„Was passiert, wenn keiner aufpasst?“ -Zu Fragen über Geschäftskultur und Ethik im Finanzwesen- von Thomas Seidel

Hoffentlich lässt nicht nur der Projektor den Teilnehmern ein Licht aufgehen
Patrick Kenadjian von Davis Polk & Wardwell London LLP führt durch die Tagung
(Quelle: Thomas Seidel)


Die Geschäftspraktiken im Finanzwesen gelten als ruppig und rücksichtslos. Banken haben ihr Vertrauen offensichtlich auf lange Zeit verspielt. Das Image der Branche ist an einem Tiefpunkt angelangt. In einer hochkarätig besetzten Tagung wurde kürzlich darüber gesprochen, ob es für Banken einer Geschäftskultur und Ethik bedarf und wie dies zu erreichen sei.

Wandel der Branche vom Langeweiler zum Husarenritt
Noch bis in die 1980er Jahre hinein galten Banken als eher langweilige Geldverwalter, arbeitend quasi wie der öffentliche Dienst, wenig profitorientiert und ziemlich risikoscheu. Ein alter Spruch besagte, mit den Einnahmen aus Handelsprovisionen und Gebühren könne ein Bankinhaber die Personal- und Betriebskosten zahlen – die etwa viermal so hohen Zinseinnahmen wären für Abschreibungen, Rücklagen und Gewinn.
Das änderte sich kurz darauf dann drastisch und schließlich reichten die Zinseinnahmen oft nicht einmal mehr zur Begleichung der Personalkosten aus. Es galt das Geschäft wesentlich profitabler zu machen. Das ging nur mit dem Eingehen neuer Risiken und einer verschärften geschäftlichen Gangart. Wesentlicher Helfer dabei wurden die Regierungen aller wichtigen Länder des westlichen Welt. Mit immer neuen Gesetzen zur Liberalisierung der Finanzmärkte in den 1990er Jahren, schuf man ein Umfeld, in dem Banken und einzelne Banker nie vorher gekannte Gewinne einfuhren und die größte Sorge wurde, wie man es wieder ausgeben kann („How to spend it“). Heute wissen wir, die Profite waren auf Sand gebaut und dieser zerrinnt jetzt in den Strafzahlungen an Behörden und Entschädigungen an klagende Anleger und Investoren.

Fokus auf Kultur und Ethik
Eine Arbeitsgruppe unter dem ehemaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet hat festgestellt, die Verfehlungen der Branche und deren Regulatoren haben zu massiven Vertrauens- und Einnahmeverlusten geführt. Besonders das lange Zeit ungehemmte Belohnungssystem der Finanzindustrie habe die Sitten verrotten lassen. Dem sei nur mit strengen Vorschriften und wirksamen Sanktionen entgegen zu wirken. Kultur und Ethik seien Kerneigenschaften im Finanzgeschäft. Das sieht auch Andreas Dombret von Deutschen Bundesbank so. Es bräuchte schon einen Verhaltenskodex. Allerdings zweifle er, dass in derselben Firma auch nur zwei Mitarbeiter die selben Prinzipien zu Papier bringen könnten, würde man sie überraschenderweise danach fragen. Ethik habe eine zu universelle Bedeutung, die es schwer machen würde sie so in einem bestimmten Betrieb anzuwenden. Nicht alles was nicht verboten ist, sei deswegen automatisch erlaubt. Alberto Musalem von der Federal Reserve Bank of New York weist darauf hin, die Bezahlung von Bankern müsse in einem Verhältnis zu ihrem öffentlichen Zweck stehen.

Rolle der Aufsicht
„Was passiert, wenn keiner aufpasst...“, so Danièle Nouy  Präsidentin der EZB-Bankenaufsicht, habe man nun in der Finanzkrise gesehen und sieht es auch weiterhin. Die Banken hätten einen Teil ihrer gesellschaftlichen Daseinberechtigung verloren. 

Danièle Nouy
Präsidentin der Bankenaufsicht bei der EZB
(Quelle: Thomas Seidel)
Die EZB versuche einen Kulturwandel bei der Personalauswahl der obersten Führungsebene, sieht aber Probleme bei der Durchsetzung im mittleren- und im Seniormanagement. Unklar sei auch die personelle Qualität, der firmeninternen Kontrollgremien. Doch sei man strikt bei erkennbarem Fehlverhalten und drohe auch schon mal mit dem Gang an die Öffentlichkeit, wenn die rein rechtlichen Grundlagen fürs Ermahnen schwach seien. Schlechtes Benehmen ließe sich nur stoppen, wenn man sofort reagiere.

Etwas andere Schwerpunkte setzt John Griffith-Jones, Leiter der britischen Financial Conduct Authority. Nach alter britischer Sitte sei deren Ansatz, den Dialog mit den Banken zu suchen. Es sei wichtiger der Branche bei der Entwicklung ihres Verhaltens zu helfen, als etwas zu verhindern. Man unterstütze nach wie vor lieber den Wettbewerb, auch in Sachen des Verhaltens. Die Unternehmen müssten mit klaren Zuständigkeiten organisiert sein, wo jedem bewusst ist, wofür man verantwortlich sei.

Anwendung von Verhaltensregeln
Verhaltensregeln seien flexibler als Gesetze führt Klaus J. Hopt vom Max Planck Institut in Hamburg aus. In Deutschland stünde man solchen Regelwerken dennoch misstrauisch gegenüber. Drastischer gehe man in den Niederlanden die Sache an, so Wim Mijs von der European Bankers Association. Verhaltensregeln müssten mit entsprechenden Disziplinierungsmaßnahmen einher gehen. Banken müssten sich von Mitarbeitern trennen, die wiederholt gegen Verhaltensregeln verstoßen. Der Trend, sich strikter Aufsicht durch die Auswahl günstiger Regulatoren zu entziehen, der sogenannten Aufsichtsarbitrage, nehme inzwischen schon epidemische Formen an, berichtet Paul Tucker von der Harvard Kennedy School.

Die Niederlande als Vorbild für Europa?
Wim Mijs European Bankers Association
(Quelle: Thomas Seidel)

Verantwortung übernehmen
Mit dem neuen Co- und bald Allein-CEO der Deutschen Bank John Cryan und Lorenzo Bini Smaghi von der französischen Société Générale meldeten sich die Praktiker zu Wort. Cryan ist mit dem Begriff der Kultur nicht zufrieden. Nach seinem Empfinden sei dies etwas, dass eine Firma durchdringen müsse und letztlich einer der Daseinsgründe für die Existenz eines Unternehmens sei. Unabhängig davon würden seiner Überzeugung nach alle Mitarbeiter in allen Banken schlicht zu gut bezahlt werden. Bini Smaghi bringt dabei auch die Geschichte einer jeden Institution und deren Bedeutung ins Spiel. Die Menschen könnten gar nicht ermessen und würdigen was Banken für sie tun würden. Man sehe nur immer die negativen Dinge, so wie sie seitens der akademischen Welt und durch die Medien dargestellt würden.

Der Eindruck von der Tagung
Nach soviel puristischer Selbstgeißelung einerseits und so viel tränenreichen Selbstmitleid andererseits bleiben unter dem Strich drei wesentliche Eindrücke übrig:

Die Banken haben in der institutionellen und teilweise persönlichen Gier nach immer größeren und schnelleren Profiten alle Hemmungen und jeglichen Anstand fallen lassen und auch tatsächlich ihre volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Rolle vergessen. In den zurück liegenden Jahren und selbst auch heute noch geht es vor allem um pekuniäre Selbstbefriedigung bis zum Exzess der ungehinderten Verschwendung. Doch soll nicht vergessen werden, dass es die Gesetzgeber selbst waren, die die entsprechend liberalisierten Rahmenbedingungen dazu gestaltet haben. Zwar versucht man mit neuen Regularien dem wieder entgegen zu wirken, doch die Katze ist erst mal aus dem Sack.

Bei all dem haben die Regulatoren und Beaufsichtiger versagt. Sie sind ihrer Rolle aber auch deswegen nicht gerecht geworden, weil sie der Dynamik der globalen Entwicklung als national eingeschränkt wirkende Institutionen gar nicht entsprechen konnten. Es bleibt auch für die Zukunft höchst zweifelhaft, ob supranationalen Institutionen wie etwa der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel oder der Europäischen Bankenaufsicht bei der EZB die politische und gesetzgeberische Unterstützung gewährt wird, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.

Schließlich kamen eine Reihe von Faktoren überhaupt nicht zur Sprache. Wie kann man von den Banken ein unklar definiertes anständiges Verhalten fordern, wenn nicht auch gleichzeitig sich das spezifische Umfeld der Banken in seinem Verhalten ändert. Wir kennen Finanzanalysten die regelmäßig durchdrehen wenn Finanzinstitute in ihren Berichtzahlen von deren prognostizierten Erwartungen abweichen, gleichgültig ob zum Guten oder Schlechten hin. Wir kennen Ratingagenturen, die nach wie vor, ohne jede öffentliche Transparenz bezüglich ihrer Methoden, den Daumen nach oben oder unten schwenken lassen und damit an Märkten Preis- und Investitionsentscheidungen massiv beeinflussen. Wir kennen Stake- und Shareholder, die Quartal für Quartal immer bessere, höhere und weitere Ergebnisse einfordern. Wir kennen Gerichte, die, natürlich nur in strenger Auslegung des Gesetzes, es zum Teil unmöglich machen sich selbst von geschäftsschädigend verhaltenden Mitarbeitern zu trennen und wir kennen manchmal regelrecht hysterisch formulierende Medien, die bereits bei Abweichungen von bis zu fünf Prozent gerne mal den Terminus „dramatisch“ anwenden.

Ob eine Ethik oder gar eine Moral in einer mit Geld beschäftigten Branche überhaupt durchsetzbar sind, bleibt anzuzweifeln. Dass sich schlechtes Benehmen und ruppiges Verhalten positiv ändern sollten, wäre sehr wünschenswert, ist aber letztlich eine Charakter- und damit eine Erziehungsfrage. Das aber fängt bereits beim Elternhaus an und zieht sich weiter durch Schule und Studium. So soll wer im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen schmeißen. Wenn man dauerhaft will, dass die Banken weniger gierig sein sollen, müssten alle anderen auch weniger gierig werden.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Herrschaft der Minderheiten - Ein Essay von Thomas Seidel-

Erneute Verschleierung durch die SPD: Das Ende der Fallpauschale im deutschen Gesundheitswesen -von Thomas Seidel-

Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel