Stochern im Nebel -Auswirkungen der Digitalisierung des Finanzwesen- von Thomas Seidel
Im House of Finance an der Frankfurter Goethe-Universität hat das Center for Financial Studies seinen Sitz (Quelle: Thomas Seidel) |
Auf einer Frankfurter Veranstaltung „Digitizing Finance“
setzt sich unter anderem EZB-Direktor Peter Praet mit der Problematik
auseinander. Praet findet, inzwischen seien Risiken gut mess- und einschätzbar.
Doch für Zentralbanken gäbe es eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren. Dazu
gehörten vor allem die tatsächliche wirtschaftliche Verfassung, die Umsetzung
geldpolitischer Entscheidungen durch die Wirtschaft und welche Erwartungen die
unterschiedlichen Akteure an die künftige wirtschaftliche Entwicklung und die
entsprechenden politischen Handlungen haben. Allein über viele Daten aus
Geschäftstransaktionen zu verfügen, reiche nicht aus. Um daraus eine Grundlage
für Entscheidungen zu schaffen, müssten Daten in einem Kontext betrachtet
werden, welcher wiederum einer bestimmten Vorstellung wie sich die Wirtschaft
entwickeln soll folge.
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Peter Praet (Quelle: Europäische Zentralbank) |
In der Tat verfügten Zentralbanken heute über eine
Unmenge von Daten. Es fehle aber zum Teil noch an dem ausreichenden Verständnis
von deren Komplexität und der richtigen Auswahl solcher Daten, die Grundlage
für die Entscheidungen einer Zentralbank sein sollen. Im Anfang der
Digitalisierung herrschte die Ansicht vor, mittels der neuen Technologie ließen
sich alle Finanzprodukte auf Märkte bringen und dort werde sich dann schon ein
ausgleichend gerechter Marktpreis finden. Heute muss man sich von dieser
Vorstellung ernüchtert abwenden. Nach wie vor unklar sei beispielsweise, was
die Banken mit der Liquiditätsschwemme anstellen, die ihnen durch die
Ankaufsprogramme der Zentralbanken zuflössen. Restrukturieren sie nur ihre
Bilanzen um, oder erhöhen sie tatsächlich das Kreditangebot für die reale Wirtschaft,
wie man sich das seitens der Zentralbanken und der Politik erhofft. Zur Zeit
sei Geldpolitik wie ein Tasten im Dunkeln. Die Menge der Daten sei eher
verwirrend denn hilfreich.
Ähnlich kritisch gingen auch die Teilnehmer einer ersten
Gesprächsrunde mit der Datenthematik um. So gebe es bereits ein Problem damit,
die großen Datenmengen der Finanzindustrie zu speichern, geschweige denn zu
analysieren. Bereits der Handel mit nur wenigen Aktien über einen Zeitraum von
einem Monat betrachtet, produziere mehr als einhundert Gigabyte Volumen an
Informationen. In der klassischen Analyse habe man zunächst eine Hypothese
aufgestellt und dann Daten entsprechend dazu ausgewertet. Der moderne Ansatz
sei, Daten zuerst zu analysieren und am Ende zu sehen was dabei herauskommen
wird. Unerwartete Überraschungen nicht ausgeschlossen. Die Datenmenge sei für
Zentralbanken in gewisser Weise das neue Gold. Allerdings stünde man technisch
vor dem Problem der starken Heterogenität dieser Informationen. Eine wichtige
Aufgabe sei also die Standardisierung von Finanzdaten und die Entwicklung eines
gemeinsamen Verständnisses für Stammdaten. Regelrecht visionär ist der Gedanke,
ob auf der Basis aller vorhandener Wirtschaftdaten eine praktikable
sozialistische Wirtschaft vorstellbar sei, denn Google oder Amazon könnten
bereits heute einen Gleichgewichtspreis zwischen Angebote und Nachfrage
ausrechnen, jedenfalls besser als das es ein freier Markt könnte.
Populär ist zur Zeit die Beschäftigung mit der Frage, ob
junge FinTech-Unternehmen sich zu einer ernsthaften Konkurrenz für das
klassische Bankgeschäft entwickeln können. Dabei wird deutlich, auf welchen
informationstechnologischen Saurierfossilien die Banken eigentlich sitzen.
Großrechenanlagen noch aus den 1970er Jahren (das ist immerhin schon 40 Jahre
her), betrieben meist in der längst ausgestorbenen Entwicklersprache „Cobol“
und in jedem einzelnen Fall proprietär ausgelegt, also nur für den spezifischen
Geschäftszweck einer bestimmten Bank, sind nicht mehr flexibel genug in der Lage,
sich den rasch wandelnden Erwartungshaltungen neuer Bankkunden an den Zu- und
Umgang mit Finanzgeschäften anzupassen. Diese sich immer weiter öffnende Lücke
technologischer Trägheit nutzen FinTech-Unternehmen aus, mit modernen
Finanzservice-Leistungen Geschäfte zu tätigen. Damit setzen FinTech-Unternehmen
die Banken vor allem bei der Bepreisung ihrer Finanzdienstleistungen unter
Druck, werden aber kaum von der Branche als echte Bedrohung wahrgenommen.
Vielmehr begrüßt man es, wenn durch die technischen Produkte der FinTechs den
Konsumenten dabei geholfen wird, mehr Selbstkontrolle über ihre Finanzen zu
erlangen.
Eine merkwürdige Vorstellung in dieser Diskussion gab ein
Vertreter einer großen deutschen Sparkasse ab. Ganz wie bereits in diesem
Sommer deren Verbandspräsident Fahrenschon auf einer Handelsblatt-Tagung sich
zum gleichen Thema äußerte, wurden die FinTechs negiert und als echte Bedrohung
geschildert. Als ob FinTechs, quasi wie Schattenbanken aus dem Dunkel heraus,
ohne jede Aufsichtskontrolle agierten, seien Kunden besonders deshalb bei
Sparkassen auf der sicheren Seite, weil diese nicht nur beaufsichtigt seien,
sondern auch in Punkto Einlagensicherung besonders gut aufgestellt wären. Sehr
aufschlussreich war aber dann die Darstellung, ein Vorteil der Sparkassen sei,
dass man dort weder innovativ, noch besonders technisch getrieben ist, auch
nicht vom Fortschritt besessen sei oder gar ein Interesse daran habe mit dem
Einsatz moderner Technologie Geld zu verdienen. Man kann nur bewundern, wie
sich in Deutschland ein ganzer Finanzsektor mit soviel Enthusiasmus den neuen
Herausforderungen der Branche stellt.
Das ureigenste Interesse der Finanzbranche muss jetzt sein,
allgemein gültige Standards für die Abwicklung von Finanzprodukten und der dazu
notwendigen Informationstechnologie zu entwickeln. Kostensenkung im
Finanzsektor kann nicht nur immer gleich Personalabbau bedeuten. Die jüngste
Einschätzung von John Cryan, neuer Co-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank,
die eigenen IT-Systeme seien nur ein Haufen Schrott, ist ein Zeugnis für die
Situation der Branche, übrigens weltweit.
Die sprunghaft gewachsenen Anforderungen des Gesetzgebers
nach immer neuen Geschäftsdaten zur Überwachung des Finanzsektors, stellen
nicht nur Banken vor immense Herausforderungen. Auf der Seite der Kontrolleure
müssen zur vernünftigen Auswertung der Datenflut auch die technischen,
mathematischen, statistischen und analytischen Voraussetzungen vorhanden sein,
überhaupt die Informationen auch auswerten zu können. Das setzt aber auch die
Mitarbeit entsprechend qualifizierten Personals voraus, welches, wie von
Zentralbankseite zugegeben, nur schwer am Arbeitsmarkt akquiriert werden kann.
Zur Zeit jedenfalls ist die viel gelobte verbesserte Transparenz im Finanzwesen
in Wirklichkeit nichts weiter als ein Stochern im Nebel.
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