Die EZB soll ihre Karten auf den Tisch legen von Thomas Seidel



Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main leicht eingeschneit
(Quelle: wikipedia creative commons)


Zum fünfzehnten mal, aber nach einem Jahr Unterbrechung, kamen in Frankfurt am Main Vertreter von der Europäischen Zentralbank, der Finanzindustrie und der akademischen Welt zusammen. Nach Jahren in denen die Bewältigung der Eurokrise im Vordergrund stand, befassten sich die Beobachter von Europas derzeit wichtigster Institution mit der neuen Verfassung der Zentralbank im Rahmen der Bankenunion und ihrem kommunikativen Verhalten.



Herausforderungen an die Zentralbankkommunikation
Schon in der ersten von drei Sitzungen sprach Charles Goodhart von der London School of Economics die wahren Worte, es sei die Tragödie der Nationalökonomie nicht die Zukunft vorhersagen zu können, aber jedermann erwarte genau dies von einer Zentralbank. Zu Stilfragen führt Goodhart weiter aus, eine Zentralbank könne entweder nur Fakten nennen, oder Szenarien beschreiben. Für die EZB legt deren Direktor Peter Praet das Umfeld fest. Es sei geprägt von schwachen europäischen Institutionen, wirtschaftlichen Ungleichgewichten und Heterogenität in Europa. Umso mehr richteten sich alle Blicke auf die Aussagen der EZB, da man davon ausgehe, dass die Zentralbank über besondere Informationen verfüge. In diesem Zusammenhang spricht Paul Sheard von einer „Unheiligen Allianz“ zwischen der Zentralbankkommunikation und den Teilnehmern an den Geldmärkten. Letztere würden das Verhalten von Zentralbanken geradezu exzessiv beobachten, um daraus Profitchancen abzuleiten. Sheard vermisst, wie sein Kollege Donald Kohn von der Brookings Institution, bei der EZB deutliche und klare Aussagen, etwa zu ihren Zielen wie bei Inflationsraten und Geldmengen, was im Vergleich die Bank of England oder Bank of Japan geradezu aggressiv tun würden. Kohn empfiehlt der EZB dringend ihre Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen. Darin sieht er wie bei anderen Zentralbanken die Chance für die Öffentlichkeit und die Märkte ein besseres Verständnis für die Politik der EZB zu entwickeln.

Ansprüche an die Geldmarktpolitik in der Eurozone
Mit Benoit Cœuré befasste sich ein anderer EZB Direktor mit feinen Unterscheidungen. Die wirtschaftliche Heterogenität in der Eurozone sei bis zu einem gewissen Grad akzeptabel. Dies kommt auch in anderen Währungszonen, wie in den USA mit dem Dollar, vor, wo auch nicht alle Bundesstaaten wirtschaftlich gleichermaßen voran schreiten. Anders sei es mit der Fragmentierung, die sich auf die Refinanzierungskosten der Verbindlichkeiten der verschiedenen Euroländer bezieht. Diese sei letztlich kontraproduktiv für die Effektivität der Geldpolitik der EZB. Das spielt letztlich auf die Frage der Einführung von Eurobonds an, die ja besonders von Deutschland so vehement abgelehnt werden. Lucrezia Reichlin von der London Business School beklagt, in Finanzkrisen neige die Politik dazu, die europäische Finanzintegration rückwärts gewandt wieder zu nationalisieren. Eines der Probleme sei, dass Banken mitunter zuviel Staatsanleihen halten würden. Das kann in Folge wieder zu Krisen bei einzelnen Banken führen. Ein Weg daraus könne die Beschränkung des Haltens dieser Anlageform etwas in Bezug zum Bruttosozialprodukt eines Landes sein. Der Beitrag von Lars Svensson von der Stockholm University brachte deutlich andere Aspekte in die Diskussion. So empfiehlt Svensson unter anderem, negative Zinsen nicht grundsätzlich auszuschließen. Auch müssten Zentralbanken in Krisen durchaus einmal Verluste hinnehmen. Geldpolitik der Zentralbanken habe auch fiskalische Nebeneffekte, die man politisch akzeptieren müsste. Schließlich sollten Zentralbanken nicht nur Vorgaben zu Inflations- und Geldmengenziele machen. Aussagen zu gewünschten Rahmenbedingungen, etwa zu Arbeitslosigkeitsquoten und staatlichen Haushaltsdefiziten, könnten dazu beitragen Transparenz, Effektivität und Verlässlichkeit der Zentralbanken in den Augen der Öffentlichkeit zu steigern. Dies könnte freilich mit Risiken für die Reputation der EZB und schlimmstenfalls für die Finanzstabilität in der Eurozone verbunden sein.

Neue Herausforderungen an die EZB als Bankenaufseher
Der Luxemburger EZB Direktor Yves Mersch weist auf die schwierige Grenzfrage hin, wann befände sich eine Bank in einer problematischen Liquiditätssituation oder in einer kritischen Solvenzsituation? Ob die künftige Doppelaufgabe der EZB gleichzeitig Geldwertbewahrer und Bankenaufseher zu sein hier hilft, konnte die Konferenz nicht abschließen beantworten. Daneben machte Mersch deutlich,  eines der bedeutendsten Geldmarktinstrumente sei die Steuerpolitik. Diese liege aber in den Händen der Parlamente und nicht bei einer Zentralbank. Stefan Gerlach von der Central Bank of Ireland fände es hilfreich, wenn eine Zentralbank aus eigener Quelle durch die Bankenaufsicht lerne, wie Banken tatsächlich funktionieren. Sowohl Nuriel Roubini von Roubini Global Economics und ehemaliger Berater des amerikanischen Finanzministeriums, als auch Jan Krahnen vom Center of Financial Studies weisen auf eine andere Gefahr für die EZB hin. Anders als in allen anderen Ländern gäbe es in der Eurozone keine einheitliche Fiskalpolitik und damit keine gemeinsame Vorstellung, wer die Lasten einer Bankenkrise zu tragen habe. Das könne bei einer Bankinsolvenz dazu führen, dass Parlamente oder Regierungen Druck auf die EZB auszuüben versuchen und damit ihre Unabhängigkeit in Frage stellen. Zumindest Krahnen wundert sich dabei, dass niemand sonst diese Gefahr sähe.


Die Mehrheit aller Teilnehmer und Diskussionsbeiträge aus dem Publikum fordert von der EZB künftig mehr Transparenz. Die Art ihrer nebulösen Kommunikation an der sich nichts festmachen ließe, sei besonders für die Märkte kontraproduktiv. Die EZB müsse nun ihre Karten auf den Tisch legen. Man erwartet Aufklärung darüber, wie die Zentralbank zu ihren Beschlüssen komme und welche Entwicklungen sie erwarte. Mindestens die Veröffentlichung ihrer Sitzungsprotokolle sei ein geeignetes Instrument diesen Forderungen schnell nachzugeben. So praktizieren es bereits beispielsweise die Bank of England und das amerikanische Federal Reserve System. Doch bei allem Verständnis für die Ansinnen der Kritiker darf nicht vergessen werden, dass die EZB, eben anders als alle anderen Zentralbanken, nicht nur unterschiedliche Wirtschafts- und Geldentwicklung bei ihren Entscheidungen berücksichtigen muss, sonders auch noch die Empfindlichkeiten vieler, sich gerne sehr souverän gerierender, Regierungen.

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