Beim Fressen sind die Fette vorn -Anmerkungen zum jüngsten Ernährungsreport 2019- von Thomas Seidel

Julia Klöckner Bundesministerin für
Ernährung und Landwirtschaft
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Lothar Spurzem)


Vor einigen Tagen hat die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, die Pfälzerin Julia Klöckner, den aktuellen Ernährungsreport 2019 der Öffentlichkeit vorgestellt. Dort wird die Bevölkerung als durchaus gesundheits- und qualitätsbewusst in ihren Ernährungsgewohnheiten vorgestellt. Doch Beobachtungen im Alltag lassen an diesem schönen Bild mehr als nur zweifeln.

Die Studie basiert auf einer repräsentativen Umfrage unter 1000 Verbraucherinnen und Verbrauchern, hier der Link zur Studie: BMEL Ernährungsstudie 2019 Der Begriff „repräsentativ“, im Zusammenhang mit Umfragen, soll für ein ausgewogenes Abbild der Gesamtbevölkerung stehen, so etwa in der Verteilung des Alters, der Wohngegenden, Berufen, Bildung etc. Von den Ergebnissen dieser Umfragen wird dann statistisch auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet.

Die Ergebnisse dieses Ernährungsreports hören sich zunächst gut an. Das Essen vor allem erst einmal gut schmecken soll, sei 99 % der Befragten wichtig. Schon das wird als eine erstaunlich positive Erkenntnis verkauft. Aber bitte, wer ist denn schon etwas, dass Einem nicht schmeckt? Dann sei für 91 % der Befragten gesundes Essen wichtig! Wer kennt einen Menschen, der bewusst und freiwillig etwas ist, was ihn krank macht? 71 % würden täglich Obst und Gemüse essen! Ernähren sich wirklich 29 % der Bevölkerung also nur von Fleisch und Kohlehydratprodukten? 64 % konsumieren täglich Milchprodukte wie Joghurt oder Käse! Zählen dazu auch Produkte, in denen indirekt etwa Milchpulver verarbeitet wird? Nur bei 28 % kämen jeden Tag Fleisch- und Wurstwaren auf den Tisch! Gerade diese Zahl lässt am Gehalt der Studie am meisten zweifeln!
Das Bild, welches hier von einem bereits recht gut aufgeklärten, gesundheitsbewussten deutschen Bürger gezeichnet wird, ist einfach nicht mit der subjektiv beobachtbaren Wirklichkeit in Einklang zu bringen:

Das rotgelbe Glück: die Currywurst
(Quelle: wikipedia, gemeinfrei, Urheber: Tinoelf)
Beispiel Kantinenessen: Steht auf dem Speiseplan etwas von Currywurst (oder gar Riesencurrywurst) oder dem klassischen Schnitzel, stehen die Leute bis über die Eingangstür zur Kantine hinaus Schlange. Wird der Kantinenspeiseplan von „alternativen“ Gerichten dominiert, etwa vegetarisches oder gar veganes Essen und allenfalls noch etwas Salat dazu, sind Deutschlands Kantinen so leer, dass man zwischen 12:00 Uhr und 14:00 dort Fussball spielen kann.

Beispiel Garküchenanbieter: Wer um die Mittagszeit durch die Städte schlendert, sieht ein ähnliches Bild wie in den Kantinen. Geschäfte die fettige, bisweilen tranige Speisen, wie Wurst, Burger, Hähnchenteile, Pommes, Pizza, Döner und ähnliches anbieten, sind gut bis sehr gut frequentiert. Wiederum müssen die Geschäfte mit „alternativem“ und „gesundem“ Speisenangebot selbst zu Stoßzeiten eher um ihre Kunden kämpfen.

Beispiel Gaststätten: Auch die Speisekarten in den Gaststätten zeigen klare Bevorzugungen auf. Was traditionell deftig ist, wird eher bestellt als raffinierte ausgewogene und kleine Köstlichkeiten.
Gerade hier spielt noch das unmittelbar quantitative Preis- Leistungsverhältnis eine Rolle. Für 12 bis 15 €uro wollen die Leute vor allem maximal satt werden.
Eine ganz andere Ausprägung hiesiger Restaurantkultur sind die „Eat all You can“-Angebote. Was nutzt etwa ein an sich gesundes Sushi-Essen, wenn es rein qualitativ durch „Fress-Dich-Voll-Offerten“ ernährungstechnisch völlig konterkariert wird?

Beispiel Lebensmitteleinkauf: Wer einmal in einem Supermarkt an einer Fleischtheke beobachten konnte, wie Leute eine müllsackgroße, viele Kilo schwere Tüte mit Frischfleischeinkäufen in ihren Einkaufswagen heben – angeblich für den ganzen Monat, statt dessen aber nur für etwa 1500 Gramm Obst und Gemüse in diesem Einkaufswagen erkennt, der kann schon an gesunden Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung seinen Zweifel haben. Es gibt aber auch verbreitet die Spezies von Konsumenten, deren Einkauf im Dutzend aus Dosen- und tiefgekühlten Fertiggerichten besteht und wo kein einziges Frischeprodukt vorkommt. Über den typischen Alters- und Geschlechtsunterschied dieser beiden Käufergruppen muss man hier keine besondere Aussage machen, die erklären sich von selbst.
Eine andere deutsche Besonderheit im Lebensmitteleinkauf ist die weitverbreitete niedere Qualität der Lebensmittel und ihre schlechte Darreichung. Es ist eben für den Großteil der deutschen Bevölkerung immer noch das wichtigste Einkaufskriterium möglichst billig einzukaufen, ein „Schnäppchen“ zu machen. 

So wird Obst und Gemüse leider nur selten in den Märkten präsentiert
Quelle:
https-//www.ich-bin-fit.de/wie-frisch-ist-obst-und-gemuese-aus-dem-supermarkt/
Dafür wird in Kauf genommen, bereits angegammeltes Obst und Gemüse zu akzeptieren. Die meisten Supermärkte in Deutschland sind so strukturiert, dass man als erstes in die Obst- und Gemüseabteilung eintritt. Es gibt viele solcher Geschäfte, bei denen einem schon am Eingang der stechende Geruch von verschimmelten Waren entgegen schlägt. Dennoch wühlen Leute aus solchen Körben immer noch Waren heraus. Nicht anders bei verpackten Lebensmitteln. Es ist schlicht eine Unverschämtheit, dass in den meisten deutschen Gebieten etwa Kartoffeln und anderes Gemüse ungewaschen und noch mit brockenweise Erddreck dran feilgeboten wird. Nur im badischen Südwesten darf es kein Bauer wagen, solche Waren seinen Kunden anzubieten.

Es ist erstaunlich, wie sehr der Gammel im deutschen Lebensmittelbereich verbreitet ist. Kommt es im Extremen zu einem handfesten Lebensmittelskandal, nimmt es Wunder, dass vor deren Aufdeckung meist bereits Massen vergammelter Lebensmittel schlicht weg bereits von den Konsumenten verfressen und natürlich auch wieder ausgeschissen worden sind, ohne dass es in der breiten Bevölkerung zu massenweisen Erkrankungen gekommen ist. Vielleicht sollte in einem deutschen Ernährungsreport viel mehr über die offensichtlich sehr robuste Verdauung der deutschen Bevölkerung geschrieben werden.

Traditionell und gleichzeitig experimentierfreudig
Eine andere Tatsache im Zusammenhang mit der Ernährung ist nicht weniger wunderlich. Der deutsche Buchhandel reklamiert für sich, den allermeisten Umsatz mit Koch- und Reisebüchern zu machen. Die Medien wie Fernsehen und Internet sind voll mit allerlei Kochsendungen, Ratgebern, Wettbewerben u.v.a.m. Nur, wenn man zu Leuten kommt, wird die Qualität und der Geschmack des Essen meist nicht besser.
Eins allerdings muss man den Deutschen lassen. Als vielreisendes Volk sind sie neugierig und experimentierfreudig mit den Speisen aus anderen Kulturkreisen. Nun das sind Menschen aus anderen Ländern durchaus auch. Doch der Unterschied ist, nur im deutschen Kulturraum wird ernsthaft versucht, Gerichte aus anderen Ländern nach zu kochen und sie gar in den eigenen Speiseplan zu integrieren. Kein Franzose, Italiener oder Amerikaner käme allerdings auf diese Idee. Jene essen zwar auch mal ganz gern aus fremden Töpfen, aber dazu gehen sie regelmäßig in ein entsprechendes Restaurant. Die Sachen Zuhause nachzuahmen, käme ihnen dabei nicht in den Sinn. Bei den Franzosen und Italienern sicherlich aus der nicht unrichtigen Überzeugung, wie überlegen ihre eigene Küche den anderen gegenüber ist. Bei den Amerikanern allerdings schlicht aus Ignoranz.

Ein riesiges Feld zum Thema Ernährung ist von der Studie überhaupt nicht aufgegriffen worden. Man tut dort geradezu so, als würden die Leute nur essen aber gar nichts trinken! Wie kann das sein? Trinkgewohnheiten tragen mindestens genauso zu guter oder aber auch schlechter Ernährung bei, wie feste Nahrungsmittel. Man denke nur an die Millionen Liter übersüßer Limonaden, deren Massenkonsum von vielen Fachleuten zurecht als schädlich angesehen wird. 

Mindestens so problematisch wie fest Nahrung
Quelle:
https-//www.diabetesde.org/pressemitteilung/keine-zuckerhaltigen-getraenke-mehr-schulen
Oder den Irrglauben einer deutschen Landsmannschaft, dass der Konsum von alkoholisiertem Bier als Lebensmittel akzeptabel sei. Kritisch hinterfragt werden müssten auch alle Arten von überteuerten Modegetränken, bei denen allein eine Werbung den Leuten suggeriert, deren Konsum sei nicht nur erfrischend sondern auch noch gesundheitlich fördernd, allen voran Eistees oder sogenannte isotonische Getränke.

Ganz typisch ist für Studien über die Gewohnheiten der „Deutschen“, auch das völlige Ausblenden der Kinder. Gerade so, als würden hierzulande überhaupt keine Kinder existieren. Dabei ist es mehr als berechtigt, streng zu hinterfragen, wie die Kinder in Deutschland „abgespeist“ werden. Das fängt bei der Problematik mit der sterilen Babynahrung an, zieht durch eine schwierige Kinderernährung durch, bis in das Teenageralter. Kampfwort: Rote Sosse! 

Verköstigung von Schulkindern. Kampfwort: Rote Sosse!
Quelle:
http://www.taz.de/!5075241/
Hier wären brennende Fragen zu stellen wie: Warum gibt es von Generation zu Generation immer mehr Allergiker und sonstige Nahrungsmittelempfindlichkeiten? Weshalb werden Kinder nicht systematisch an das Selberkochen heran geführt. Wieso haben immer mehr junge Menschen nicht die geringste Ahnung davon, wo die Lebensmittel eigentlich her kommen? Wachsen Bohnen wirklich auf Bäumen? Woher kommt die sich verbreitende Abneigung, rohe Lebensmittel auch nur anzufassen? Wie weit sind Kinder von der Natur der Dinge bereits entfernt? Auch diese Studie zeigt einmal mehr, für die deutsche Politik existieren Kinder eigentlich nicht.

Also, wen haben die Macher dieser Ernährungsstudie denn nun wirklich befragt? Wer waren die repräsentativen Leute? Wo kommen sie her? Wie hat man sie ausgesucht? Leider gibt uns die Studie darüber keine Auskunft. Haben die Befrager sich etwa auch in Kantinen oder bei Garküchen umgesehen? Immerhin essen laut Auskunft der Studie in Kantinen 25 % der Männer und 13 % der Frauen dort mindest einmal wöchentlich. Fast genauso viele Bürger und so oft in Restaurants. Das konkrete Verbraucherverhalten beim Einkauf zu untersuchen, statt nur zu befragen, wäre auch einmal eine studienabsichernde Maßnahme gewesen. Hat das stattgefunden? Wohl eher nicht! Schließlich, gibt es Vergleiche mit den Essgewohnheiten in anderen Ländern, zumindest bei europäischen, nicht deutschsprachigen Nachbarn. Es ist bekannt, dass in vielen Ländern deutlich mehr Geld für die Ernährung ausgegeben wird, wie hier und dennoch ist Deutschland für seine ausserordentlich üppigen Portionen bekannt. Wie kann das in Einklang gebracht werden? Leider ist zu befürchten, dass nach wie vor beim Fressen die Fette ganz vorne mit dabei sind. Jedenfalls deutet im offensichtlich beobachtbaren Konsumverhalten nichts auf eine wesentliche Änderungen gegenüber den typisch deutschen Essgewohnheiten auch im Vergleich über Generationen hinweg an. Vielmehr kommt die Studie wie eine wohlgefällige politische Selbstbeweihräucherung daher. Na denn, guten Appetit!

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