Einblicke in die Vergangenheit sollen helfen die Gegenwart zu verstehen von Thomas Seidel
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Campus Goethe-Universität Frankfurt mit Blick über den Kasinoneubau auf den Pelzig-Bau. Im Hintergrund die Banktürme Frankfurts. (Quelle: Thomas Seidel) |
Selbst
heute noch gibt es Institutionen die die Einsicht haben, das Studium
der Vergangenheit hilft beim Verständnis der Gegenwart. Es
überrascht dabei nicht, dass die Protagonisten selbst aus
Jahrhunderte alten Einrichtungen stammen, in denen eine Kultur langer
Traditionen gepflegt wird. Das Frankfurter Bankhaus Metzler, seit
über 340 Jahren in ausschließlichem Familienbesitz, und die Edmond
de Rothschild Group finanzieren an der Frankfurter Goethe-Universität
einen Lehrstuhl, der sich mit Finanzgeschichte beschäftigt. Dort kam
es dieser Tage zu einer interessanten Veranstaltung, aus der man
etwas über die Erkenntnisarbeit dieses Forschungs-gebiets erfahren
konnte.
Die
diesjährige Gastprofessorin Caroline Fohlin, von der privaten Emory
University aus Georgia, machte Ausführungen zur historischen
Sichtweise über Finanzsysteme und Kapitaleinsatz. Sie widmete sich
besonders der Frage, ob einerseits ein Universalbanksystem oder ein
Trennbanksystem und andererseits eine bankdominierte oder eine
marktorientierte Kapitalversorgung, historisch belegbar, die bessere
Finanzstruktur biete. Fohlin kommt zu dem Schluss, moderne
Industriestaaten seien am besten diversifiziert aufgestellt. Einige
universal agierende Großbanken und eine Vielzahl von spezialisierten
Banken böten einen guten Mix von Finanzdienstleistern. Sei daneben
für funktionierende Märkte gesorgt, wären das die besten
Voraussetzungen jede künftig notwendige Anpassung zu meistern. Dabei
mache es kaum einen Unterschied, ob gute Finanzdienstleistungen von
Banken oder Marktsystemen zur Verfügung gestellt würden. Sobald
sich eine Industrie entwickle, würde sich auch die Finanzierung des
möglichen Wachstums ergeben.
Moritz
Schularick von der Universität Bonn untersuchte unter dem Titel „The
Great Leveraging“ die Basis für wirtschaftliches Wachstum anhand
von Daten aus 17 Ländern und für die Zeiträume von 1870 bis 1970,
sowie von da an bis heute. Für die erste Periode sei festzustellen,
dass die Treiber des Wirtschaftswachstums Bankkredite an den
Nichtbankensektor gewesen seien. Ab den 1980er und 1990er Jahren, sei
es zu massiven Immobilienfinanzierungen an private Haushalte
gekommen. Auch wenn Schularick das nicht ausführte, so spiegelt
seine Untersuchung doch deutlich die achtjährige Politik der
amerikanischen Clinton-Administration wider, die in dieser Zeit jedem
amerikanischen Bürger die Erfüllung des Wunsches vom eigenen Heim
versprach. In der Konsequenz, so Schularick, habe dies dazu geführt,
dass selbst nach den Bereinigungen der letzten Finanzkrise viele
große Banken immer noch massive Risiken aus Immobilienfinanzierungen
in ihren Bilanzen mit sich führten.
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Iain Hardie von der University of Edinburgh (Quelle: Thomas Seidel) |
Einmal
mehr auf die Unterschiede zwischen dem anglo-amerikanischen und dem
kontinental-europäischen Banksystem ging Iain Hardie von der
University of Edinburgh in seinem Vortrag „Market based Banking and
Financial System Change“ ein. Während im angelsächsischen
bekanntlich die Industrie sich vornehmlich aus marktgehandelten
Aktien- und Schuldscheinkapital finanziere, wären Firmen in
Kontinentaleuropa eher bankfinanziert, wobei der Archetypus dieses
Systems Deutschland sei. Doch zeichne sich kein entscheidender Wandel
hin zu einer stärkeren Marktorientierung ab. Im Gegenteil, in zehn
von elf Ländern, mit Ausnahme Japans, wachsen die Bankaktiva
schneller als die Aktien- und Schuldscheinmärkte. Einige Länder mit
beiden Finanzsystemen würden tatsächlich mehr zu einem
bankbasierten Finanzierungssystem neigen, zumindest was den
Untersuchungszeitraum von 2000-2007 angeht.
Nach
der letzten großen Finanzkrise wandte sich die Regulierung zunächst
gegen zu üppige Handelsrisiken. Gleichwohl habe die Politik durchaus
die Notwendigkeit von marktbasierten Finanzsystemen erkannt. Deren
Ausgestaltung wird jedoch von nationalen Gegebenheiten abhängig
sein. Doch bis zur vollen Funktionsfähigkeit der neuen
Finanzaufsicht und einer Normalisierung der Märkte sei es noch ein
gutes Stück Weg.
Aus
der Geschichte lernen, ist ein in Wirtschafts- und Finanzsachen noch
weit und tief zu beackerndes Gebiet. Wir wissen heute deutlich mehr
über die tatsächlichen oder legendären Heldentaten eines
Gilgamesch oder Odysseus, eines Augustus oder Arminius, als über die
Systeme derer wirtschaftlichen Lebens- und Staatsgrundlagen. Das
notwendige Quellmaterial wird spätestens vor der Mitte des 19.
Jahrhunderts schnell recht dünn. Man sollte sich wünschen mehr und
genauer etwas über das Wirtschaften der Menschen in allen Zeiten zu
erfahren, damit Schlussfolgerungen auf einer deutlich breiteren
Wissensbasis gezogen werden können.
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