Eine Düsternis scheint den Westen einzunebeln -Bericht vom 26. Frankfurt European Banking Congress- von Thomas Seidel

EZB-Präsident Mario Draghi auf dem 26. Frankfurt European Banking Congress
(Quelle: Thomas Seidel)
Das diesjährige Bankertreffen begann gleich mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi als Auftaktredner. Die Wirtschaftsleistung der EU sei erstmals seit sieben Jahren wieder auf das Vorkrisenniveau angestiegen. Der Bankensektor sei zwar erholt von der Krise, es bestünde jedoch die Notwendigkeit eines strengen Aufsichtsregimes. Allerdings sei die Zeit neue Aufsichtsregeln zu erstellen vorbei, nun gelte es diese Regeln auch wirksam werden zu lassen. Es ist wieder einmal bemerkenswert, dass der EZB-Präsident viel über die Bankenaufsicht redet, deren Chefin Danielle Nouy aber weder anwesend ist, noch sonst wie zu Wort kommt.
Weiter ließ sich Draghi über die Banken ein. Das Hauptproblem der Branche sei weniger die Robustheit, als vielmehr die Profitabilität. Dazu rät Draghi den Banken Überkapazitäten abzubauen, die Prozesse zu modernisieren und den Abbau von faulen Krediten (Neuhochdeutsch: non-performing-loans NPL) voran zu treiben. Auf die Idee, die Niedrigzinspolitik der EZB könnte wesentlich zur schwächelnden Profitabilität des Banksektors beitragen, kommt der EZB-Präsident dabei aber nicht. Vielmehr sonnt Draghi sich in der Gewissheit, die Binnennachfrage habe den Export als wesentlichen Treiber des Wirtschaftswachstums überholt und das wiederum sei durch die Geldmarktpolitik der EZB angestoßen worden.

Jean Lemierre Chairman of the Board BNP Paribas
(Quelle: Thomas Seidel)
Das erste Panel sollte sich mit der Fragestellung, wie Europa reformiert werden könne, beschäftigen. Dazu führte Jean Lemierre als Chairman of the Board der französischen Bank BNP Paribas aus, die einzig mögliche Antwort auf ein Ausbleiben von Großbritannien und der Vereinigten Staaten unter einem Präsidenten Donald Trump könne nur eine verstärkte deutsch-französische Kooperation sein. Das verlange aber nach mehr Disziplin und Offenheit auf beiden Seiten. Man habe gemeinsam schon viel erreicht, das sei aber bei weitem nicht genug. Fromme Worte! Doch die Realität zwischen Deutschland und Frankreich ist bis heute, dass dem gemeinen Bürger in beiden Ländern, trotz mehr als sechzig Jahren Schüleraustausch und Städtepartnerschaften, gerade dieser jeweilige Nachbar so ziemlich egal ist. Wichtiges Thema für Europa sei generell die Sicherheit. Den Brexit sieht Lemierre recht gelassen. Auf dem Kontinent habe man ja den Europäischen Pass. Kritisch sieht er dagegen die starke Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von der Kapitalisierung durch die Banken. Das, so Lemierres Rat, müsse sich ändern, werde aber viele Jahre dauern, weniger wegen der Banken, als vielmehr wegen der Industrie.

Umfrage unter den Kongressteilnehmern: Eine gleiche Anzahl
von Stimmen sieht die Deutsch-Französische Kooperation
gleichermaßen als Antrieb wie als Lahme Ente
(Quelle: Thomas Seidel)
Es gibt viele Komitees in Brüssel und wohl noch mehr Arbeitsgruppen. Thomas Wieser ist Chairman einer solchen, für Wirtschaft und Finanzen. Wieser kritisiert gleich die typische europäische Vorgehensweise. In den letzten Jahren seien Reformen der EU über die Köpfe der Bevölkerung hinweg gemacht worden. Das es mit Europa nicht so recht voran gehe, läge auch daran, dass man die Reformen nicht richtig verkaufe. Letztlich würden wichtige Reformen aber nicht angepackt werden, da die Politiker um ihre persönliche Wiederwahl bangen. Paradoxerweise könne man sich in Europa auf größere Reformpakete leichter einigen, als auf kleine spezifische Reformen. In großen Paketen sei eben für jeden etwas dabei. Grundsätzlich funktioniere aber das ursprünglich für sechs Gründungsländer entworfene Model der EU bei 27 Mitgliedern nicht mehr. Auch für Wieser steht das Thema Sicherheit im Vordergrund. Dabei gehe es aber nicht nur um die innere Sicherheit, etwa vor Terrorismus. Der Begriff „Sicherheit“ bezieht sich in diesem Zusammenhang wohl auch auf die wirtschaftliche Sicherheit, das Einkommen, die Jobsicherheit und nicht zuletzt die Alterssicherung.

Europa zu reformieren, da sieht Henrik Enderlein von der Hertie School of Governance keine Chance. Deutschland und Frankreich hätten völlig unterschiedliche Betrachtungsweisen über die wirtschaftliche Ausgangssituation in Europa. Die EU sei in keiner Weise auf eine nächste Krise vorbereitet, es gäbe keine politischen oder ökonomischen Spielräume.

Jeremy Browne legte einen arroganten Auftritt hin und erteilte
den Teilnehmern eine Lektion in Sachen britischem Staatsrecht
(Quelle: Thomas Seidel)
Einen Einblick in britisches Staatsrecht gab Jeremy Browne, Sonderbeauftragter der City of London zur Europäischen Union. Für ihn ist eine wirksame Umsetzung des Brexit-Beschlusses allein durch die Regierung von Theresa May ohne Zustimmung des Parlaments möglich. Browne begründet das mit einer Prorogative der Königin, die auf die Premierministerin übergegangen sei. Danach könnte die Königin einen Krieg ohne Zustimmung des Parlaments erklären. Das sei völlig anders als etwa in den USA, wo ein Präsident ohne Zustimmung des Kongresses eben nicht einmal eine Kriegserklärung abgeben könne. Da man sich nicht vorstellen wolle, dass das Parlament in Sachen Brexit eine Verfassungskrise herauf beschwört, könne die Premierministerin das Austrittsverfahren auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Parlaments durchführen. Die Briten hätten schlicht keine Lust sich einer Vision einer Supranationalen Ordnungsmacht zu unterstellen. Im Übrigen sollten sich Politiker in Europa einmal überlegen, ob die gefürchteten Populisten á la Marie LePen, Viktor Orban, AfD u.ä. dumme Leute sein, oder ob etwas in Europa dumm laufe, das die Bürger zu den Populisten treibe. Schließlich sagte Browne, Vertreter kleinerer europäischer Länder trügen ihm zu, man fürchte durch den Brexit und damit die künftige Abwesenheit Groß-Britanniens in Europa, in eine erhöhte Abhängigkeit von einer deutsch-französischen Achse und deren Vorgaben zu geraten. Es ist erstaunlich zu hören, dass man in Großbritannien in Sachen Brexit bereits eine Kriegsterminologie in den Mund nimmt.

Jens Weidmann von der Deutschen Bundesbank
(Quelle: Thomas Seidel)
Der Präsident der Deutschen Bundesbank Jens Weidmann war Keynote-Speaker vor dem 2. Panel. Etwas schelmenhaft stellte Weidmann fest, dass die Zentralbanker inzwischen eher für eine höhere als eine niedrige Inflation kämpften. Ursache der niedrigen Inflation sei eine schwache Binnennachfrage. Dennoch erwarte er für das kommende Jahr ein Anziehen der Inflation auf über ein Prozent. Weidmann gibt zu, dass etwa durch die kostenfreien Leistungen im Internet die tatsächliche Inflationsmessung verfälscht würde. Doch auch für Weidmann ist das Universalrezept aus der Krise vor allem das Wirtschaftswachstum. Das könne jedoch keine Aufgabe der Zentralbanken sein, sondern müsse durch die Politik gelöst werden.

Das zweite Panel beschäftigte sich mit der Fragestellung, welcher Weg zukünftig zu beschreiten sei. Vor dem Hintergrund der gerade stattgefundenen US-Präsidentenwahl und dem Sieg des republikanischen Kandidaten Donald Trump, mutierte der Präsident und CEO der Federal Reserve Bank of St. Louis, Missouri James Bullard zu einer Art Stargast. Neben dessen Teilnahme am Panel, stand er Journalisten während der Mittagspause für Fragen exklusiv zur Verfügung. Bullard, erkennbar um ruhige Sachlichkeit bemüht, begrüßte, dass Exekutive und Legislative nunmehr beide republikanisch würden. Das war wohl weniger ein Parteibekenntnis, als vielmehr die Erleichterung darüber, dass die jahrelangen Blockaden zwischen Präsident und Kongress nunmehr ein ende finden. Man wird sehen. Bullard musste klarstellen, dass das Federal Reserve System ein Geschöpf des Kongresses sei und das führende Personal für lange Amtsperioden bestellt würde. Personelle Änderungen wirkten sich daher nur langsam aus. Ansonsten könne am Gesetz über das FED allein der Kongress etwas ändern. Als genauso langfristige Entwicklung sieht Bullard die Wahlkampfthemen Trade und Einwanderung. Solche Änderungen brauchten fünf bis zehn Jahre, um wirksam zu werden. Zinsänderungen durch die FED kämen nur in sehr kleinen Schritten. Allein wenn die Wirtschaft der USA sich stark erholen würde, könnten auch schnellere Zinsanpassung erfolgen. Die Entwicklung neuer Spekulationsblasen könne man derzeit in den USA nicht beobachten. Sorge bereite aber, dass es an den Märkten inzwischen große Effekte auslöse, allein wenn die FED ihre geäußerte Erwartungshaltung ändere und ansonsten nichts tue.

Die Panel moderierte Melinda Crane Deutsche Welle TV, Berlin
Wie eine Unke äußerte sich der Chef der Deutschen Bank John Cryan. Er sehe Kräfte am Werk, die gegen das Bankensystem arbeiten, welches eine funktionierende Wirtschaft aber so dringend brauche. Das Bankensystem in Europa sei nicht sehr gut kapitalisiert. Europa brauche radikale Reformen, auch wenn diese unpopulär seien. Doch die Regierungen in Europa zeigten keine Führerschaft. Das aber hänge Europa von der globalen Entwicklung ab. Sorgen bereiten Cryan auch die volatilen Equity-Märkte. Inzwischen gäbe es bereits irrationale Investments.

Der Volkswirt Volker Wieland von der Frankfurter Goethe-Universität, der momentan gleichzeitig im Rat der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung sitzt, meint, die Niedrigzinspolitik habe bereits geholfen, es sei jetzt aber an der Zeit diesen Weg wieder zu verlassen. Diplomatischer hat bisher keiner die Geldpolitik der EZB kritisiert. Man sei skeptisch, ob die Zentralbanken die Geldströme so steuern könnten, wie man sich das wünscht. Wieland weist darauf hin, dass man die Situation in Europa nicht erklären könne, ohne die Heterogenität innerhalb der EU zu verstehen. Unklar blieb allerdings, ob diese Aussage eher an die Deutschen oder an Länder ausserhalb der EU gerichtet waren.

Volker Wieland von der Goethe-Universität Frankfurt zweifelt, wie viele andere
 auch, an der Fähigkeit Europas sich am eignen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen
(Quelle: Thomas Seidel)

Ingesamt war die Veranstaltung durch Skepsis und Unsicherheit für die nächste Zukunft geprägt. Zu viele Veränderungen, deren Wirkung man jetzt nicht einschätzen kann, finden gleichzeitig statt. Nachdem die Führung in Großbritannien und den USA definitiv wechselt, muss damit gerechnet werden, dass es auch in Frankreich im nächsten Jahr zu einem Präsidentenwechsel kommen wird. Zu sehr scheint Françoise Hollande abgewirtschaftet zu haben, als das die Franzosen ihm nochmal eine weitere Amtszeit zugestehen würden. Ja selbst in Deutschland ist die Fortsetzung einer Kanzlerschaft durch Angela Merkel unsicher. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei der im Herbst anstehenden Bundestagswahl zu einer Konstellation kommt, die einen kompletten Regierungswechsel auslöst. Nur Wladimir Putin wird dann noch voraussichtlich auf dem Posten sitzen, auf dem er sich schon heute befindet und kann von dort aus den politischen Selbstfindungsprozess in Europa genüßlich verfolgen. All das wird ein reibungsloses Funktionieren des Westens behindern und die Aussichten auf eine besser Zukunft verdunkeln. Es ist keine Frage, mehr denn je befindet sich insbesondere Europa auf einem Scheideweg.

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