Etappensieg der Euroskeptiker von Thomas Seidel
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Auffassung zur
Unrechtmäßigkeit des Outright Monetary Transactions Programm (OMT-Programm) der
Europäischen Zentralbank in Europa
für eine ziemliche Überraschung gesorgt. Euroskeptiker, vor allem in
Deutschland, die die Klage angestrengt haben, fühlen sich in ihrer Auffassung
bestätigt. Doch welche Interessen haben sich da eigentlich organisiert?
Man muss mittlerweile schon über
zwanzig Jahre zurück gehen, um sich die Umstände der Euroentstehung klar zu
machen. Es scheint unter Historikern mittlerweile als ausgemacht, dass in Folge
der deutschen Wiedervereinigung die Ablösung der Deutschen Mark zugunsten einer
europäischen Währung beschlossen wurde. Schon lange davor, und trotz der
immensen Kosten der Wiedervereinigung, war die DM die Leitwährung in Europa.
Was immer im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank auf einer rein
deutschnationalen Ebene als geldpolitische Entscheidungen getroffen wurde, alle
anderen Länder in Europa mussten sich diesen Richtwerten anpassen. Der
Donnerstagshall der zweiwöchentlichen Zentralbankratsbeschlüsse dröhnte durch
alle europäischen Länder. Ihre Entscheidungen zwangen, wegen der Dominanz der Deutschen
Mark (DM), alle anderen nationalen Zentralbanken zum Handeln. Selbst die mit
dem Britischen Pfund bis heute unabhängige Bank of England, konnte unter keinen
Umständen das deutsche Votum vollständig ignorieren. Vor allem Frankreich sah
wohl in seiner Zustimmung zur Wiedervereinigung einen wirksamen Hebel sich
dieses unerwünschten Diktats zu entledigen. Während die damalige
Bundesregierung sich auf die Abschaffung der DM einließ, haben die Deutschen
freilich den Euro nie gewollt!
Ängste der Deutschen
Von Anfang an befürchtete man in
Deutschland, früher oder später andere europäische Länder quer finanzieren zu
müssen. Erst die Eurokrise jedoch spielte diesen Bedenkträgern richtig in die
Hände. Der prominenteste unter ihnen ist zweifellos der Präsident des Münchner
ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts Hans-Werner Sinn (65). Der in Westfalen
aufgewachsene Sinn, dessen äußeres Erscheinungsbild eher an einen friesischen
Fischerbootkapitän erinnert, wurde vor allem bekannt durch seine Kritik an den
sogenannten Target-Salden. Darunter versteht Sinn eine Verschiebung von
Leistungsbilanzdefiziten einiger schlecht wirtschaftender europäischer Länder
zu Lasten der Deutschen Bundesbank, über das Verrechungssystem der europäischen
Zentralbanken Target. Ein anderer prominenter Volkswirtschaftler ist Joachim
Starbatty (63). Obwohl bereits emeritiert, tingelt Starbatty gerne durch die
einschlägige deutsche Talkshowlandschaft und versucht ein breites Publikum von
den, seiner Meinung nach für Deutschland schädlichen, Folgen der Eurorettung zu
überzeugen. Im Bunde mit ihm als Kläger vor dem Verfassungsgericht ist Peter
Gauweiler (64) ein christsozialer Politiker und ehemaliger bayrischer
Staatsminister. Der im bayrischsten Sinn gern grantelnde Gauweiler, hat bereits
gründliche Erfahrungen mit Klagen gegen allerlei Europäisches vor dem deutschen
Verfassungsgericht. Ging es 2003 mal um den Gottesbezug in einer
Europaverfassung, oder 2009 um die Präzisierung nationaler Rechte im Lissaboner
Vertrag, musste Gauweiler aber auch 2011 eine Niederlage mit seiner Klage gegen
die Griechenlandhilfe und den Eurorettungsschirm in Kauf nehmen.
Diesmal beim Klagen mit dabei ist
auch die ehemalige bundesdeutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (60),
die sich einen Volksentscheid über den Europäischen Stabilitätsmechanismus
(ESM) und den Europäischen Fiskalpakt wünscht. Ein Anliegen, dass alle Bundesregierungen
scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Auch ohne Umfrage weiß man, dass ein Referendum über alles was den Euro
betrifft, in Deutschland fast zwangsläufig auf einer Ablehnung desselben hinaus
laufen würde und zwar auch ganz ohne Eurokrise. Neben solchen recht prominenten
Vertretern wirken im Hintergrund auch noch andere stillere Euroskeptiker. Hier
sei zum Beispiel der Ökonom Roland Vaubel (66), von der Universität Mannheim, genannt.
Der eher unscheinbar wirkende Vaubel hat erst kürzlich in Frankfurt am Main
einen Vortrag über die Sinnhaftigkeit von Parallelwährungen zum Euro gehalten.
Dabei betonte er seine Auffassung, dass eine solche Maßnahme allein in der
souveränen Entscheidung jeweiliger nationaler Zentralbanken läge, also,
entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, recht schnell und, wie er
betonte, ohne Kosten vonstatten gehen könnte.
Überhaupt ist der Eindruck
entstanden, deutsche Persönlichkeiten drückten sich gerne um verantwortliche
Aufgaben in den europäischen Institutionen und suchten eher den indirekten Weg,
etwa über Gerichte ihre Vorstellungen doch noch durchzusetzen. Man erinnert
sich, dass Axel Weber lieber Verwaltungsratspräsident der schweizerischen
Großbank UBS als Präsident der EZB geworden ist. Unvergessen ist auch der
schmollende Abgang des deutschen EZB-Chefvolkswirts Jürgen Stark, als ihm die
ganze geldpolitische Linie des übrigen EZB-Direktoriums dort nicht mehr
vertretbar erschien.
Politische Manifestation
Gemeinsam bei all den genannten
Personen ist das schon eher fortgeschrittene Alter der Mahner und Kläger.
Politisch hat sich längst eine Gruppierung etabliert, die als Partei
„Alternative für Deutschland“ (AfD) auftritt. Geführt wird sie von dem deutlich
jüngeren Hamburger Ökonomieprofessor Bernd Lucke (51). Im wissenschaftlichen
Beirat der Partei finden sich unter anderem dann auch die Namen Starbatty und Vaubel
wieder. Zwar will die Partei erklärtermaßen nicht gegen die Europäische Union
sein, lehnt aber eine weitere Aufgabe nationaler Souveränitäten und die
sogenannte Transferunion, worunter allgemein die Unterstützung
wirtschaftsschwächerer durch die stärkeren Länder verstanden wird, ab. Die erst
2013 gegründete Partei konnte zwar bei den letzten Wahlen die in Deutschland
relativ hohe Fünf-Prozent-Hürde nur knapp nicht nehmen, erhofft sich aber
dennoch gute Aussichten bei den anstehenden Europawahlen. Da wird das Urteil
der Bundesverfassungsgerichts in den Augen einiger potenzieller Wähler sicher
für einen Anschub sorgen. Schon werden Kontakte zu ähnlich gesinnten Parteien
in anderen europäischen Ländern geknüpft. Was zunächst wie eine überreife
Honoratiorengesellschaft daher kommt, profitiert von den enormen Erfahrungen
seiner Protagonisten und ist deshalb gleichwohl im Hintergrund bereits gut
organisiert.
Das deutsche
Bundesverfassungsgericht war, trotz seiner definitiv ablehnenden Haltung des
OMT der EZB gegenüber, klug genug zu erkennen, dass es sich hier um Belange auf
europäischer Ebene handelt. Deshalb hat es, erstmals in seiner Geschichte, die
Sache selbst zu Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg
weiter gegeben. Nun liegt es an den Richtern dort, eine wegweisende
Entscheidung zu treffen.
Klar scheint, würden sich die
Richter in Luxemburg der deutschen Rechtsauffassung weitestgehend anschließen,
wäre das mühsam errungene und wackelige Vertrauen der Märkte in den Euro mit
einem Schlag wieder dahin, mit nicht abzusehenden Folgen für die Europäische
Union und den Euro. Klar ist aber auch, der politische Kampf um die Zukunft
Europas hat gerade an Schärfe zugenommen.
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