VIII. Die Europäische Zentralbank -Europas großes Wagnis der Gemeinsamkeit- von Thomas Seidel
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Tizian Raub der Europa 1560-1562 Isabella Stewart Museum Boston (Quelle: wikipedia gemeinfrei) |
Auch wenn einige Zentralbanken
Europas in ihren Ursprüngen wesentlich älter sind, wie etwa die Schwedische
Reichsbank oder die Bank of England, das Wesen der modernen Zentralbanken wie
wir sie heute als selbstverständlich kennen, begann sich erst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts zu entwickeln und brauchte für seine Ausreifung
über einhundert Jahre. Kurzum, moderne Zentralbanken sind erst ein Ergebnis der
Zeit nach dem 2. Weltkrieg. So wundert es nicht, dass es von der
Nationalökonomie kaum Forschung zum Wirken von Zentralbanken gibt, die älter
als zwanzig bis dreißig Jahre sind.
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John Maynard Keynes (rechts) und Harry Dexter White am 8. März 1946 auf der Gründungskonferenz des IMF (Quelle: wikipedia gemeinfrei) |
Eine Ausnahme sind vielleicht die
Bancor-Pläne von John Maynard Keynes aus den 1940er Jahren. Auf der berühmten
Konferenz von Bretton-Woods entwickelte Keynes einen frühen Gedanken an eine
einheitliche Weltwährung als Alternative zur Goldpreisbindung. Die Ablösung
nationaler Währungen großer Volkswirtschaften zu Gunsten einer gemeinsamen
Einheitswährung wie dem Euro ist dennoch ein bis heute einmaliger Akt der europäischen
Länder und gilt vielen immer noch als ein gewagtes Experiment. In jüngster Zeit
mehr denn je mit ungewissem Ausgang.
In Europa haben die Luxemburger
und die Deutschen historisch gesehen am meisten Erfahrungen im Umgang mit
vielen Währungen im eigenen Land. Die Luxemburger, weil sie zeitweise im 19.
Jahrhundert mit Thalern, Franc und Mark gleichzeitig operierten. Die Deutschen
weil sie im gleichen Zeitraum in ihrer Zollunion auch mehrere Währungen unter
einen Hut bringen mussten. Erst mit der Gründung des Zweiten Deutschen
Kaiserreichs 1871 wurde die Mark Einheitswährung in Deutschland. Doch ist von
diesen Erfahrungen bis in unsere Zeit nichts übrig geblieben.
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Nassauer Kronenthaler von 1817 auch genannt Ècus des Flandre (Quelle: wikipedia creative common Lizenz Classical Numismatik Group Inc) |
Stattdessen stand die Europäische
Union vor der Herausforderung nicht nur viele nationale Währungen abzulösen,
sondern auch zwei ziemlich gegensätzliche Zentralbankkulturen unter einen Hut
zu bringen. Da gab es die von den Amerikanern geprägte Kultur größtmöglicher
Unabhängigkeit von Weisungen einer Regierung in Sachen Geld- und Kreditpolitik
durch die Gremien eines Zentralbanksystems, wie sie in Europa bis dahin am
stärksten bei der Deutschen Bundesbank ausgeprägt war.
Daneben gab es eine Kultur
geschmeidiger Abstimmung zwischen den Interessen einer Regierung und den
Zwängen internationaler Geld- und Währungspolitik die eine Zentralbank
verantworten musste, wie sie in Ländern wie Frankreich und Italien gepflegt
wurde.
Bance d'Italia Rom Palazzo Koch (Quelle: wikipedia GNU-Lizenz Lalupa) |
Nach der deutschen
Wiedervereinigung wurde klar, dass die Dominanz der Deutschen Mark nicht nur
für ein weiteres Zusammenwachsen der Europäischen Gemeinschaft hinderlich war.
Was der breiten deutschen Bevölkerung bis heute nicht einleuchtet ist, dass
eine allzu dominante DM der deutschen Wirtschaft einfach nicht förderlich war.
Siebzehn Jahre Eurogeschichte
haben bewiesen, gerade die exportstarken Länder haben bisher besonders gut vom
Euro profitiert. So entstand schließlich am 1.
Juni 1998 die Europäische Zentralbank mit Sitz in Frankfurt am Main, auf der
Basis einer Vielzahl von zwischenstaatlichen Verträgen, aber vor allem aufgrund
der Übereinkünfte des Maastricht-Vertrags von 1992.
Geschaffen wurde eine
supranationale Organisation, die eine eigene Rechtspersönlich darstellt und den
Status eines EU-Organs hat, ähnlich dem der EU-Kommission oder des EU-Parlaments.
Zusammen mit den nationalen Zentralbanken der Länder, die den Euro als Währung
eingeführt haben, bildet die EZB das Europäische System der Zentralbanken
(ESZB). Ausgestattet wird die EZB ausschließlich von den Notenbanken aller zur
Zeit 28 Länder der Europäischen Union. Das ist bemerkenswert, denn wenngleich
auch nicht alle Länder der EU den Euro eingeführt haben, tragen dennoch alle
Staaten der EU gemeinsam die EZB.
Oberstes Beschlussorgan ist der
EZB-Rat. Der Rat setzt sich zusammen aus dem Direktorium und den Präsidenten
aller zur Zeit 19 Euroländer. Die Verteilung der Stimmrechte erfolgt nach einem
komplexen Rotationsprinzip, das darauf hinausläuft, dass zwar jeder nationale
Zentralbankpräsident eine Stimme hat, zusammen aber nicht mehr als 15 Stimmrechte
Entscheidungen treffen.
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Amtierender EZB-Gouverning-Councel März 2015 (Quelle: EZB) |
Dabei geht es vor allem um die
Richtlinien der Geldpolitik, die Leitzinssätze und die Bereitstellung von
Zentralbankgeld im Euroraum. Turnusgemäß kommt der EZB-Rat vierzehntägig
zusammen. Der Erweiterte EZB-Rat setzt sich aus den Direktoriumsmitgliedern und
den Präsidenten der Zentralbanken aller Länder der Europäischen Union zusammen.
Dieses quartalsmäßig tagende Gremium hat vor allem informellen Charakter.
Geführt wird die EZB vom Direktorium. Das Direktorium setzt sich aus dem
Präsidenten, einem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern zusammen,
welche unter sich einen Chefvolkswirt bestimmen. Amtierender Präsident ist der
Italiener Mario Draghi.
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EZB-Rat Konferenzraum (Quelle: EZB) |
Ausgestattet mit einer einmaligen
Amtszeit von acht Jahren, werden die Direktoriumsmitglieder auf Vorschlag des
EU-Parlaments vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit gewählt. Ihre persönliche
Unabhängigkeit von Weisungen irgendwelcher Organe oder Regierungen ist, wie die
der nationalen Zentralbankpräsidenten, durch Artikel 7 der Satzung des
Europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB gewährleistet.
Die Hauptziele der EZB sind die
Preisniveaustabilität, gemessen an der Inflationsrate, und die Unterstützung
einer ausgeglichenen konjunkturellen Entwicklung der Länder, zur Vermeidung
einer Rezession. Daneben hat die EZB typische Aufgaben einer Zentralbank wie
die Festlegung der Geldpolitik und die Geldversorgung der Volkswirtschaften,
Devisengeschäfte und Verwaltung der Währungsreserven, statistische Aufgaben und
Beratungen. Inzwischen kam auch noch
Bankenaufsicht über die Finanzindustrie dazu.
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Danièle Nouy Leiterin der Bankenaufsicht (Quelle: EZB) |
Die meisten dieser Aufgaben
werden von den nationalen Zentralbanken durchgeführt. Auch die der EZB zur
Verfügung stehenden Instrumente sind typisch. Neben der Leitzinsfestlegung für
Refinanzierungsinstrumente gehören Offenmarktgeschäfte, Mindestreserve und
Devisenmarktinterventionen dazu.
Sehr populistisch erkämpften im
Vorfeld der EZB-Gründung die Deutschen den Beschluss, das der Sitz der EZB in
Frankfurt am Main sein müsse. Man nahm an, wenn die EZB in Deutschland
angesiedelt sei, werde man dort auch schon eine Zentralbankpolitik nach
deutscher Kultur machen. Doch es ist nicht der Ort der eine Denkkultur
ausmacht, sondern die Menschen die eine Institution führen und in ihr arbeiten.
Die EZB darf eben nicht eine nationale Zentralbankphilosophie vertreten,
sondern sie muss die geld- und kreditpolitischen Interessen aller
Euro-Mitglieder, ja gar der gesamten Europäischen Gemeinschaft im Auge haben.
Kritik, etwa an einer zu weich formulierten Geldpolitik, oder gar an
kreditpolitischen Neuerung wie dem Ankauf von Staatsanleihen und der damit
verbundenen indirekten Finanzierung von Regierungen, lassen regelmäßig eine
Würdigung der Gesamtumstände mit denen die EZB konfrontiert ist vermissen.
Die aktuelle Staatsschuldenkrise
im Euroland, die eben nicht eine Krise des Euro ist, wurde von der EZB nicht
verursacht. Vielmehr muss die Zentralbank der gemeinsamen Währung Euro
pragmatisch mit den tagesgeschäftlichen Auswirkungen dieser Krise zurecht
kommen. Dabei darf sie ihre obersten Ziele nicht aus den Augen verlieren und
muss dennoch eine reibungslose Versorgung der Euroland-Wirtschaften mit
ausreichender Liquidität sicherstellen.
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EZB-Gebäudekomplex in Frankfurt am Main (Quelle: EZB) |
Das erfordert Kenntnisse,
Erfahrungen, Geschick und Mut. Die Europäische Union gewährleistet dauerhaft
den Erfolg ihrer gemeinsamen Währung und der Zentralbank dadurch, indem sie die
bestmöglichen Vertreter für diese Aufgaben in die Gremien der EZB entsendet.
Allerdings müssen sich diese dann auch von den Traditionen ihrer Herkunft lösen
und sich solch titanischen Aufgabe stellen. Resignieren wäre dabei das falsche
Zeichen für die Zukunft.
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