Einige Wahrheiten über die amerikanische Demokratie -von Thomas Seidel-


Mount Rushmore Monument in South Dakota zeigt die vier Präsidenten (v.l.n.r.) George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Thomas Wolf)


So kurz vor der anstehenden Präsidentenwahl in den USA, lohnt es sich vor Augen zu halten, was die US-amerikanische Demokratie in der Realität ausmacht. Die tatsächlichen Machtverhältnisse weichen erheblich von den Intensionen der Autoren der Unabhängigkeitserklärung und der erst dreizehn Jahre später entstandenen Verfassung ab.

Als letztlich 13 amerikanische Kolonien, bis dahin unter britischer Verwaltung, am 4. Juli 1776 ihre Unabhängigkeit von der englischen Krone proklamierten, schrieb ihr Verfasser Thomas Jefferson pathetisch und in Anlehnung an John Locke, dass alle Menschen gleich erschaffen worden und von ihrem Schöpfer mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet worden sein wie Leben, Freiheit und das so oft zitierte "Bestreben nach Glückseligkeit". Locke entwickelte seine Staatsphilosophie vor dem Hintergrund des Kampfes einer "protestantischen" englischen Bevölkerung gegen die Ambitionen eines absolutistischen "katholischen" Königshauses der Stuart. Entsprechend muss hinterfragt werden, wen die amerikanische Unabhängigkeitserklärung eigentlich als "Menschen" versteht, wenn ihre Verfasser überwiegend weißer protestantischer Herkunft waren. Sklaven und Katholiken sicherlich nicht und schon gar nicht die Indianer als amerikanische Ureinwohner. Jefferson wollte sogar ursprünglich sofort, im Sinne von Thomas Paine, die Abschaffung der Sklaverei in die Unabhängigkeitserklärung aufnehmen. Er wurde aber auf Protest der, wirtschaftlich von der Sklaverei abhängigen, Großgrundbesitzer der südlichen amerikanischen Kolonien dazu gezwungen dieses Anliegen fallen zu lassen. Das ist einer der Grundfehler der US-amerikanischen Demokratie und führt bis heute dazu, dass es vor allem die protestantischen Weißen Bevölkerungsteile sind, die Rechte aus der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung für sich wie selbstverständlich in Anspruch nehmen und dies nicht ohne weiteres anderen Bevölkerungsteilen zu gestehen.

John Locke 1632-1704 (Quelle: wikipedia, gemeinfrei)

Es gibt auf der Welt kein Land, dass eine reine demokratische Verfassung im Sinne von Montesquieu (richtig: Charles-Louis de Secondat 1689-1755) besitzt. Nach Montesquieu müssten alle drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative direkt vom Souverän (Wahlvolk) bestimmt werden. Das ist aber bei der Judikative regelmäßig nicht der Fall. Parlamentarische Demokratien, in welchen der Souverän nur eine einzige Teilmacht, die Legislative, durch Wahl bestimmt, können ohnehin nur schwer als wirkliche Demokratien bezeichnet werden. Da die beiden anderen Teilmächte, Exekutive und Judikative, aus der Legislative erwachsen, fehlt ihnen schlicht die direkte Legitimation durch den Souverän. Immerhin sollten in einer präsidialen Demokratie die Executive und Legislative völlig getrennt voneinander vom Volkssouverän durch Wahl bestimmt werden, so wie es etwa im Frankreich der V. Republik geschieht. Doch trifft dies in den USA nicht auf die Wahl des Präsidenten, also der Executive zu. Dieser wird bis heute nur indirekt gewählt, über ein Wahlmännergremium.

Das Wahlmännergremium (Electoral College) mag anfangs mit der guten Absicht einer zusätzlichen Kontrolle in die Verfassung Eingang gefunden zu haben. Die Praxis läßt weiten Raum für Kritik zu. Es gibt kein bundesweit einheitliches Recht, nach welchem die Wahlmänner bestimmt werden. In einigen Bundesstaaten gilt ein Mehrheitswahlrecht. Danach erhält der mit den meisten Stimmen des Bundesstaates gewählte Präsidentschaftskandidat alle Stimmen der Wahlmänner dieses Bundesstaates. In anderen Bundesstaaten existieren Regeln, die eher einem Verhältniswahlrecht entsprechen. Schließlich gibt es kleine Bundesstaaten, für die Sonderregelungen bestehen. Das führt zu einem ungleichmäßigen Wahlkampf, da einige Bundesstaaten besonders begehrt wegen ihrer Wahlmännerstimmen sind. Es kann aber auch dazu führen, dass nicht der Präsidentschaftskandidat mit den meisten originären Wählerstimmen Präsident wird, sondern sogar der vermeintliche Verlierer, nur weil dieser das bessere Wahlmännerstimmenverhältnis auf sich vereinigen konnte. So zuletzt geschehen bei der Wahl von Donald Trump.

Charles-Louis de Secondat, genannt Montesquieu (1689-1755) (Quelle: wikipedia, gemeinfrei)


Es ist grundsätzlich schwer überhaupt von einer demokratischen Wahl zu sprechen, wenn nicht ein Minimum von 50 Prozent der Wahlberechtigten sich an einer Wahl beteiligen. Auf niederen Verwaltungsebenen, etwa wie Regionen oder Kommunen, mag das eine zeitlang hinnehmbar sein. Auf der höchsten Staatsebene aber sicher nicht. Anders in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dort ist eine geringe Wahlbeteiligung bei Präsidentschafts- und Kongresswahlen seit Jahrzehnten scheinbar etabliert. Die Wahlbeteiligung liegt in der Regel bei einem Anteil von um die 25 Prozent der Wahlberechtigten. Das bedeutet, wenn zum Beispiel eine Präsidentenwahl knapp ausfällt, wird der gewählte Präsident von gerade einmal um die 12,5 Prozent der landesweiten Wahlberechtigten getragen. Das ist sicherlich auf die Dauer kein demokratisch vertretbarer Wert. Die Ursachen sind mannigfaltig. Präsidentenwahlen finden traditionell am ersten Dienstag im November statt, einem gewöhnlichen Arbeitstag. In einem Land ohne Meldepflicht, müssen alle Wahlwilligen sich zuerst umständlich und zeitaufwendig in Wahllisten eintragen lassen, um überhaupt wählen zu dürfen. Kein Wunder, dass unter solchen Voraussetzungen die Motivation von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen, nur schwach ausgeprägt ist.

Diese Tatsachen muss man kennen, um die demokratische Legitimation des Systems der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika einschätzen zu können. Als Beispiel für andere Gesellschaften kommt dieses System jedoch nur schwerlich in Frage. Es bleibt eine Aufgabe für künftige Generationen in ihren Systemen etwas besser zu machen.

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