Wie das Supply-Chain-Management versagt -von Thomas Seidel-


Containerschiff NYK Virgo 
(Quelle: wikipedia, NYK Virgo, CCL, Urheber: Bernhard Fuchs)


Chipmangel in der Autoindustrie und bei sonstigen Maschinenbauern, Rohstoffmangel in der Pharmaindustrie und jetzt auch noch hunderte von Containerschiffen vor den Häfen der USA, die nicht zügig genug entladen werden können. Schon sieht man bei WalMart und & Co das Weihnachtsgeschäft gefährdet, für die USA fast eine nationale Katastrophe. Vor allem die Unternehmen von westlichen Ländern beklagen zunehmend Lieferengpässe. Dabei sind die aktuellen Schwierigkeiten ein Problem mit langer Ansage, an der sich vor allem eine Branche eine goldene Nase verdient hat.

Als in den 1980/1990er Jahren die US-Sängerin Madonna ihren Hit "I am a material girl" trällerte, Ronald Reagan von der Verwirklichung von Star Wars träumte, Margarete Thatcher einen sinnlosen Falkland-Krieg führte und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl die deutsche Wiedervereinigung vermurkste, blühte eine Branche auf, die eigentlich nichts Substantielles leistet, sich aber ausdrücklich nur für ihre nicht nachweisbaren Bemühungen fürstlich bezahlen lässt, die Unternehmensberater. In den 1980/90er-Jahren waren Unternehmensberatungen für Jungakademiker etwa das, was kurz vor der Jahrtausendwende dann die Finanzjongleure werden sollten. Mit Klugscheissen eine Menge Geld verdienen. 

Junge Wichtigtuer direkt von einer Uni kommend und ohne jede Praxiserfahrung, überfluteten die Betriebe aller möglichen Branchen auf Geheiß derer Geschäftsführungen. Ziel war es, Wege zu finden, um Kosten zu sparen. Neben der systematischen Vernichtung von Arbeitsplätzen, griffen die Unternehmensberater vor allem die üppigen Lagerhaltungen in Unternehmen an. Vermittels schicker Präsentationen erklärten die Berater, wie viel teuer gebundenes Kapital in der Lagerhaltung steckt. Kapital, welches an anderer Stelle nicht nur keine Kosten verursache, sondern sogar profitabel eingesetzt werden könne. Es brauche nur ein "On-time-Lieferkette" (neuhochdeutsch: "Supply-Chain-Management"und man könne sich die eigene Vorratshaltung sparen. Zusätzlich könne man noch Teile dort produzieren lassen, wo sie deutlich billiger herstellbar sein.

Das war die Stunde als Asien die Werkstatt der Welt und riesige Containerflotten gebaut wurden, um selbst Weihnachtsmänner um die halbe Welt zu schippern. Kein Gedanke mehr an eine strategische Lagerhaltung, Mindestbevorratung oder die Einhaltung von Qualitätsstandards. Beispiele wie etwa bei der Firma Märklin, die ihre gesamte Produktion von Spielzeugeisenbahnen von Asien wieder nach Deutschland geholt hat, weil dort die Fertigungsqualität so grottenschlecht war, oder der Pharmafirma Merck, die pharmazeutische Hochreinprodukte lieber wieder selbst herstellt, fanden keine Resonanz. In der schwäbischen Alb sonnen konnte sich nur die Familie Grupp mit deren Firma Trigema, dessen Qualitätsmodell die deutsche Fertigung ist.

Erst die Corona-Krise hat offenbart, dass die Idee der "On-time-Lieferung" von Anfang an noch schlechter als eine Schnaps-Idee war. Erfahrene Lageristen und Produktionsleiter hatten immer vor möglichen Lieferengpässen gewarnt. Inzwischen fehlt es so ziemlich an allem möglichen. Nicht etwa weil es die Waren nicht gäbe, sondern einfach nur weil es mit dem Transport nicht klappt. Es zeigt sich, wegen Teilemangel keine Waren produzieren zu können, ist viel teurer als Lagerkosten einzusparen. Das wird in Zukunft sogar noch schlimmer, weil die ganze Logistikbranche in einem unlösbaren Konflikt mit dem vorrangig werdenden Klimaschutz gerät. Ob Luftfracht, Containerschiffe oder Lastwagenverkehr, das hin und her von Halbfertig- und Endprodukten muss radikal eingeschränkt werden, sonst klappt es mit der Reduzierung von CO2 einfach nicht.

Zwei Lehren sind aus dieser Situation zu ziehen: Firmen sollten sich auf ihren eigenen Sachverstand verlassen und nicht betriebsfremde Berater hinzuziehen. Produktionsabläufe müssen auf längere Laufzeiten geplant werden und dürfen nicht Gegenstand kurzfristiger Profitoptimierung von irgendwelchen betriebsfremden Investoren werden, die eine Ausschüttungen jedes Quartal erwarten. Es muss nicht alle drei Monate eine neue Klamotten-Kollektion aufgelegt werden, zumal das am anderen Ende auch nur das Müllproblem vergrößert. Wenn wegen ausbleibender Umsätze deswegen einige Unternehmen zu Grunde gehen, dann trifft es jedenfalls die richtigen.

Den Unternehmensberatern sei empfohlen, sich wirklich produktiven Tätigkeiten zuzuwenden. Deren Power-Point-Präsentationen will jedenfalls niemand mehr sehen. Vor allem auch deshalb, weil ihre dreisten Kosteneinsparungsprogramme nie wirklich etwas Gescheites genutzt haben. Die Wirtschaft und die Verbraucher werden sich in naher Zukunft aus Klimagründen derart radikal in ihrem Verhalten umstellen müssen, da fängt man am besten gleich mit einer vernünftigen Lagerhaltung wieder an.

Dem Staat sei geraten, genau zu überlegen, welche strategischen Reserven man benötigt, diese dann aufzubauen und laufend zu aktualisieren. Für die Politik gilt, sie braucht keine Unternehmensberater. Moderne Staaten haben Heerscharen von hochbezahlten Beamten, die angeblich so qualifiziert sind, dass sie eigentlich jedes Problem lösen müssten. Doch wissen wir, warum Regierungen, Ministerien, ja sogar Parteien und die Unternehmen selbst sich für alles mögliche Unternehmensberater ins Haus holen. Es geht darum, die Verantwortung für Entscheidungen von sich abzuwälzen, falls später etwas  schief gehen sollte. Die Haftung dafür aber haben die Unternehmensberater in ihren Verträgen von Anfang an ausgeschlossen! 

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