Wie man sich als Wirt selbst im Wege steht -Eine Restaurantkritik- von Thomas Seidel
![]() |
Nein das ist nicht der Ratskeller, sonders das alte Rathaus in Wiesbaden-Biebrich. Das besagte Restaurant befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. (Quelle: Thomas Seidel) |
Zuweilen kann ein harmloses
Geburtstagsessen in eine mehrstündige Komödie ausarten. Das klingt
zunächst gut, geht aber am Ende mit einem bitteren Geschmack einher.
Für einen gewöhnlichen Geburtstag
reservieren wir ein Restaurant in Wiesbaden, Tage vor dem
eigentlichen Ereignis. Der Geburtstag selbst erhält ein schönes
Wettergeschenk. Strahlender Sonnenschein, hochsommerliche
Temperaturen, trocken und stets ein leichter Wind, besser kann es der
Himmel nicht meinen. Für diesen Fall wurde vorsorglich mit der
Gaststätte vereinbart, draußen zu sitzen, im Sommergarten. Gesucht
war eine gutbürgerliche deutsche Küche. Die Recherche im Internet
erbrachte ein Haus im Wiesbadener Stadtteil Biebrich, die Speisekarte
erschien variabel genug, um den unterschiedlichen Geschmack von
immerhin acht Gästen in Sachen Essen & Trinken angenehm zu
befriedigen. Der Zeitpunkt um 17:00 Uhr, gewöhnliche Öffnungszeit
der Gaststätte, war bewusst so früh gewählt, weil einige der Gäste
noch einen relativ langen Rückreiseweg vor sich hatten und
spätestens zum dämmernden Tageslicht nach Hause fahren wollten.
Kurz vor der Zeit fanden sich alle
Gäste vor dem Restaurant ein, allein die Türen blieben zunächst
verschlossen. Man fand seinen Weg über eine, seitlich am Haus
gelegene, Toreinfahrt, die auch in den besagten Sommergarten führte.
Der entpuppte sich aber allenthalben als ein gewöhnlicher Hinterhof,
mit einigen klapprigen Tischen und Stühlen. Dort hockte eine junge
Frau, die sich als die alleinige Bedienung dieses Abends
herausstellte und ihrerseits schon recht verzweifelt war. Denn alle
Türen, vorne wie hinten waren auch für sie verschlossen. Sie hoffte
darauf, der noch zu erwartende Koch würde Schlüssel haben, aber das
stellte sich kurze Zeit später auch als Trugschluss heraus. Nur der
Betreiber des Ratskeller Webseite Ratskeller Biebrich hatte Zugang und der musste erst einmal
telefonisch erreicht werden. So begann das Geburtstagsessen mit einer
ziemlichen Verspätung, um überhaupt Platz nehmen zu können. lange
war unsere Geburtstagsgesellschaft auch die einzigen Gäste, was sich
aber dann schnell als sehr vorteilhaft erwies.
Es versteht sich von selbst, dass unter
diesen Umständen nichts vorbereitet war. Die Tische wurden erst gar
nicht gedeckt, oder gar irgendwie dekoriert. Dafür befand sich auf
jedem Tisch eine Funkklingel, mittels derer man die Bedienung herbei
rufen kann und dieser Mechanismus war dann auch wirklich notwenig.
Die Servicekraft entpuppte sich schnell fachlich als wenig erfahren,
bemühte sich allerdings nach Kräften diese Defizite zu
kompensieren, indem sie erkennbar wirklich ihr Bestes gab. Sie
entwickelte sich im Laufe des lauen Abends zur guten Fee des Hauses,
doch musste ihr guter Wille und Einsatz immer wieder an
unvorstellbaren Hindernissen scheitern.
Es begann damit, dass einer der Gäste
ein Glas Weißwein bestellen wollte. Doch ausgerechnet von der Sorte
seiner Wahl wurde ihm dringend abgeraten. Nicht etwa weil man nichts
mehr auf Vorrat hätte, oder jemand die Erfahrung gemacht hätte den
Geschmack dieses Weins anzuzweifeln. Nein, der Grund war schlicht,
dass jene Weinsorte sich in einer verkorkten Flasche befand. Zwar sei
das Haus im Besitzes eines Korkenziehers, hört hört! Dennoch sehe
man sich nicht in der Lage, ein solches Verschlusssystem auf zu
bekommen. Selbst kräftige erscheinende männliche Gäste hätten
sich bereits erfolglos an der Handhabung des restauranteigenen
Flaschenöffners vergeblich bemüht. Auf die Idee, das Gerät
vielleicht einmal durch ein Funktionierendes zu ersetzen, ist der
Betreiber indes noch nicht gekommen. So musste man also auf einen
Wein aus einer Flasche mit Schraubverschluss zurück greifen. Eine
Situation, die Kellereien, welche Schraubverschlüsse bevorzugen,
endlich einmal als positiven Werbeeffekt für sich nutzen könnten.
Etwa nach dem Motto: Leute, wollte ihr das der Wein auch aus der
Flasche kommt, kauft künftig nur solche mit Schraubverschlüssen
prompt.
Solche Einschränkungen bei der
Getränkeauswahl ließen dann zunächst nichts Gutes für die
Speisenauswahl erwarten. Doch stellte das sich dann als angenehme
Überraschung heraus. Es wurde reichlich Fisch bestellt, Forelle
gerillt, Lachsfilet auf Nudeln und ein ganzer Zander. Dazu gab es
wahlweise auch einen guten Reis, ein Grundnahrungsmittel, dass man
für gewöhnlich in der provinziellen deutschen gutbürgerlichen
Küchen immer noch nicht als selbstverständliche Beilagenalternative
erwarten darf. Weiter überzeugten ein hessisches Woihinkel (Hühnchen
in Weinsauce) und Fleischgerichte durch Frische und guten Geschmack.
Die Salate kamen mit einer sehr fein abgeschmeckten Tunke daher und
rundeten die fleischlichen Geschmackserlebnisse angenehm ab. So
überraschten Küche und Koch. Die fleißige Serviererin leistete was
sie konnte, uns Gäste möglichst gleichzeitig mit der
Essenanlieferung zufrieden zu stellen, wenngleich auch auf eine sehr
serielle Art und Weise. Die Bestecke freilich kamen erst nach den
Speisen. Eine zeitlang die einzigen Gäste zu sein, erwies sich dabei
als vorteilhaft, so konnte ein Teil der Anfangs verlorenen Zeit
wieder kompensiert werden.
Nach und nach trudelten dann auch noch
andere Gäste ein. Unter ihnen ein noch recht junges Paar, dass sich
auf zunächst unerklärliche Weise selbst eine Tischdecke auflegte,
ansonsten aber erst einmal unauffällig blieb. Das änderte sich
erst, als der junge Mann sich in ein Gespräch über die diversen
Kübelpflanzen einmischte und eines der Gewächse als das seine
reklamierte. Da begann es einem langsam zu dämmern, dass es sich
bei dem Paar um den Betreiber dieser Gaststätte und dessen Freundin
handelte. Mit anhaltender Dauer und umso auffälliger wurde dann
deren Verhalten, auch und insbesondere gegenüber ihrem eigenen
Personal. Der Herr Wirt ließ sich bedienen wie ein Gast und das noch
mit etlichen Sonderwünschen und möglichst bevorzugt. Was er an
Kapazitäten der Küche und des Services für sich beanspruchte,
wurden den zahlenden Gästen natürlich weggenommen. Davon blieb der
Besitzer allerdings völlig ungerührt. Auch die ansonsten kleinen
aber vielen Malaisen, mit denen der Betrieb offensichtlich zu kämpfen
hatte, perlten an dem Herrn spurlos ab.
Solche Malaisen traten dann wieder bei
der Dessertauswahl deutlich zutage. Auf der Karte stehen vier, fünf
Alternativen aus denen man auswählen könnte. Die Nachricht aus der
Küche aber war, es gäbe nur entweder Buttermilchcremé oder Rote
Grütze. Auch dieser Mangel drang nicht in das Bewusstsein des Wirts
vor. Der schien an diesem Abend vor allem eins: nicht zuständig zu
sein. Selbst als einer der Gäste aus unserer Gruppe einen etwas
anderen Drink bestellte, war es nicht am Hausherrn sich darum zu
kümmern. Statt dessen sprang freundlicherweise seine Freundin ein
und mischte das gewünschte Getränk. Immerhin, es gab wenigsten noch
etwas zu trinken.
Den Schlussgong setzte dann bei der
Abrechnung die Nachricht, dass jegliche Form von Kartenzahlung nicht
möglich sei und Bares etwas Wahres wäre. Vor dem Hintergrund einer
deutlich dreistelligen Rechnungssumme heut zu Tage schon eine echte
Zumutung. Auf der anderen Seite aber auch ein weiterer Beweis dafür,
dass ausserhalb von Stätten mit weniger als einer halben Million
Einwohner, besonders und immer noch im Gastronomiegewerbe, auch in
Deutschland sogleich die moderne Zivilisation aufhört.
Es half unserer Geburtstagsgruppe, die
Umstände von Anfang an mit Humor genommen zu haben, ansonsten wäre
der Abend schnell in eine Katastrophe abgeglitten. Das Ambiente des
Restaurants im Innenbereich ist durchaus ansprechend. Den
Aussenbereich als Sommergarten zu bezeichnen ist allerdings eine
abwegige Zumutung. Dem Servicepersonal und der Küche sei Respekt und
Lob gezollt, beide lieferten mehr als man hätte erwarten dürfen,
vorausgesetzt, die entsprechenden Nahrungsmittel und Getränke waren
überhaupt vorhanden und dann auch zugänglich. Wer sich allerdings
absolut daneben benommen hat, war der Wirt selbst. Noch nie haben wir
einen Besitzer erlebt, der dermaßen teilnahmslos und desinteressiert
an den Geschehnissen in seinem eigenen Betrieb wirkte, sich aber
selbst fürstlich bedienen ließ. Wenn es denn um seinen freien Tag
gegangen ist, hätte er sich besser woanders hin verzogen. So bleibt
der Restaurantbetreiber höchstselbst, das schlechteste
Aushängeschild für seinen eigenen Betrieb.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen