EZB: Ein Retrospektive auf das Jahr 2017 von Thomas Seidel
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In höchster Konzentration v.l.n.r.: Vitor Constancio Vizepräsident der EZB, Mario Draghi Präsident der EZB und Pressechefin Christine Graeff (Quelle: Thomas Seidel) |
Am vergangenen Donnerstag fand in
Frankfurt am Main die letzte reguläre Sitzung des EZB-Direktoriums
statt. Erwartungsgemäß kam es nicht zu spektakulären Beschlüssen.
Die Leitzinssätze bleiben unverändert, ebenso das bekannte
ausserordentliche Wertpapier-Ankaufsprogramm zur massiven
Liquiditätsstützung des Euroraums. Zeit also einen Rückblick auf
das Jahr 2017 aus Sicht der Europäischen Zentralbank zu nehmen.
Vor etwas mehr als einem Jahr, im
Herbst 2016 traf das EZB-Direktorium die grundlegenden Entscheidungen
für 2017. Die Ausgangssituation war eindeutig. Mit den in 2017
anstehenden Wahlen zur Präsidentschaft in Frankreich im Frühjahr,
zum Deutschen Bundestag im Herbst, sowie Wahlen in den Niederlanden
und Österreich, war für das ganze Jahr ein weitestgehender
Stillstand bei politischen Entscheidungen voraus sehbar.
Fast schon ein wenig in Vergessenheit
geraten ist indes, mit welchen Aufregern manche dieser Wahlen im
Vorfeld besprochen worden waren. Besonders für Frankreich fürchtete
man bei einem Wahlsieg der rechtspopulistischen Marine LePen zur
Staatspräsidentin nicht nur einen erheblichen politischen Rechtsruck
für ganz Europa. LePen, die mit ihrem Front Nationale sogar die
ganze Europäische Union in Frage stellte, hätte durchaus der Anfang
vom Ende des paneuropäischen Friedensprojekts werden können.
Weniger dramatisch waren die
Erwartungshaltungen an die Wahl zum Deutschen Bundestag. Dort war
allein die Frage wichtig, mit wieviel Stimmen die neue
rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) in den
Bundestag einziehen würde. Ansonsten erwartete man bei der deutschen
Regierungsbildung gepflegte Langeweile.
Wesentlich hochgepuschter war die Wahl
in den Niederlanden. Hier schien es auch um ein Alles oder Nichts zu
gehen. Würde ein Geert Wilders in der Lage sein, das traditionell so
liberale Land in einen Hort völkischen Extremismus umzuwandeln?
Ähnliches befürchtete man zwar nicht in Österreich, mit den
wiederholten Bundespräsidentenwahlen und den Ambitionen des
blutjungen Aussenministers Kurz aber, bot das Land über das ganze
Jahr hinweg Europa ein recht unterhaltsames Politprogramm.
Ende 2016 war den europäischen
Zentralbankern klar, im Folgejahr 2017 würde es für lange Zeit zu
keinen wesentlichen oder gar fortschrittlichen politischen
Entscheidungen kommen. Zu sehr würden wichtige europäische
Politiker mit sich selbst beschäftig sein. Es konnte daher aus
Zentralbanksicht nur darum gehen, den laufenden Betrieb so solide wie
möglich sicher zu stellen. Deshalb wagte man das ganze Jahr 2017
über nicht, an den Zinsschrauben zu drehen und die Sicherstellung
der Liquiditätsversorgung irgendwie zu beeinträchtigen. Allein die
prächtige wirtschaftliche Entwicklung, selbst von Sorgenländern wie
Spanien oder Griechenland, erlaubte es der EZB im Verlauf des Jahres
das Volumen des Wertpapier-Ankaufsprogramms allmählich etwas zurück
zu fahren.
Politisch kam dann doch vieles anders
als zunächst befürchtet und erwartet. Die Franzosen erteilten den
Rechtspopulisten eine herbe Abfuhr und krönten den jungen Emanuel
Macron zu ihrem neuen Präsidenten. Der versteht es nach Napoleon wie
kein zweiter Franzose, kräftig zu zupacken und dem stark gebeutelten
Selbstbewusstsein des Landes wieder einen neuen glorreichen Anschein
zu geben. Frankreich jedenfalls hat Europa gezeigt, dass es sich
immer noch um eine zivilisierte Nation und eines der Geburtsländer
der modernen Demokratie handelt.
Ähnlich ist es den Niederländern
gelungen, zwar knapp und kompliziert, aber immer noch deutlich genug
dem Rechtspopulismus im eigenen Land zumindest erst einmal eine rote
Karte zu zeigen. Im unterhaltsamen Österreich setzt sich nach
einigem Hin und Her zuerst ein grünliberaler Bundespräsident durch
und dann, pünktlich zu Weihnachten, auch noch eine
Koalitionsregierung unter dem jüngsten Regierungschef in Europa.
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Auftritt im Presseraum der EZB (Quelle: Thomas Seidel) |
Doch ausgerechnet da, wo man die
wenigsten Schwierigkeiten erwartete, sind die größten Probleme
entstanden, bei der bundesdeutschen Regierungsbildung. Die großen
Volksparteien sind nach der Wahl und herben Verlusten in einem
desolaten Zustand. Die CDU ist zwar immer noch stärkste Partei, die
Zwölfjahreskanzlerin Angela Merkel aber entscheidend geschwächt.
Für die Partei rächt es sich jetzt, dass es zu Frau Merkel auf
lange Zeit in der Partei keine Alternative gibt. So kann es zu keinem
Austausch des politischen Spitzenpersonals kommen, mit dem man einen
Neuanfang beginnen könnte, so wie es die Franzosen vorgemacht haben.
Während die Grünen dermaßen regierungsgeil sind, dass sie bereit
wären sich bis zur politischen Selbstaufgabe zu verbiegen, hampeln
die, wieder in den Bundestag eingezogenen, Liberalen nach dem Takt
ihres hippeligen und nicht zu bändigenden Parteivorsitzenden herum
und beweisen damit, dass sie auch nach vier Jahren bundespolitischer
Abstinenz nicht die politische Reife erworben haben, überhaupt auch
nur ein Bundestagsmandat auszuüben. Die SPD, selbst dringend
innerlich erneuerungsbedürftig, ringt um eine Rolle zwischen
destruktiver Opposition und ebenso destruktiver
Regierungsbeteiligung.
Den Bock der fehlerhaft überheblichen
Selbsteinschätzung schießt allerdings die bayrische CSU ab. Nach
noch nie da gewesenen Stimmeneinbrüchen im eigenen Ländle, ist die
CSU unter allen Parteien im Bundestag dort die verschwindende
Minderheitenpartei überhaupt. Doch statt demütig sich mit den
hausgemachten Problemen zu befassen, üben sich deren Protagonisten
in bayrischer Großmäuligkeit und egoistischem Politstarrsinn,
anstatt staatsmännisch Verantwortung auf sich zu nehmen und zum
Gelingen einer funktionierenden Bundesregierung konstruktiv
beizutragen.
Das Ergebnis von alldem ist, es gelingt
auf bundesdeutscher Ebene nicht, eine stabile Regierung zu bilden.
Ausgerechnet der Stabilitätsanker der letzten zwölf Jahre in
Europa, droht vom Seil abzureissen und im Meer zu versinken. Das
Schiff Deutschland dümpelt führungslos vor sich hin. Schon fragen
sich Teile der Mannschaft, wozu man überhaupt noch einen Kapitän
brauche? Was bedeutet das alles für die Entscheider in der
Europäischen Zentralbank?
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Abgang: Für dieses Jahr ist alles gesagt (Quelle: Thomas Seidel) |
Mario Draghi brachte es in seiner
letzten Pressekonferenz dieses Jahres auf den Punkt. Wegen des noch
lange drohenden politischen Stillstandes in Europa, wird es bei
keinem dringend notwendigen Reformpaket zu Bewegung kommen. Der
stürmische Franzose Emanuel Macron ist durch die deutsche
Regierungsunfähigkeit in seiner Politik blockiert. Selbst wenn es
Angela Merkel gelänge, irgendwie eine tragfähige
Koalitionsregierung in Berlin zustande zu bringen, sie würde in
einer nächsten Amtsperiode nie wieder so entschloßen in Europa
auftreten können wie in den zwölf Jahren zuvor. Eine kräftige
deutsch-französische Reforminitiative ist ferner denn je. Die trotz
aller politischer Unwägbarkeiten überraschend gut laufende
Wirtschaft in Europa, sorgt in viele Ländern schon wieder für
Disziplinlosigkeit bei der staatlichen Haushaltskonsolidierung und
Begehrlichkeiten Gelder zu verschwenden die man gar nicht hat.
Gemeinsame Projekte, wie die Vollendung der Bankenunion und das
Anpacken einer Kapitalmarktunion, geschweige denn irgendwelche
fiskalischen oder gar sozialen Angleichungen, werden in 2018 eher
noch zur Utopie. Die Europäische Zentralbank kann sich noch lange
nicht einbetten in ein System gemeinsam funktionierender europäischer
Politik und Institutionen. Sie wird weiterhin der alleinige
herausragende europäische Apparat sein, der sich vor allem um die
Stabilität des Euro und nicht der Preise sorgen machen muss. Die EZB
wird weiterhin mit irrsinnigen Liquiditätsmitteln den schmierigen
europäischen Politikmechanismus am Laufen halten.
Auf der letzten EZB-Pressekonferenz
wirkte Mario Draghi müde und erschöpft. Es ist vorstellbar, dass er
sich das absehbare Ende seiner Amtszeit herbei wünscht. Die Aufgabe
als EZB-Präsident zwischen grotesk auseinander laufenden
Begehrlichkeiten der Euro-Länder, politisch unberechenbaren
Angelsachsen beiderseits des Atlantik und in ihren Handlungen
eingeschränkten Zentralbankkollegen herum zu lavieren, muss
zermürbend sein.
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