Aktuelle und historische Besonderheiten des deutschen Immobilien- und Finanzgeschäfts von Thomas Seidel

Maintower
 Zentrale der Landesbank Hessen-Thüringen
 in Frankfurt am Main
(Quelle: wikipedia, CCL GNU-Lizenz, Urheber: Helaba)

Die Entwicklung von Deutschlands Immobilienmarkt ist einzigartig. Gibt es eine allgemeine Wohnungsnot, oder hat sich bereits eine Immobilienblase entwickelt? Immobilienfinanzierungen füllen heute einen großen Teil der Bankbilanzen. Doch mit dem ausgeweiteten Hypothekengeschäft sind bei den Banken zusätzliche Risiken verbunden.

Auf ihrem 39. Symposium hat sich das Institut für Bank- und Finanzgeschichte e.V. diesmal intensiv mit dem Thema „Immobilienmärkte, Wohnungsbaufinanzierung und ihre Rolle für die Finanzsystemstabilität“ befasst. Gastgeber der Veranstaltung mit etwa 260 Teilnehmern war diesmal die Helaba Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale, in den Räumen ihrer Frankfurter Zentrale.

Wachsender Anteil der Immbilienfinanzierung in den Bankbilanzen
Die beiden zeitlich auseinander liegenden Vorträge von Prof. Dr. Moritz Schularick von der Universität Bonn und Prof. Dr. Nikolaus Wolf von der Humboldt-Universität zu Berlin bildeten thematisch eine Einheit. Die Entwicklung, besonders auf dem deutschen Immobilienmarkt, wurde über einen weiten Zeitraum etwa von 1870 bis heute betrachtet.

Prof. Dr. Moritz Schularick
Universität Bonn
(Quelle: Thomas Seidel)
Demnach habe sich die Immobilienfinanzierung inzwischen zu dem Finanzierungsgeschäft bei den Banken überhaupt entwickelt. Der Anteil des Hypothekengeschäfts sei von einem auf sechs Prozent des Bruttosozialprodukts angewachsen. Ursprünglich sei der Immobilienbestand in Deutschland in der Hand von sehr wenigen Eigentümern gewesen. Reiche Familien und Institutionen, allerdings mit einem weitestgehend illiquiden Vermögen. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts habe sich dann der Immobilienbestand auf immer mehr Eigentümer verteilt. Natürlich hätten die beiden Weltkriege und deren Zwischenzeit diese Entwicklung zunächst erheblich gehemmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Deutschland eine ausserordentlich neue Situation. In den bombardierten Städten war der Wohnungsbestand weitestgehend zerstört und aus den verlorenen Ostgebieten strömten Millionen Flüchtlinge besonders nach Westdeutschland. Mit mehreren Wohnungsbau-Föderungsgesetzen seien starke Eingriffe des Staates in den Immobilienmarkt notwendig gewesen. Die Maßnahmen halfen, letztlich in dieser Situation eine ausreichenden Wohnraumversorgung zu erreichen.

Prof. Dr. Nikolaus Wolf
Humboldt Universität Berlin
(Quelle: Thomas Seidel)
Anders als in vielen Ländern, böte der Immobilienmarkt in Deutschland Privatpersonen zwei echte Alternativen: Kauf oder Miete eines Objekts. Eine weiterer Faktor auf den Immobilienmärkten sei die deutliche Verkleinerung der Haushaltsgrößen. Weniger Menschen beanspruchten mehr Wohnraum für sich. Interessanterweise sei das Verhältnis von Kaufkraft und Immobilienerwerbskosten seit den 1960er Jahre fast unverändert geblieben. Das auch vor dem Hintergrund steigender Preise. Die Erwartung kontinuierlich anziehender Preise sei ein Phänomen, welches in der Wirtschaft immer noch als selbstverständlich erwartet wird. Dabei hätten weniger die Baupreise für einen Anstieg gesorgt, als vielmehr die Grundstückspreise. Um dennoch die Mittel für einen Immobilienerwerb aufbringen zu können, habe sich tatsächlich der Grad der Verschuldung bei der Finanzierung deutlich erhöht. In den USA beispielsweise von 18 auf 50 Prozent. Doch die Menschen könnten sich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund niedriger Zinskosten, eine solche Verschuldung leisten. Inzwischen läge aber das Zinsrisiko voll bei den Banken.

Natürlich wurde die gegenwärtige Diskussion über eine angebliche Wohnungsnot, zumindest in bestimmten Ballungszentren, angesprochen. Doch sei dies auf Gesamtdeutschland umgelegt kein schwerwiegendes Problem. An dieser Stelle treten dann doch eine Vielzahl von offenen Fragen zutage, die die Studien der beiden Vortragenden offensichtlich nicht berücksichtig haben. Viele ältere Menschen zum Beispiel, die ab den 1960er Jahren aus den Großstädten hinaus aufs Land gezogen sind, versuchen sich dort ihrer Immobilien zu entledigen und wieder in die Städte zurück zu ziehen. Das liegt einerseits daran, dass die Menschen auf dem Lande keine ausreichende Infrastrukturen mehr vorfinden. Kaum Einkaufsmöglichkeiten in kurzer Distanz und keine ausreichende Gesundheitsversorgung am Ort. Vor allem aber, die Transportkosten werden immer unerschwinglicher. Das gilt auch für Pflegedienste, die sich lange Anfahrten entsprechend bezahlen lassen. Die Transportkosten wiederum sind auch ein Thema für junge Menschen. Wer urban lebt, kann auf ein Auto verzichten. Das spart den Monatsbudgets der Haushalte gleich mehrere hundert Euro, die man dann auch in vergleichsweise hohe Mieten umlenken kann. Auch nicht untersucht wurde die Situation von immerhin rund 16 Millionen Menschen, die in oder nahe an prekären Einkommensverhältnissen leben und oft ohne staatliche Unterstützung ihren Lebensunterhalt nicht mehr allein aus eigenen Mitteln bestreiten können. Der Fokus auf die demographischen Einflüsse und sozialen Entwicklungen könnte also noch erheblich bei der Forschung ausgeweitet werden.

Univ. Prof. Dr. Markus Lampe
Wirtschaftsuniversität Wien
Der Mann könnte Stadionsprecher werden
(Quelle: Thomas Seidel)
Ein Beitrag von Prof. Dr. Markus Lampe von der Wirtschaftsuniversität Wien beschäftigte sich mit europäischen Fallstudien am Beispielen aus Österreich, Spanien und Dänemark. Unter dem Titel „Immobilienmärkte und Finanzkrisen, ca. 1870 bis 1935“ zeigte Lampe einige Entwicklungen auf. Gleichwohl blieben diese Betrachtungen im Gesamtkontext allerdings wenig relevant. Eindrucksvoll war freilich die gewaltige Stimme von Prof. Lampe. Er ist auch ohne jede technische Unterstützung in der Lage, einen Raum ausreichend zu beschallen.

Gibt es in Deutschland eine Immobilienblase?
Mit dieser Fragestellung beschäftigte sich Dr. Andreas Dombret Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank aus dem Blickwinkel mikroprudenzieller Aufsicht heraus. Dombret will dabei genau unterscheiden, zwischen Preisübertreibungen, also ökonomisch nicht angemessenen Preisentwicklungen und den die Finanzstabilität gefährdenden Preisblasen. Dombret rät, sich an drei Kriterien zu orientieren: 1. Ein Preisanstieg lasse sich durch fundamentale volkswirtschaftliche Daten nicht mehr erklären. 2. Ein übermäßiges Volumen an Immobilienkrediten liegt vor. 3. Die Banken versuchen durch Regellockerungen bei der Kreditvergabe zusätzlich von einem Boom zu profitieren. Demnach sieht Dombret aktuell zwar keine Immobilienblase in Deutschland. Die Kriterien dafür bewegten sich aber bereits in einem grenzwertigen Bereich. Es gäbe seit 2010 bereits Preissteigerungen von 50, in einzelnen Großstädten sogar 60 Prozent. Das Volumen von Immobilienkrediten steige seit 2009 kontinuierlich an, zuletzt sogar beschleunigt. Dabei sei die Verschuldung der Haushalte sowohl absolut wie auch relativ zu deren Einkommen gestiegen, nicht aber der Schuldendienst für die Kredite. Das sei wohl auf die niedrigen Zinsen zurück zu führen. Das Verhalten der Banken bei der Kreditvergabe lasse sich jedoch aufgrund einer unzureichenden Datenlage nicht wirklich beurteilen.

Dr. Andreas Dombret
Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank
(Quelle: Thomas Seidel)
Dombret identifiziert das Niedrigzinsumfeld als einen Hauptrisikofaktor. Die niedrigen Zinsen würden das Geschäft mit den Immobilien antreiben. Auf der anderen Seite schmälerten sie aber die Ertragslage der Banken. Ausreichende Profite der Banken sind bekanntlich die beste Risikovorsorge überhaupt. Weil Immobilienkäufer ihre Finanzierungen zu niedrigen Zinskonditionen so lange wie möglich festschreiben wollen, steigt das Zinsänderungsrisiko bei den Banken an. Daher möchte die Aufsicht die Banken noch genauer beobachten und fordert noch mehr Transparenz ein. Einmal mehr deutet Dombret also erweiterte Berichtspflichten für die Banken an.

In der abschließenden Paneldiskussion wurde natürlich von Bankenvertretern sogleich reklamiert, dass sich die Anforderungen der Aufsicht an das Berichtswesen der Banken nun erst einmal stabilisieren müssten. Immer neue Ideen für immer neue Berichte, die in immer kürzerer Zeit erstellt werden müssen, erscheinen den Banken eher kontraproduktiv. In der Tat muss dabei die Frage erlaubt sein, ob die Aufsicht überhaupt die Kapazitäten und die Kompetenz hat, aus der Flut der Berichtsdaten von Banken die richtigen Entwicklungen erkennen zu können und entsprechend die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Ein Symposium über Immobilien am Platz Frankfurt kommt natürlich zur Zeit nicht ohne das Stichwort Brexit aus. Dr. Gertrude Traud, Chefökonomin der Helaba hatte zu diesem Thema Zahlen aus einer hauseigenen Untersuchung bereit. Demnach rechne man in 2017/18 mit der Errichtung von bis zu zweitausend Arbeitsplätzen von britischen Banken in Frankfurt. Etwas längerfristig kalkuliere man etwa 8.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Dabei habe man Personalabbaumaßnahmen bei heimischen Kreditinstituten berücksichtigt. Jeden Arbeitsplatz multipliziert die Helaba mit dem Faktor Drei, wenn es denn zu einem Familienzuzug kommt. Unterm Strich wären das also etwa 24.000 Menschen, die Frankfurt und Umgebung allein wegen des Brexit zusätzlich bevölkern könnten. Das stelle die Stadt schon vor Herausforderungen. So sehe man beispielsweise das Angebot von Internationalen Schulen als derzeit nicht ausreichend an.

Podiumsdiskussion
v.l.n.r.: Thomas Ortmanns, Aarealbank Wiesbaden;  Dr. Stephan Bredt, Hessisches
Wirtschaftsministerium; Dr. Gertrud Traud, Helaba; Dr. Louis Hagen, vdp Berlin;
Bernd Wittkowski, Börsenzeitung Frankfurt amMain
(Quelle: Thomas Seidel)

Ganz so kritisch will Dr. Stephan Bredt, Abteilungsleiter im Hessischen Wirtschaftsministerium in Wiesbaden die Schulsituation nicht beurteilen. Schließlich seien die meisten Internationalen Schulen private Einrichtungen. Die könnten relativ schnell ihre Kapazitäten ausweiten. Ein Hoch also auf die Flexibilität der Freien Marktwirtschaft. Bredt wünscht sich auch noch an anderer Stelle Zuwachs für Frankfurt. Gemeint sind die sogenannten Fin-Tech-Unternehmen, für deren Ansiedlung in Frankfurt man intensiv werbe und auch bereits auf einige Erfolge dabei blicken könne.


Mit der erfreulich dynamischen Entwicklung der deutschen Wirtschaft geht auch eine entsprechende Dynamik im Immobilien- und Wohnungsbaufinanzierungssektor einher. Dabei hat der Deutsche Staat durchaus Erfahrung damit, mittel- und langfristig in die Entwicklung einzugreifen und die Märkte in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Die Verteilung von Wohneigentum und Miete wird als ausgewogen betrachtet und im Vergleich zu anderen Ländern eher positiv bewertet. Kritisch scheint allein die Boomsituation in einigen bestimmten Ballungszentren zu sein. Hier ist die Bankenaufsicht gefordert den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um gegen drohende Immobilienblasen notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Die Bankenbranche selbst täte gut daran, den Anteil des Hypothekengeschäfts in ihren Bilanzen wieder etwas relativieren. Das setzt aber seitens der Europäischen Zentralbank eine deutlich andere Zinspolitik voraus. Die Wissenschaft schließlich, muss sich noch intensiver mit den Folgen im Ganzen von wirtschaftlichen Entscheidungen einzelner Menschen aufgrund ihrer sozialen Situation befassen. Für alle Teilnehmer des Symposiums bleibt mithin viel zu tun.

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