Was von der Liquiditätsflutwelle übrig bleiben wird -von Thomas Seidel-



In diesen Tagen werden die Grundlagen für mächtige Liquiditätsprogramme gelegt. Die Europäische Union jongliert mit 750 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe. Allein für Deutschland plant die Bundesregierung ein Paket von 130 Milliarden Euro, andere Länder in Europa planen ähnliche Konjunkturprogramme. Jüngst hat die Europäische Zentralbank (EZB) beschlossen, ihre ohnehin schon üppigen Anleihekaufprogramme auf 1.350 Milliarden Euro aufzustocken. Man redet auf europäischer Ebene also über 2.100 Milliarden Euro an liquiden Mitteln, zuzüglich der jeweils nationalen Programme. Würde man jede eintausend Euro mit einem Kubikmeter Wasser gleichsetzen, entspräche das etwa einem Zehntel des Wasservolumens der Ostsee. Eine schöne Flutwelle, wenn man es ausschüttet. Die Frage ist, was davon übrig bleiben wird.


Das Credo der Monetaristen, alle wirtschaftlichen Probleme allein mit Geld in sehr liquider Form lösen zu können, begleitet die Weltwirtschaft seit den 1980er Jahren. Die Summen mit denen an verschiedenen Stellen operiert wird, sind in den letzten 25 Jahren sprunghaft angestiegen. Die Treiber dieser Entwicklung sind vor allem die Kapitalmärkte und die Börsen. Die Quelle der Gelder sind Kredite, deren Volumen inzwischen ins unermessliche gestiegen sind. Das aber entwertet die eigentliche Kapitalsubstanz.


Die Maßnahmen der EZB zur Aufrechterhaltung der Liquidität im Euroland sollen nach wie vor Spekulationen gegen den Euro verhindern. Zwar hat sich der frühere EZB-Präsident Mario Draghi immer gerne damit geschmückt, Millionen Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Doch die neuen Arbeitsverhältnisse sind kurzfristig und prekär und durch die Coronakrise innerhalb von nur zwei Monaten auch längst schon wieder weg. Wer seinen Job verloren hat, findet noch für lange Zeit keinen Einstieg mehr in den Arbeitsmarkt und bleibt auf staatliche Transferleistungen angewiesen. Ganze Branchen brechen zusammen. Der Tourismus, die Flugindustrie, der Automobilbau, die Logistik, um nur einige zu nennen. 


In dieser Situation versucht die Politik in Europa gegen zu steuern. Doch was dabei herauskommt ist entweder nicht geeignet oder kontraproduktiv. Eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer ist eine lächerliche Augenwischerei. Zwei Prozent Mehrwertsteuersenkung auf 500,00 Euro für Lebensmittel-

Einkäufe im Monat machen gerade mal 10,00 Euro aus. Kein Endverbraucher wird von den drei bzw. zwei Prozent Absenkung profitieren, weil gleichzeitig die Verbraucherpreise besonders für Lebensmittel, Körperpflege und Reinigung schon kräftig angestiegen sind. Das gilt auch für das Hotel- und Gaststättengewerbe, die die Chuzpe haben, entstandene coronabedingte Verluste durch kräftige Preiserhöhungen wieder wettmachen zu wollen. Wo soll denn da der Konsumschub herkommen?


Auf europäischer Ebene streitet man sich bis aufs Messer über die Frage nach der Herkunft der Gelder. Kein einziges Wort wird über deren mögliche Verwendung verloren. Wann, wenn nicht jetzt, wäre es an der Zeit über substantielle europäische Infrastrukturprojekte abzustimmen. Zum Beispiel einen gezielten und kräftigen Ausbau eines europäischen Hochgeschwindigkeit-Schienennetzes, um künftig innereuropäische Flüge weitgehend überflüssig zu machen und damit gleichzeitig noch etwas für den Klimaschutz zu tun. Das gilt noch mehr beim Thema Stromversorgung. Statt ein grenzüberschreitendes Grid vieler kleiner Produzenten, die erneuerbare Energien produzieren, anzulegen, schafft man es in Deutschland nicht einmal Nordseewindkraft nach Bayern zu verbringen, weil sich dort einige Herrschaften über Hochspannungsleitungen aufregen.


Im Thema der viel diskutierten Digitalisierung ist dagegen weit weniger dringernder Handlungsbedarf,

gemeinhin immer berichtet wird, Infrastrukturell ist Europa in diesem Punkt den Vereinigten Staaten

von Amerika bereits weit voraus. Maßstab sind hier eher asiatische Länder wie etwa Südkorea.

Dennoch besteht in der Digitalisierung Handlungsbedarf. Doch die meisten Manager glauben immer

noch, es handle sich um ein Scannen von Papier in ein pdf-Format. Nein, Digitalisieren heißt, dass

ganze Produktions- und Verwaltungsprozesse automatisiert werden müssen. Doch dagegen mauern

die Gewerkschaften, denn es wird hunderttausende von Arbeitsplätzen kosten. Es mauern aber auch

die Beamten und die Justiz, die sich einen Rechtsverkehr ohne Papier einfach nicht vorstellen

können oder wollen.


Es steht zu befürchten, wenn jetzt die Liquiditätsflutwelle über Europa ausgeschüttet wird, wird der

allermeiste Teil der Gelder einfach versickern und verdunsten, wie wenn man es während der

Mittagshitze in der Wüste regnen lässt.


Wo das ohnehin schon irreale Geld herkommt, ist nicht so wichtig. Politisch diskutieren und

kontrollieren muss man dessen Verwendung, sonst verliert Europa auf der globalen Ebene auch

noch die letzte Wettbewerbsfähigkeit.

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