Entweder man sei dabei, oder nicht! -Bericht vom Euroforum 2017 Bankentechnologie- von Thomas Seidel

Prof. Jürgen Bott führte durch die dreitägige Konferenz
(Quelle: Thomas Seidel)

Technologisch stehen die Banken vor ihrem wahrscheinlich größten Umbruch seit den 1960er Jahren. Alle Prozesse sollen digitalisiert werden. Vor allem der Zahlungsverkehr und die Buchung von Geschäften sollen in Zukunft „real-time“ geschehen. Man ist sich einig: Wer diese Umstellung nicht schafft, kann künftig sein Geschäft nicht mehr fortführen. Doch gilt das auch für alle Bankmitarbeiter. Es droht der größte personelle Exodus der Branche.

Eindringlich wiederholten mehrere Teilnehmer diese immer gleiche Botschaft. Schon der, die Konferenz leitende, Professor Jürgen Bott von der Uni Kaiserslautern weist auf den engen Zusammenhang zwischen Prozessänderung und der dadurch notwendigen Änderung bei der Ablauforganisation hin. Outsourcing, so Bott, sei im Rahmen der Digitalisierung der falsche Weg. Statt dessen müsste die Kompetenz wieder in die Häuser zurück gebracht werden.

Ein Beispiel aus der Schweiz
Sehr ähnlich äußerte sich gleich der erste Key-Note-Sprecher Ulrich Hoffmann von der UBS. Bezüglich der Digitalisierung könne eine Bank entweder künftig mit dabei sein und ihren Markt dominieren, oder sie hätte an diesem Markt sonst keine Chance. Schon sei die Alleinstellung und Pflege der eigenen Marke immer schwieriger. Das Heben des eigenen Datenschatzes und dessen Nutzung für das Neugeschäft werde immer wichtiger.

Hemdsärmelig waren sowohl Auftritt wie Rede von Ulrich Hoffmann
(Quelle: Thomas Seidel)
Dann wird Hoffmann knallhart. Künftig notwendig seien Mitarbeiter mit einem völlig anderen Mindset als heute. Leute die seit 30-40 Jahren in einer Bank arbeiten, seien nicht mehr zukunftsfähig. Es müssten junge Leute um die Dreißig her, die hochqualifiziert und auf akademische Art in Eco-Systemen nterwegs sein können. Backoffice-Prozess von A-Z durchführen zu können, sei künftig nicht mehr notwendig.

Hoffmann stellt sich gar eine Vermischung von Front- und Backoffice-Funktionen in einer Art Middleoffice vor. Er erklärt aber nicht, wie das rechtlich funktionieren soll. Zumindest in der EU müßen Front- und Backoffice vollkommen voneinander getrennt, bis in die Vorstände hinein, agieren. Auch muss Hoffmann am Ende seines Vortrages zugeben, dass eine Großbank wie die UBS letztlich nicht vollständig auf den Einsatz einer Mainframe-Batch-Verarbeitung verzichten könne. So relativiert er wieder seine zuerst gemachten Aussagen.

Ansatz der Deutschen Bank
Der Vorstandvorsitzende der Deutschen Bank John Cryan hatte kürzlich auf einer anderen Handelsblatt-Tagung zum Besten gegeben, die Deutsche Bank würde künftig wie ein Technologieunternehmen funktionieren. Bei dieser Veranstaltung oblag es nun René Keller, CIO für Private Wealth & Commercial Clients bei der Deutschen Bank, das Orakel seines Chefs zu erklären.

Das fängt mit der Beichte an, die Deutsche Bank habe in der Vergangenheit soviel Outsourcing betrieben, das man heute nur noch etwa 20 Prozent aller Aufgaben im eigenen Hause erledige. Die Digitalisierung zwinge allerdings dazu, Kompetenzen wieder in das Haus zurück zu holen. Freilich sind damit aber nicht die alten, sondern ganze neue Kompetenzen gemeint. Um interne Blockaden zu verhindern, würden die Teams für die Einführung neuer Strukturen aus den vorhandenen Abteilungen heraus genommen. Man befürchtet Blockaden und Widerstände. In einer Digitalfabrik arbeiteten jetzt 450 Leute aus 17 Ländern. Die neuen Arbeitsweisen seien interdisziplinär und hätten flache Hierarchien. Doch weiß man von John Cryan auch, über die Hälfte des gegenwärtigen Mitarbeiterbestandes gilt bei der Deutschen Bank als obsolet.

Der Deutschen Bank kann es nicht schnell genug gehen. Am Pult René Keller
(Quelle: Thomas Seidel)
Es scheint in der Deutschen Bank die Befürchtung zu geben, am Markt abgehängt zu werden. Deshalb rüste man technologisch stark auf. Man will eine eigene Plattform bauen, um nicht nur Zulieferer für andere Plattformen zu werden, wie etwa zu Amazon oder Alibaba. So arbeite man beispielsweise an dem Produkt Verimi gemeinsam u.a. mit Springer, Daimler, Telekom und Lufthansa an einem Standard für nur eine Legitimation und Anmeldung der Kunden zur Nutzung von Dienstleistungen dieser Unternehmen.



Glaubensgrundsätze
Veranstaltungen wie diese leben auch vom Auftritt von Gurus. Dazu zählt in der Technologiebranche Hans-Christian Boos von der Arago GmbH. Der hatte sich das Thema Künstliche Intelligenz (KI, neudeutsch: Artificial Intelligenz AI) vorgenommen und dieser Kunst gleich mal die Intelligenz abgesprochen: Maschinen verstünden nichts und Maschinen hätten kein menschlich funktionierendes Gehirn. Große neuronale Netze der KI hätten ca. 1 Millionen Knoten; ein menschliches Gehirn habe allein 86 Milliarden davon. Für ein maschinelles neuronales Netz bräuchte es zum Betreiben ein Atomkraftwerk; das menschliche Gehirn komme mit 20 Watt aus.
Jeder heutige Prozess könnte von KI übernommen werden, so müssten leider die Menschen immer mehr wie die Maschinen arbeiten.

Der große und bislang uneinnehmbare Vorsprung des Menschen sei seine Fähigkeit zu sprechen. Durch Sprache sei es möglich, Wissen weiterzugeben, ohne es vererben zu müssen. Darin liege der entscheidende Unterschied zur Tierwelt und der KI. Künstliche Intelligenz scheitere schlicht an der Fähigkeit zu Sprache.

Daten würden die Welt beschreiben. Doch diese seien regelmäßig unstrukturiert. Strukturiert Daten wären aber die Voraussetzung für richtig gute Analysen. Jegliche sinnvolle Nutzung von KI setzte entsprechend gut strukturierte Daten voraus. Dazu müssten die Daten allerdings zunächst einmal entsprechend vorliegen. Das bedeute, Datenpflege und Datenaktualität seien die Kernvoraussetzungen für jede Digitalisierung.

Was bleibt da für die Menschen zu tun? In einer künftigen Welt würde der Kunde äußern was er will und die KI entscheide, wo gekauft wird. Hier könnten Unternehmen nur überleben, wenn der Service exzellent ist. Mensch-zu-Mensch-Dienstleistungen seien die Zukunft.

In den Pausen wird heftig weiter diskuttiert
(Quelle: Thomas Seidel)
Sicherheit und Bundesbank
Als ein weiterer Key-Note-Sprecher trat Prof. Dr. JoachimWuermeling, Vorstand der Deutschen Bundesbank und dort unter anderem für Informationstechnologien, auf. Sein Vortrag markierte allgemeine Erkenntnisse. So seien operationelle Risiken genauso unabwendbar, wie alle anderen Risiken im Finanzgeschäft. Cyberattacken hätten inzwischen ihren amüsanten Unterhaltungswert verloren und sind zum allgemeinen Ärgernis geworden. Wirtschaftlich seien sie längst ein genauso schlimmer Schaden, wie Feuer, Flut oder sonstige Elementarschäden. Sie könnten einen Betrieb nicht nur schaden, sondern lahmlegen oder gar nicht mehr fortführbar machen.

Wuermeling sieht die Zentralbanken besonders im Fokus von Cyberattacken. Einmal wegen der nützlichen Informationen, die man aus ihnen gewinnen könne, oder um den reibungslosen Zahlungsverkehr zu stören und damit der gesamten Wirtschaft schwer zu schaden. Der Wettlauf gegen Cyberkriminelle werde immer anstrengender und zermürbender. Cyberkriminalität sei relativ risikolos, aber ertragreich für Angreifer. Die Finanzindustrie sei besonders anfällig, wegen ihrer engen und mehrschichtigen Vernetzung.

Joachim Wuermeling hofft auf künftige Lösungen durch die KI, um besser gegen Angreifer gewappnet zu sein. Jedoch sei man immer noch viel zu sehr damit beschäftigt, überhaupt die eigenen Systeme auf einen aktuellen Stand zu bringen.

Wuermeling erwartet von den IT-Herstellern, dass sie Lücken schnell erkennen, melden und schließen. Die größte Schwachstelle sei der Mensch als Anwender und unter ihnen vor allem die Systemadministratoren.

Das Vorgehen der Commerzbank
Nachdem bereits Vertreter von der UBS, der Deutschen Bank und der Deutschen Bundesbank zum Thema reden konnten, durfte die Commerzbank freilich nicht fehlen. Für dieses Haus sprach mit Stephan Müller ein Bereichsvorstand IT. Dessen Vortrag glich einem Sperrfeuer von Argumenten und Statements. So lernen wir: Das Backoffice heißt jetzt „Dunkelverarbeitung“! Welch ein Kompliment für die Commerzbank-Mitarbeiter im den Backoffice-Bereichen. Doch für die kommt es gleich noch härter. Es gäbe auf der Mitarbeiterseite durchaus keine Begeisterung für die Digitalisierung. Letztlich sei dies auch der Transparenz geschuldet, die die Arbeitsprozesse durchschaubar machen, vor allem die des mittleren Managements. Wenn man agiles Arbeiten möchte, müsse man die Leute fragen, ob sie diese Reise mitmachen wollten. Falls nicht, müsse man sich offensichtlich von solchen Leuten trennen.

Stephan Müller von der Commerzbank feuert Argumente in die Runde
(Quelle: Thomas Seidel)
Andererseits, so klagt Müller laut, sei es heute schwierig, Leute zu finden, die einen Prozess End-to-End verstehen. Noch weniger Verständnis gäbe es für horizontale Betrachtungen. Das bedeute, Jemanden zu haben, der versteht, welche Prozesse in unterschiedlichen Fällen immer wieder verwendet werden können. Das sorge für eine Einheitlichkeit in den Prozessen.

Dann wird von Müller weiter gefeuert. Die Grundsatzentscheidung für das Frontend sei gewesen, alles was der Kunde an Anwendung habe auch so in der Filiale abzubilden. Man nutze nun die gleichen Tools. Man passe auch den Kundenauftritt in den gleichen Style an. So könnten Kundenberater sich erstmals überhaupt in die Anwendungslage des Kunden versetzen.

Außerdem habe man die Testverfahren radikal geändert. Das sei notwendig, denn die Ergebnisse aus Testumgebungen seien nicht immer gleich mit der Anwendung in der Praxis. Ein weiteres Problem seien die Releases. Die Deploymentverfahren dauerten viel zu lang und benötigten zu oft noch manuelle Eingriffe. Cloud's wiederum wären besonders in Deutschland ein Problem, da die Frage nach der Sicherheit der Daten hierzulande eine größere Rolle spiele als in anderen Ländern. Jegliche Datennutzung müsse daher mit den Kunden abgestimmt sein.

Weitere Vorträge
Zwischen all diesen Schlüsselvorträgen kam eine Vielzahl von anderen Unternehmen zu Wort. Diese berichteten teilweise von den Visionen oder auch schon mal von gemachten Fortschritten in ihren Häusern.

Dr. Gjergji Kasneci erläutert SCHUFA-Methoden
(Quelle: Thomas Seidel)
So konnte Dr. Gjergji Kasneci von der SCHUFA Holding AG berichten, wie man dort versucht menschliche Erfahrungsstrategien in einen maschinellen Algorithmus umzuwandeln. Man bediene sich dabei der Methode, Fakten in ihrer Bedeutung zu gewichten. Immerhin könne man bereits 500 Schufa-Anfragen pro Sekunde bearbeiten.

Ron van Kemenade, CIO bei der virtuellen ING Bank, gibt das Statement ab, Ingenieure und Technologen aus der IT seien die Banker der Zukunft. Das bedeute, Banker müssten in der Zukunft in der Lage sein, Code zu schreiben. Er sieht in der Automatisierung der Prozesse den entscheidenden Schlüssel für ein zukünftig profitables Geschäft. Es hätte sich gezeigt, dass Entwickler und Abwickler in ein Team zusammen gefasst werden müssten, um Prozesse aufzustellen und während des Betriebs zu optimieren. Man habe bei ING begriffen, dass die IT ständig etwas liefern müsse und nicht monatelang auf Releases gewartet werden kann.
Eine ähnliche Aussage machte Salvatore Pennino, Senior Banking/Fintech Advisor bei Google. Für die Banken müsse jetzt klar sein: Release in langen zeitlichen Abständen könne man sich nicht mehr leisten. Quartalsmäßig, monatlich oder gar Real-Time würde mehr und mehr zum Standard werden.

Kommentar: Fast man alles zusammen, gilt künftig für den deutschen Bankensektor: Die Digitalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Sie wird gar die Voraussetzung für das Überleben der Banken als eine eigenständige Branche sein. Für die klassischen Bankmitarbeiter bedeutet das viel Unbill. Die Mehrheit der Leute scheint künftig überflüssig zu sein und soll mehr oder weniger radikal abgebaut werden. Wer sich nicht dem digitalen Zeitalter anpassen kann oder will, macht sich selbst überflüssig. Damit erlebt die Branche einen ähnlich radikalen Umbruch, wie vor Jahrzehnten die Berufe im Umfeld des Druckens durch die Computer innerhalb weniger Jahre einfach ausgestorben sind. Allerdings wird auch schon jetzt beklagt, dass das Wissen wie Bankgeschäfte überhaupt abgewickelt werden müssen schwindet. Freilich, Programmierer sind keine Kaufleute! Die Fähigkeit das Eingehen von Finanzrisiken richtig abschätzen zu können, bleibt eine Mischung aus bankkaufmännischen Fachkenntnissen und der Anwendung von Praxiserfahrungen. Die Komplexität menschlichen Lebens wird es Maschinen nie ermöglichen, weitreichende Finanzentscheidungen treffen zu können. In Sachen Lebens- wie Geschäftsplanung werden also auch weiterhin immer nur Menschen mit Menschen sinnvoll interagieren.


Dieses mal war die Veranstaltung deutlich dünner besetzt als im Vorjahr. Auch zeigt der Blick in die Teilnehmerrunde eine seit Jahren gleiche Situation der Branche: Die Mehrzahl der Teilnehmer sind ältere Herrschaften, die das Sagen in den Unternehmen und die Macht über die Budgets haben. Jüngere Leute mit neuen frischen Ideen sind nach wie vor rar und wenn vorhanden, dann erkennbar in subordinären Positionen. Doch das spiegelt die Gesamtsituation in der Branche wieder. Mit Innovationen geht es nicht wirklich voran. Nicht umsonst warnen die Vertreter, vor allem der Großbanken, vor internen Widerständen, Blockaden und Ablehnung besonders seitens der mittleren Managementebene. Der Druck der Stakeholder auf das Topmanagement der Banken, zu radikalen Änderungen und zu mehr Profitabilität muss enorm sein. Dort verliert man mit den Betriebsabläufen die Geduld und scheint zu radikalen Maßnahmen bereit zu sein. Dabei steht die Finanzbranche insgesamt auch noch unter einem enormen Zeitdruck sich zu verändern. Bleibt noch lange alles so wie es ist, werden viele Teilnehmer schnell vom Markt verschwinden.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Herrschaft der Minderheiten - Ein Essay von Thomas Seidel-

Erneute Verschleierung durch die SPD: Das Ende der Fallpauschale im deutschen Gesundheitswesen -von Thomas Seidel-

Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel