Tod eines Vorbilds -Ein Nachruf auf Helmut Schmidt- von Thomas Seidel
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Helmut Schmidt 2001 (Quelle: wikipedia GNU-Lizenz Urhebernvpswitzerland) |
Helmut Schmidt hat vieles in sich vereinigt, was auf den ersten Blick hin widersprüchlich wirken könnte. Er war ein sehr deutscher Deutscher
und gleichzeitig ein sehr nichtdeutscher Deutscher. Er war ein sehr
realistischer Denker und gleichzeitig ein sehr philosophischer Geist. Er war
ein sehr direkter Gesprächspartner und gleichzeitig ein unglaublich
gefühlvoller Diplomat. Vor allem aber war er ein sehr verantwortungsbewusster
Entscheider, der auch für alle seine Entscheidungen öffentlich die
Verantwortung übernahm und dies stets ausreichend begründete. Darin unterschied
er sich von den meisten seiner Landsleute, die im Allgemeinen Entscheidungen
scheuen und schon gar nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollen.
Dieser Charakterzug hat Schmidt von früh an den Ruf des
Machers eingebracht. Es war dann weniger das konkrete Tun im Einzelnen worauf
es ankam, sondern das er überhaupt etwas tat, gleich ob es sich später als ganz
richtig oder völlig falsch herausstellte. Am wirkungsvollsten war seine sicher
schwerste Entscheidung, der Befehl für die Erstürmung der entführten
Lufthansamaschine Landshut in Mogadischu 1977. Mit diesem Zeichen machte
Schmidt als Bundeskanzler nicht nur deutlich, dass der Staat tatsächlich nicht
terroristisch erpressbar sein darf, er machte damit auch gleichzeitig der Serie
des kriegsartigen radikalen Politterrorismus auf deutschem Boden ein Ende.
Schmidt hatte Überzeugung aus seiner Kenntnis der Historie
heraus und aus den Kenntnissen über gegenwärtige Umstände. Im Rahmen dieser
Überzeugungen traf er seine Entscheidungen, auch wenn er später für die ein oder
andere besserwisserisch geschmäht wurde. Das machte ihm als Bundeskanzler die
Harmonie mit seiner eigenen sozialdemokratischen Partei schwer. In dieser ältesten
Partei Deutschlands, die immer ihre ideologische Herkunft wie eine Fahne vor
sich her trug und den Kern ihres Ursprungs durch alle Irrungen und Wirrungen
deutscher Geschichte nicht wirklich verleugnete, tat man sich schwer mit dem
Pragmatismus des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der wusste wann es genug mit
Debatten war und wann gehandelt werden musste. Dennoch ist Schmidt dieser
Partei und dessen was sie idell verkörpert immer treu geblieben, weil er sie am
ehesten als Heimatort seiner eigenen politischen Werte und Überzeugungen ansah.
Hier war der Pragmatiker ganz Philosoph, konnte er sich Politik doch nur im
Rahmen einer Grundüberzeugung vorstellen und nicht als Gegenstand einer reinen
Macherhaltungspartei der ihre eigenen Grundsätze völlig egal sind, solange es
gilt zu regieren.
Vielen Landsleuten erschien Schmidt arrogant, zumindest
wurde diese Eigenschaft gerne so von der Presse kolportiert und gepflegt.
Allerdings wird dabei Realismus und Pragmatismus gerne mit Arroganz
verwechselt. Schmidt redete nicht gerne um den heißen Brei herum. Darin sah er
keinen Sinn, ja betrachtete es geradezu als Zeitverschwendung. Helmut Schmidt
war auch kein Mensch der „political correctness“, die in Wahrheit ja nichts
anderes als eine Tabuisierung ist und somit kein einziges Problem löst, sondern
im Gegenteil nur neue Probleme schafft. Das war kein Handlungsansatz für Helmut
Schmidt. Einen höflichen Umgang ja, bis zu einer gewissen Grenze, aber wenn vor
lauter Höflichkeit unter dem Strich nichts heraus zu kommen drohte, war die
Höflichkeit auch nur nutzlose Zeitverschwendung. Schmidt konnte sehr sarkastisch bisweilen auch
schon mal zynisch sein. Auch das sind Eigenschaften die seine Landsleute nicht
mögen, aber vor allem nicht verstehen. Insofern war Schmidt dem Angelsächsischen
ganz nah.
Dies machte ihn später dann zum gefragten Publizisten und
Gesprächspartner als Elder Statesmen. Jetzt, wo er in der Sache keine
Entscheidungen mehr fällen konnte, wurde sein Wort als kritischer Beobachter
gerne gehört, seinen Ausführungen gerne gelauscht und seine Andeutungen
sehnsüchtig erwartet. Wenn er redete konnte man im Publikum immer viele
zustimmend nickende Köpfe beobachten. Schmidt sprach aus was viele im Stillen
dachten, worüber sie aber in ihren eigenen Runden gerne feige schweigen. So
wurde Schmidt, zumindest für einen Teil der Nation, eine Art Gewissen, er war
da, das Unaussprechliche auszusprechen. Wie wichtig ihm das selbst war, konnte
man daran erkennen, dass Helmut Schmidt, trotz allem Tributs an das Alter,
jedwede Unbequemlichkeit auf sich nahm, seine Teilnahme und seine Botschaft bis
zuletzt aufrecht zu erhalten. Gerade dadurch bewies Helmut Schmidt noch einmal
das schier unvorstellbare Maß an Selbstdisziplin, auch noch vierzig Jahre nach
seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik und bis zuletzt seinem Anliegen
Gehör zu verschaffen. In vielem kann und soll Helmut Schmidt ein Vorbild sein.
Verblassen darf seine Lebensleistung für diese und künftige Generationen nicht.
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