Ach Greetsiel -Ein Reisebericht- von Thomas Seidel
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Greetsiel 2013 (Quelle: wikipedia, Urheber: Foto- Martina Nolte / Lizenz- Creative Commons CC-by-sa-3.0 de) |
Die ostfriesische Nordseeküste und
ihre Menschen sind regelmäßig Gegenstand von scherzhaften
Schmähungen. „Man“ wendet sich lieber nach Süden, vermeintlich
mondäneren Orten zu. Tatsächlich aber bietet Ostfriesland nicht nur
ein gesundes Wetter, sondern sehenswerte Land- und Ortschaften,
angenehmste Erholung und liebenswerte Menschen.
Auf halben Weg zwischen Emden und
Norden, bzw. Norddeich, vielen als der Fährhafen zu den Friesischen
Inseln bekannt, liegt zauberhaft das malerische Greetsiel. Zurecht
eine touristische Perle Deutschlands und ein echter Hingucker. Was an
vielen Ferienorten durch Geldgier kaputt gemacht worden ist (wir
berichteten zuletzt darüber von Sylt und Borkum), hat man in
Greetsiel deutlich besser gemacht. Der Ort ist so wie er ist schlicht
authentisch. Das spürt man an jeder Ecke, selbst dort, wo erst in
jüngerer Zeit neue Bauten den Ort für die Zwecke von
Ferienurlaubern erweitert haben.
Greetsiel: Nordseite des Hafens (Quelle: Thomas Seidel) |
Greetsiel blickt auf eine lange
Geschichte zurück. Eine Häuptlingsfamilie, die Cirksena, spätere
Grafen von Ostfriesland, gründeten den Ort im 14. Jahrhundert.
Typisch für das teilweise unter dem Meeresspiegel hinter Deichen
liegende Land, sind die kanalartigen Entwässerungs-gräben, Siele
genannt. Die geben dem Ort einen Teil seines Namens, während das
„gred“ wohl für „Wiese“ steht. Diese Kanäle durchziehen das
ganze Land wie ein engmaschiges Netz von Wasserstraßen. Tatsächlich
kann man auf ihnen auch heute noch in flachen Booten weite Strecken
zurück legen. Greetsiel selbst aber war und ist immer noch ein
Hafenort. Dort liegt nach wie vor der größte Teil der deutschen
Krabbenfischerflotte und auch das hält den Ort weiter sehr lebendig.
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Eine der beiden Zwillingsmühlen (Quelle: Thomas Seidel) |
Lebendig beschreibt überhaupt sehr gut
einen Eindruck, den man von Greetsiel gewinnt. So klein die 1450-Seelen-Gemeinde an sich auch sein mag, nicht nur der Tourismus sorgt
für eine angenehme Geschäftigkeit. Viele Bauten aus mittelalterlichen Gründungszeit sind erhalten, wie etwa die Backsteinkirche. Die meisten Gebäude aber stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Etwas jünger, aber
deswegen nicht weniger authentisch, sind die beiden Zwillingsmühlen
holländischer Bauart, die dem Ort, schon von weitem, einen markanten Orientierungspunkt geben. Eine der beiden Mühlen wird sogar noch als
solche betrieben. Man kann also einen Eindruck davon bekommen, wie es
noch bis zu Beginn der Dampfmaschinenzeit und der Elektrifizierung im
ganzen Land aussah, als Mühlen überall die einzigen verfügbaren
mechanischen Kraftmaschinen waren. Schließlich begreift man vor Ort
auch schnell, wie landschaftsverschandelnd die modernen
Windkraftanlagen wirken, die an der Nordseeküste allenthalben in
Massen aufgestellt worden sind.
Der Ortskern von Greetsiel ist
weitestgehend autofreie Zone. Das vermisst man eh nicht, ist doch
alles zu Fuß sehr leicht erreichbar. Natürlich konzentrieren sich
im Ort Touristenhandel und Gastronomie. Diese befinden sich aber in
sehr angenehm gestalteten Bauten, und stören, sofern sie ohnehin
nicht selbst sehr alt sind, mit ihrem Erscheinungsbild nicht die
Umgebung. Selbst der örtliche Supermarkt hat sich diesen Vorgaben
angepasst. Nur ein Hallenbad sticht architektonisch unangenehm
hervor, liegt aber wenigstens an einem weniger frequentierten Ende
des Ortes. In einigen Fällen kann man sogar noch etwas über die
traditionelle Lebensweise in den alten Häusern erfahren. So hockt
man in einem sehr gemütlichen Teehaus unter anderem in dessen ehemaliger Wohnstube und hat dort einen Blick auf die schrankartigen
Schlafkojen, Butzen genannt.
Sielkanal im Ortskern (Quelle: Thomas Seidel) |
Für den modernen Erholungs-suchenden
bieten sich viele Ferienwohnungen an. Unter anderem auch in einem
„neuen“ Gebiet, um den ehemaligen Bahnhof herum. Das besondere an
manchen Häusern: sie liegen mit ihren Grundstücken an den
Sielkanälen und haben teilweise eine eigene Anlegestelle für Boote.
An solchen Orten kann man es sich sehr gut gehen und im Sommer
gerne die Füße im Wasser baumeln lassen. Trotz der vielen Gewässer
leidet die Gegend nicht unter Mückenplagen. Das liegt zum einen
daran, dass es sich um fließende Gewässer handelt. Zum anderen, so
erklärte uns ein Bootsführer, entwässern die Sielkanäle
regelmäßig ins Meer hinaus und so werden etwaige Insektenlarven
einfach mit hinaus ins Meer gespült. Wer einmal erlebt hat, wie man
in Florida die allgegenwärtige Insektenplage mit reichhaltigem
Giftgaseinsatz Jahr um Jahr einzudämmen versucht, ist für diese
natürliche Form der Insektenentsorgung sehr dankbar.
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Haus mit Bootsanleger am Siel (Quelle: Thomas Seidel) |
Langeweile kommt auch nicht auf. Um
Greetsiel herum liegen viele verschiedenartige Ziele. Zum Beispiel
der rot-gelb geringelte Leuchtturm von Pilsum. Der hat eine gewisse
Berühmtheit in den Otto-Filmen erlangt, als zeitweise Wohnstätte
dieses ostfriesischen Komödianten. Einerseits hat Otto Walkes mit
seinen Blödeleien dieser Ecke Deutschlands einen gewissen
Bekanntheitsgrad verliehen, andererseits wird seine Darstellung der
Bevölkerung nicht wirklich gerecht. Die Menschen sind sehr
umgänglich und freundlich, lassen sich aber nicht abhetzen, sondern
zeigen eine eher gemütlich angenehme Lebensart. Die einzigen
Abgehetzten sind die Touristen selbst. So etwa in Norddeich, dem
Strand- und Hafenstadtteil des Ortes Norden. Dort haben wir wieder
die ganze unangenehme Beton-Touristenabzock-Infrastruktur, wie wir sie auf den
bereits besuchten Friesischen Inseln kennengelernt haben.
Die größte Stadt in der Gegend ist
Emden, die Hafenstadt an der Ems, die genau gegenüber den
Niederlanden liegt. Emden ist nicht nur als Hafenstadt bekannt,
sondern hat auch eine große Fabrikationsstädte des
Volkswagen-Konzerns. Trotz dieses industriellen Rahmens, kommt die
Innenstadt von Emden als sehr angenehmer und lebenswerter Ort daher.
Dort ist alles picobello sauber. Das ist überhaupt ein Attribut,
welches man nahezu auf die ganze Gegend von Ostfriesland beziehen
kann. Man gewinnt auch den Eindruck, die Menschen üben sich gerne in
der Gärtnerei. Schöne gepflegte Grundstücke begegnen einem
überall. Man legt Wert auf ein einladendes Äußeres.
Historischer Hafen von Emden (Quelle: Thomas Seidel) |
Kulinarisch ist Ostfriesland nicht
gerade ein Tummelplatz für Feinschmecker. Das soll nicht heißen,
dass es kein gutes Essen gäbe. Aber die Speisekarten sind eher
rustikal. Enttäuschend ist allerdings, was die Sachen angeht, die
aus dem Meer kommen. Das Verständnis von Fischgerichten mit ein
bisschen Raffinesse ist nicht vorhanden. Der deutsche Generalirrtum
bezüglich der berühmten Nordseekrabben wird hier allenthalben in
jedem Restaurant praktiziert. Die Europäischen Union mit ihren
widersinnigen Fischfangquoten und Beifangbeschränkungen hat ein
Übriges dazu getan, die Vielfalt dessen was aus dem Meer kommen
könnte einzuschränken. Das ist bedauerlich. Dafür kann man sich aber
auf jeden Fall in der ostfriesischen Teekultur üben. Das bereichert nicht nur
die Geschmackssinne, sondern lehrt auch, auf angenehmste Weise ruhiger
und gelassener zu werden.
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Leuchtturm von Pilsum Otto Walkes läßt grüßen (Quelle: Thomas Seidel) |
Wer Venedig einmal gesehen hat, kann in
Ruhe sterben („see Venice and die“). Das mag ja sein. Wer aber
deutlich mehr am Leben hängt und einen gleichermaßen angenehmen Ort
für gesunde Erholung und Entspannung sucht, dürfte mit Greetsiel
und seiner Umgebung bestens und nicht nur im Hochsommer gut bedient sein.
Man muss nicht auf die verfallenden Friesischen Inseln fahren, um
eine wirksame Erholungszeit zu haben. Das ostfriesische Binnenland
bietet so viel mehr. Greetsiel allein ist dabei schon ein guter Tipp.
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