Aus dem Nähkästchen geplaudert -Volker Wieland erläutert das Jahresgutachten 2016/17 der Wirtschaftsweisen- von Thomas Seidel

Volker Wieland erläutert das Jahresgutachten in Frankfurt am Main
(Quelle: Thomas Seidel)

Man kann es den Vertretern der Frankfurter Goethe-Universität und insbesondere dem Center for Financial Studies schon deutlich anmerken: Man ist stolz darauf mit der Person von Prof. Dr. Volker Wieland einen Vertreter im Sachverständigenrat sitzen zu haben. So wurden die Erläuterungen des Gutachtens auch von einem „kleinen“ Kreis von etwa einhundert Zuhörern bestens goutiert und mit interessierten Nachfragen aus dem Publikum begleitet.

Natürlich geht es bei einem Gutachten des Sachverständigenrats inhaltlich vor allem um Fakten. So referiert Wieland beispielsweise, dass ausgehend von einem Messzeitpunkt 2008 bei den Wirtschaftsleistung, pro Kopf der Bevölkerung, mit 5 Prozent Deutschland an der Spitze stehe, noch vor den USA, Japan, Großbritannien und dem EU-Raum. Frankreich falle in dieser Betrachtung vor allem deswegen ab, weil in dem Zeitraum die Bevölkerung schneller gewachsen sei. Tatsächlich eingebrochen sei die Wirtschaftsleistung allerdings in Italien zwischen 12 und 13 Prozent. Italien läge sogar unter dem Niveau von 1999, also zur Einführung des EURO. Das es auch anders ginge, sehe man an Spanien. Dort fände eine rasche Erholung statt, allerdings habe man in Spanien auch frühzeitig reformiert.

Nicht alle sehen mit ihren Kurven gut aus
(Quelle: Thomas Seidel)
In Deutschland dagegen würden erreichte Reformen zur Zeit wieder zurück gedreht. Als Beispiel nannte Wieland die Einführung der Mietpreisbremse. Deutschland bleibe Spitzenreiter in der Umverteilung beim Steuer- und Transfersystem. Doch mahnt der Sachverständigenrat dringend weiter gehende Reformen an. So müsste das Renteneintrittsalter viel flexibler gestaltet werden und Staatsinvestitionen müssten vor allem in die Infrastrukturen fließen. Daneben müßte man international Wettbewerbschancen durch Bildungsinvestitionen erhalten. Der Sachverständigenrat spricht sich aus für Deregulierungen im Dienstleistungssektor, wie etwa beim Handwerk und den Apotheken.

Fragwürdig erscheint die Bemessungs-grundlage für die Inflation. Es gilt zur Zeit nur die Veränderungen bei den Verbraucherpreisen. Doch es gäbe auch andere Preisbewegungen in einem Wirtschaftsraum. Diese Aussage geht einher, mit einer jüngsten Bemerkung des EZB-Präsidenten Marion Draghi. Der hatte im Rahmen seiner letzten Pressekonferenz davon gesprochen, es gäbe Wirtschaftssektoren, deren Inflation man gar nicht messen könne, vor allem im Dienstleistungssektor wie etwa bei den Freiberuflern. Wieland ging auf die Geldpolitik der EZB ein und meint, man könnte sich eine straffere Geldpolitik durchaus vorstellen, doch habe die EZB sich anders entschieden. Die Regierungen in der EU seien jedenfalls von jeglicher Marktdisziplin zumindest für das Wahljahr 2017 freigestellt.

Die Erläuterung eines Sachverständigengutachtens füllt ganze Säle
Altes Kasinogebäude an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
(Quelle: Thomas Seidel)
Sehr interessant waren die Einblicke, die Volker Wieland in den Werdegang eines Jahresgutachtens gewährte. Der Prozess starte im Frühsommer und setzt sich bis in den Herbst fort. Man bekomme Einblicke in wirtschaftliche Vorgänge, treffe sich mit verschiedenen Vertretern, stelle Recherchen an und entwickle Prognosen. Dann würde um jeden Satz, gar manchmal jedes Wort, gerungen. Im Vorfeld der Übergabe und Veröffentlichung käme es dann zu einem Treffen im Kanzleramt mit der Kanzlerin, Ministeriums- und Verbandsvertretern und Politikern. So habe etwa der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag gleich kritische Anmerkungen des Berichts in Frage gestellt und behauptet, es laufe doch alles gut. Auch sonst mischen sich offensichtlich viel zu viel Leute ein, die, aus welchen Gründen auch immer, gewisse Bemerkungen einfach nicht öffentlich gesagt haben wollen.


Dieses Verhalten erinnert sofort an eine ganze Reihe von fataler Informationslenkung- und Beeinflussung, die man insbesondere in diesem Jahr zu Kenntnis nehmen musste. Ob es um Delikte von Menschen geht, die Behörden, Justiz und Politik schönreden wollen, ob es um Halbwahrheiten geht, die eine bedrohliche Lage im Ausland in ihrer Darstellung verfälschen, ob es um gezielte oder auch dümmliche Manipulationsversuche der öffentlichen Meinung durch soziale und andere Medien über bestimmte Sachverhalte geht, das Jahr 2016 war, zumindest subjektiv, das bisherige Spitzenjahr der gewollten Desinformation. Am Ende der Veranstaltung, schon ausserhalb des offiziellen Rahmens, setzte da ein Italiener dem Ganzen noch einen oben drauf. Er stellte sich vor als ein Vertreter der Banca d'Italia, also der Zentralbank von Italien und mithin schon als eine Art halboffizieller Staatsvertreter. Er frug Volker Wieland sinngemäß, wie der dazu komme, in seiner Präsentation Italien mehrmals als ein so schlechtes Beispiel dargestellt zu haben. Mit einem solchen Verhalten unterscheidet sich dieser Zentralbanker in nichts etwa von einem Volker Kauder. So beginnt sie also im Kleinen, die politische Verdrehung der wahrhaftigen Fakten. Diese Präsentation war eine wirklich lehrreiche Veranstaltung.

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