Die verzerrte Debatte über Managervergütungen von Thomas Seidel
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Arbeitnehmerstreik Bahnhofstraße in Worms 2009 (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Wikimedia-User Jivee Blau) |
Mit
hohen Managergehältern läßt sich Wahlkampf machen. Der besondere
Gerechtigkeitsinn in Deutschland läßt sich sehr gut für Propaganda
nutzen. Doch läuft die Gesellschaft Gefahr, den Wert der
individuellen Leistung zu unterschätzen. Am fragwürdigsten ist das
Gerede von Arbeitsmärkten. Aber es gibt Auswege aus dem
argumentativen Sich-im-Kreis-drehen.
In
einem Bundestagswahljahr wird gerne mit vermeintlich modischen Themen
Wahlkampf gemacht. An erster Stelle stehen in diesem Wahljahr Ordnung
und Sicherheit auf den Programmzetteln. Für einige Politiker darf
die Ökologie natürlich nicht fehlen. Andere wollen für
Steuersenkungen trommeln. Wieder andere träumen, ganz wie
Schönheitsköniginnen, allgemein vom waffenlosen Weltfrieden. Doch
über alle Politrichtungen hinweg, soll es wieder mal besonders
gerecht zugehen. Das ist eine sehr deutsche Spezialität. Glaubt man
den Medien und den Statistikern, quält das deutsche Wählervolk
nichts so sehr wie Ungerechtigkeiten. Davon gäbe es in diesem Land,
dessen unerklärte Leit(d)kultur der Neid auf alles ist was andere
haben, ja jede Menge.
Überall
im Land geht es ständig ungerecht zu. Es gäbe keine
Steuergerechtigkeit. Die die hart arbeiteten, zahlten zu viel davon.
Oder die Ungerechtigkeiten im Gesundheitswesen. Wieso bekämen Wenige
eine bessere Behandlung als die Vielen? Nur weil sie sich eine
privilegierte Privatversicherung leisten könnten? Wenn man schon
über Privilegien klagt, dürfen die Bildungsunterschiede nicht
fehlen. Bezüglich derArbeit gibt es nach wie vor ein Lohngefälle
zwischen Ost und West. Je nach Himmelsrichtung ist das für die
Menschen im Osten ein Ärgernis. Den Menschen im Westen ist das aber
bestenfalls egal. Dann gibt es andauernd erhebliche Differenzen bei
der Bezahlung der Geschlechter. Statistiken sagen, etwa zwanzig
Prozent geringer sei die Entlohnung für Frauen, bei vergleichbaren
Tätigkeiten. Männer, vor allem in der Funktion von Führungskräften,
sind sehr geschickt, immer neue und immer absurdere Begründungen für
die Geschlechterdifferenz zu erfinden. Frauen lassen ihnen das
unverständlicherweise immer noch durchgehen. Schier endlos scheinen
die Klagen über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu sein. Aber
die schlimmste Ungerechtigkeit von allen, die viel wichtiger und
aufgeregter diskutiert wird, sei die Lohnungerechtigkeit!
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Justitia Gemälde von Carl Spitzweg 1857 (Quelle: wikipedia, gemeinfrei) Gerechtigkeit und Recht sind nicht gleich |
Kein
Wunder, im Erfinderland des Protestantismus und des Sozialismus, wo
wie nirgendwo sonst alle Menschen gleicher sein wollten als alle
anderen, ist es schlicht nicht vorstellbar, dass es für den gleichen
Zeitaufwand an Arbeit so erhebliche Unterschiede bei der Entlohnung
geben soll. Richtig biestig wird aber die öffentliche Debatte, wenn
es um die angeblich erheblichen Gehaltsunterschiede von „normalen“
Angestellten und Spitzenführungskräften geht. Wo man in anderen
Kulturkreisen einem beruflichem Aufsteiger zu seinem Erfolg
gratuliert und manches mal auch bewundert, ja sich sogar zum Vorbild
nimmt, werden beruflich erfolgreiche und sehr gut bezahlte Menschen
hierzulande zum Feindbild der Gesellschaft. Verfolgt man die Tonlage
in den Medien, bekommt man den Eindruck, es sei geradezu obszön,
wenn Topmanager in Einzelfällen schon mal mehr als das Hundertfache
eines durchschnittlichen Angestellten verdienen.
Im
Wahljahr machen sich bestimmte Politiker dieses scheinbare
Volksempfinden zunutze. Sie versprechen besondere Auswüchse bei der
Entlohnung schleifen zu wollen. Es ist gar die Rede von gesetzlichen
Deckelungen der Führungsvergütung. Mancher spricht davon, mehr als
500.000 Euro pro Jahr, sollten auch für die Besten der Besten nicht
drin sein. Alles andere sei sozial nicht vertretbar. Grundsätzlich
sei doch jede Arbeit gleichwertig. Zumindest sei der Arbeitsbeitrag
zum Beispiel eines Handwerkergesellen, einer Verkäuferin, einer
Buchhalterin, eines Stahlarbeiters, ja sogar eines Staatsbeamten zum
allgemeinen Funktionieren und Wohlergehen der Gesamtgesellschaft
stets gleich wichtig. Da könnten einige wenige nicht so viel mehr
über dem Durchschnitt verdienen. Deren Anteil am gesellschaftlichen
Nutzen sei letztlich auch nicht wirklich bedeutender.
Ob
solcher Vorstellungen ist es an der Zeit, einmal darüber
nachzudenken, woher der Anspruch einer überdurchschnittlichen
Bezahlungen überhaupt kommen könnte. Tatsächlich gibt es nur zwei
nachvollziehbare Gründe, und letztlich deren Kombination
miteinander, wegen derer abhängig Beschäftigte, aber auch
Freischaffende deutlich mehr als andere Arbeitnehmer verdienen
sollten.
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Lehrling mit Schraubstock Theorie allein reicht nicht. Die deutsche Ausbildung bleibt vorbildlich (Quelle:_web_R_K_by_SPÖ Landtagsklub_pixelio.de) |
Der
erste Grund ist die persönliche Investition in die eigene
Qualifikation. Gemeint ist damit aber nicht nur etwa eine akademische
Ausbildung. Jede Art von beruflicher Ausbildung und wachsender
praktischer Erfahrung hebt die Qualifikation von Menschen. Dazu
gehören auch weiterführende Ausbildungen, etwa während der
Ausübung einer Berufspraxis. Weiter sind dazu zu zählen besondere
Kenntnisse und Fertigkeiten, so wie zum Beispiel
Fremdsprachkenntnisse. Überhaupt alle für die Ausübung einer
Tätigkeit förderlichen Qualifikationen. Wenn jemand allerdings ein
Spitzenhobbykoch Zuhause ist, wird das als berufliche
Zusatzqualifikation, etwa bei einer Tätigkeit als Steuerfahnder,
nicht helfen. Belohnt werden soll hierbei vor allem die Zeit und die
Mühe, die Disziplin und die Entbehrungen, welche eine Ausbildung mit
sich bringen. Darüber hinaus aber soll eine höhere Vergütung für
gut ausgebildete Menschen auch durchaus die Geldmittel kompensieren,
die jemand aufgewendet hat, um sich mehr und besser zu qualifizieren.
Das gilt ebenso für die geminderten Verdienstmöglichkeiten, bis hin
zur Rente, während der Dauer einer Ausbildung.
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Rettungshubschrauber Gemessen an ihrem persönlichen Risiko werden Retter viel zu gering bezahlt (Quelle:_web_R_by_Angelina Ströbel_pixelio.de) |
Der
zweite Grund ist das persönliche Risiko, dass ein Mensch für seine
Entscheidungen und die Verantwortung während der Ausübung seiner
beruflichen Tätigkeit eingeht. Es ist durchaus berechtigt, ein
solches Risiko angemessen zu entlohnen. Dazu gehört unter Umständen
das Risiko für auch nur eine Fehlentscheidung sofort gefeuert werden
zu können. Im Alltag geht es für gewöhnlich um kaufmännische
Erfolge oder Misserfolge, oder um die Verantwortung für die
Sicherheit von Menschen und alle von Menschen gemachten Dinge. Einem
besonderen persönlichen Risiko sind in der Zivilgesellschaft
insbesondere all jene Menschen ausgesetzt, die wir zu den
Ordnungshütern und Rettungsdiensten zählen. Diese setzen nur allzu
oft sogar ihr Leben für Andere ein. Das gilt genauso für Soldaten,
die die Gesellschaft zur Wahrung von allerlei ihrer Interessen auch
in kriegerische Gebiete entsendet. Ja, dort wird von ihnen erwartet,
dass sie unter den schlimmsten Umständen sogar für ihre Heimat das
eigene Leben lassen. Das Eingehen und Verantworten von persönlichen
Risiken in der Berufsausübung ist völlig unabhängig von der Frage
der Qualifikation zu betrachten.
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Chirugen bei einer Operation Was für die einen gilt, muss nicht für andere gelten (Quelle:_web_R_by_Martin Büdenbender_pixelio.de) |
Schließlich
gibt es auch Mischformen aus beiderlei Gründen. Tätigkeiten, welche
von Menschen eine besonders hohe Qualifikation und gleichzeitig das
Eingehen eines hohen persönlichen Risikos abverlangen. Eines der
anschaulichsten Beispiele für eine solche Tätigkeit ist
beispielsweise der Beruf eines Chirurgen. Als solcher zu arbeiten,
erfordert ein ausserordentliches Mass an Kenntnissen und Fertigkeiten
und Erfahrungen. Dazu muss die Bereitschaft bestehen, blitzschnell
Entscheidungen treffen zu können, die mitunter über Tod oder Leben
eines Patienten entscheiden. Es gibt aber auch umgekehrte Fälle.
Menschen die etwa über eine ausserordentliche Qualifikation und
berufliche Kompetenz verfügen, aber aus welchen persönlichen
Gründen auch immer keinerlei Verantwortung für andere Menschen
übernehmen wollen. Die Ausprägungen menschlicher Verhaltensweisen
sind unfassbar vielfältig und lassen sich, auch was die Entlohnung
für ihre Tätigkeiten angeht, keinesfalls über einen gesetzlichen
Kamm aus wenigen Paragraphen scheren.
Deswegen
hat die Gesellschaft, über lange Zeiträume hinweg, für all diese
Konstellationen von Arbeit der Menschen, durchaus Vergütungssysteme
geschaffen, die den unterschiedlichen Ansprüchen und Verantwortungen
einer beruflichen Tätigkeitsausübung mit einer angemessenen
Entlohnung entsprechen sollen. Hier kann es für bestimmte
Berufsgruppen in Einzelfällen tatsächlich zu Unausgewogenheiten
kommen. Das zu bereinigen, sollte dann Aufgabe der zuständigen
Vertragspartner sein, nicht aber allgemeines Programm der Politik.
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Arbeitsmarkt als Angebots- und Nachfragekurve in der Volkswirtschaftslehre Eine solch vereinfachte Darstellung menschlicher Arbeit ist respektlos (Quelle: wikipedia, GNU-Lizenz, U Alecconnell) |
Die
Politik sollte sich lieber um etwas anderes kümmern. Denn das
wirklich einzige Argument, das unter keinen Umständen mehr für eine
mehr oder weniger hohe Bezahlungen in den Mund genommen werden
sollte, ist die Verfügungslage von qualifiziertem Personal an den
sogenannten „Arbeitsmärkten“. Es ist eigentlich verwunderlich,
dass die Gralshüter der „Politischen Korrektheit“ zusammen mit
den Wächtern des „Unwort des Jahres“ den Begriff „Arbeitsmarkt“
nicht schon längst als scheußliches Beispiel für eine
menschenverachtende Denk- und Handlungsweise aus dem Sprachschatz der
Deutschen verbannt haben. Grundsätzlich sollte gelten: von Menschen
geleistete Arbeit kann und darf nicht Gegenstand eines wie auch immer
gearteten Marktes sein. Arbeitende Menschen sind nicht irgendein
beliebig austauschbares Hab und Gut, welches in mehr oder weniger
guter Qualität und Quantität irgendwann und irgendwo für einen
Markt verfügbar sei. Für eine berufliche Tätigkeit und dessen
Entlohnung kann und darf ein Mechanismus von Angebot und Nachfrage
nicht gelten. In Frage kommt allein die individuelle Betrachtung des
einzelnen Menschen.
Löst
das jetzt die Frage über das öffentliche Missfallen über
exorbitante Managergehälter? Es zeigt sich, bei der Entlohnung für
Arbeit kann es keine sozialistische Gleichbehandlung geben. Dazu sind
die Lebensläufe, Fähigkeiten und das Engagement der Menschen viel
zu individuell. Andererseits dürfen auch Marktmechanismen hier keine
Rolle spielen. Was letztlich für eine Arbeit angemessen vergütet
wird, sollte sich an der Wertschätzung orientieren, die man dem
Einzelnen gegenüber aufbringt. Wer sich nicht daran stört, dass
angestellte Sportstars noch ein vielfaches Mehr von dem verdienen,
was Spitzenmanager für sich aushandeln, darf nicht die Einen
bejubeln und die Anderen verdammen. Die obigen Ausführungen zeigen
einen Weg auf, wie mit solchen Fragen umgegangen werden kann. Der
Versuch, alle Tätigkeiten in ein bürokratisches Tarifsystem packen
zu wollen, führt am Ende zu noch mehr Unzufriedenheit bei allen
Betroffenen.
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