Schuster bleib bei Deinen Leisten -Zur künftigen Strategie der Europäischen Zentralbank- von Thomas Seidel

Christine Lagarde Präsidentin der 
Europäischen Zentralbank
(Quelle: wikipedia, CCL,
Europäisches Parlament)



Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ein aktuelles Strategiepapier veröffentlicht. Man will sich den geldpolitischen Herausforderungen der Zeit anpassen. Es geht um die Methode der Inflationsmessung, die Definition des Inflationsziels und einen Aktionsplan vor dem Hintergrund des Klimawandels. Das sind die typischen Sprechblasen der modernen Comic-Kommunikation. Klingt zunächst wichtig, sagt aber erst mal gar nichts. Die EZB tut gut daran, sich auf ihre ursprüngliche und einzige Aufgabe zu besinnen, die der Inflationsbekämpfung.

Seit Mitte der 1990er Jahre findet auf der Welt eine Finanzkrise nach der anderen statt. Asienkrise, Tequila-Krise, Dot-com-Blase, Immobilienkrise, Staatsschuldenkrise, Corona-Pandemie und ein Ende ist nicht abzusehen. Damit der Laden am Laufen bleibt, haben die wichtigsten Zentralbanken weltweit massenhaft liquide Mittel bereit gestellt und die Zinsen gegen Null oder sogar weniger getrieben. Nach den theoretischen Modellen der Nationalökonomen hätten die sintflutartigen Geldmassen mit etwas Zeitverzug zu einer heftigen Inflation führen müssen. Doch im Gegenteil, es schien, als sei die Inflation fast verschwunden. Das war aber in Wirklichkeit nicht der Fall. Die Inflation hat sich lediglich in andere Märkte wie Immobilien und Aktien verlagert, wo sie zu erheblichen Preissteigerung führte und neue krisenschwangere Blasen bildete. Nur dass diese bislang nicht bei der Inflationsmessung der Zentralbanken berücksichtigt wurde. 

Das soll sich jetzt ändern. Neben den schon in die Inflationsberechnung einfließenden Mietwohnkosten, soll bei der Berechnung der Inflationsrate nun auch das selbstgenutzte Wohneigentum Berücksichtigung finden. Eine Aufgabe, die wohl Jahre in Anspruch nehmen wird. Denn es gibt keine zuverlässige und belastbare Methode der Preis- und Kostenermittlung auf einer Ebene aller €uro-Länder. Das hat mit vielen Faktoren zu tun. Da gibt es zum Beispiel erhebliche Unterschiede beim Anteil an Wohneigentum in den Mitgliedsländern. Während in Frankreich z.B. nahezu jeder irgendwo eine eigene Immobilie besitzt, ist der Anteil von Immobilien-Besitzlosen in Deutschland mit über 60 Prozent besonders hoch. Darüber hinaus gibt es ganz unterschiedliche Systeme der Immobilienbesitz-Besteuerung in den verschiednen Ländern. Ganz zu schweigen von den erheblichen Preisschwankungen, denen Immobilien standortabhängig ausgesetzt sind. Das Alles €uro-europaweit in eine einzige aussagefähige Ziffer zu packen, wird eine anspruchsvolle Aufgabe sein und am Ende dann was aussagen?

Leicht erscheint dagegen zunächst die Überwindung des Issing-Dogmas bei der Definition des Inflationsziels der EZB. Statt der starren Regel von "knapp-unter-zwei-Prozent", wie sie uns Mario Draghi gebetsmühlenartig acht quälend lange Jahre vorgetragen hat, sollen es jetzt irgend etwas um die 2 Prozent sein. Klingt flexibel und damit modern. Allerdings besteht die Gefahr, dass damit das Inflationsziel im Zentralbankrat zum ständigen Politikum wird. Statt bei ansteigender Inflation Maßnahmen zu verabschieden, wird man sich wahrscheinlich von einer Zentralbankratssitzung zur nächsten vortrefflich darüber streiten, ob man denn jetzt bei 1,85 % oder 1,975 % oder 2,1 % oder was auch immer die Hebel zur Inflationsbekämpfung umlegt. Das kann den, ohnehin von sehr unterschiedlichen geldpolitischen Interessen geplagten, europäischen Zentralbankrat durchaus handlungsunfähig machen.

Völlig vom Pfad der Tugend abweichen will man bei der EZB künftig mit dem "climate change considerations action plan". Grob gesagt, sollen mit den Mitteln der EZB klimaverbessernde Maßnahmen unterstützt werden. Obwohl es sich philosophisch um einen grundsätzlich positiven Gedanken handelt, läuft die EZB vollends Gefahr, sich auf das eisglatte politische Parkett des Interessenschacherns zu begeben. Wie will man etwa die absolute deutsche Atomgegnerschaft mit den Argumenten der klimaschützenden Atombefürworter aus Frankreich jemals unter einen Hut bringen?

Besser die EZB konzentriert sich auf ihr einziges wirkliches Mandat, die Geldwertstabilität. Doch gerade bei ihrer Kernaufgabe hat sich die EZB, wie andere Zentralbanken, selbst in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten. Im Falle einer Inflationsbekämpfung braucht es nunmal einen mitunter kräftig steigenden Zins. Den kann aber gerade die EZB nicht verlangen, weil sonst die Hälfte ihrer Klientel schlicht in den Staatsbankrott geht. Man darf gespannt sein, wie unter diesen Umständen eine künftige Geldmarktpolitik aussehen soll.

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