Die dunkle Seite des Isolationismus von Thomas Seidel

James Monroe 5.Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
 Bildnis von William James Hubbard ca. 1832
Begründer der isolationistischen Monroe-Doktrien
(Quelle: wikipedia, gemeinfrei)

Mit jeweils einer knappen Mehrheit hat der Volkssouverän in den zurückliegenden Monaten in zwei wichtigen Ländern der westlichen Welt den Weg zu einem Isolationismus freigemacht. Es sind das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika. Gewisse nationalistisch gesinnte Interessengruppen erhoffen sich in beiden Ländern eine wirtschaftliche und letztlich auch politische Wiedererstarkung ihrer Nationen. Doch sie haben ihre Rechnung ohne die dunkle Seite des Isolationismus gemacht.

Nicht ganz zufällig traten Mitte der 1990er Jahre zwei Phänomene fast gleichzeitig auf: das Internet und die globale Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte. Erst das Internet hat die technisch-kommunikativen Voraussetzungen für schnelle, weltweite Finanzgeschäfte geschaffen. Umgekehrt haben die Finanzmärkte die immer größeren Kapitalmittel zur Verfügung gestellt, die Internet-Nutzung mehr und mehr auszuweiten. Voraussetzung für diese Entwicklungen waren vor allem anderen der freie Austausch von Wissen, Gedanken, Meinungen und Menschen. Nur wem es gelang, die Besten der Besten für sich zu gewinnen, konnte einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erlangen. Keinerlei Rolle spielen, darf dabei die Frage der nationalen, kulturellen oder religiösen Herkunft. Wissen, Können und Fähigkeiten des menschlichen Gehirns kennen solcherlei Grenzen nicht.

Josef Stalin (eigentlich Josef Dschugaschwili)
 auf der Konferenz von Teheran 1943
 (Quelle: wikipedia gemeinfrei, Urheber: U.S. Signal Corps photo)
Der Sowjetdiktator war eigentlich weniger isolationistisch als
alle nachfolgenden Administrationen des Landes
Kein Wunder, dass in der Vergangenheit wie Gegenwart immer diejenigen Nationen in Sachen Innovation und Wettbewerb den Kürzeren gezogen haben, die sich besonders isolationistisch verhielten. Ein jahrhundertelanges Lied des Leids können davon bis heute zum Beispiel die Russen singen. Schon zu Zeiten des Zarismus war deren Gesellschaft allem Fremden gegenüber extrem misstrauisch. Auf der anderen Seite läßt sich nahezu jede wirklich wichtige russische Innovation auf einen direkten oder indirekten ausländischen Einfluß zurück führen. Auf die Spitze getrieben, hat es dann in Russland die kommunistische Sowjetunion mit ihrem ideologischen Dogma. Siebzig Jahre Entwicklungsstillstand. Da halfen auch nicht die zunächst scheinbaren Erfolge in der ganzen frühen Zeit der Raumfahrt. Die Denkzwänge aus den Dogmen der Kommunisten erinnerten immer stark an diejenigen vor allem der Katholischen Kirche. Der war es bekanntlich gelungen, jeglichen Wissensfortschritt in Europa sehr erfolgreich für über eintausend Jahre zu unterdrücken. Hauptsache der dogmatische Glaube stimmte. Nicht nur Galileo Galilei ist dafür ein beredter Zeuge. Aber auch nach dem Ende der Sowjetunion hat sich in Russland nicht wirklich etwas zum besseren gewendet. Denn wie schon zu des Zaren Zeiten, kontrolliert der Staat genau und zwanghaft, was man denken soll und machen darf.

Ein ähnliches Problem schleppt auch das, zumindest offiziell nach wie vor, kommunistische China mit sich herum. Gemessen an der reinen Bevölkerungszahl, müsste statistisch die Anzahl innovativ denkender und genialer Menschen in China am größten sein. Dennoch ist das Land bis heute nicht wirklich über das Stadium des Kopierens hinaus gekommen. Dabei sind Chinesen alles andere als leistungsschwach. Versetzt man diese durchaus hochqualifizierten Menschen aus China hinaus in eine undogmatisch Umgebung, wie man sie bisher etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika fand, erbringen sie nicht nur die gleichen, sondern sogar noch besser Leistungen als die einheimischen Bürger in ihren jeweiligen Fachgebieten.

Mao Zedong mit Richard Nixon am 29. Februar 1972
(Quelle: wikipedia, gemeinfrei Urheber: White House Photo Office)
Ob heute eine Verständigung zwischen den beiden Mächten möglich ist?
Nun schicken sich ausgerechnet die beiden bislang selbst ernannten Musternationen des Liberalismus an, ihre Wirtschaftsräume gegen einen vermeintlichen fremd-ländischen Einfluss zu isolieren. „America first!“ tönt es allenthalben von jenseits des Atlantik. Was die eher zufällig entstandene Brexit-Mehrheit im Vereinigten Königreich angeht, handelt es sich schlicht um immer lauter werdenden Fremdenhass, geboren aus dem wirtschaftlichen Niedergang der alten Stamm-bevölkerung. In beiden Staaten trägt eine, zur Zeit politisch immer einflussreicher werdende, Gruppe von Menschen diese Abschottungstendenzen. Man kann sie, ohne wenn und aber, als die gefühlten Verlierer der Globalisierung der letzten zwanzig Jahre bezeichnen. Umfragen haben ergeben: es sind mehrheitlich schlecht ausgebildete, weiße Männer mittleren Alters.

Doch handelt es sich dabei auch um gesellschaftliche Rückzugsgefechte. Besonders in den USA steht die einstmals staatsgründende weiße, protestantische Mehrheit unwiderruflich auf der Kippe. Es war just am Tag der tödlich verlaufenden Polizeiaktion in Ferguson, Missouri gegen den gerade mal 18-jährigen Michael Brown am 9. August 2014. Da verkündete eine Schulbehörde in den USA, dass erstmals in der Geschichte des ganzen Landes die Mehrheit der Erstklässler nicht mehr weiße protestantische Kinder seien, sondern Kinder aus anderen Gemeinschaften. Diese Entwicklung ist kaum mehr abzuwenden. Sie wird dafür sorgen, dass in spätestens zwei Generationen der Bevölkerungsanteil der Staatsgründerabkömmlinge selbst nur noch eine, immer weiter schwindende, Minderheit in den USA sein wird. Eine ähnliche demographische Entwicklung darf man auch durchaus als gegeben für das Vereinigte Königreich annehmen.

Vor diesem Hintergrund wirkt sich eine isolationistische Politik gleich doppelt gefährlich aus. Der negative Effekt kommt dabei nicht sofort, sondern sehr langfristig und schleichend, ähnlich wie es die demographische Entwicklung tut. Führt man den Isolationismus ein, wird die zunehmende Behinderung des freien Verkehrs von Menschen, Gedanken, Ideen und Waren letztlich zu einem Braindrain führen, also zu einem Verlust von nationaler geistiger Schöpfungskraft. Menschen die es drauf haben etwas zu entwickeln und zu unternehmen, lassen sich nun mal nur ungern in irgendeiner Weise beschränken. Sie ziehen von dannen, ob Ausländer oder Einheimische. Neue Hoffnungsträger kommen dann erst gar nicht in solche isolationistischen Ländern hinein. Beispielhaft wie betroffen ausländische Wissenschaftler in den USA bereits jetzt davon sind, zeigte kürzlich der SPIEGEL in einem Artikel auf. Hier der Link dazu: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/usa-unter-donald-trump-diese-deutsche-wissenschaftlerin-will-zurueck-a-1139050.html .

Was auf die Dauer in isolationistischen Ländern übrig bleiben wird, ist eine einheimische Bevölkerung, die von Jahr zu Jahr demotivierter und deprimierter wird. Das wird die nationale Volkswirtschaft viel Geld kosten. Da Innovationen zunehmend nicht mehr im eigenen Land stattfinden, müssen neue Produkte mehr und mehr aus dem Ausland importiert werden. Dagegen wird der Export der eigenen Waren immer schwieriger, besonders wenn es sich um Produkte handelt, für die es auf den internationalen Märkten genügend bessere Alternativen gibt. Unter dem isolationistische Braindrain leidet, wie nichts anderes, die Wettbewerbsfähigkeit solcher Staaten. Das ist die dunkle Seite des Isolationismus.

Es mag ja sein, dass durch Isolationismus national zunächst mehr Arbeitsplätze geschaffen werden können. Gerade aber in den USA kann der durchschnittliche Haushalt seinen Lebensstandard schon seit Jahrzehnten nur deshalb halten, weil viele Konsumprodukte deutlich billiger aus dem Ausland bezogen werden, als aus heimischer Produktion. Würde mehr und mehr im eigenen Land produziert, verteuern sich selbst einfache Produkte des täglichen Lebens. Daneben ist es kaum vorstellbar, dass ein Unternehmen wie etwa Apple, seine Telefone zu einem Stückpreis von rund 2.000 Dollar verkaufen könnte, sollte es gezwungen sein, seine ganze Produktion allein in Amerika und auf amerikanischem Lohnniveau laufen zu lassen.


Margarete Thatcher auf Truppeninspektion
 in Bermuda am 12. Dezember 1990
(Quelle: wikipedia, gemeinfrei Urheber: White House Photo Office)
Langfristig hat ihre verfehlte Wirtschaftspolitik zum Brexit geführt
In Großbritannien träumt so mancher von den „good old days of the Empire“, als Britannien noch eine Weltmacht war und fest daran glaubte auf Augenhöhe mit Supermächten wie den USA oder der früheren Sowjetunion verhandeln zu können. Nichts davon ist übrig geblieben. Die alte Wirtschaftskraft des Empire beruhte auf einem Absatzmarkt für die heimischen Produkte in den eigenen Kolonien mit hunderten Millionen von Untertanen. Das alles ist weg. Mit Ach und Krach bringt es die britische Bevölkerung heute auf einen Markt von 60 Millionen Bürgern und im Isolationismus wird ihre Wirtschaft auf genau diese Anzahl von Konsumenten zusammenschrumpfen. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals fühlt man sich immer noch als maritime Weltmacht. Doch hat man dort, Margaret Thatcher sei dank, keine Werften mehr, um die eigenen Kriegsschiffe zu bauen. Die muss man inzwischen aus Frankreich beziehen. Man hat keine eigene nennenswerte Autoindustrie mehr, keinen weltweit konkurrenzfähigen Maschinen-bau, keine bedeutende chemische Industrie und sowieso keine wirkmächtige Textilindustrie. Margaret Thatcher hat das Land systematisch deindustrialisiert, um die Gewerkschaften zu bekämpfen. Die anstelle der alten Industriearbeiter bevorzugten Dienstleister aber sind eigentlich und zurecht die Hauptgegner des Brexit.

Mehr noch als irgendein Land sonst, waren und sind die USA auf den innovativen geistigen Input von Ausländern angewiesen. Das hat auch sehr viel mit dem mangelhaften Bildungssystem zu tun. Eine qualifizierte nichtakademische Berufsausbildung gibt es von Anfang an nicht in Amerika. Selbst weltweit berühmte Universitäten wie Harvard, Stanford und Co waren zu keinem Zeitpunkt in der Lage, eine ausreichende Anzahl von wirklich innovativ denkenden Menschen heran zu ziehen, die dem Land aus seiner eigenen Bevölkerung heraus genügend wettbewerblichen Vorsprung hätte verschaffen können. Der Staatsadministration und den Unternehmern in Amerika war dieser Mangel bisher immer schmerzlich bewusst. Deshalb förderte man bislang gezielt die Anwerbung qualifizierter Menschen aus allen Herren Länder. Das scheint nun vorbei zu sein. Politisch jedenfalls haben die Befürworter des Isolationismus zunächst gewonnen.

Harvard University, Massachusetts Hall
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Muns)
Die demokratische Partei in den USA hat sich im letzten Präsidentschaftswahlkampf ebenso verzehrt, wie die britische Labourpartei durch den Brexit in Großbritanniten. Eine kluge Analyse sagt für die nächste Zeit eine lange Herrschaft der Republikaner in Amerika und der Tories in Großbritannien voraus. Es ist also damit zu rechnen, dass in beiden Ländern die Isolationisten ihre Vorstellungen verwirklichen werden. Damit läuten sie aber voraussichtlich den wirtschaftlichen Niedergang ihrer Nationen ein. Es ist unbestritten und historisch hinlänglich bewiesen, je freier und grenzen-loser Handel und Austausch sind, desto mehr profitieren Volkswirtschaften davon. Allein die politischen Systeme haben in der Breite bei diesem Fortschritt nicht mithalten können.

Wenn Einer was verliert, müsste ein Anderer da nicht etwas gewinnen? Sollte sich also zum Beispiel Kontinentaleuropa auf diese Entwicklung freuen und versuchen davon zu profitieren? Im Gegenteil, niemand hier würde davon wirklich einen entscheidenden Nutzen haben. Weder politisch noch militärisch könnte Europa eine schwächelnde USA ersetzen. Statt dessen muss man dauerhaft mit immer mehr und immer neuen Krisen rechnen. Derer wird man mit einem, mit sich selbst beschäftigten, Amerika nicht Herr werden. Als Europäer allein erst recht nicht.

Europäisches Parlament in Strasburg 2014
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Diliff)
Europa bleibt 2017 weitestgehend handlungsunfähig
Inzwischen geht auch noch viel Zeit verloren. Selbst in Europa kommt es zu einer Art temporären Isolationismus. In diesem Jahr wird Europa sich schon deshalb nicht zu irgendeinem konstruk-tiven gemeinsamen Schritt aufraffen können, weil man starr auf den Ausgang der französischen Präsidentenwahl und die herbstliche deutsche Bundestags-wahl warten muss. Bis in den beiden, europäisch so wichtigen, Kernländern, die wie auch immer politisch gearteten neuen Administrationen stehen, werden dann noch Wochen vergehen. Selbst danach wird es noch eine Weile dauern, bis man sich in Paris und Berlin gegeneinander genügend abgerieben hat, damit überhaupt so etwas wie eine funktionierende Zusammenarbeit zustande kommt. Erst danach wird man dann vielleicht in der Lage sein, an Antworten auf den, dann schon weit fortschreitenden, angelsächsischen Isolationismus zu arbeiten.


Selbst bei allen Beteiligten die besten Absichten vorausgesetzt, allein die Eigendynamik der jetzt in Gang gesetzten Ereignisse wird eine Wende zum Positiven nur schwer zulassen. Ein "weiter wie bisher" jedenfalls wird es unter keinen Umständen geben. Düster bis dunkel sind eher die Aussichten für die nächste Zeit.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Herrschaft der Minderheiten - Ein Essay von Thomas Seidel-

Erneute Verschleierung durch die SPD: Das Ende der Fallpauschale im deutschen Gesundheitswesen -von Thomas Seidel-

Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel