Geschichtslos – Instinktlos – Phantasielos -Wie Katalonen, Spanien und die EU sich die Zukunft rauben von Thomas Seidel
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Palacio de la Generalidad de Cataluna (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Jan Harenburg) |
Eine Region in Europa kämpft für
Unabhängigkeit von einer nationalen Zentralregierung. Das ist so
weder neu noch selten in der Geschichte der Europäischen Union. Wie
es aber die zwei Hauptbeteiligten, die Zentralregierung von Spanien
einerseits, die katalonische Regionalregierung andererseits und in
einer kurzen Nebenrolle die Europäische Union es alle drei geschafft
haben, sich im Verlauf dieses Prozesses gründlich selbst die Zukunft
zu rauben, ist beispiellos.
Es gilt hier nicht zu untersuchen, ob
die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalonen eine völkerrechtliche
Grundlage haben. Auch geht es hier nicht um Fragen der
Verfassungsmäßikeit. Es geht vielmehr darum, wie alle Parteien sich
wegen dieser Sache politisch dermaßen blamieren konnten.
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Carles Puigdemont (Quelle: wikipedia, Urheber: Generalitat de Catalunya) |
Was die Katalonen angeht, kann man
ihnen ohne weiteres Geschichtslosigkeit vorwerfen. Sicher, die
Provinz, die einstmals das Kernland des Königreiches von Aragón
war, hat eine lange und reiche Tradition als selbständiges
Staatswesen hinter sich. Sie kann bis heute viele Erfolge für sich
vorweisen. Doch hat man dort vergessen, dass es Ferdinand II von
Aragón war, der 1469 Isabella von Kastilien und Leon heiratete und
damit die bedeutenden Königreiche ihrer Zeit auf der Iberischen
Halbinsel vereinten? Hat man vergessen, dass es dieses Königspaar
war, das im Jahr 1492 die letzte Maurenherrschaft in Spanien beendete
und einen gewissen Christoph Kolumbus auf eine ungewisse
Entdeckungsreise schickte, aus dem schließlich das Spanische
Weltreich entstand? Hat man vergessen, dass diese beiden bedeutenden
Könige die mütterlichen Großeltern des mächtigsten Herrschers
aller Zeiten, des Habsburger Kaiser Karl V. werden sollten, der
allein und zurecht sagen konnte, in seinem Reiche gehe die Sonne
nicht unter? Wäre das allein nicht genug Ruhm und Selbstgewissheit
als Teil Spaniens eine bedeutende Region in Europa zu sein und zu
bleiben? Nein, heute geht es nicht mehr um diese Dinge. Heute geht es
nur noch um Fragen, wie viel von meinen Steuereinnahmen kann ich für
mich selbst behalten? So denkt man heute auch in Südtirol, in
Venetien, in der Lombardei und ei auch in Bayern!
Ein irgendwie nicht ganz ernst zu
nehmender Ex-Journalist Carles Puigdemont schafft es als
Regionalpräsident von Katalonien in kaum mehr als einem Jahr den
geschichtsvergessenen Katalanen einzureden, wie schlecht sie von der
Madrider Zentralregierung behandelt werden und dort ihr Geld für
nicht katalanische Zwecke gebraucht würde. Ein
Unabhängigkeitsreferendum wird angesetzt, eine scheinbare Mehrheit
stimmt für die Loslösung von Spanien. Zu Hunderttausenden wird
dafür auf den Straßen von Barcelona demonstriert. Doch als die
Zentralregierung harte Maßnahmen durchsetzt, da gibt es auf einmal
eine andere Mehrheit von Demonstranten auf der Straße, jetzt für
die Einheit mit Spanien. Als es für die Mitglieder der
Provinzregierung ernst wird, setzt sich Puigdemont feige ins
europäische Ausland ab.
Was bleibt ist ein dauerhafter, nicht
mehr wett zu machender Schaden für Katalonien. Zu allererst hat die
Wirtschaft das Vertrauen in Katalonien verloren. Es ist nicht
absehbar, wie dies in nächster Zeit wieder hergestellt werden
könnte.
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Mariano Rajoy (r.) (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Brocco) |
Erschreckend ist, wie instinktlos die
spanische Zentralregierung, namentlich unter dem Ministerpräsidenten
Mariano Rajoy, auf die Entwicklungen in Katalonien reagiert hat.
Eigentlich hat das katalanische Thema recht harmlos angefangen. Man
wollte in der, für spanische Verhältnisse wirtschaftlich gut
aufgestellten, Region mehr vom eigenen Steueraufkommen für die
eigenen Zwecke behalten. Wie etwa in Norditalien oder bei den Bayern.
Mag man nicht die Vorstellung, mittels der regionalen Arbeit das
Leben anderer „Kostgänger“ mit zu finanzieren. Doch anders als
etwa in Südtirol, das rund achtzig Prozent seiner Steuereinnahmen in
der Region behalten kann, pflegen die Katalanen zwar eine größere
kulturelle Autonomie, sind aber finanziell nicht so üppig
ausgestattet.
Doch die sture Verweigerung von Madrid,
mit den Katalanen auch nur zu verhandeln, hat am Ende den
nationalistischen Kräften dort jenen Brennstoff geliefert, mit dem
sie dann herum gezündelt haben. Je mehr sich die „Krise“ in
Katalonien zuspitzte, desto reaktionärer wurde das Verhalten der
Madrider Zentralregierung. Natürlich konnte man zu jeder Zeit
behaupten, man bewege sich mit allen Maßnahmen im Rahmen der
Verfassung und des Gesetzes. Aber der Bezug auf Recht und Ordnung und
die Exekution richterliche Anweisungen ist immer nur ein letztes
Mittel und bezeugt den politischen Unwillen und die Unfähigkeit zur
Kommunikation, dem eigentlichen politischen Geschäft. Insofern kann
und muss man der Madrider Zentralregierung völliges politisches
Versagen vorwerfen. Als man dann auch noch mit Mitteln der
frankistischen Trickkiste versuchte die Katalanen botmäßig zu
machen, verscherzte man sich jeden Rest möglicher Sympathie für die
nationale Einheit auch im Ausland.
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Felipe VI. in 2015 (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: World Travel & Toruism Council) |
Den Gipfel lieferte dann der amtierende
König Felipe VI. Hatte dessen Vater Juan Carlos I. bei einem
Putschversuch gegen die junge spanische Demokratie, am 23. Februar
1981 in einer Rede mit beispielloser politischer Klugheit, die
Reputation des Landes für lange Zeit unzweifelhaft wieder
hergestellt, verspielte Felipe VI. das Gleiche vor kurzem in einer
Rede zu Katalonienfrage. Felipe VI. erklärte die Katalanen de facto
zu Abtrünnigen und legitimierte alle bisherigen und zukünftigen
Handlungen der Zentralregierung, zur Erhaltung der nationalen Einheit
Spaniens. Natürlich bewegte er sich auch damit im Rahmen von Recht
und Gesetz, zeigte aber gleichzeitig keinerlei Mitgefühl für einen
durchaus wichtigen Teil der spanischen Bevölkerung. Aber ehrlich,
was will man von einem Bourbonenabkömmling anderes erwarten, als die
bedingungslose Forderung nach dem Supremat des Zentralstaates. Nach
über 300 Jahren läßt Ludwig XIV. aus Frankreich schön grüßen.
Vor dem Hintergrund all dieser
Ereignisse enttäuschte die Europäische Union durch ihr Schweigen.
Es ist nur zu bequem, sich auf eine Position zurück ziehen zu
können, die die Ereignisse um Katalonien zu einer rein
innerspanischen Angelegenheit erklärt. Auch das alles mag sich im
Rahmen von Recht, Gesetz und europäischen Verträgen abgespielt zu
haben. Aber ist es den Verantwortlichen in Europa nicht klar, dass
für die langfristige Zukunft ein Europa der Nationen in eine
handlungsunfähige Sackgasse führen wird, wenn es nicht schon längst
genau dort drin steckt? Hat man in der Europäischen Union wirklich
so wenig Phantasie, sich irgendwann für die nächsten Generationen
ein Europa der Regionen vorstellen zu können? Wäre es nicht eine
Geste wert gewesen, den Katalanen zu zeigen, so wie sie es anstellen
gehe es nicht, aber ihre Rufe habe man durchaus wahrgenommen? Man
erwartet von einem Jean-Claude Junker nicht, dass er sich ernsthaft
in die Sache eingemischt hätte. Das wäre auch wirklich nicht seine
Aufgabe gewesen. Aber man hätte von Donald Tusk, der ja persönlich
unter dem Druck seines heimatlichen Nationalismus leidet, durchaus
Worte des Verständnisses und Ausgleichs erhoffen können. Wenigsten
eine Andeutung für eine bessere Zukunft.
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Donald Tusk (Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: EU2016 SK) |
Alle haben hier verloren. Die Katalanen
haben viel Vertrauen unnötig zerschlagen. Die spanische
Zentralregierung und Monarchie haben sich im Zweifel wieder einmal
als reaktionäre Einrichtungen „geoutet“. Die Europäische Union
hat gezeigt, dass der Status quo, mit dem viel mehr Bürger in viel
mehr Regionen Europas schon lange unzufrieden sind, zur Zeit
unverhandelbar ist. Mit dieser lokalen Krise ist die Zukunft Europas
wider einmal ein Stück schattiger geworden.
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