Finanzielle Konsequenzen nach Corona Teil 4: Arbeit und Soziales: Absicherung der Einkommensquelle -Die Berufsunfähigkeitsversicherung- von Thomas Seidel

Die Melancholie (dt. Schwermut, heute: Depression oder modisch: Burnout) 

Bildnis von Edvard Munch (entstanden zwischen 1894-96) (Quelle: wikipedia, gemeinfrei)


Der nahezu totale Stillstand durch die Coronakrise verändert eines jeden Leben. Klar ist, ein "weiter so" wie bisher ist für niemanden ratsam. In einer kleinen Serie von Beiträgen unter dem Titel "Finanzielle Konsequenzen nach Corona"möchte ich den Interessierten Hinweise geben, wie sie sich sinnvoll finanziell auf künftige allgemeine und persönliche Krisen vorbereiten können.

In den ersten Beiträgen dieser Artikelreihe sprachen wir über die Möglichkeiten der Eigenvorsorge durch Rücklagenbildung und sinnvolle Vorratshaltung. Im Teil 3 lag der Fokus auf der Einkommensabsicherung bei einem extrem langen Krankheitsfall. Diesmal steht eine Absicherung der Lebenskosten im Mittelpunkt, für den speziellen Fall, dass man seinen aktuellen Beruf nicht mehr ausüben kann.

Laut "Statista" besitzen rund 15, 1 Millionen Menschen im Jahr 2019 eine private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Das sind gut ein Viertel aller aktiven Berufstätigen. Das Versprechen der BU ist, sollte der Versicherte seinen ausgeübten (nicht unbedingt erlernten!) Beruf zu 50 Prozent nicht mehr ausüben können, zahlt die BU, einen vorher definierten Betrag zusätzlich zum verminderten  Nettoeinkommen. Die BU dient der Absicherung des Einkommens, bei einer bestimmten Form der Invalidität. Nach einer Reihe von gesetzlichen Änderungen ist heute eine BU nur noch in Form einer privaten Versicherung abschließbar. Mehr noch als bei anderen Versicherungen ist es wichtig, eine BU nach ihrer Sinnhaftigkeit hin zu untersuchen.

Dies ist eine der komplexesten persönlichen Krisenvorsorgefragen, und es ist gleichzeitig eine schwierige, das eigene Budget belastende, Finanzierungsfrage. Es geht um viel Geld. Ein vereinfachtes Beispiel soll deutlich machen warum:

Ein 35-jähriger Single arbeitet als Bankkaufmann und verdient bei Abschluss einer BU monatlich 4.500,00 €uro brutto. Bis zum voraussichtlichen Ende seines Berufslebens in 31 Jahren zahlt er anfangs monatlich etwa 57,00 €uro, um einen gegenwärtigen monatlichen Rentenanspruch aus der BU von 1.400,00 €uro zu erwerben. Doch bekanntlich wächst das Einkommen im Verlauf der Jahre und vielleicht kommt auch eine Inflation dazu. Deshalb müßte die Rentenleistung ständig entsprechend angepasst werden. Dazu bieten die Versicherer eine sogenannte Dynamik an. Dadurch erhöht man, z.B. jährlich, den Auszahlungsbetrag und natürlich auch den Versicherungsbeitrag. Man kann auf die Dynamisierung auch ganz oder zeitweise verzichten, schmälert aber so gegebenenfalls die notwendige Leistung. 

Nehmen wir der Einfachheit halber an, Beitrag und Leistung steigen jährlich um 2 Prozent. Dann summieren sich die Beiträge in unserer Beispiel innerhalb von  31 Jahren auf ca. 28.987,00 €uro. Der monatliche Leistungsbetrag steigt auf ca. 2.535,00 €uro im letzten Leistungsjahr. Mit Eintritt in den Ruhestand ist Schluß. Die BU ist eine reine Risikoversicherung für die Zeit der Erwerbstätigkeit. Das bedeutet, tritt während der Vertragslaufzeit kein Versicherungsfall ein, sind die gezahlten Beiträge verloren. 

Würde aber in unserem Beispiel im 15. Vertragsjahr ein Leistungsfall dann auf einem Niveau von ca. 1.847,00 €uro monatlicher BU-Rente für die restlichen 16  Jahre entstehen, hätte man eine Gesamtanspruch von etwa 354.624,00 €uro, auszahlbar in 192 monatlichen Raten. Bis dahin hätte man Beiträge von etwa 11.828,00 €uro einbezahlt. Auf den ersten Blick sieht das Preis/Leistungsverhältnis gut aus: für 11.828,00 €uro Einzahlung bekäme man insgesamt 354.624,00 €uro Leistung heraus, also etwa das dreißigfache. Aber eine Risikoversicherung ist keine Kapitalanlage und wenn es zu so einem Leistungsfall kommt, ist die persönliche Zukunft bereits schwer beeinträchtigt. 

Bis dahin erscheint alles nachvollziehbar. Die Kernfrage bei der BU ist: In welchen Fällen erkennt die Versicherungsgesellschaft einen Leistungsfall überhaupt an?Eine deutsche Versicherungsgesellschaft ermittelte, dass die Gründe für den Leistungsfall einer BU sich statistisch gesehen etwa so aufgliedern: 28 Prozent wegen psychischen Erkrankungen oder Nervenleiden; 24 Prozent wegen Wirbelsäulen-, Gelenkerkrankungen und Rheuma; 19 Prozent wegen Krebs und anderen Tumoren; 11 Prozent wegen Unfällen und der Rest etwa wegen Herz- oder Kreislaufbeschwerden, Schlaganfällen oder aus anderen Gründen. Auch das erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar, wobei aber die hohe Zahl von psychischen Erkrankungen und Nervenleiden bereits als eine kritische gesellschaftliche Entwicklung angesehen werden muss, die künftig die Kosten in die Höhe treibt.

Hier kommt die schlechte Nachricht für alle Berufstätigen in typischen, salopp ausgedrückt, Sesselfurzerberufen. Von den Millionen Heerscharen von Berufstätigen, die ihr Geld mit Büroarbeiten verdienen, kommt so gut wie keiner wegen physischer Probleme je in den Genuss einer BU. Um es deutlich und drastisch auszudrücken, selbst Schwerbehinderte mit einem Behinderungsgrad von über 50 Prozent können in den Augen einer BU einen Sesselfurzerberuf immer noch ausreichend genug ausüben. Das erklärt auch den hohen Anteil von "psychischen Erkrankungen", darunter viele Modeerkrankungen wie etwa das beliebte ADHS-Syndrom (Aufmerksamkeits/Hyperaktivitätssyndrom), PTBS (Posttraumatische Belastungsstörungen) oder der schon, aktuell ein bisschen in Vergessenheit geratene, Burnout (früher einfach nur als Stress oder Depression bekannt). Die Praxis zeigt denn auch: ob es zu einer Leistungsverpflichtung einer BU kommt, ist häufig ein Streitfall der Gutachter, der nur allzu oft vor Gericht landet. Fast könnte man raten, wer sich für eine BU entscheidet, tut gut daran, gleich auch noch eine Rechtsschutzversicherung (dann aber besser bei einer anderen Versicherungsgesellschaft) abzuschließen. 

Es zeigt sich, die Entscheidung für eine BU muss gründlich bedacht sein. Dazu sollte man sich richtig Zeit nehmen und analytisch über die aktuelle und künftige langfristige Lebenssituation nachdenken.

Methodisch hilft es, sich in einem ersten Schritt einige Fragen zu stellen und objektiv zu beantworten. Dazu folgt hier ein Fragenkatalog, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, aber eine Orientierung geben soll. Individuell läßt sich dieser Fragenkatalog erweitern, ergänzen oder abändern, um optimal auf die persönliche Lebenssituation angepasst zu sein. Bei grundsätzlichen Änderungen der Ausgangsbedingungen empfiehlt es sich, den Fragenkatalog auch immer wieder einmal zu aktualisieren. Es ist daher ratsam, sich diesen Fragenkatalog für später aufzuheben. Darin vorkommen sollten Fragen wie:

Welchen Beruf übe ich aus, oder werde ich ergreifen?

Entspricht mein Beruf meinen persönlichen Neigungen und/oder Talenten, oder übe ich meinen Beruf allein aus Vernuftsgründen oder wegen familiärer Traditionen aus?

Wenn ich meinen Beruf nicht mehr ausüben könnte, welche alternativen Tätigkeiten zum Einkommenserwerb habe ich und würde ich auch ausüben wollen?

Mit welchen typischen Lebensrisiken ist mein Beruf verbunden und bin ich überhaupt mental bereit, jene Risiken einzugehen?

Für wen ausser mir selbst, trage ich wirklich eine Verantwortung?

Könnte im Falle meiner Berufsunfähigkeit eine andere Person (etwa ein Lebenspartner, welcher bisher nicht oder nur in Teilzeit gearbeitet hat) durch Aufgabenumschichtung meine drohenden Einkommensverluste wenigstens teilweise kompensieren?

Welche finanziellen Verpflichtungen lasten auf mir und wie könnten diese in einem Krisenfall reduziert werden?

Der Fragenkatalog macht deutlich, dass es um eine Analyse der gegenwärtigen und zukünftig geplanten Lebenssituation geht und ob man beruflich überhaupt das Richtige und Befriedigende macht. Weiterhin ist es wichtig, sich klar zu machen, für wen man Verantwortung in den verschiedenen Lebensmodellen übernommen hat (Familie, Partnerschaften, Pflegebedürftige, zu unterstützende Personen, etc.) und wie man dieser Verantwortung durch die Ausübung der beruflichen Tätigkeit gerecht zu werden versucht.

Eine weitere Analyse vor der Entscheidung für den Abschluss einer BU sind die gesetzlichen und vertraglichen Bedingungen, zu denen eine Versicherung überhaupt bereit ist, eine Leistung zu erbringen und welche Ausschlusskriterien dabei eine Rolle spielen. Mit anderen Worten: Ohne die Kenntnis und das Verständnis des "Kleingedruckten" sollte man niemals besonders jedoch einen solchen Vertrag abschließen. Werbung, Marketing, auch die Beratung durch einen interessegebundenen Vertreter, Tipps von Freunden, Bekannten und sonstigen hoffentlich wohlmeinenden Personen sind keine ausreichenden Informationsgrundlagen für eine solche Entscheidungsfindung. Eher sollte man sich etwa an unabhängige Berater oder Verbraucherschützer wenden.

Der entscheidende Unterschied zwischen einer BU und einer gewöhnlichen Risikolebensversicherung (RV) ist der Preisunterschied. Eine einfache RV für den Bankkaufmann aus unserem obigen Beispiel mit einer Auszahlung im Versicherungsfall von sofort 350.000 €uro über 31 Jahre, ist monatlich und ohne jede Dynamik ab 30,00 €uro zu haben. Das sind über die ganze Laufzeit in der Summe 11.160 €uro. Nicht einmal die Hälfte der Gesamtkosten der BU. Freilich, damit es bei der  RV zur Auszahlung kommt, muss man dann auch schon sterben. Es profitieren also nur die Hinterbliebenen.

Diese drastischen Vergleiche sollen deutlich machen, wie wichtig eine sorgsame Entscheidungsfindung nicht nur generell bei Versicherungsverträgen ist, aber besonders beim Abschluss einer BU. Schließlich geht es in diesem Beitrag um einen speziellen Fall der Einkommenssicherung. Generell sei jedoch gesagt, je mehr laufende Zahlungsverpflichtungen auf dem persönlichen Einkommen aus der ausgeübten beruflichen Tätigkeit lasten, desto mehr sollte dieses Einkommen gegen plötzliche Krisen geschützt sein.

In dieser Artikelserie sind ausserdem bereits erschienen:





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