die deutsche Politik, den eigenen Bürgen das notwendige Mehr an Verantwortung in den Bündnissystemen beizubringen.

Julianne Smith, eine ehemalige Präsidentenberaterin im Weißen Haus, zeichnet das ganz große Bild. Durch Donald Trump aber auch in der EU würde inzwischen alles hinterfragt. Warum müssten denn die USA führen? Braucht es die NATO oder gar die EU überhaupt noch? Es ginge um fundamentale Fragen und die Notwendigkeit den Völkern zu erklären warum die Dinge so sind wie sie sind. Politische Trennlinien über alle Parteien hinweg zögen sich zwischen Globalisieren und Territorialisieren.

Panel 2 v.l.n.r. Carlo Koelzer, Richard Fisher, Eugene A. Ludwig, Andreas Dombret
(Quelle: Thomas Seidel)
Das zweite Panel war mehr auf Wirtschaft und Finanzen fokussiert. Der frühere Präsident der Federal Reserve Bank of Dallas, Texas Richard Fisher erläuterte, dass eine Nullzinspolitik der Zentralbanken dazu führe, dass man beginne die eigenen Cash-flows anders zu diskontieren. Das sei die Herausforderung für die Zentralbanken. Wie kommen sie aus der Klammer der selbst bestimmten Konditionen wieder heraus, ohne die Weltwirtschaft in Turbulenzen zu stürzen. Das geht einher mit der Frage des Deutsche Börse Vertreters Carlo Koelzer, ob der gegenwärtige Zustand der relativen Wertlosigkeit des Geldes der neue Normalzustand wird, oder es eine Rückkehr in den vorhergehenden Zustand gäbe, in der Geld an sich einen Wert hatte. Die Tragweite dieser Fragestellung für die Aufstellung aller Wirtschaftsteilnehmer wie Firmen, Investoren, Kapitalmärkte, Finanzinstitute und nicht zuletzt Konsumenten und Rentensparer sowie den Staat, haben wohl die wenigsten der anwesenden Teilnehmer im Ganzen erfasst.

Eugene A. Ludwig
(Quelle: Thomas Seidel)
Als ein anerkannter wirtschaftlicher Vordenker wagte Eugene A. Ludwig Gründer und CEO der Promontory Financial Group (Anm. d. Red. „promontory“ in Deutsch etwa „Felsvorsprung“ aber kein „Fels in der Brandung“) gleichzeitig einen Ausblick in die Zukunft und einen Einblick in die Gegenwart. Die Technologie sei der bei weitem wichtigste Treiber für die künftige Wirtschaftsentwicklung. Das gelte zum Beispiel für das Gebiet der Robotik mit dem ein weiterer Wegfall manueller Arbeitsplätze verbunden sein werde. Die neuen Regeln im Finanzwesen hätten keinerlei wissenschaftlichen Test gehabt und seien nur Annahmen, die in ihren Auswirkungen nun ausprobiert werden müssten. Das allerdings ist für die Vertreter der Fachbranche so gar nichts neues. Regeln für die Finanzindustrie, wie im übrigen auch für andere Wirtschaftszweige, waren immer schon und werden auch immer sein, Reaktionen auf vorhergehende Krisen im kleinstgemeinsamen politischen Konsens. Die Zeiten langfristig durchdachter politischer Willensbildung sind scheinbar unrettbar verloren gegangen.

Besonders das Versagen der Fiskalpolitik, sowohl in den USA wie auch in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft ist für Ludwig, Fisher und Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, einer der Hauptgründe, warum es inzwischen zu einer Handlungsdominanz der Zentralbanken gekommen ist. Allein diese bekommen, wenn überhaupt, nur noch etwas gebacken. Doch müssten die Zentralbanken schnell wieder in den Bereich positiver Zinsen zurückkehren, da sie inzwischen als Hauptgläubiger der Staaten zunehmend vom Wohl und Wehe deren Ökonomien abhängig sind. Diese Zwangslage würde noch durch einen enormen Interessenkonflikt verstärkt, wenn eine Zentralbank gleichzeitig die Aufsicht über die Finanzbranche habe.

So war diese Veranstaltung ein gleichermaßen interessanter wie wichtiger Einblick in die politische und wirtschaftliche Situation auf beiden Seiten des Atlantik. Doch treten wir zunächst in eine lange Phase politischer Entscheidungslähmung ein. Zunächst bedingt durch den Wechsel in der amerikanischen Administration, dann bedingt durch die Wahlen zum Deutschen Bundestag und des Französischen Staatspräsidenten. Möglichweise werden in fünfzehn Monaten völlig neue Gesprächspartner an allen drei Stellen miteinander auskommen müssen.
Wer voraussichtlich dann aber immer noch an Ort und Stelle ist: Vladimir Putin. ва́ше здоро́вье!


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Herrschaft der Minderheiten - Ein Essay von Thomas Seidel-

Erneute Verschleierung durch die SPD: Das Ende der Fallpauschale im deutschen Gesundheitswesen -von Thomas Seidel-

Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel